spanien: Kein Weg führt nach Belchite
NIL THRABY
[art. 1]
brasilien: Richtige Indianer?
NICO CZAJA
[art. 2]
dominikanische republik: Liebe und Leben in der Straße der Damen
DIRK KLAIBER
[art. 3]
kuba: Che, mate und chilenische Mädchen
Alberto Granado über die Lateinamerikareise mit Ernesto Guevara
TORSTEN EßER
[art. 4]
brasilien: Der kleine Rio Reiseführer
Bildergalerie und Tipps zu Rio de Janeiro
THOMAS MILZ
[art. 5]
macht laune: Ohne Bändchen keine Liegen
DIRK KLAIBER
[kol. 1]
lauschrausch: Weltmusikmesse Womex
TORSTEN EßER
[kol. 2]
hopfiges: Petra trifft Eisenbahn
THOMAS MILZ
[kol. 3]






[art_1] Spanien: Kein Weg führt nach Belchite

Ich denke, ich war einfach nicht darauf vorbereitet. Es war ja auch keine Reise nach Belchite, sondern eine Reise, die an Belchite vorbeiführte. Ganz natürlich, unangestrengt. Es gab ja auch kein Zeichen, kein Schild, keinen Hinweis darauf.

Zunächst ist es der seltsam verwitterte Kirchturm, der dem von Osten kommenden Reisenden das "alte Dorf" ankündigt. Wenn man nicht weiß, wofür Belchite steht, wird man sich wundern, wie scharf der Zahn der Zeit hier in der wüsten Einöde Aragonien sein muss. Denn der Kirchturm sieht wirklich nicht gut aus: das, was einst pixliger Mudéjar-Stil war, ist heute so grob gerastert, wie es durch den Verlauf der Jahrhunderte einfach nicht erklärlich ist. Das, so denkt man, kommt einem spanisch vor.

Was einem jedoch viel eher spanisch vorkommen sollte, ist die Tatsache, dass nirgendwo geschrieben steht:

Absolut nicht antike Ruinen
aus einem Krieg, in dem wir
uns alle gegenseitig umgebracht haben.
Nach 200m links rein!


Denn das ist Belchite: ein nicht sehr lebendiges Mahnmal der Zerstörungswut des spanischen Bürgerkrieges.

Die Ruinen von Belchite führen mit brutaler Klarheit vor Augen, welch destruktive Kraft Kriege haben. Wir Deutschen sind den Gedanken zwar gewohnt, dass viele unserer Städte nach Kriegsende völlig zerstört waren, aber eine Sache sind Photos und eine andere ist das Durchlaufen eines riesigen Trümmerhaufens, der einmal ein nettes kleines Dorf in Aragonien gewesen sein mag.

Betritt man das alte Dorf von Norden her, so überblickt man an der Seite des alten Konventes des Heiligen Augustin das Schlachtfeld. Würden dort nicht noch ein paar Gebäudereste stehen, so könnte man meinen, auf einer überdimensionalen Geröllhalde zu stehen. Wege scheinen sich durch Erosion in die Schuttberge eingefressen zu haben. Ein überdimensionales Modell der Kriegszerstörungen; in Farbe. Man kennt die Bilder, aber man hat sie nicht verstanden, kann sie nicht verstehen. Auch in Belchite nicht, wo halbe Häuser nach Opfern einer Abrissbirne aussehen. Wo man auf einem Schutthaufen den Geist des kleinen Borchertschen Jungen aus "Nachts schlafen die Ratten doch" beinahe sehen kann. Und mehr als froh über das kleine "beinahe" ist.

Auch Belchite ist nur ein schwacher Abglanz dessen, was damals hier passiert ist. Es ist nur das Skelett des allgemeinen Wahnsinns und wer vermag schon aus ein paar Knochen die ganze Bestie zu rekonstruieren?

Es sind nicht mehr viele da, die davon in erster Person erzählen können, denn das Dorf ist bereits vor 68 Jahren zerstört worden. Die republikanischen Truppen waren auf dem Weg nach Zaragoza, die sie den faschistischen Aufständlern unter Franco wieder abnehmen wollten.

Auf dem Weg lag das bis dato unbekannte Dörfchen. Während rundherum Siedlungen wie Codo und Quinto recht schnell aufgaben, verschanzten sich in Belchite 13 Tage lang rund 2000 Soldaten (Tendenz fallend) und spielten Helden. Die Gegenseite, auch nicht faul, entlud über dem Städtchen, was sie so an Bomben zur Verfügung hatte. Bis nach besagten zwei Wochen aus Belchite das geworden war, was es heute ist: ein großer Schutthaufen.

