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[art_1] Spanien: Die extrem harte Tour durch das hitzeflimmernde Herz der Extremadura
 
Ja, es wurde die befürchtete Durststrecke, ein Marathon durch die Savanne. Dabei hatte ich noch Glück. Denn die fürsorgliche Dame im Touristenbüro von Cáceres entdeckte die Jakobsmuschel an meinem Rucksack und warnte mich sofort, dass die vom Land Extremadura betriebene Pilgerherberge am Stausee von Alcántara an der Vía de la Plata zur Zeit geschlossen sei. Cáceres, die heimliche Hauptstadt der Extremadura, liegt an der Vía de la Plata, dem fast 1000 Kilometer langen Pilgerweg, der von Sevilla nach Santiago führt. Vor und hinter Cáceres muss der Pilger die beiden wohl längsten Etappen der ganzen Route bewältigen. Während die Etappe südlich von Cáceres (siehe Caiman) mit ihren endlosen Kork- und Steineichenwäldern zu den landschaftlich schönsten Europas gehört, würde dies von der nördlich von Cáceres verlaufenden Etappe wohl niemand behaupten. Und mit der soeben vernommenen Warnung wird mir schlagartig klar, dass sich eine ohnehin lange Tagesetappe in eine kaum zu bewältigende Herausforderung verwandelt. Aus 33 werden damit 45 Kilometer - bei Nachmittagstemperaturen von über 40° im Schatten. Denn die nächstmögliche Ortschaft und damit Übernachtungsmöglichkeit ist 12 zusätzliche Kilometer weiter entfernt. Nun sind 12 Kilometer allein ja nicht viel, aber nach 33 bereits absolvierten Kilometern diese noch bei größter Mittagshitze schaffen zu müssen, ist nicht gerade eine verlockende Aussicht. Meine erste Reaktion: ich beschließe, einen kompletten Pausentag in Cáceres einzulegen, um diesen Wahnsinn wenigstens ausgeruht in Angriff nehmen zu können.

19. Juni 2015: Aufbruch um 5.30 Uhr in Cáceres. Es fängt gut an. Die ersten zehn Kilometer bis Casar de Cáceres sind sehr schnell geschafft, es ist ja auch noch deutlich unter 30° Grad und der Wind kurz vor und nach Sonnenaufgang erfrischend. Auch die nächsten zehn Kilometer geht es zügig voran, vorbei an Kornspeichern, 2000 Jahre alten römischen Meilensteinen in Form von meterhohen Granitblöcken, die sich abwechseln mit den modernen Granitquadern mit gelbem oder grünem Quadrat, die hier den Jakobsweg markieren. Die Finca Berrueto und die Finca La Higuera wünscht den Pilgern einen guten Weg (Buen Camino) und erinnert daran, dass der Pilgerweg hier nahezu überall durch private Weidegründe verläuft, wo sich, meist weit entfernt, Schafherden und magere schwarze Rinder tummeln. Rechts verläuft in Sichtweite der Río Almonte.

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Während vor und hinter Casar noch vereinzelte Steineichen die monotone Weite der Landschaft auflockerten, ist nun soweit das Auge reicht kein einziger Baum mehr zu entdecken. Schon kurz vor 12 Uhr breitet sich vor mir der Stausee von Alcántara aus. Eigentlich ein Grund zum Jubeln. Aber die dort unten idyllisch liegende Herberge ist ja geschlossen. Und ringsumher gibt es so weit das Auge reicht - nichts! Rund um die Talsperre wirkt die graugelbe Landschaft wie eine hügelige Steppe, von Juni bis Oktober, wenn alles Gras verdorrt ist und selbst die Ginsterbüsche grau wirken, kann man guten Willens von einer Halbwüste sprechen. Plötzlich nähert sich das Thermometer den gefürchteten 40° Celsius. Zwar habe ich (neben zwei leeren) noch eine volle Flasche Wasser (das schon lange nicht mehr genießbar ist), aber es liegen ja noch 12 Kilometer vor mir...

Nun jagt ein Desaster das nächste. Der Pilgerpfad ist plötzlich abgesperrt und ein Umleitungsschild zeigt nach links: das bedeutet noch mehr Wegstrecke. Schließlich verläuft der Weg über einen Seitenstreifen der Nationalstraße 630. Das Hostal Linda und das Restaurant Miraltajo, wo ich eigentlich meine Wasserflaschen auffüllen wollte, sind geschlossen. Kein Brunnen, kein Schatten. Die Ginsterbüsche und das Dornengestrüpp neben der Straße sind höchstens einen halben Meter hoch. Ich marschiere nun schon eine halbe Stunde neben der autobahnartigen Straße und kein einziges Auto ist mir begegnet. Eine Tour de Force durch eine Geisterlandschaft. So langsam beginne ich, die verbleibenden Milliliter in meiner nur noch halb vollen Wasserflasche zu zählen. Marschieren kann man meine Gangart wohl nicht mehr nennen, ich stolpere mit leichtem Schwindelgefühl durch die endlose Ödnis. Die Hitze von nun 42° Grad ist nicht das schlimmste, ich kann die erbarmungslos blendende Helligkeit nicht mehr ertragen. Die Landschaft beginnt zu glühen, jeder verdammte Stein scheint das Licht zurück zu werfen. Trotz Sonnenbrille verschwimmen die Licht reflektierenden graugelben Flächen vor meinen Augen.

