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[kol_3] Macht Laune: Fútbol, was sonst?!
 
Endlich wieder Weltmeisterschaft, endlich wieder Fußball satt, endlich wieder Rivalität – und dabei lernt man jede Menge von der argentinischen Mentalität.

Das Kribbeln setzte erst ein, als die ersten Mails aus Buenos Aires in meinen Posteingang "flogen". Einen Tag vor der Weltmeisterschaft in Südafrika. Etwas zaghaft, ein klein wenig kühl und mit verdammt viel Respekt wünschte man mir, wohl stellvertretend für die Deutsche Nationalelf, viel Glück für das Turnier. Selbstverständlich habe ich diese Höflichkeiten ebenso kühl zurückgegeben, nicht ohne nach dem ersten Spiel der Deutschen gegen Australien noch einen draufzusetzen, dass, wie so oft, auch mit einer jungen Mannschaft alles möglich sei, wenngleich man das Können der Mannschaft von Down Under nicht überbewerten dürfe.



"Nein, nein, die Australier waren so schlecht nicht", so mein Freund Federico. "Schließlich sind die 2006 nur durch einen unberechtigten Elfmeter gegen die Italiener ausgeschieden". Nun ja, gebe ich zu bedenken, die Mannschaft vier Jahre später hat doch ein etwas anderes Gesicht. Die Argentinier bleiben höflich, noch treffen die Mannschaften ja nicht direkt aufeinander. Nach dem Serbienspiel sieht die Sache dann etwas anders aus. Uh, qué pasó con Alemania? Ich weiß darauf keine Antwort. Die Deutschen haben einfach so schlecht gespielt, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zuzustimmen. Jugaron malísimo ärgere ich mich noch jetzt, vor allem, weil das ein Endspiel gegen Ghana bedeutet.

Vor diesem entscheidenden Spiel musste man nur in die Augen der Deutschen Kicker schauen, um die nackte Angst zu sehen. Leider spielten sie auch so, als ob sie eine riesige Ladung in den Windeln hätten. Und doch reichte ein Geistesblitz, um gegen England im Achtelfinale zu stehen. Bien hecho, Alemania lese ich. Nun ja, die Argentinos haben leicht reden. Ein Clown auf der Außenseite, der mit dem Trainergeschäft nicht wirklich etwas gemein hat (außer vielleicht dem grauen Anzug), jede Menge klasse Spieler in den eigenen Reihen und eine vergleichsweise leichte Gruppe, die vor allem die anfällige Defensive nicht wirklich fordert.

Mexiko, bitte wer? Okay, kleine spielverliebte Kicker und trotzdem brauchen die Argentinos einen blinden Schiedsrichter und einen Abwehrspieler Osorio, der offenbar einen kleinen Teil der mächtigen Titelprämie (immerhin über 500.000 Euro pro Spieler) abbekommen möchte. Immerhin das Tor von Carlitos Tevez war sehenswert. Er spielte ja auch bei Boca, dem Arbeiterviertel, wo es am Hafen schon mal richtig eklig riechen kann. El arbitro, un desastre, schreibt mir unterdessen Fede. Ein klein wenig peinlich ist es ihm schon, dass die Argentinier nicht zeigen müssen, wie viel sie können. Einzige Konstante ist immer wieder Abwehrmann Demichelis, der wirklich immer für einen Aussetzer im Spiel gut ist. Aber, so schreibt er weiter, es reiche ja, wenn Torlos-Messi dann mal gegen Deutschland trifft.

Endlich ist es soweit, eine Neuauflage des Viertelfinales 2006, wo sich die argentinischen Fußballer vor allem nach dem Abpfiff nicht mehr ganz im Griff hatten. Ya está, da wird nichts mehr passieren, weil: vorne schießen wir drei Tore und selbst wenn wir zwei bekommen, reicht das allemal für Euch. Jetzt wird der Ton schon etwas rauer. Auf ein Elfmeterschießen wolle er sich aber nicht einlassen, weil das die einzige Möglichkeit für Deutschland wäre gegen Argentinien zu gewinnen. ¡Venceremos! endet die Mail, die einiges an Zuversicht, aber immer noch einen Hauch Respekt vor dem Deutschen Gegner hat. Aber es soll schließlich bei dem Hauch bleiben, vor allem, weil sich die Argentinier nichts sehnlicher wünschen, als endlich wieder den Titel an den Rio de la Plata zu holen.



Fußball ist in der Tat ein Spiegelbild der argentinischen Bevölkerung, ein einziger Identitätsnachweis. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Liga dort unterbrochen wird, weil es Probleme mit gewalttätigen Fangruppen gibt. El fútbol es pasión. Es geht um Alles oder das berühmte Nichts. Alles findet man im Fußball, nichts – oder nur sehr wenig – in der jungen Geschichte des Einwanderungslandes. Italiener, Spanier, später auch Osteuropäer, gälische Gruppen und sogar Deutsche kamen ins Pampaland. Fast krampfhaft wird der Fußball zur Ersatzreligion, wie die Maradona-Kirche eindrucksvoll beweist. Und dennoch: man bleibt erst mal distanziert, höflich, objektiv. Zumindest, wenn keine andere Mannschaft einem an den Karren fahren kann. Spitzt sich die Lage jedoch etwas zu, wird auch verbal aufs Gaspedal getreten.

An vorderster Front steht ein gewisser Diego, dem man so wenig Trainerkompetenz wie die eines Erdmännchens unterstellt. Auf der anderen Seite ist er aber genau das Bindeglied, das das fußballverrückte Volk braucht. Soll doch ein anderer die Taktik aushecken, der kleine Mann ist vor allem dazu da, pasión zu verbreiten. Und jeder, der ihn mal hat spielen sehen, weiß, dass er das so gut wie kein anderer kann. Nicht umsonst schreibt man "El 10" gerne mal D10S.

Ich jedenfalls freue mich schon auf die kommenden Mails, natürlich nur, sofern Demichelis die einzige Konstante bleibt.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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