caiman.de 07/2015

[art_2] Bolivien: Bäume gegen die Folgen des Klimawandels
Aufforstung in den Anden
 
Wer die Anden, die große Gebirgskette Südamerikas, kennt, der weiß, sie sind kahl. Außer etwas stacheligem Gras und ein paar niedrigen Büschen wächst dort nichts. Umso überraschender ist es, an manchen Stellen plötzlich Wälder zu entdecken. Es sind die ersten Versuche eines unglaublich klingenden Vorhabens: Der Aufforstung der Anden, denn die Bäume sollen die Folgen des Klimawandels abfedern helfen.

3850 Meter zeigt der Höhenmesser. Ein steiler, steiniger Berg, an dem sich zwischen den Felsbrocken nur ein paar Grasbüschel festkrallen. Das soll sich ändern. Die Bewohner des Dorfes Challunea-Pararani in Bolivien sind heute zur Gemeinschaftsarbeit zusammengekommen, um hier einen Hektar Wald zu pflanzen. Während die Erwachsenen Löcher in den felsigen Untergrund hacken, bringen die Kinder die Setzlinge von der 100 Meter tiefer liegenden Schotterstraße her.

"Wir haben uns letzte Woche getroffen und gemeinsam entschieden, dass wir heute die Bäume pflanzen wollen und dass alle aus dem Dorf dabei helfen. Das ist jetzt schon die dritte Parzelle, die wir anpflanzen. Mit diesem Feld sind es nun insgesamt fünf oder sechs Hektar", erzählt Victoriana Fernandez Rodriguez. Sie spricht Quechua, trägt einen Hut gegen die stechende Sonne und einen zerrissen Wollpulli mit der amerikanischen Flagge zu einem weiten Rock. Um die Schultern hat sie ein selbstgewebtes braunes Tuch geschlungen. Die bloßen Füße stecken in Sandalen aus Gummireifen. "Der Regen ist in den letzten Jahren immer heftiger geworden. Er schwemmt unsere Felder und die Pflanzen darauf weg. Wir hoffen, dass wir mit diesen Bäumen die Erde schützen können. Und ich hoffe, dass wir damit Bau- und Feuerholz bekommen. Bislang gibt es hier überhaupt keine Bäume."

Unterhalb des Abhanges liegen Kartoffelfelder. So weit das Auge reicht, eine Bergkette hinter der anderen, in unterschiedlichen Rot- und Braunschattierungen. Und nirgendwo ein einziger Baum. Es gibt noch viel Platz, auf dem Jhonny Herbos von der bolivianischen Organisation Pusisuyo zusammen mit Dorfbewohnern aufforsten kann. "Die Organisation Pusisuyo schlägt den Bauern vor, die Bäume an Stellen zu pflanzen, an denen es Probleme mit Erosion gibt. Das ist meistens oben, an steilen Abhängen der Fall. Wir sprechen mit den Leuten darüber, wie ihnen Bäume nützen können und die Bauern sind schnell überzeugt und bereit, bei der Arbeit mitzuhelfen." Jhonny Herbos ist ein großer, breitschultriger Mann, der sein langes Haar zum Zopf geflochten trägt. Er hat Pusisuyo vor 25 Jahren als Student mit begründet und verbringt seither den größten Teil seiner Zeit in den Bergen. Die Arbeit von Pusisuyo wird unter anderem von terre des hommes Deutschland finanziert. Das Hilfswerk will damit den Menschen in den abgelegenen Gebieten Boliviens helfen, mit den Folgen des Klimawandels besser klar zu kommen. Die Abschwemmung der Erde durch Starkregen ist nur eines der Probleme, die Erwärmung bringt auch den Wasserhaushalt in den Anden durcheinander. "Bis vor 15 Jahren begann der landwirtschaftliche Kalender im September. Da wurden die Kartoffeln gepflanzt. Heute werden sie im Oktober oder sogar November gesetzt, weil der Regen einen Monat später einsetzt. Außerdem fällt der Regen nicht mehr wie früher gleichmäßig. Die Alten sagen uns, früher habe es nie Starkregen gegeben, der die Felder wegschwemmte. Heute haben wir den oft. Und auch Hagel"; erklärt Herbos.

Zwar ist die absolute Regenmenge ist in den Anden gleich geblieben. Doch sie verteilt sich nicht mehr wie früher auf vier bis fünf Monate, sondern fällt konzentriert im Januar und Februar. In der übrigen Zeit des Jahres ist es dagegen zu trocken. Auch die natürlichen Wasserspeicher schwinden. Die Gletscher ziehen sich immer weiter in die Höhe zurück und die Lagunen in den Bergen trocknen aus. "Wir haben hier für kurze Zeit viele kleine Lagunen. Die Regenzeit dauert nur noch zwei Monate, danach ist es schnell wieder sehr heiß und das Wasser verdunstet. Manche Lagunen verschwinden dann völlig", so Jhonny.