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Da ragt plötzlich ein silbrig glänzender, riesiger Bogen in den Himmel. Eine Fata Morgana? Nein, es ist der Grund für die Umleitung des Pilgerwegs: die gigantische, fast vollendete Eisenbahnbrücke für die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke des AVE von Madrid nach Lissabon. Diese kühne Konstruktion ist ein paar Fotos und eine staunende Betrachtung wert, bevor ich mich wieder um mein Überleben kümmern muss.

Es ist absurd. Da gehe ich ein halbes Dutzend Kilometer entlang an einem der vier größten Stauseen Europas und muss trotzdem Angst haben, hier zu verdursten. Denn die verlockend schimmernden Wassermassen sind schier unerreichbar, liegen ein paar hundert Meter unterhalb der Straße und man müsste sich schon die steilen, mit Geröll übersäten Hänge hinab purzeln lassen und denselben steilen Hang danach wieder irgendwie erklettern. Das Risiko ist mir zu groß. Also weiter durch die hitzeflimmernde Einsamkeit taumeln - immerhin geht es nun mal ein wenig bergab. Und dann die Erlösung: die alte Eisenbahnbrücke, der einzige Schatten im Umkreis von 20 Kilometern! Sofort krieche ich darunter, nehme meinen Rucksack als Kopfkissen und meine Augen können sich in dieser Schattenoase etwas erholen von der Lichtwüste ringsumher. Dann eine Stimme - ein Mensch, der erste an diesem Tag! Es ist ein Radfahrer, der sich freundlicherweise erkundigt, ob es mir gut gehe oder ob er mich irgendwie retten solle. Ich lehne dankend ab und antworte, ich sei bereits gerettet (ganz sicher bin ich mir da nicht) und würde nach einer kurzen Pause weiter gehen. Aufmunternd meint er zum Abschied, dass es ab hier nur noch knapp fünf Kilometer bis Cañaveral seien.

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Davon geht es die letzten beiden Kilometer ganz ohne Wasser nochmal schön bergauf. Mit letzter Kraft ziehe ich mich an den Leitplanken bis zum Ortseingang von Cañaveral empor, wo ich fast mit zwei Mitpilgern zusammen stoße. Ein alter Italiener und eine sich immer über alles beklagende Frau aus den USA, beide über 70. Die beiden wussten nicht, dass die Stausee-Herberge geschlossen war, hatten viel zu wenig Wasser dabei und berichteten, dass ihnen die Bauarbeiter der Eisenbahnbrücke mit einer Wasserspende das Leben gerettet hätten. Beide sehen nun nicht mehr sehr lebendig aus (ich vermute mein Anblick ist auch nicht der erquickendste) und ich würde mich nicht wundern, wenn wir nun um 4 Uhr nachmittags am Ortsschild von Cañaveral zu dritt in Ohnmacht fallen würden.

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Mit letzter Kraft schleppen wir uns ins Restaurant "Delfi", wo ich zunächst zwei Liter Wasser und dann je einen halben Liter Bier und Wein sowie natürlich das kalorienreichste aller möglichen Menüs zu mir nehme. Die Pilgerherberge in Cañaveral ist übrigens auch geschlossen und so wird das "Hostal Málaga" zur letzten Zuflucht von insgesamt 12 Pilgern, die sich heute diesen Marathon durch die Steppe angetan haben. Der Besitzer wirkt erfreut über den unerwarteten Zustrom an Gästen, bleibt aber so wortkarg wie die Landschaft. "Llave!" (Schlüssel!), sagt er bei der Schlüsselübergabe, ansonsten kommt kein Wort über seine Lippen. Dafür ist das Abendessen gut und reichhaltig. An ein Erkunden des Dorfes verschwende ich keinen Gedanken - bloß jetzt keinen Schritt mehr machen. Mein Schlaf ist fest und lange traumlos, bis ich kurz nach 6 Uhr aufwache, mitten in einem tiefen Sturz. Ich hatte geträumt, einen gigantischen Brückenpfeiler hoch klettern zu müssen, um oben auf der Brücke eine Wasserflasche zu erreichen, und war dabei abgestürzt.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Unterkunft und Verpflegung in Cañaveral:
Hostal Málaga, an der Hauptstraße, fast am Ortsausgang, Tel. 927-300067, kleine einfache EZ (20 €) und DZ (35 €) ohne Frühstück, Menüs gut und günstig

Bar / Restaurant Delfi, ebenfalls an der Hauptstraße, Ortsmitte kurz vor Hostal Málaga, auch hier einfache + günstige Menüs, freundliche Bedienung

Und noch ein Wort:
Liebe Junta de la Extremadura,
wenn Ihr schon - aus welchen Gründen auch immer - die Herberge am Stausee nicht wieder eröffnet, dann legt wenigstens eine Wasserleitung vom Stausee (Wasser gibts da ja wohl genug) hoch an die N 630, denn sonst wird diese Marathonstrecke in den Sommermonaten für Pilger lebensgefährlich.

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