ed 07/2011 : caiman.de

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argentinien: Adiós, Millionäre, adiós!
River Plate und der Abstieg in die Nacional B
ANDREAS DAUERER
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


mexiko: Medikamentenwerbung
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 2]
brasilien: Rios abgerutschte Bergregion
Sechs Monate nach der Flut (Bildergalerie 2011)
THOMAS MILZ
[art. 3]
lateinamerika: Spanisch / Portugiesisch lernen via Skype
TOBIAS LORENZ (GLOVICO.ORG)
[art. 4]
heldinnen brasiliens: 2011 - Seleção im Finale und gewinnt die WM
THOMAS MILZ
[kol. 1]
erlesen: "Harraga" von Antonio Lozano
BERTHOLD VOLBERG
[kol. 2]
pancho: La Bella del Barrio Brezel
La Arepería de Berlin ausgeglichen
DIRK KLAIBER
[kol. 3]
lauschrausch: Zwei Entdeckungen aus Portugal
Dancas Ocultas und Dazkarieh
TORSTEN EßER
[kol. 4]




[art_1] Argentinien: Adiós, Millionäre, adiós!
River Plate und der Abstieg in die Nacional B
 
Nach 110 Jahren in der höchsten Spielklasse des argentinischen Fußballs muss der Traditionsclub River Plate den schweren Gang in die Nacional B antreten. Krawalle inklusive.

Bayern München steigt in die zweite Bundesliga ab, die Fans nehmen die Allianzarena auseinander! Kann man sich das überhaupt vorstellen? Der Vorzeigeclub Deutschlands, Rekordmeister, millionenschwer, Hervorbringer unzähliger Talente, die sich Jahr für Jahr nicht nur in den Bundesligaclubs, sondern auch in allen wichtigen Stadien Europas beweisen und der stets um die Meisterschaft mitspielt, steigt ab? Wohl kaum. Doch genau das ist jetzt dem Bayern München Argentiniens geschehen. Der Club Atlético River Plate, der sich pro Jahr mindestens zwei Mal mit den Boca Juniors den brisanten Superclásico lieferte und Spieler wie Alfredo di Stefano, Daniel Pasarrella, Mario Kempes, Claudio Caniggia, Hernán Crespo, Martín Demichelis oder Gonzalo Higuaín herausbrachte, ist am Wochenende tatsächlich in die zweite argentinische Liga abgestiegen. Zwei Relegationsspiele konnten die Rotweißen nicht für sich entscheiden. Gegen Belgrano Cordoba verloren sie und spielten zu Hause nur Remis, was der fußballverrückte Mob zum Anlass nahm, nicht nur Teile der Tribüne zu demolieren und Verkaufsstände in Brand zu setzen, sondern sogar Steine auf die eigenen Spieler und Polizisten zu werfen. Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass niemand an diesem Wochenende zu Tode kam.

Doch der Vergleich mit Bayern München hinkt. Denn rein theoretisch muss in der argentinischen Liga nicht zwangsweise der absteigen, der tatsächlich auch unten steht. Weil 1981 der Verein San Lorenzo überraschend in die zweite Liga musste, ersannen die schlauen Funktionäre einen Plan, damit die größten Clubs nicht das gleiche Schicksal ereilt. Und so wurde1983 das sogenannte Promedio-System eingeführt. Danach ist für den Abstieg jetzt nicht mehr die Platzierung nach einer Saison entscheidend, sondern, wie gut sich der Club in den letzten drei Jahren geschlagen hat. Dazu werden die Punkte addiert und durch die Anzahl der Spiele geteilt und schon hat man die Grundlage geschaffen, damit eine schlechte Saison der großen Vereine nicht ausreicht, um tatsächlich in die zweite Liga absteigen zu müssen.

Ein solches System ist jedoch immer nur so gut, wie der Club selbst. Den Millionarios, wie die Spieler von River gerne genannt werden, weil der Verein stets der wohlhabendere aus dem Hafenviertel war und später aus Boca in den wohlsituierten Stadtteil Nuñez umzog und schon mal mit Goldbarren Spielertransfers abwickelte, gelang vieles. Insgesamt holten sie 68 Titel, darunter 33 argentinische Meisterschaften und zwei Mal die Copa Libertadores. Dabei hätten sie als Vorletzter 1983 nach der schlechtesten Saison ihrer Vereinsgeschichte rein sportlich gesehen schon absteigen müssen. Der eingeführte Durchschnittswert jedoch bewahrte sie davor, die Mannschaft wurde aufgefrischt und nur drei Jahre später gewannen sie den Weltpokal.