Bäume können dabei helfen, all diese Probleme in den Griff zu kriegen. Mit ihren Wurzeln fixieren sie die Erde und verhindern so, dass sie erodiert. Außerdem wirkt die mit Wurzeln durchzogene Erde wie ein Schwamm. Der kann Wasser speichern und nach und nach abgeben. Und Bäume sorgen dafür, dass es regelmäßiger regnet. "Bäume verdunsten ja auch Wasser. Dieses steigt dann in die Atmosphäre und wenn es nicht gerade vom Wind weg getrieben wird, führt das zu einer höheren Niederschlagsmenge. Der Baum ist sozusagen die Wasserpumpe, die für die Luftfeuchtigkeit sorgt." Noemi Stadler-Kaulich lebt seit über 20 Jahren in Bolivien und forscht über Bäume in den Anden. Bolivien liegt in den Tropen. Hier gedeihen Bäume auf einer Höhe von bis zu 4.300 Metern. Trotzdem sind die Anden seit Jahrhunderten kahl. Das war nicht immer so, weiss Stadler-Kaulich. "Wenn man die wissenschaftlichen Untersuchungen zu Rate zieht, wie es hier früher aussah, dann wird klar, dass die Inkas vor 1000 Jahren, als es bereits eine Klimaveränderung gab, also höhere Temperaturen, weniger Regenfall, stärkere Winde und so weiter, dass sie die Bäume als Windschutz genutzt haben, indem sie sie um ihre Äcker zu pflanzen. Schon damals wurden Bäume als Schutz vor Wind, Hagel und Wassergenutzt."

500 Jahre alte Reiseberichte der Spanier erzählen von bewaldeten Bergen. Doch nachdem das Land erobert worden war, begann die Abholzung. Die Spanier waren auf der Suche nach Silber und dessen Abbau verschlang die Wälder. Vor allem aber brachten die Spanier Schafe, Kühe und Ziegen mit. Sie sind schwerer und haben härtere Hufe als die einheimischen Lamas und Alpakas mit ihrer weichen Laufsohle. Dadurch verdichten sie den weichen Boden stärker. Zudem rupfen die Tiere die meisten Pflanzen mit Wurzeln aus, da der Boden in den Anden insgesamt lockerer ist als in heimischen Gefilden. Auf einer 16 Hektar großen Versuchsfläche hat Noemi Stadler-Kaulich ausprobiert, was passiert, wenn man Kühe, Schafe und Ziegen konsequent aussperrt: Nach kürzester Zeit wachsen nicht nur eine große Vielzahl einheimischer Gräser und Büsche, sondern auch erste Schösslinge einheimischer Bäume. Deswegen sieht die Forstwissenschaftlerin auch keine Gefahr darin, mit der Anpflanzung von Bäumen das Ökosystem negativ zu beeinflussen.

Schafe sind auch das größte Problem für die Aufforstungsaktionen der Organisation Pusisuyo. "Wir setzen Zäune. Das ist sehr teuer, aber es ist die einzige Möglichkeit. Wir sagen den Familien immer wieder, dass die Hirten aufpassen müssen, damit die Schafe nicht in die Pflanzungen kommen. Doch ein Achtjähriger, der auf 30 Schafe aufpassen muss und nebenbei auch noch spielen will – da wird immer ein Teil der Schösslinge gefressen", erläutert Herbos.

Die Landbewohner erhalten die Setzlinge von Pusisuyo kostenfrei. Zu Jhonny Herbos großem Bedauern sind kaum Obstbäume dabei, die für ein gutes Auskommen sorgen würden. das Problem hierbei ist nicht die Höhe. "Der Apfelbaum gedeiht am besten, er kommt mit der Kälte sehr gut klar. Wir haben bis auf einer Höhe von 3.800 Metern Apfelbäume gepflanzt. Das große Problem ist, dass sie sehr teuer sind. Ein Setzling kostet umgerechnet 3,50 Euro. Das ist ein sehr hoher Preis für einen hiesigen Bauern. Und für uns als Organisation auch." Deshalb pflanzen die Bauern auf dem steilen Abhang kein Obst, sondern eine Mischung aus einheimischen Bäumen und exotischen Kiefern. Ökologisch gesehen wäre es besser, nur einheimische Sorten zu pflanzen. Aber davon sind die Bauern nicht zu überzeugen. "Diese Rena ist vier Jahre alt und wie du sehen kannst, wächst sie pro Jahr 10 Zentimeter. Wenn Du das mit den Kiefern vergleichst – die sind auch vier Jahre alt und vier Meter hoch – ist das ein riesiger Unterschied. Aus diesem Grund wollen die Leute keine einheimischen Arten pflanzen. Aber wir bestehen darauf, dass es wichtig ist, die heimischen Arten wieder anzusiedeln", erklärt Herbos.