Franco war – so hörte ich – so stolz auf das "heldenhafte" Verharren der Seinen, dass er befahl, das Dorf nicht neu zu errichten, sondern ein anderes nebenan zu bauen. "El pueblo viejo" sollte fürderhin als unaufgeräumtes Mahnmal dienen, als kleine und historisch korrektere Ergänzung des Tals der Gefallenen, nehme ich an. Letzteres ist ein pathetisch großes Mahnmal südlich von Madrid, an dem wer’s mag noch heute den erhobenen rechten Arm live erleben kann. Ich bin dem caudillo (wörtlich übersetzt Köpfchen, was kaum unzutreffender sein könnte) ungern Dank schuldig, aber halte die seine für eine wirklich blendende Idee, wenn auch aus anderen Gründen. Ein Aufenthalt in Belchite sollte zur Pflichtveranstaltung für alle Soldatenfreiwillligen gemacht werden, nur damit sie mal ne Idee bekommen. Das wird natürlich nicht geschehen, denn Spanien ist auf diesem Auge nach wie vor blind. Die in der Übergangszeit selbstverordnete Stillhaltepolitik dauert im Wesentlichen bis heute. Kleine kosmetische Maßnahmen wie das Entfernen von Franco-Statuen auf öffentlichen Plätzen (man stelle sich das mal bei uns vor!) geraten da schon zu politisch waghalsigen Abenteuern und werden deshalb mitten in der Nacht durchgeführt.

In Belchite gibt es nicht ein einziges Schild, das von der Geschichte des Dorfes spricht. Ein großes Kreuz in dessen Mitte ist ganz offensichtlich von den Gewinnern des Bürgerkriegs aufgestellt worden, aber irgendwann dann jeglichen Schriftzuges beraubt worden – so nehme ich jedenfalls, ähnlichen Beispielen folgend, an. Positiv formuliert ist Belchite naturbelassen. Aber so naturbelassen, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass hier gewartet wird. Gewartet darauf, dass mit den Letzten auch die Erinnerung sterben möge.

Auf einer Kirchentür steht in Kreide frei übertragen:

Altes Dorf von Belchite,
kein Geschrei von Kindern.
Und auch die Lieder unsrer Eltern
werden nicht mehr in dir klingen.

Text + Fotos: Nil Thraby


Links:
www.margencero.com/belchite/indice.htm
Fotoreportage mit sehr sehenswerten Bildern, leider nur spanisch.
www.iespana.es/republicaomuerte/belchite.htm
Etwas historischer Hintergrund, auch nur spanisch.
www.personal2.iddeo.es/loaisa/fotos.htm
Einige Photos des aktuellen Zustands von Belchite.
www.lacucaracha.info
Allgemeine Informationen über den spanischen Bürgerkrieg, die internationalen Brigaden etc., auch auf deutsch. Ausgezeichnete Aufstellung des Kriegsverlaufs. Sehr hörenswert auch die Abteilung Musik.







[art_2] Brasilien: Richtige Indianer?

Nach fünf Jahren Studium der Ethnologie bin ich endlich bei den Indianern angekommen, als Praktikant einer bahianischen Hilfsorganisation und als Feldforschungsamateur in Magisterangelegenheiten. Nur gut, dass es so lange gedauert hat – bei jedem früheren Besuch wären die Xucuru-Kariri in Alagoas sicherlich noch nicht zivilisiert genug gewesen, mir einen Computer im Dorf bieten zu können, an dem ich diesen Text schreibe und per Internet verschicke.


Letztens war ich wieder mal am Staubecken, mit meinen jugendlichen Betreuern Mano und Rafael, unten, im Wald, wo man so schön die Araras über sich kreisen sieht, wenn man auf dem Rücken schwimmt, zwischen den Luftwurzeln. Es war allerdings etwas später als gewohnt, und als wir uns auf den Rückweg ins Dorf machten, dunkelte es bereits. Oma Salete, die große Matriarchin der Familie, schickte mich sofort in mütterlicher Besorgnis meine nassen Klamotten wechseln. Später hörte ich dann ihre Tochter Eliete meinen Freund Mano darauf hinweisen, dass Oma den Nico nicht mehr so spät im Wald haben will. Ich frage, ist das denn gefährlich, sie antwortet, Oma denkt schon. Ich war natürlich ein bisschen eingeschüchtert, ungewollt mütterliches Gesetz übertreten zu haben, aber im Grunde habe ich mich gefreut, denn augenblicklich sprang mir ein ganzes Heer aufregender Ethnologica in den Kopf, Sachen, die ich irgendwo mal über irgendwelche Indianer gehört hatte: Das Dorf als zivilisierte Zone, die den Menschen gehört, im Gegensatz zur gefährlichen Ungezähmtheit der Natur, die im Dschungel mit Geistern und Dämonen ihr Unwesen treibt... Und nur der entsprechend Vorbereitete darf sich zu gewissen Zeiten im Wald bewegen, man muss mit diesen Dingen umzugehen wissen.

Dass der Indianer die Natur als seine Mutter liebt und verehrt, ist ja bestenfalls die halbe Wahrheit und zu guten Teilen Rousseau und seiner Idee vom edlen Wilden zu verdanken – so suhle ich mich in meinem Fachwissen – und der Indianer ist nicht automatisch Umweltschützer, nein, ich weiß von Gruppen, die ihr Leben als regelrechten Krieg gegen die kulturvernichtenden Kräfte der Natur betrachten, auch wenn mir jetzt beileibe nicht ihre Namen einfallen.