Nach zwei schlechten Jahren und einem durchschnittlichen, das sie immerhin auf Tabellenplatz neun beendeten, müssen die Millionarios nun kleinere Brötchen backen. Kein Superclásico mehr, kein Derby gegen Independiente oder San Lorenzo. Stattdessen darf man sich künftig mit Mannschaften wie Rosario Central, San Martín de Tucumán oder Chacarita Juniors messen, auch wenn die Anhänger gebetsmühlenartig Sätze wiederholen wie River es demasadio grande para descender oder River no se puede ir a la B. Erstligareifen Fußball wird man im El Monumental höchstens dann noch sehen, wenn die Nationalelf mit Messi und Co. anrückt oder man alte Videos von 1978 anguckt, als Argentinien in der riesigen Betonschüssel zum ersten Mal Weltmeister wurde.

Sollte River der direkte Wiederaufstieg tatsächlich gelingen, könnte es indes erneut vom Promedio heimgesucht werden. Denn dann starten sie im wahrsten Sinne des Wortes bei Null. Vielleicht aber lassen sich die Funktionäre ja wieder etwas einfallen und schaffen mehr sportlichen Anreiz durch die Abschaffung der durchschnittlichen Auf- und Abstiegsmodalitäten?

Das käme zwar im Falle des Aufstieges erneut River zu Gute. Aber endlich würden alle Mannschaften gleich behandelt werden und Aufsteiger die gleichen Chancen besitzen in der Liga zu bleiben, wie alle anderen auch.

Text + Foto: Andreas Dauerer

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]






[art_2] Mexiko: Medikamentenwerbung
 
Jeder will gesund sein. Um möglichst fit zu sein nehmen viele Menschen deshalb nicht nur Medikamente, wenn sie krank sind, sondern auch vorsorglich Nahrungsergänzungsmittel wie Vitaminpräparate. Der Nutzen dieser Mittel ist umstritten. In Deutschland müssen die Aussagen in der Werbung deshalb sehr zurückhaltend formuliert werden. Doch in Ländern der Dritten Welt, wo es hierfür keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, wird das Blaue vom Himmel versprochen. Und damit richtet die sogenannte "Gesundheitsindustrie" großen Schaden an.

"Die Vitamine helfen gegen Osteoporose", verspricht der Sprecher eines Radiospots vollmundig. Und Vitamine sind bei weitem nicht das einzige Wundermittel, das in Mexiko via Radio, Fernsehen und auf Plakatwänden beworben wird.

"Ich habe Leute getroffen, die Vitamine zur Heilung von Epilepsie gekauft haben. Ich habe sogar jemanden gesprochen, der gelähmt war und dem ein Verkäufer versichert hatte, er werde wieder laufen können, wenn er die Vitamine nehmen würde." Hugo Ernesto Flores Navara ist Arzt und kümmert sich um Patienten in der ländlichen - und armen - Region Chiapas in Südmexiko. In vielen der abgelegenen Dörfer ist er der einzige Arzt, der ab und an vorbei kommt. Wer krank ist, muss also lange auf Hilfe warten. Deshalb greifen Kranke nach jedem Mittel, das Heilung verspricht - und glauben völlig unbesehen das, was Werbung und Verkäufer, die in den Dörfern von Haus zu Haus gehen, ihnen versprechen.

"Es werden Produkte verkauft, von denen in der Werbung beteuert wird, dass sie heilen. Irgendwo auf dem Zettel steht dann ganz klein, dass es sich nur um Nahrungsergänzungsmittel handelt. Und das in Dörfern, wo ein Großteil der Leute nicht mal lesen kann", so Flores.

