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[art_3] Paraguay: Fundierte Ausbildung an Stelle von Gepuzzle
Zu Besuch bei Kolping in Asunción
 
Im Berufsbildungszentrum von Kolping in Paraguay können Erwachsene eine fachliche Ausbildung erhalten. Davon profitieren Berufsanfänger genauso wie gestandene Familienväter.

Konzentriert beugt sich Ruben in der Lehrwerkstatt über den Motorraum und schließt ein Kabel an. Dann zündet er den Wagen und stellt zufrieden fest, dass die Klimaanlage läuft. Klimaanlagen zu reparieren, ist eine Fähigkeit, die in Paraguay gesucht und gut bezahlt ist – schließlich wird ist es hier im Sommer über Monate mehr als 40 Grad heiß. "Wenn ich diesen Kurs abgeschlossen habe, dann werde ich in der Autowerkstatt, in der ich arbeite, derjenige sein, der sich am besten mit Klimaanlagen auskennt. Ich werde eine bessere Position bekleiden und mehr verdienen", erzählt der 37-jährige Familienvater.

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Das Berufsbildungszentrum in der Hauptstadt Asunción ist das Herzstück des paraguayanischen Kolpingwerkes. Die Palette der angebotenen Kurse ist groß: Alleine im Bereich Automechanik gibt es sechs verschiedene Zweige; von Elektronik für Dieselmotoren bis hin zur Autoschlosserei. Man kann sich auf Motorräder spezialisieren, auf Schweißen, alles über Kühlschränke lernen oder Kurse in Elektroinstallation, Handyreparatur und Informatik belegen. Außerdem gibt es spezielle Angebote, die sich eher an Frauen richten: Friseurhandwerk, Kosmetik und Nageldesign. Insgesamt handelt es sich um 40 verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten, aus denen die Schüler wählen können.

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In der großen Lehrwerkstatt von Kolping gehen die Lichter an, denn draußen ist es inzwischen dunkel. Eigentlich ist es abends um sechs Uhr ein bisschen spät um mit dem Unterricht zu beginnen, aber tagsüber haben die Schüler nun mal keine Zeit – alle müssen arbeiten und Geld verdienen. Ruben hat sich das, was er kann, bei Kollegen abgeschaut oder selber beigebracht. Doch bei den neuen Automodellen, die über immer mehr Elektronik verfügen, reicht das nicht mehr. "Die Elektronik in den Autos ist heute derart kompliziert... das muss man richtig lernen", hat Ruben eingesehen und sich deshalb für den Kurs entschieden. Alle, die zu Kolping kommen, werden sowohl in Theorie als auch in Praxis unterrichtet. In Deutschland mag das selbstverständlich sein – in Paraguay ist diese Art der Ausbildung einzigartig. Normalerweise besteht das Lernen hier nur aus Theorie und bestenfalls einem völlig veralteten Motor, an dem man die vor 30 Jahren gebräuchliche Technik studieren kann, wie einer der Teilnehmer augenzwinkernd meint. In der Lehrwerkstatt von Kolping hingegen stehen Modelle der neuesten Motoren, Computer, Kühlschränke und Klimaanlagen.

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Da verwundert es nicht, dass die Warteliste lang ist – das Berufsbildungszentrum könnte wesentlich mehr Schüler aufnehmen. Doch Olaf von Brandenstein hat gerade erst die Zahl der Schüler pro Kurs von 40 auf 25 reduziert. "Sind es zu viele Teilnehmer, dann kann auf den Einzelnen nicht ausreichend eingegangen werden, es entstehen Wartezeiten im Praxisbereich und darunter leidet die Qualität der Ausbildung", kommentiert der Leiter des Kolpingwerkes Paraguay diese Entscheidung. Und die Qualität ist anerkanntermaßen gut. "Wir bekommen permanent Anfragen von Firmen, die auf der Suche nach gut ausgebildeten Fachkräften sind und die uns bitten, ihnen unsere Absolventen zu vermitteln", erzählt Olaf von Brandenstein. Und es gibt sogar Betriebe, die ihre Mitarbeiter gezielt zu den Kursen anmelden.

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Die Kurse dauern jeweils fünf Monate. Zwei Mal pro Woche kommen die Schüler abends nach der Arbeit für vier Stunden hierher um sich weiter zu bilden. Jeder der Teilnehmer hat rund 200 Euro für seinen Kurs bezahlt. Das ist für paraguayanische Verhältnisse kein Schnäppchen, aber dennoch auch für einfache Hilfskräfte erschwinglich – anders als die Gebühren von Kursen, die von privaten Instituten angeboten werden. "Wir können diesen relativ günstigen Preis deshalb offerieren, weil das Kolpingwerk eine gemeinnützige Einrichtung ist, die keinen Gewinn erwirtschaftet", erklärt Olaf von Brandenstein. Aber die Kurse sind auch kein Zuschussgeschäft – mit den Kursgebühren trägt sich das Berufsbildungszentrum nicht nur selber, sondern es bleibt sogar ausreichend Geld übrig, um acht kleinere Bildungszentren auf dem Land zu subventionieren.

