ed 04/2009 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [forum] / [archiv]


[kol_2] Helden Brasiliens: Historischer Sieg für die Indiovölker Brasiliens 
Oberstes Gericht gibt grünes Licht für das Reservat "Raposa Serra do Sol"
 
Nach einem mehr als 30 Jahren währenden Kampf haben die Indios im Norden des Bundesstaates Roraima vom Obersten Gericht STF die Bestätigung der Existenz des Reservats "Raposa Serra do Sol" erhalten. Die weißen Reisbauern, die Teile des 1.7 Millionen Hektar großen Gebietes besetzt halten, müssen das Reservat bis zum 30. April verlassen haben. 

[zoom]
[zoom]

Allerdings hat das STF 19 Sonderklauseln in seine Entscheidung aufgenommen – was den Sieg der Indios ein wenig trübt und auch für zukünftige Entscheidungen richtungweisend sein wird. Die schwerwiegendste dieser Klauseln sieht vor, dass die territorialen Grenzen von Indio-Reservaten nicht nachträglich ausgeweitet werden dürfen. Andere Klauseln beschneiden die Zuständigkeiten der Indianerbehörde FUNAI und der Indios selber in Fragen der Verfügunsgewalt über das Reservat. Demnach darf die Regierung in den Reservaten selbständig Infrastrukturprojekte vorantreiben.

Der Indio-Missionsrat der katholischen Kirche, CIMI, mahnte in einem öffentlichen Brief an, dass die Klauseln "die Ausweitung der Interessen des Privatkapitals" unterstützen. 

Wir haben uns mit Padre Lirio Girardi vom Instituto Missões Consolata getroffen um über die Situation in dem Reservat zu sprechen. Padre Lirio arbeitete insgesamt 27 Jahre lang für die Katholische Kirche im Norden von Roraima.

[zoom]
[zoom]

Das STF hat entschieden, dass die weißen Nicht-Indios bis Ende April Zeit haben das Reservat zu verlassen. Was halten Sie von dieser Entscheidung?
Padre Lirio Girardi: Ich betrachte diese Entscheidung des Obersten Gerichtes als einen außerordentlichen Sieg, nicht nur für die Völker des Reservats "Raposa Serra do Sol", sondern für alle Völker Roraimas und Brasiliens. Das ist ein historischer Einschnitt was die Verteidigung der Rechte der Kleinen und Armen anbelangt. 

Hierfür waren 35 Jahre Kampf nötig, seit der Identifizierung des Gebietes als Indioland, der Einrichtung und gesetzlichen Absegnung des Reservats, der Unterschrift durch Präsident Lula da Silva am 5. April 2005 und jetzt dieser endgültigen Entscheidung des STF. Ein außergewöhnlicher Sieg. 

Aber das STF hat 19 Sonderklauseln in die Entscheidung aufgenommen... 
Padre Lirio Girardi: ...und einige von denen sind schwerwiegend. Aber die Indios werden dies nicht akzeptieren. Die Mehrheit der Klauseln sind bereits Teil der Verfassung von 1988, und demnach keine Neuigkeit. Aber diejenige Klausel beispielsweise, die die nachträgliche territoriale Ausdehnung des Reservats verbietet, wird von den Indios keinesfalls akzeptiert werden. Jeder weiß, dass viele Indiogebiete in Brasilien überstürzt eingeteilt wurden, teilweise mit Bauernhöfen weißer Bauern mittendrin. Und im Laufe der Zeit ist die Indio-Bevölkerung gewachsen und man weiß nicht mehr wohin mit ihnen. 

Die Indios werden deshalb die Klausel die eine nachträgliche Ausweitung der Reservate untersagt nicht hinnehmen. 

Auf der anderen Seite haben viele gesagt, dass die Entscheidung des STF eine Revolte und Blutvergießen auslösen wird. Nichts davon wird eintreffen. Die Indios kennen ihre Rechte sehr gut, und die Weißen sind sich bewusst, dass sie sich deren Länder widerrechtlich angeeignet haben. Das war schon Indioland als sie vor 10 oder 15 Jahren hier ankamen. Deshalb werden sie das Reservat verlassen, auch weil sie wissen, dass sie anderswo neues Land zugesprochen bekommen werden. 