Dagmar Castillo gehört der kleinen mexikanischen Hilfsorganisation EAPSEC an, die sich für eine bessere Gesundheitsversorgung in den ländlichen Gebieten des Landes einsetzt. "Es geht nicht nur darum, dass die Werbung den Leuten falsche Versprechungen macht, vielmehr geschieht dies auch immer häufiger auf sehr aggressive Art und Weise. Wer die Vitamine nicht nehme, handle geradezu unverantwortlich, so wird behauptet."

"In der Werbung geht es oft um Kinder und sie richtet sich speziell an Frauen. Da heißt es, wenn die Kinder krank werden, dann sei das die Schuld der Mütter. Deshalb fühlen sich die Frauen verpflichtet, diese Mittel zu kaufen und fragen auch ganz gezielt nach den Produkten, die über Radio und Fernsehen beworben werden. Dabei fehlt es nicht so sehr an Medikamenten und schon gar nicht an Nahrungsergänzungsmitteln", meint Dagmar Castillos. Es ginge um Grundsätzlicheres. "Oft brauchen die Leute keine Medizin, sondern eine gute, ausgewogene Ernährung und ordentliche Häuser, in denen es nicht zieht. Doch viele wissen das alles nicht. Deswegen bemühen wir uns vor allem darum, den Menschen zu vermitteln, was sie tun müssen um erst gar nicht krank zu werden."

Doch aus zugigen Hütten ordentliche Häuser zu machen kostet Geld. Und die wenigen Mittel, die die Menschen in den Dörfern zur Verfügung haben, fließen oft in die völlig überteuerten Vitaminpräparate. Je nachdem kosten sie schnell einen südmexikanischen Monatslohn oder mehr. "Die Leute, von denen wir hier sprechen, sind arm. Wenn sie die "Medikamente" kaufen, dann haben sie kein Geld mehr, um ausreichend Nahrungsmittel für ihre anderen Kinder zu beschaffen. So wird die ganze Familie in Mitleidenschaft gezogen", so Castillos.

EAPSEC hat die am häufigsten in Mexiko beworbenen Vitaminpräparate auf deren Inhaltstoffe getestet. Das Ergebnis war ernüchternd: Sie enthielten hauptsächlich Zucker und Koffein. "Die Vitamine, die als Tabletten geschluckt werden, haben zwar keinerlei Nutzen, aber sie schaden wenigstens nicht. Aber in letzter Zeit beobachten wir, dass vermehrt Vitaminspritzen angeboten werden. Jede Injektion birgt das Risiko einer Infektion, besonders dann, wenn sie nicht unter hygienisch einwandfreien Bedingungen durchgeführt wird. Und von Menschen, die das nie richtig gelernt haben", erklärt Hugo Ernesto Flores Navara. Und so wird die aggressive Bewerbung nutzloser Präparate zum Gesundheitsrisiko.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: mexiko]





[art_3] Brasilien: Rios abgerutschte Bergregion
Sechs Monate nach der Flut
 
Wie die Bilder sich gleichen! Sechs Monate sind mittlerweile vergangen, seit eine gigantische Flutkatastrophe ganze Täler in der Bergregion rund um die Städte Petrópolis, Teresópils und Nova Friburgo im Bundesstaat Rio de Janeiro zum Abrutschen gebracht brachte. Der caiman war damals vor Ort und berichtete über die Tragödie (-> Der Tsunami aus den Bergen).

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Jetzt, sechs Monate später, besuchten wir erneut die gebeutelte Region. Und immer noch bietet sich dem Beobachter ein Bild der Verwüstung. Viele beschädigte Häuser geben Zeugnis jener schrecklichen Nacht, in der der Regen nicht mehr stoppen wollte. Viele Menschen haben die Region mittlerweile verlassen, aus Angst dass sich Ähnliches wiederholen könnte.

Manche Familien sind geblieben, versuchen ihre Häuser wieder in Stand zu setzen. Die staatliche Hilfe läuft kommt nur schleppend in Gang, man ist weitgehend auf sich selbst gestellt.

Hier einige Bilder aus dem Krisengebiet, sechs Monate danach.