So dachte ich und erfreute mich meiner Sachkenntnis und des Geheimnisses, das mit einem Mal scheinbar in der Luft lag. Denn im Grunde rettet auch eine jahrelange wissenschaftliche Ausbildung nicht vor romantischem Exotismus, jedenfalls nicht mich.

Ein paar Tage später befanden wir uns auf Außenmission in einem Dorf auf der anderen Seite des Waldes. Das Unterfangen dauerte etwas länger als geplant, man zeigte uns viele Sachen, hier unser heiliger Ort, wo wir unsere Feste feiern, hier der verzauberte Stein, wo einst eine alte Indianerin spurlos verschwand. Dann wurde noch ein bisschen getanzt, und es dunkelte bereits, als wir uns auf den Heimweg machten, durch den Dschungel. Ich war so begierig, meine These von den übernatürlichen Gefahren zu überprüfen und so darauf fixiert, das Verhalten der anderen zu beobachten, dass ich selbst vergaß, den stockfinsteren, laut pfeifenden, schlammigen Wald - den ich barfuß durchqueren musste, weil meine blöden Strandlatschen ständig abflutschten - unheimlich zu finden. Und welche Enttäuschung. Meine Freunde hatten ganz offensichtlich keine Angst. Es wurden keine besonderen Vorkehrungen getroffen, um etwaige Gespenster in die Flucht zu schlagen, im Gegenteil, es wurde sorglos gewitzelt wie sonst auch, es wurde ein bisschen gesungen wie sonst auch, und einmal stellte ich meine alberne Stirnlampe auf Blinkmodus, sagte "Indianerdisco", und alle lachten und zappelten kurz ekstatisch.

Zweimal fürchtete ich mich ein bisschen: Einmal blockierten zwei Kühe den Weg, ihre Augen leuchteten irr im Schein meiner Hightechlampe, und sie wollten nicht so recht beiseite gehen. Ein anderes Mal überquerten wir die Staumauer, schon fast am Dorf, rechts der Abgrund mit dem Wasserfall, links das pechschwarze, bodenlose Wasser, und Mano musste auch noch auf dem schmalen Grat anhalten und irgendwas in meiner Tasche wühlen. Aber Gott, Angst vor Kühen und Angst vorm Stolpern, was für langweilige, normale, unspirituelle Furcht das war...


Wir schlugen uns in die Büsche, steil bergauf, glitscheglatt, zappenduster, um den letzten Rest des Weges zum Dorf abzukürzen. Unter uns krachte es im Wald, Holzfäller, die im Schutz der Dunkelheit Brennholz schlugen und die Umwelt kaputt machten. Mano blieb stehen und rief den Berg hinunter: "Wirf doch noch einen um!" Ich wunderte mich, dass er die Umweltsünder nicht mit mehr Nachdruck beschimpfte, aber dachte nicht weiter darüber nach.

Wieder ein paar Tage später, Mano, Rafael und ich teilten uns ein Zimmer in einem halbfertigen, leer stehenden Haus im Dorf. Männergespräch vorm Einschlafen. Die Jungs fragten mich, ob ich nicht den Typen bemerkt hätte, der uns vom verzauberten Stein im anderen Dorf den ganzen Weg durch den Dschungel gefolgt war. Den Typen, der zwischendurch nach meiner Tasche gegriffen hatte - deswegen war Mano auf der Staumauer stehen geblieben, er wollte nachsehen, ob die Kamera in der Tasche in Ordnung war. Den Typen, der dann nachher Bäume umschmiss, um uns zu erschrecken. Den Zombi eben.
Mayra hatte Angst.
Jujuba hatte Angst.
Rafael hatte keine Angst, denn er hat jahrelang mit Geistern und gegen Geister gearbeitet, und er weiß, sich zu verteidigen.
Mano hatte keine Angst, weil er sicher war, dass sein Ritual, der Ouricuri, ihn schützte.
Ich hatte keine Angst, weil ich dachte, es wären ein paar blöde Holzfäller.

Und klar, das denke ich auch immer noch. Sicher. Nur... was sind das für blöde Holzfäller, die im Dunkeln in den Wald gehen, um Feuerholz zu suchen? Wo doch hier kaum jemand eine Taschenlampe besitzt? Wo man doch auch am helllichten Tag im Wald unbehelligt machen kann, was man will? Wenn es dunkel ist und der Wind in den Bananenpalmen knattert, beunruhigt mich das ein wenig, das kann man nicht wegdiskutieren.

Ich bin jetzt seit fast einem Monat hier, und erst diese Geschichte hat mir vor Augen geführt, wie sehr ich in der Fremde bin.