Damit das Projekt eine Chance hat, müssen die Bäume in der Lage sein, ein Einkommen zu erwirtschaften – sonst wird es schwierig, die Leute davon zu überzeugen, Zeit und Energie in die Anpflanzung und Pflege der Wäldchen zu stecken. Deshalb sind Kiefern wichtig. In ihnen steckt viel Geld.

Das Sägewerk Multiagro in der bolivianischen Stadt Cochabamba: Sein Besitzer Juan Pablo Demeure verarbeitet hier fast ausschließlich Kiefern, die auf einer Höhe von mindestens 3000 Metern gewachsen sind. "Die Kiefern wachsen in der Höhe zwar langsamer. Aber wir haben Analysen durchführen lassen, in denen festgestellt wurde, dass die Wände der einzelnen Zellen dicker sind. Das macht das Holz widerstandsfähiger. Dadurch gibt es für diese Kiefern ganz andere Verwendungsmöglichkeiten als sonst", erklärt Demeure. Für die Holzindustrie Boliviens werden die hochwertigen Kiefern in Zukunft immer wichtiger werden, davon ist der Sägewerksbesitzer übererzeugt. Denn es wird immer schwieriger und teurer, an Tropenhölzer aus dem Amazonasbecken Boliviens heranzukommen. "Die Gesetze zum Schutz der natürlichen Wälder werden immer strenger. Der Besten einheimischer Baumarten nimmt immer mehr ab und der Holzpreis steigt ständig. Aus den Gegenden, die leicht zu erreichen sind, ist schon alles heraus geholt. Man muss immer tiefer in die Berge, um Holz zu schlagen und es gibt immer weniger davon, und das macht es sehr teuer." Deshalb hat sich der Demeure völlig vom Tropenholz verabschiedet. Für ihn kann es gar nicht genug Bauern geben, die Kiefern pflanzen. Die Stadt Cochabamba wächst und die Nachfrage nach bezahlbarem Bauholz ist groß. Dementsprechend gut sind auch die Preise, die er für die Baumstämme zahlt. Ein Hektar Wald im Hochgebirge bringt 10.000 US Dollar, bei guter Qualität auch mehr. "Dort, wo wir unser Holz kaufen, erhalten die Bauern im Schnitt ein jährliches Einkommen von 300 bis 350 US Dollar pro Familie. In dieser Gegend beträgt das Jahreseinkommen einer Familie normalerweise 1000 Dollar. Wir reden also über eine Einkommenssteigerung von 30 Prozent."

Auf solche Gewinne müssen die Einwohner des Dörfchens Challunea-Pararani noch mindestens zehn Jahre lang warten. Ihre Wäldchen werden gerade erst in Gemeinschaftsarbeit gepflanzt. Und obwohl Victoriana Fernandez Rodriguez natürlich hofft, dass die 30 Zentimeter hohen Setzlinge irgendwann einmal Geld abwerfen, sind es ganz andere Gründe, weshalb sie die Bäumchen pflanzt. "Manchmal sind die Hagelkörner so groß, dass unsere Schafe davon erschlagen werden. Bäume könnten den Tieren Schutz bieten. Und die Bäume schützen auch unsere Ernte vor dem starken Regen und spenden in der Trockenzeit Feuchtigkeit. Deshalb sind sie für uns wichtig."

Da aufgrund des Klimawandels in weiten Teilen Boliviens die Berghänge abrutschen und es zu Überschwemmungen und Wasserknappheit kommt, hat das Umweltministerium 2012 einen Fünfjahresplan zur Aufforstung erstellt. "Die Bezirksverwaltungen sind verpflichtet, sich in ihren Gebieten um die Aufforstung zu kümmern. Sie produzieren Setzlinge und bringen sie in die Dörfer. Letztes Jahr hat jedes Dorf hier 1.200 Pflanzen bekommen, und es ist zu hoffen, dass es nächstes Jahr noch mehr sein werden. Wir helfen bei dem Programm mit, indem wir unsere Erfahrung zur Verfügung stellen", erklärt Herbos Jhonny.

Pusisuyo hat in den vergangenen 10 Jahren mit den Bauern rund 300.000 kostenlose Bäumchen gepflanzt. Und auch die 1500 Setzlinge, für die heute in Challunea-Pararani in den steinigen Abhang Löcher gehackt werden, kommen nicht vom bolivianischen Staat, sondern wurden mit Hilfsgeldern aus dem Ausland bezahlt. Victoriana Fernandez Rodriguez ist es ziemlich egal, woher ihre Bäumchen stammen – Hauptsache sie bekommt welche. "Wir haben noch nicht viele Bäume gepflanzt, bis vor zwei Jahren gab es niemanden, von dem wir welche hätten bekommen können. Wenn uns noch jemand Bäume schickt, so werden wir sie mit großem Jubel und viel Liebe entgegen nehmen. Noch unsere Kinder und unsere Enkel werden davon profitieren."

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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