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Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_4] Lateinamerika: Spanisch / Portugiesisch lernen via Skype

Glovico.org ist eine Sprachschule, in der man Spanisch, Französisch, Chinesisch, Portugiesisch und Englisch von Muttersprachlern aus Lateinamerika, Afrika und Asien via Skype lernen kann und gleichzeitig noch etwas Gutes tut.

Um sich unverbindlich über diese neue und günstige Art des Sprachunterrichts zu informieren (los geht’s ab sieben Euro für die 55-minütige Privatstunde), gibt es bei Neuanmeldung eine Schnupperstunde gratis. Diese Idee des doppelten Vorteils verfolgt der Gründer Tobias Lorenz seit dem Launch der Webseite im Mai 2010 und sie kann sich reinen Herzens "Fairtrade 2.0" nennen.

Ziel der Non-Profit-Organisation ist, qualifizierten Menschen in Entwicklungsländern ein zusätzliches Einkommen zu ermöglichen und den interkulturellen Dialog zu fördern.

Für die Zukunft sind Mikrokredite geplant, um auch ärmeren Lehrern den Zugang zur Plattform zu ermöglichen. Seit Kurzem gibt es darüber hinaus Videokonferenzen in Schulen, in welchen die Schüler Globalisierung mit Menschen rund um den Globus diskutieren. So baut sich das Netzwerk von Glovico.org weiter aus und damit auch der Kreis der Menschen, die davon profitieren.

Im  Mai 2011 ist die Online-Fairtrade-Sprachschule nun ein Jahr alt geworden! Das macht Gründer Tobias Lorenz mächtig stolz und bereitet Vorfreude auf das nächste Jahr. Und was ist nicht alles passiert im ersten Jahr? Von den kreativen Jungs von Freiwild gab es ein superschickes Redesign der Website zum Geburtstag und Glovico wurde mit diversen Preisen ausgezeichnet (Ort im Land der Ideen, Werkstatt N Projekt und Preisträger beim Leuchtturm-Wettbewerb). Darüber hinaus gab es per E-Mail von verschiedenster Seite fantastisches Feedback, so dass man voller Stolz sagen kann: Glovico wirkt!

Und auch die Lehrkräfte sind begeistert und finden nicht nur die Möglichkeit, sich online ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen, fantastisch, sondern betonen immer wieder, wie aufregend es sei, mit faszinierenden Menschen auf der ganzen Welt zu kommunizieren.

Einzelne Lehrer haben sogar weitergehende Projekte mit Schülern aufgenommen und kümmern sich um Mikrokredite für Solaranlagen im Senegal oder die Pressearbeit für Fairtrade-Kaffee in Mittelamerika.

Aber natürlich ruht Glovico sich nicht auf den Lorbeeren aus und ist fieberhaft dabei, die nächsten Schritte anzugehen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Umbrüche in der arabischen Welt soll demnächst Arabisch auf die Plattform mit aufgenommen werden und bis zum zweiten Geburtstag sollen mehr als 100 Sprachen auf der Seite gelistet sein, mit dem Fokus auf regionale Sprachen in Afrika, Lateinamerika und Asien. Es sind Sprachen wie Tagalog, Wolof und Fula, die gerade Glovico‘s größte Vision sind.

Um auch das nächste Jahr zu einem Erfolg zu machen, freut Glovico sich immer über Unterstützung durch Mund-zu-Mund-Propaganda, Hinweise auf potentielle Lehrer oder Kontakten zu Unternehmen, Unis oder Zeitungen. Denn nur die Community macht Glovico zu dem was es ist!

Text + Fotos: Tobias Lorenz

Weitere Infos:
Web: www.glovico.org
Facebook: http://facebook.glovico.org

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel]





[kol_1] Heldinnen Brasiliens: 2011 – Seleção im Finale und gewinnt die WM
 
Fußball wohin man auch schaut. U17-WM in Mexiko, Copa América in Argentinien. Und natürlich die Frauen-WM in Deutschland. Aber ob die im Macholand Brasilien wirklich jeMANNden interessiert? Der Anfang war jedenfalls viel versprechend. Das Auftaktspiel der brasilianischen Fußballfrauen lief auf den Fernsehern der Cafés und Restaurants São Paulos. Immerhin.