Die Indianer im Nordosten Brasiliens, das wird immer wieder von ihnen selbst betont, standen in vorderster Linie, als die Portugiesen hier eintrafen, und sie sehen sich seit fünfhundert Jahren konstanter Zivilisierung ausgesetzt. Fast alle Gruppen haben ihre Sprachen verloren, alle sind Christen, wenn auch auf eine sehr eigene Art. Es gibt einige sehr augenfällige Eigenarten, die die Leute hier als Indianer kennzeichnen und die auch von ihnen genau zu diesem Zwecke, der Betonung der indianischen Identität, gegenüber der Außenwelt eingesetzt werden: Die Pfeife und der dazugehörige Tabak; der Toré, ein Kreistanz mit Gesang und Rasseln; der Ouricuri, ein Ritual, das fern vom Weißen in einem zweiten, kleinen, nur für diesen Zweck errichteten Dorf im Regenwald stattfindet.

Sieht man von diesen Dingen ab, ist es für den Außenstehenden sehr schwierig, die Unterschiede zu erkennen zwischen denen, die diesseits und jenseits des Schildes der FUNAI und des Stacheldrahtes leben, der die Grenze zwischen Indianern und "Weißen" markiert: Die Gesichter sind dieselben, die Häuser sind dieselben, und die Armut ist auch dieselbe. Und der Außenstehende bin in diesem Fall nicht nur ich, sondern auch der Rest der brasilianischen Gesellschaft, die fragt, ob das überhaupt richtige Indianer seien, die nur portugiesisch sprechen und genauso aussehen wie alle anderen Bewohner des Hinterlandes. Die Unterschiede erschließen sich nicht auf den ersten Blick, und sie lassen sich schon gar nicht genetisch erklären. Selbst historisch dürften die nicht-indianischen Nachbarn der Indianer, die Caboclos, ähnliche Dinge hinter sich haben wie die Indigenen.

Dass diese Situation konfliktträchtig und schwierig ist, leuchtet ein. Auch ich bin mir noch nicht ganz sicher, welche Meinung ich dazu habe. Aber je mehr Zeit ich hier verbringe, desto indianischer kommen mir meine Indianer vor, nicht zuletzt dank des Zombi – obwohl der, zumindest dem Namen nach, wohl eher afrikanische Wurzeln hat. Man sagte mir jedoch hier, es handele sich um ein indianisches Wort. Und dass es Zombies auch im Fernsehen und auf Haiti gibt und der Begriff eben eher afrikanischen Ursprungs ist, ist hier scheinbar niemandem bewusst.


Was der Zombi allerdings tut, lässt ihn wie einen Verwandten des Curupira aussehen, eines Waldgeistes der Tupi-Indianer, der gerne Bäume umwirft und Wandernde vom Weg abbringt.

Wenn man wollte, könnte man vielleicht auch die Herkunft des Gebrauchs der Pfeife zu den entflohenen schwarzen Sklaven zurückverfolgen, die sich im Hinterland mit den Indigenen vermischten, und den Indianern dann unter die Nase reiben, dass sie sich in der Wahl ihrer kulturellen Symbolik vergriffen haben.

Es ist allerdings mehr als arrogant, ihnen die Entscheidung darüber abnehmen zu wollen, wie man Indianer zu sein hat. Entsprechend der brasilianischen Gesetzgebung ist derjenige Indianer, der sich als solcher bezeichnet und von einer indianischen Gemeinschaft als solcher akzeptiert wird. Das scheint mir eine vernünftige Einstellung, die im übrigen jenseits des Gesetzbuches und in der Praxis bedauernswert wenig weit verbreitet ist. Über diese Maßgabe hinaus zu bestimmen, ob Indianer von heute mit Pfeil und Bogen schießen müssen, um sich für die Indianerschaft zu qualifizieren, ist - wenn überhaupt irgendjemandes – die Aufgabe der Indianer selbst.

Text: Nico Czaja
Fotos: Nico Czaja + Tanawy "Mano" Tenório






[art_3] Dominikanische Republik: Liebe und Leben in der Straße der Damen

Es bedarf nur eines Funkens Phantasie um die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts herauf zu beschwören und María de Toledo, Gattin des Diego de Colón und damit erste Vizekönigin Neuspaniens, zusammen mit ihrem weiblichen Gefolge durch den kolonialen Kern Santo Domingos wandeln zu sehen:

Wie sie im Parque Colón den Bau der Kathedrale Santa María de la Menor begutachtet, die die Gebeine ihres Schwiegervaters Christopf Kolumbus beherbergen werden.



Wie sie mit Fray Bartolomé de las Casas, der im Convento de los Dominicanos, der ersten Universität in der Neuen Welt, Vorlesungen hält oder der Frage nachgeht, ob es sich bei den Indianern Hispañolas um Menschen oder Tiere handelt. Wie sie im Patio (Garten) des Schriftstellers Francisco Tostado de la Peña Schutz sucht vor der herab brennenden Mittagssonne.

