caiman.de 08/2012

[kol_3] Grenzfall: Gelungene Müllentsorgung – Eine Frage der Perspektive
 
Totale Aufregung in einem kleinen Dorf Kataloniens. Nach Jahrzehnten des Zerfalls wird gebaut: Sechs Reihenhäuser, ein Mehrfamilienhaus, das acht Wohnungen umfasst, und eine Straße, die neben allen anderen neu gepflastert wird. Das hat Signalwirkung – wir streichen auch. Im Februar / März 2012 ist die Bepflasterung der Straße zwischen den beiden neuen Wohnkomplexen an der Reihe inklusive dem Freiraum neben dem Wohnhaus. Und tatsächlich hat es den Anschein als entstünde ein Platz. Mit Spannung erwarten wir Bänke, Spielplatzgerät, Boulebahnen.

Der Freiraum befindet sich strategisch günstig in der Dorfmitte und direkt vor dem Gemeindezentrum für die älteren Herrschaften. Der Gedanke einer Begegnungsstätte für Alt und Jung ist beinahe eine städteplanerische Glanzleistung. Dann eines Morgens, die Bänke und ein kleiner Frischwasserbrunnen sind installiert, erhält die Querseite des neuen kleinen Platzes entlang der Straße eine Müllentsorgungsanlage. Diese besteht aus sieben Müllschluckern: vier für Restmüll, einen für Papier, einen für Glas und einen für Plastik.



Wir sind entsetzt und testen den Glascontainer. Wie nicht anders zu erwarten, knallen die Glasflaschen ungedämpft in die Tiefe und verursachen einen ohrenbetäubenden Lärm. Selbst auf unserer Terrasse in 50 Meter Entfernung ist der Aufprall noch deutlich zu vernehmen. Unsere Bekannten, die die Wohnung im ersten Stock des neuen Wohnhauses beziehen werden, von deren Balkon aus die Müllschlucker zum Greifen nahe sind, bedauern wir schon vor deren Einzug.

Dann kommt der große Tag der ersten Leerung. Zunächst wird die gesamte Anlage für den Restmüll nach oben gefahren und die selben grünen Tonnen, die bislang im Dorf verteilt standen, kommen zum Vorschein. Sie werden geleert wie gehabt und im Anschluss gewaschen. Auf unserer Terrasse zieht ein intensiver Duft nach Müll vorüber. Erneut müssen wir an unsere Freunde denken. Bevor die Anlage wieder runtergefahren wird, verschwindet die Müllabfuhr für gut eine Stunde. Als sie wieder da sind, kommen Glas, Plastik und Papier an die Reihe. Das Prozedere dauert gut zwei Stunden. Katalonien ist halt doch nur Spanien!



Nach dem Winter zurück in Berlin relativiert sich mein Entsetzen über die Wahl des Standortes für die dörfliche Müllanlage. Bei uns im Hinterhof quellen die Mülleimer über. Aufgerissene Tüten sind rund um die sechs Tonnen verteilt. In der Tonne für Organisches befindet sich auch nur Organisches, allerdings noch in Plastiktüten verpackt. Dann muss ich an meine Zeit in Köln denken als sich in den Straßen zu Papier- und Flaschencontainern kurzzeitig auch Container für Gelben-Punkt-Müll gesellten. Schnell sammelte sich Sperrmüll und normaler Hausmüll rund um die immer überfüllten Container. Es dauerte nicht lang bis sich Ratten eingenistet hatten. Ratten von der Sorte, bei deren Begegnung ich die Straße wechselte. Das schärfste in die Richtung ist mir am Messegelände passiert: Ein Job, Beginn sieben Uhr morgens. Ich warte auf Einlass und höre zunächst ein Rascheln, das sich schnell zu einem heftigen Sturm durchs Unterholz ausweitet. Gefühlt zieht fünf Minuten lang eine Armee riesiger Ratten im Laufschritt an mir vorbei. Eine nach der andern, Nase an Schwanz, grimmig dreinschauend, keine Angst kennend und auf Vernichtung aus.

Zurück in Katalonien erscheint mir die Müllanlage kaum noch als Störfaktor. Ich muss zudem gestehen, dass ich mit meiner Skepsis allein da stehe. Unsere Bekannten hebt die unmittelbare Nähe zum Müllschlucker nicht wirklich an. In der neuen Wohnung haben sie keinen Kamin mehr, in dem sie Verpackungen und Plastikflaschen verbrennen können. Sie haben sich daher schnell und schmerzlos mit der Situation des Mülltrennens angefreundet. Auf dem Platz sitzen sie und ich auch sehr gerne. Die Dorfalten haben ihn ebenfalls angenommen. Ratten habe ich schon seit Jahren keine mehr im Dorf gesehen. Und irgendwie beschleicht mich das sonderbare Gefühl, dass zumindest Teile Spaniens in Sachen Sauberkeit meiner deutschen Heimat um Längen voraus sind.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

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