Eine echte brasilianische Meisterschaft für die Frauen gibt es nicht. Sponsoren halten sich auch eher zurück oder stecken ihr Geld lieber in einen männlichen Nachwuchsspieler. Es mangelt an professionellen Strukturen und an Aufmerksamkeit, besonders durch die Medien. So verdienen die meisten Spielerinnen der brasilianischen Mannschaft ihr Geld im Ausland, meist in Schweden oder den USA.

"Das ist eine schwierige Situation für uns", meint Cristiane, neben Superstar Marta der spielerische Dreh- und Angelpunkt im brasilianischen Spiel. "Stets steht der Männerfußball im Vordergrund – und alle Hoffnungen und Erwartungen richten sich auf ihn. Auf uns schaut man leider nur, wenn gerade eine WM oder Olympia stattfindet."

Sportreporterin Lu Castro setzt sich seit Jahren für eine stärkere Anerkennung des Frauenfußballs in der Öffentlichkeit ein. Ihre Hoffnung ruht auf einem möglichst positiven Abschneiden der Spielerinnen in Deutschland. "Es könnte schlagartig besser werden, wenn die Mädels die WM gewinnen. Aber da zweifele ich noch dran. Nicht wegen ihrer spielerischen Qualitäten, ihrer Technik oder ihres Könnens – denn all dies haben sie ja sowieso, das ist ihnen angeboren. Aber ich zweifele aufgrund der unzureichenden Strukturen im brasilianischen Frauenfußball und der Vorbereitung auf die WM, die nicht optimal verlief."



Die Mädels selber sind voller Selbstvertrauen. Cristiane glaubt an den erstmaligen Titelgewinn Brasiliens. "Und hoffentlich stehen wir im Endspiel gegen Deutschland, damit wir Revanche für 2007 nehmen können." Auch Trainer Kleiton Lima hofft auf ein Wiedersehen mit den Deutschen. "Es wäre natürlich ein Traum, wenn wir noch einmal das Finale gegen Deutschland spielen könnten. Und dieses Mal sogar in Deutschland … deshalb ist es unser Wunsch, wieder das Finale gegen Deutschland zu spielen. Aber bis dahin kann noch viel passieren."

Torhüterin Bárbara sieht das ähnlich. "Ich sage mir stets: es gibt immer jemanden, der noch härter kämpft als Du selber. Deshalb denke ich, dass es keine Favoriten gibt, sondern nur gut trainierte Teams, die alles geben werden." Optimistisch bleibt sie trotzdem. "Aber im Grunde glaube ich, dass Brasilien ins Finale kommt und die WM gewinnt."

Was die deutschen Mädels wohl dazu sagen werden?

Text, Interviews + Fotos: Thomas Milz

Lu Castros Blog über den brasilianischen Frauenfußball:
http://www.futebolparameninas.com.br/

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: heldinnen brasiliens]





[kol_2] Erlesen: Harraga von Antonio Lozano

Harraga – unter diesem rätselhaften Titel publizierte der Spanier Antonio Lozano 2002 seinen Debutroman. Der Autor wurde 1956 in Tanger, der damals kosmopolitischsten Stadt Marokkos geboren, wo auch der größte Teil der Romanhandlung angesiedelt ist.

Die deutsche Bezeichnung Kriminalroman ist etwas irreführend. Denn der Täter ist eigentlich von Anfang an bekannt und wird als solcher vorgestellt. Es handelt sich eher um eine moralische Anklage im belletristischen Gewand und die spanische Formulierung "novela negra" trifft besser den Charakter dieses sehr engagierten Werks. Denn es ist ein sehr düsteres Panorama, das Lozano unter der blendenden Sonne Nordafrikas entwirft.

Antonio Lozano
Harraga
248 Seiten
Zech Verlag, 2011
ISBN-10: 849381511X
ISBN-13: 978-8493815110

Das Sujet seines Romans ähnelt Dostojewskis Schuld und Sühne – wenn auch in kleinerer Dimension. Dafür ist die globale Tragweite des von ihm fast dokumentarisch analysierten Verbrechens umso größer. Antonio Lozano zeigt exemplarisch wie Khalid, ein junger Marokkaner ohne allzu große Perspektiven zum Verbrecher wird – und wie ihn unausweichlich die Strafe ereilt. Das kriminelle Geflecht, dessen verschlungene Pfade mit dieser Geschichte verfolgt werden, ist politisch brisant und so brandaktuell, dass man fast täglich in Nachrichtensendungen damit konfrontiert wird. 