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Sechs Stunden Autofahrt durch die weite Landschaft der südamerikanischen Pampa entfernt liegt das Städtchen San Igancio de Misiones. Nachdem Kolping über Jahre in der ländlichen Region Paraguays kaum präsent war, hat hier vor einem Jahr ein neues kleines Bildungszentrum seine Pforten geöffnet. Die Kurse richten sich hauptsächlich an Frauen. "Hier auf dem Land ist eine große Zahl von Frauen ganz und gar von ihren Männern abhängig. Viele haben nichts gelernt", erklärt Mirna Martínez das Kursangebot der Filiale von San Ignacio, das unter anderem Schneidern, Sekretariat und Makeup umfasst. Diese Kursvielfalt ist auf dem platten Land Paraguays eine absolute Ausnahme – außerhalb der Hauptstadt gibt es so gut wie keine Aus- oder Weiterbildungsmöglichkeiten. Und so kann sich Mirna Martínez, die Leiterin des Zentrums über einen Mangel an Nachfrage nicht beklagen. Die Kurse sind voll und die Wartelisten lang.

Es sind vor Allem sehr junge Frauen, die sich anmelden. "Mit vielen von dem, was die Mädchen hier lernen, kann man sehr schnell ein kleines Einkommen erwirtschaften. Zum Beispiel mit Dekorationen für Hochzeits- oder Geburtstagsfeiern oder hübschem Kunsthandwerk, das sich gut verkaufen lässt. Viele der Frauen nutzen diese Einkommensmöglichkeiten dann, um damit den Besuch der Oberschule zu finanzieren." Die ersten Schülerinnen, die diese Kurse abgeschlossen haben, berichten, dass ihre kleinen Geschäfte bereits heute Gewinne abwerfen.

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Es sind aber nicht nur junge Mädchen und erwachsene Frauen, die in dem Handarbeitskurs lernen, wie sie aus einfachen Flipflops ausgefallenes Schuhwerk herstellen können, das sich ausgezeichnet verkaufen lässt. Auch viele Kinder aus dem benachbarten SOS-Kinderdorf sticken eifrig Perlen und Blumen auf die Plastikschuhe. "Es ist schön, die Mädchen so fröhlich zu sehen", meint Mirna Martínez, die die Kinder in Nachbarschaftshilfe zu den Kursen eingeladen hat. "Viele von ihnen haben Schlimmes erlebt, bevor sie in das Kinderdorf kamen und wir freuen uns, dass wir auch etwas dazu beitragen können, dass es ihnen besser geht." Und wer weiß, vielleicht ist dieser Kurs ja nicht nur eine schöne Freizeitaktivität sondern hilft den Mädchen später dabei, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

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Ana Gabriela macht sich für den Besuch ihres Friseurkurses fertig. In ihrem winzigen Schlafzimmer, das sie sich mit ihren Geschwistern und Neffen teilt, fährt sie sich vor dem fast blinden Spiegel mit der Bürste durch die Haare. Insgesamt leben sieben Personen in den zwei Zimmern, die nicht einmal über einen richtigen Fußboden verfügen. Die berufliche Situation der Eltern ist typisch für Paraguay: Weil es keine richtigen Ausbildungsmöglichkeiten gibt, wurschteln sie sich irgendwie durch. Die Familie hat ein bisschen Land, auf dem sie für den Eigenbedarf das Nötigste anbaut. Ana Gabrielas Vater versteht ein bisschen was vom Hausbau und hilft hin und wieder auf dem Bau aus, ihre Mutter wäscht und putzt. Auch die 18jährige Ana Gabriela trägt schon seit Jahren mit einer Putzstelle zum Familieneinkommen bei. Aber eigentlich möchte sie mehr vom Leben. Deshalb hat sie sich bei Kolping in dem Friseurkurs eingeschrieben. "Wenn ich diesen Kurs nicht machen könnte, dann würde ich wohl mein Leben lang Putzfrau bleiben", meint sie und macht sich zu Fuß auf den halbstündigen Weg in das kleine Bildungszentrum.

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Ihr Friseurkurs ist für Ana Gabriela nur der erste Schritt in die berufliche Selbstständigkeit. "Nächstes Jahr möchte ich auch den Schminkkurs besuchen – dann kann ich alles anbieten, was man können muss, um die Frauen für Feste zu stylen", erzählt Ana Gabriela. Schon jetzt verdient sie sich etwas dazu, indem sie Nachbarinnen die Haare macht. "Und irgendwann werde ich meinen eigenen kleinen Schönheitssalon haben!", sagt sie mit Nachdruck. Damit ist Ana Gabriela eine von 3.000 Kursteilnehmerinnen, die jedes Jahr in Paraguay mit der Hilfe von Kolping ihre Zukunft selber in die Hand nehmen.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Christian Nusch

Tipp: Katharina Nickoleit hat u.a. einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
252 Seiten
ISBN 978-3-89662-362-1
Verlag: Reise Know-How
3. Auflage 2012

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