Wie sie gestärkt durch heiße Schokolade an der Festungsanlage Ozama entlang spaziert, die sie in den nächsten Jahrzehnten vor Überfällen diverser Piraten, zu denen u.a. der gefürchtete Francis Drake und dessen Onkel Henry Morgan gehören werden, schützen wird; dort auf Nicolás de Ovando trifft, den Gründer des 3. Santo Domingos, der es besser machen sollte als Bartolomé de Colón, Bruder des Cristobal de Colón, dessen Versuch der 2. Gründung Santo Domingos auf der falschen Seite des Flusses Ozama durch mehrere Hurrikane vereitelt wurde - ebenso wie das 1. Santo Domingo, ursprünglich von Christoph Kolumbus an der Nordküste nahe Puerto Plata unter dem Namen Nueva Isabela, zu Ehren der spanischen Königin Isabella der Katholischen, erbaut, den Naturgewalten zum Opfer fiel.

Wie sie sich nun schon auf der Calle de las Damas bewegt, vorbei am Regierungssitz, wo sich der zukünftige Entdecker Mexikos, Hernán Cortéz, von Kuba kommend zu einer Audienz bei ihrem Mann eingefunden hat. Wie sie auf den Plaza de España trifft, das Meer von Verwaltungsbeamten, Hafenarbeitern und Matrosen respektvoll eine Schneise bildet, durch die sie ihren Palast erreicht, den Alcazar de Cólon.


500 Jahre später sind viele der Gebäude aus der Kolonialzeit erhalten oder rekonstruiert. Doch wie auch immer man den 1976 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten historischen Stadtkern erkundet - durchdacht oder planlos - gegen Nachmittag wird man auf geradezu magische Art und Weise von der Calle las Damas angezogen, die in den Plaza de España übergeht. Der einst geschäftige Trubel ist verschwunden. Eine handvoll Jungs spielt Baseball, ein Papa lässt mit seinen Kindern einen Drachen steigen, Schüler in Uniform albern auf dem Nachhauseweg herum und mehrere Hochzeitspaare nutzen die Kulisse für ein Fotoshooting.

Der Platz ist weitläufig und so angelegt, dass der 1512 von Diego erbaute freistehende Renaissance-Palast der Familie Kolumbus in seiner ganzen, wenn auch schlichten Pracht voll zur Geltung kommt. Der Hintergrund, lässt man die Eindrücke des Tages auf der Terrasse einer der Bars oder Restaurants mit Blick auf den Alcazar auf der gegenüberliegenden Seite sacken, ist frei von Gebäuden. Man kann sich also vollkommen auf den Palast und seine Hochzeitspaare einlassen und dabei über die besichtigten Einrichtungen der Spanier in der Neuen Welt diskutieren: erstes Bürgermeisteramt, erstes Krankenhaus, erste Universität, erste Kathedrale, erster Regierungssitz. Und nach der dritten Cuba Libre, die Sonne ist gerade im Untergehen begriffen, fällt der Blick doch noch auf ein Gebäude im Hintergrund des Palastes. Ein einziges, das plötzlich kegelförmig von innen heraus beleuchtet wird: der Faro de Colón, der Leuchtturm des Kolumbus. 1992 zur 500-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas von den ersten Entdeckten - in keinem anderen lateinamerikanischen Land scheint so etwas denkbar - erbaut, beherbergt er aufgebahrt in einem riesigen Altarkonstrukt die Gebeine des Kolumbus, die zuvor in der Kathedrale ruhten.


Info:
Für eine Besichtigung des kolonialen Santo Domingos sollte man eher zwei als einen Tag einplanen. So besteht die Möglichkeit, den Alcazar, das Haus Tostado und das Museo de las Casas Reales sowie einige beeindruckende Innenhöfe zu besichtigen. Zudem wäre es eine Schande, einen in den Abend übergehenden Nachmittag auf der Plaza de España abbrechen zu müssen. Restaurants finden sich mühelos, auch in den Seitenstraßen. Kriminalität gegen Touristen scheint unbekannt. Alternativ zu den recht teuren Angeboten der Restaurants bietet unweit der Plaza de España die Taquería (Av. Emiliano Telera) günstige und leckere Tacos. Die Cuba Libre ist stark und die billigste des gesamten Landes.

Text + Fotos: Dirk Klaiber






[art_4] Kuba: Che, mate und chilenische Mädchen

Alberto Granado (*1922) reiste 1951/52 mit seinem Freund Ernesto Guevara durch Lateinamerika. Von Buenos Aires aus ging es durch Patagonien, über die Anden nach Chile, mit dem Schiff nach Antofagasta, weiter durch Peru, über den Amazonas nach Kolumbien und nach Caracas. Dort trennten sich ihre Wege.

Diese Reise wurde von Walter Salles nach den Tagebüchern der beiden verfilmt: Motorcycle Diariesie lief 2004 auch in den deutschen Kinos.

Torsten Eßer sprach mit Alberto Granado in Havanna über den Che, den Film und chilenische Mädchen.