Drogen- und Menschenhandel zwischen Nordafrika und Südeuropa, illegale Einwanderer, die ihre Papiere verbrennen (Harraga), damit sie nicht zurück geschickt werden können, Korruption und mafiöse Strukturen bis hinauf in höchste Schlüsselpositionen von Polizei und Politik in Marokko und Spanien. Dabei wird die kriminelle Kausalitätskette so plausibel und realistisch dargelegt, dass man als Leser froh ist, einen fiktiven Roman und keinen geheimen polizeilichen Untersuchungsbericht vor sich zu haben. Und man hofft, dass Lozanos Schilderungen, die marokkanische Staatsbeamte und spanische Rechtsanwälte als Drahtzieher der Menschenhändler-Mafia präsentieren, nicht der Realität entsprechen, obwohl man das Gegenteil ahnt.

Es wird von Beginn an klar, dass der Protagonist, der vielleicht eine ganze Generation junger, vom (vermeintlichen) Glanz Europas verblendeter und vom Dolce Vita träumender Marokkaner repräsentiert, sich immer tiefer in Schuld verstricken wird. Dennoch ist seine Geschichte spannend erzählt, besonders nachdem die von Khalid verübte Gewalt sich wie ein Bumerang gegen ihn wendet. Ein großes Plus ist dabei die schonungslose realistische Milieuschilderung voller Gegensätze: die Slums voller Straßenkinder neben den "Ausländer-Cafés" in Marokko, die Villen der Kokain konsumierenden Neureichen neben den von Illegalen bewirtschafteten Treibhäusern in Spanien.

Etwas verwirrend sind allerdings die vielen Rückblenden in der Erzählstruktur. An ein paar Stellen passend, wenn Khalid sich durch Erinnerungsbilder aus seinem Gefängnis heraus träumt, stören sie an anderen Stellen etwas den Erzählfluss.

Durch seinen Kunstgriff, den Protagonisten nicht wie so oft üblich als Sympathieträger, sondern eben als Kriminellen zu präsentieren, verhindert er mit dem Fortlauf der Geschichte, dass man sich als Leser mit Khalid identifiziert. Andererseits wird dadurch der beobachtende, fast dokumentarische Charakter dieses Romans erreicht.

Insgesamt ist Harraga ein Werk mit hohem moralischen Anspruch. Lozano stellt auch seinen Lesern die brennenden Fragen unserer Zeit: Macht Reichtum glücklich? Was ist anzustreben: Konsum und ein bequemes Leben oder die konsequente Verteidigung kultureller Identität und religiöser Werte? Führt das Verlassen des eigenen Kulturkreises nicht automatisch zu Entwurzelung?

Nach der von großem Pessimismus dominierten Haupthandlung des Romans öffnet der Epilog dirigiert von Khalids mutiger Schwester vielleicht eine Tür zu einer hoffnungsvolleren Zukunft Marokkos. Doch das Ende bleibt offen – so wie zur Zeit die Frage, ob die Demokratiebewegung in Marokko erfolgreich sein wird oder nicht.

Text: Berthold Volberg
Cover: amazon

Kontakt zum Verlag:

Zech-Verlag, Santa Cruz de Tenerife
Tel./Fax: 0034-922302596
Email: info@zech-verlag.com
www.zech-verlag.com

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





[kol_3] Pancho: La Bella del Barrio Brezel
La Arepería de Berlin ausgewogen

Eines verhexten Morgens war pünktlich zur Walpurgisnacht eine Schöne geboren
Mitten hinein in zwei in die Zweisamkeit verliebte Verliebte
Klar, das Leben änderte sich postwendend und dramatisch
Doch nicht die Schöne des Barrio Brezel trug die Schuld

Am Modell des Kinderwagens erkennen die Großstädter das Barrio der Schieber
Im Barrio Brezel sind wir überkonform, ein Luxusmodell unter vielen
Schieber des gleichen Modells vermeiden Blickkontakt
Ein Hauch von Aggression in der Luft
Statt Alleinstellungsmerkmal Verdammnis zu Nichtigkeit und Mitläufertum

