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[kol_3] Grenzfall: Schlaf gut in Benidorm
Zu Besuch in einer der ältesten Touristenhochburgen
 
Nicht alles was früher gut war, ist heute schlecht. Aber als besser kann man es auch nicht bezeichnen. - Immerhin: der Strand ist nach wie vor im Bestzustand in Benidorm.

Es ging in einer Zeit los, da war ich noch nicht einmal geboren. Mitte der 1960er Jahre nämlich erkor man sich das weißgesandete Fleckchen nördlich von Alicante aus, um dort die ersten Betonriesen hochzuziehen und der Costa Blanca den Boom des Pauschaltourismus zu bescheren. Es folgte ein Investor dem anderen, ein Hochhaus dem anderen und schließlich sogar, der geglückten Werbung sei dank, ein Touristenstrom dem anderen. Man war im alten, kleinen, unberührten Fischerdorf Benidorm angekommen. Das verspricht schon vom engeren Wortsinn, Grundkenntnisse der lateinischen Sprache vorausgesetzt, ein wunderbares Urlaubserleben: gut schlafen. Und dann auch noch am Meer, im weißen Sand; und Sonne, den ganzen lieben Tag lang Sonne.


Dabei hat die Region um Benidorm an der Costa Blanca außer Sand und Meer nicht wirklich viel zu bieten. Radfahrern könnte noch das Herz im Hinterland aufgehen, so sie denn auf ein ständiges auf und ab im wahrsten Sinne abfahren wollen. Das ganze vor einer Karstkulisse, die man getrost auch in einem Film über Marsmenschen einsetzen könnte. Natürlich gibt‘s auch kulturelle Highlights: Keine halbe Stunde Autofahrt entfernt, liegt das Dörfchen Altea mit einer kleinen Burg auf einem Hügel. Besonderheit? Der Turm der Burg wurde bei einem Erdbeben vom restlichen Teil des Gebäudes abgetrennt. Was noch? Jede Menge Souvenir-Händler, die ihren Made-in-China-Krimskrams den kulturell interessierten Besuchern feilbieten. Natürlich kostet der Aufgang zur Burg noch einmal ein paar Euro extra, nur, das muss man fairerweise dazu sagen, der Ausblick auf den Stausee, aus dem die Region ihr Trinkwasser speist, ist kostenlos, wenngleich keineswegs umsonst, denn das türkisblaue Wasser vor den mächtigen Betonplatten ist definitiv ein Erinnerungsfoto wert.



Zurück zu Benidorm. Infrastrukturell hat der Ort alles, was man braucht: jede Menge Kreisverkehre, Geschäfte des täglichen Lebens, Fußgängerzonen und eine kilometerlange Strandpromenade. Dabei ist der südliche Teil fest in spanischer Hand und stark von Familien frequentiert. Der nördliche Teil, vom südlichen Teil durch eine natürliche Felswand abgetrennt, auf der man aber einen herrlichen Ausblick auf beide Strandteile besitzt, ist dagegen von Engländern okkupiert. Deutsche? Das war einmal. Seit es Low-Cost-Carrier aus 26 verschiedenen Destinationen Großbritanniens gibt, haben die Ingleses den Alemanes längst den Rang abgelaufen. Da nutzt es auch wenig, wenn man im "Deutschen Restaurant" seine original Nürnberger Bratwurst samt Warsteiner bekommt. Stilechter geht es da schon im Rocker Café nebenan zu, wo reihenweise nackte, stark tätowierte Männerbäuche auf ihr nächstes Pint warten.



Wer unter sengender Hitze nicht in der Bar sitzt, schläft entweder noch oder liegt tatsächlich am Strand. Und der, man mag es kaum glauben, kann sich sehen lassen. Keine Spur von nächtlicher Verwüstung, überall stehen Mülleimer, wachen Rettungsschwimmer über die Menge und patrouillieren Strandpolizisten, die wahrscheinlich von der Stadt engagiert sind. Die Ordnung klappt erstaunlich gut. Zwar muss man als Strandbesucher manches Mal die schwarzen Brillenverkäufer noch selbst abwehren, aber man wird weder von Millionen fliegender Händler noch von betrunkenen Touristen angepöbelt. Es geht sehr gesittet zu am Strand von Benidorm. Man liegt in Reih und Glied auf den (kostenpflichtigen) Liegen unter dem (kostenpflichtigen) Schirm oder wie der weit größere Teil, unter praller spanischer Sonne, um ganz aktiv etwas für den Teint zu tun. Wer möchte, kann auch auf Beachvolleyballfeldern den Ball durch die Luft baggern oder per Fuß in irgendwelche kleinen Tore befördern. Spielen ist nicht nur auf den dafür vorgesehenen Feldern erlaubt, darf aber "normale" Urlauber nicht stören. Sehr fortschrittlich.

Ansonsten ist Benidorm keinesfalls ein kultureller Leckerbissen. Das Casco Antiguo gibt es zwar und ist irgendwie auch nett anzusehen, aber vernachlässigbar; insbesondere dann, wenn man bereits andere spanische Altstadtviertel gesehen hat. Außerdem ist da noch der Balcón Mediterraneo, von dem aus man einen herrlichen Blick auf beide Strände hat.

Ehedem stand dort mal eine kleine Burg, um die nahenden Piratenschiffe frühzeitig zu sichten und sie im Idealfall erfolgreich in die Flucht zu schlagen. Heute jedoch braucht man das alles nicht mehr. Die Piraten sitzen nun zumeist in den Kneipen mit anglophonen Namen und die nicht mehr vorhandene Burg hat so viele Türme in der Umgebung bekommen, wie sie es sich einst nie hätte nur erträumen lassen (und manche sind noch nicht einmal bezugsfertig). Und auch wenn krisenbedingt zahlreiche Apartments zu verkaufen sind: Piratengucken ist von da oben nach wie vor äußerst angesagt. Ein Umstand, der die vielen Touristen wohl seit jeher spät am Abend selig einschlafen lässt.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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