Was dachten Sie, als der Anruf kam, ob sie an diesem Film mitarbeiten möchten?
Ich habe geantwortet, dass ich schon auf dem Weg zum Flughafen sei... (lacht). Nein, Walter war schon vorher hier und hatte mich darauf vorbereitet.

Mir schienen die Tagebücher Ernestos schon immer eine gute Vorlage für ein Drehbuch zu sein. Warum wohl wurde erst so spät ein Film daraus gemacht?
Ja, das ist wirklich unerklärlich. Die Wichtigkeit dieses Buches liegt schließlich darin, dass es den Che als Menschen aus Fleisch und Blut zeigt. Aber die Leute haben ihn in etwas verwandelt, dass an die Götter der griechischen Mythologie erinnert. Vielleicht wollten sie sich das nicht nehmen lassen. Denn schließlich war er wie wir: er konnte nicht tanzen, fiel mit dem Motorrad in den Schlamm usw.

Und warum haben die Kubaner ihren Nationalheld nicht verfilmt?
Ich glaube, dass es für sie schwierig war, weil der Ernesto dieser Zeit wenig mit dem Che von später gemeinsam hatte, der ja als Vorbild für die ganze Welt gelten sollte. Man sollte an Menschen wie ihn denken, wenn man die Welt verbessern wollte.

Spiegelt der Film die Realität wider?
Alles ist wahr, wobei man beachten muss, dass es ja kein Dokumentar- sondern ein Spielfilm ist. Somit gibt es Szenen, die ein wenig modifiziert wurden: Die Durchschwimmung des Flusses zum Beispiel hat in Wahrheit am Tage stattgefunden. Aber weil Ernesto seiner Mutter in einem Brief schrieb, dass der Fluss ihm nachts ein wenig Angst mache, hat Walter Salles diese beiden Tatsachen vermischt und die Handlung in die Nacht verlegt. Das ist spannender und hat mehr Symbolcharakter.


Waren Sie während der Dreharbeiten dabei?
Ja, an vielen Orten in Argentinien, Südchile, Iquitos und in Lima.

Das Hospital im peruanischen Dschungel existiert noch?
Nein, es wurde für den Film neu errichtet. Etwas sehr Wichtiges und Schönes ist, dass all die Sachen, die dort für das Filmteam und den Film errichtet wurden, also Hütten, Bäder mit fließendem Wasser, Toiletten und so weiter nun der Bevölkerung des naheliegenden Dorfes Santa Maria gehören.

Im Film seid Ihr hinter chilenischen Mädchen her. Sind die wirklich so heiß?
So sagt man zumindest. Weißt Du was: Während der Dreharbeiten in Chile wollte die Schauspielerin, die "mein" Mädchen spielt, sich mit mir hinlegen und wissen, wie es war. Ich habe gelacht und ihr gesagt: "Wie soll ich mit 82 vormachen, was ich mit 29 nicht gemacht habe!"

Und wer hatte die Idee zur Reise?
Ich, aber Ernesto gefiel sie sofort, denn er liebte das Reisen und hatte zum Beispiel schon eine lange Reise durch 14 Provinzen Argentiniens gemacht.

Kam während dieser schwierigen Reise nie der Wunsch auf, sie abzubrechen?
Nein, wir beide waren sehr hart im Nehmen. Ernesto noch mehr als ich. Wir hätten nie das Handtuch geworfen. Als mein Motorrad zu Schrott ging, war ich wirklich am Ende. Ich hatte viel mit diesem Motorrad erlebt und hing sehr daran, aber ich wollte trotzdem weiter.

Wie war das mit den Melonen und dem Schiff?
Wir wollten unbedingt nach Antofagasta. Also gingen wir als blinde Passagiere an Bord eines Schiffes und kamen dort an. Um weiter nach Peru zu reisen, machten wir es wieder so und das zweite Schiff hatte Melonen geladen. Wir hatten echt Hunger und fingen an, Melonen zu essen und die Schalen über Bord zu werfen. Leider trieb sie die Strömung wie Perlen an einer Schnur nah am Boot vorbei, so dass der Kapitän sie sah und uns entdeckte. Da wir noch nicht abgelegt hatten, schmiss er uns von Bord. Das war aber wiederum gut, denn so mußten wir den Landweg nach Peru nehmen und kamen an der Mine Chucicamata vorbei, die wir sonst nicht gesehen hätten.

Was war das Beeindruckendste für Sie auf der Reise?
Das Bewegendste war der Abschied von der Leprastation. Es war ein nebliger Tag und wir waren tief gerührt von den Abschiedsliedern und -reden der Leprakranken. Im Film ist das gut dargestellt, aber es ist nicht ein Viertel von dem, was wirklich passierte. Ich sage immer, das war der Tag, an dem Ernesto sich vom Arzt für die Kranken zum "Arzt" des Volkes wandelte. Ein weiteres, sehr emotionales Ereignis war das Treffen mit dem Ehepaar in der Wüste, also dem Minenarbeiter, der noch nicht einmal eine Decke hatte, um sich gegen die Kälte zu schützen. Uns war es peinlich, erklären zu müssen, dass wir nur des Reisens wegen reisten und nicht, um Arbeit zu finden.