Will ich also mit Wagen auf dicke Hose machen, muss ich raus ausm Kiez
Kiez – Barrio, Barrio – Veedel, Veedel – Kiez. Angenehm.
Dann fahr ich bei Pittbull und Punker
Mir geht die Muffe, aber schau ich dann in unseren Luxusschlitten
In die großen runden Kulleraugen
Ertönt dieses gemütssprengende alles übertönende Organ
Sollte mir jetzt das Herz aufgehen?

Mit dem Tattoo wurde alles anders
Die bella Kleine hat nun ein Herz mit Pfeil rund um den Namen Icke
Muskelshirt und trotz klirrender Kälte den speckigen Babbyoberarm zur Schau gestellt
Trag ich die Queen durch die Barrios
Dort fühlen wir uns gut: Ne Runde im Bierteufel!
Hier verachtet: Die stillen bestimmt nicht!

Es gibt aber auch Barrios, da ist das Verhältnis ausgewogen
Emma – Booga – Teutonia – Hakan – No Name
Und in einem dieser Veedel wie aus heiterem Himmel
stehts geschrieben und Heimatgefühle rühren zu Tränen
Areparía: Arepas de Venezuela / Empanadas de Colombia
Stuttgarter Platz / 10627 Berlin

Text: Dirk Klaiber

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: pancho]





[kol_4] Lauschrausch: Zwei Entdeckungen aus Portugal
Dancas Ocultas und Dazkarieh
 
Dancas Ocultas
Tarab
numérica / galileo mc
Eine Überraschung aus Porto: Vier Akkordeonisten, die auf ihren diatonischen Instrumenten herzergreifende Musik spielen, manchmal treibend, nie laut. Von der Melancholie des Fado finden sich Spuren, ebenso vom Tango Nuevo, aber vor allem orientieren sich die Portugiesen an traditioneller und an Kammermusik.

Dancas Ocultas
Tarab
numérica / galileo mc

Diese Mischung zieht einen vom ersten perkussiven Ton in "Héptimo" an in den Bann und entlässt einen erst wieder in die Realität, wenn die letzte Note von "Aragem" verklungen ist. Dazwischen liegen heitere und düstere Momente, die einen in einen wunderbaren Rausch versetzen. Und in etwa bedeutet "Tarab" auch "Rausch". Tipp: Diese leise CD laut hören!


Dazkarieh
Ruído do silêncio
galileo mc
Der Begriff "Folkrockband" für "Dazkarieh" umschreibt nur vage die Musik der Gruppe. Die 1999 gegründete Band war ursprünglich in der Gothic-Szene zu Hause. Von dort ist der Schritt über die Mittelaltermusik zur traditionellen Folklore oft nicht weit und Dazkarieh vollzogen ihn rund vier Jahre nach ihrer Gründung. Spuren ihres Ursprungs sind aber immer noch zu hören, z.B. in der instrumentalen "Mazurka da água". Der Name des Quartetts aus Lissabon bedeutet übrigens gar nichts, er ist ein Kunstwort.

Dazkarieh
Ruído do silêncio
galileo mc

Neben Balladen ("Ruído do silêncio") und schnellen Instrumentalstücken wie "Légua da póvoa" und "Repasseado da Calçada", in dem die traditionellen portugiesischen Instrumente zum Einsatz kommen - die gaita, der portugiesische Dudelsack, sowie die Trommeln adufe, bombo und caixa beiroa - beeindrucken vor allem die Titel an der Grenze zum Rock: Das herausragende "Sons de pó" beginnt mit einer reizvollen Mischung aus dem Klang der cavaquinho (kleine portugiesische Gitarre) und Heavy-Metal-Riffs, Crossover im besten Sinne. Im traditionellen Lied "Moda de ceifa II" wird diese Idee mit einem noch treibenderen Rhythmus erneut aufgegriffen, wobei der gedeckelte Gesang allerdings die Harmonie etwas stört. Insgesamt ein interessantes Album zwischen Folk, Pop und Rock.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 07/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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