Während des Kampfes um das Land sind 17 Indios umgekommen, aber kein einziger Weißer. Die Indios haben stets gesagt: wir werden keine Rache nehmen, sondern geduldig sein. Und jetzt ist der Moment gekommen, in dem sie dieses Land selber besetzen werden. 

Welche Indios leben in dem Reservat, und wovon leben sie? 
Padre Lirio Girardi: Im Reservat "Raposa Serra do Sol" leben zwischen 18.000 und 19.000 Indios vom Stamme der Macuxis, Uapixanas, Taurepangues, Maiongons und Ingaricos. Sie leben in mehr als 200 Dörfern von 20 oder 30 bis zu 600 oder 700 Bewohnern. Sie bauen Reis, Bohnen und Maniok an, halten aber auch Vieh. 

Wieso war das Zusammenleben mit den weißen Bauern in de letzten Jahren so schwierig geworden?
Padre Lirio Girardi: Als ob das jemals friedlich abgelaufen wäre. Vorher herrschte eine Friedhofsruhe, gab es Sieger und Besiegte. Die Indios waren abhängig von den Weißen, wie Sklaven. Ich habe Indios gesehen, die mit Eisenketten am Bein festgezurrt waren, Indios die von den weißen Bauern bis zum Hals in die Erde eingebuddelt worden waren, verletzte Indios, geschlagene, gefangen gehaltene... Einige Indios arbeiteten auf den Höfen, aber ihre Arbeit wurde mit Cachaça-Schnapps entlohnt. Die Indios waren stets abhängig, weil sie den Bauern Geld schuldeten für die Nahrungsmittel die diese ihnen gaben.

In welcher Form war denn die Kirche am Kampf der Indios beteiligt? 
Padre Lirio Girardi: Zu Beginn hat sich die Kirche nicht sonderlich um die Indios gekümmert, stand auf Seiten der Bauern und ignorierte die soziale Situation der Indios. Aber seit dem 2. Vatikanische Konzil und den Konferenzen von Medellin und Puebla wechselte die Kirche die Seiten und zog die Option für die Armen, für die Indios. 

Und wie reagierten die Weißen darauf? 
Padre Lirio Girardi: Die Politiker, die Bauern, generell die Leute, die die Macht inne hatten, sagten, dass die Kirche sie verraten habe. Meine Arbeit zum Beispiel bestand hauptsächlich darin, die Indios über ihre fundamentalen Rechte aufzuklären, die sie laut Verfassung von 1988 haben. Und mit die schönste Arbeit der Kirche in Roraima war der Aufbau der indigenen Führer, angefangen mit Basisarbeit in den Dörfern über regionale Räte bis hin zur Schaffung des CIR, des Indio-Rates von Roraima, im Jahre 1987. 

[zoom]
[zoom]

Die Weißen merkten nicht dass der Wind sich gedreht hatte?
Padre Lirio Girardi: Die Bauern entwickelten die Idee, nach der die Indios als Sklaven geboren seien, denn sie seien nicht nur arm, sondern auch dumm, und deshalb müssten sie aufhören Indios zu sein, Macuxi zu sprechen und stattdessen Portugiesisch lernen. Das Land gehöre nur denen, die auch Vieh haben, dachten die Bauern. 

Und da haben wir angesetzt: lasst uns den Indios Vieh geben. Es war dieses Projekt, dass die Indios letztlich befreit hat, eine substantielle Veränderung. Sogar Papst Johannes Paul II. spendete den Indios 10 Stück Vieh. Heute haben die Indios der „Raposa Serra do Sol“ etwa 35.000 Stück Vieh. Und es war dieses Vieh, das den Indios das Land zurück gebracht hat.

Und die Standhaftigkeit der Indios selbst... 
Padre Lirio Girardi: Wenn ein Volk weiß, was es will und gut ausgebildete Führer hat, wird es stets siegreich sein. 

Text + Fotos + Interview: Thomas Milz

[druckversion ed 04/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: helden brasiliens]


© caiman.de: [impressum] / [disclaimer] / [datenschutz] / [kontakt]