Für Euch war die ganze Reise über mate sehr wichtig. Ist das heute auch noch so?
Hier in Kuba gibt es keine mate. Das mögen die Kubaner nicht. Ich trinke heute nur mate, wenn mich Argentinier besuchen kommen. Sonst habe ich mich ans Kaffeetrinken gewöhnt oder manchmal einen kleinen Rum. Für Ernesto war mate allerdings eine Notwendigkeit.

Fand die Wandlung von Ernesto zum Che während eurer Reise statt oder erst viel später?
Später, aber nicht viel später. Unsere Reise ist eher unter sozialen Gesichtspunkten zu betrachten als unter politischen. Als er später in Guatemala war [1953/54], fiel ihm auf, dass unsere Erlebnisse ihn in seinen Gedanken unterstützt und bestärkt hatten. Sein Aufenthalt dort und die Bekanntschaft mit Ñico López, der später einer der Männer auf der "Granma" war, haben seinen Charakter geprägt. Aber auch Hilda Gadea, seine spätere Frau, die er dort kennen lernte.

Die Chance bei so ähnlichen Charakteren war doch 50/50, dass auch Sie nach der Reise so einen Weg hätten einschlagen können wie Ernesto?
Nein, dafür war ich nicht geschaffen. Ernesto war fest davon überzeugt, dass nur eine Revolution die Verhältnisse ändern könnte und dass man mit der reaktionären Gewalt nur fertig würde, wenn man ihr eine revolutionäre Gewalt entgegensetzte. Da waren wir verschieden.

1961 sind Sie Ernesto nach Kuba gefolgt. War der Grund ihre Freundschaft oder die Revolution?
Eher wegen der Revolution. Unsere Freundschaft war sehr gut, aber wir unterschieden uns auch in wesentlichen Dingen. Ernesto wußte zu dieser Zeit schon, dass er nicht für immer in Kuba bleiben würde. Die einzige Bedingung, die er Fidel stellte, als er zu den Kämpfern stieß, war, dass er gehen könne, wann immer er wolle, wenn die Revolution gesiegt hätte. Darum konnte er mich nicht holen und dann abhauen. Er hat mich vorher eingeladen: So habe ich ihn 1960 in Kuba besucht. Da wurde mir bewußt, dass aus Ernesto Guevara Che Guevara geworden war, der nur noch wenig Privatleben hatte. Ich ging dann zu einer programmatischen Rede von Fidel Castro in der Sierra Maestra, in der er von Dingen sprach, von denen ich bis dahin nur geträumt hatte. Und dort sagte ich zu meiner Frau: "Delia, das ist der Führer von dem ich immer dachte, dass es ihn nicht gibt. Bereite Dich darauf vor, nach Kuba umzuziehen." Und im folgenden Jahr zogen wir nach Kuba. Dort habe ich mich dann der Forschung verschrieben. Ich bin seit dem Ende unserer Reise nicht mehr dauerhaft nach Argentinien zurück gekehrt. Ich habe mich in Venezuela verliebt, in eine Frau und in das Klima, und bin dort geblieben. In den Tropen fühle ich mich zuhause.

Und Sie hatten nie die Idee, ihrem Freund zu folgen, etwa in den Kongo oder nach Bolivien?
Als er mich verließ, hat er mir folgendes in ein Buch geschrieben: "Te espero gitano." Er wusste, dass ich für den Guerrillakampf nicht geschaffen war. Ich wäre ihm in einen freien Kongo oder ein freies Bolivien gefolgt, denn schließlich hat er ja geschrieben, dass er auf mich wartet.

Text + Fotos: Torsten Eßer

Literatur:
Ernesto "Che" Guevara. Latinoamericana. Tagebuch einer Motorradreise 1951/52, Köln 1994.
Ernesto "Che" Guevara. Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein. Tagebuch der Lateinamerikareise 1953-1956, Köln 2003.






[art_5] Brasilien: Kleiner Rio Reiseführer - Bildergalerie und Tipps zu Rio de Janeiro

Wer zum ersten Mal nach Rio de Janeiro kommt und nicht genau weiß, was man alles gesehen haben muss, um nicht als absoluter Rio-Depp am Stammtisch unter zu gehen, der sollte jetzt mal gut aufpassen und sich folgende 10 Besuchsanleitungen fleißig notieren.

Die 10 hot-spots für das erste Mal:
1.
Das erste, was man in Rio sehen sollte, ist die Copacabana. Allein schon deshalb, weil es oft das einzige ist, was die Leute zuhause von Rio kennen. Peinlich, wer da nicht mit einem Foto mit braungebrannten Pobacken aufwarten kann. Außerdem liegt die Hälfte aller Hotels in Rio an der Copacabana. Nachts sollte man die Augen offen halten, zumindest wenn man nicht im Hotelbett schlummert, sondern durch die Straßen des Viertels wandelt.

2. Höchststrafe setzt es ebenfalls für den oder die, der oder die Rio verlässt und nicht auf den Zuckerhut hochgefahren ist.

Der heißt hier Pão de Açúcar, was soviel wie Zuckerbrot bedeutet. Und wenn man schon mal oben ist, sollte man sich doch einen Hubschrauberrundflug gönnen.


[Auf dem Zuckerhut hoch über Rio]


Die Gondeln hoch zur ersten Station, dem 220 Meter hohen Morro da Urca, fahren von der Station am Praia Vermelha ab. Von der Morro da Urca geht es dann auf den 396 Meter hohen Zuckerhut. Geöffnet Montags bis Donnerstags und Sonntags von 8 Uhr bis 22 Uhr, Freitags und Samstags von 8 Uhr bis 20:30 Uhr. Das ganze Programm kostet übrigens 30 Reais.

3. Auf keinen Fall sollte man einen Besuch auf dem Corcovado mit der berühmten Christus-Erlöserstatue versäumen.

Allerdings aufgepasst: das Wetter dort oben auf über 700 Metern schlägt gerne und blitzartig um, so dass man oft im absoluten Nebel steht und eigentlich nichts sieht.


[Die Erlöserstatue auf dem Corcovado]


Also auf schönes Wetter warten. Nett ist auch die kleine Bahn, die gemütlich den Berg hoch zuckelt. Los geht’s ab 8:30 Uhr, die letzte Bahn rollt um 18:30 Uhr den Berg wieder runter. Abfahrt ab Rua Cosme Velho, 513 – für 30 Reais ist man mit an Bord.

4. Rios letzte Straßenbahn schleicht die engen Straßen des gemütlichen Santa Teresa Stadtviertels rauf und runter. Wer das nicht gesehen hat, den sollte man Schlafmütze taufen. Abfahrt ist von der Estação Carioca aus an Wochentagen zwischen 6 Uhr und 22h Uhr, am Wochenende von 7 Uhr bis 21:30 Uhr. Während man in der Woche ganze 0,60 Reais berappen muss, greift sie am Wochenende mit 4 Reais Touripreisen schon etwas heftiger zu. Sei’s drum, schön ist es auf jeden Fall.


[Die Straßenbahn von Santa Teresa]


5. Maracanã. Allein schon der Name lässt jeden Fußballfan mit der Zunge schnalzen und den Ohren wackeln. Entweder geht man zu einem Spiel oder man besucht das einst größte Stadion der Welt einfach zwischen 9 Uhr und 17 Uhr. Für 12 Reais darf man nicht nur rein, sondern bekommt auch noch ein 35 Seiten starkes Heftlein in die Hand gedrückt, in dem man das Wichtigste über diesen heiligen Ort erfährt.

6. Wer Mut hat, der sollte doch einfach mal vom 520 Meter hohen Pedra Bonita springen und hinunter zum Praia do Pepino gleiten. Los geht es von der Avenida Prefeito Mendes de Morais aus, Preise für die Gleitflüge sind unter 021-3322-4176 zu erfahren.


7. Wer Rio einmal aus einer ganz neuen Perspektive erleben will, der sollte unbedingt eine Bootstour durch die Guanabara-Bucht machen. Start ist täglich um 9:30 Uhr von der Marina da Glória aus. Für 30 Reais bekommt man 2 Stunden lang vollkommen neue Rio-Ansichten geboten. Infos unter 021-2224-6990.

8. Rios Botanischer Garten ist eine paradiesische Oase inmitten der 8 Millionen Stadt. Für nur 4 Reais kann man die unglaubliche Biomasse-Ansammlung zwischen 8 Uhr und 17 Uhr bestaunen. Und das parkeigene Café ist mit das beste von ganz Rio. Also nix wie hin. Der Eingang befindet sich übrigens an der Rua Jardim Botânico, 1008.

9. Wer gut zu Fuß ist und gerne durch den Urwald klettert, dem bietet der Tijuca Nationalpark mit seinen 92 Pfaden schier uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Da geht es hoch zum Corcovado oder quer rüber zum Pedra Bonita, zum Vista Chinesa oder zu Kaisers Tisch. Der größte innerhalb einer Stadt gelegene Urwald ist entgeldfrei zwischen 8 Uhr und 18 Uhr zu betreten. Eingang ist der Sektor A an der Estrada da Cascatinha, 850, Alto da Boa Vista.


10. Das Teatro Municipal bietet das ideale Schlechtwetter- oder Strandmuffel-Programm. Für nur 4 Reais kann man sich von kundigen Führern den prunkvollen Bau zeigen lassen. Er ist nur 200 Meter von der Cinelândia Metrostation entfernt und inmitten wunderschöner alter Bauten wie der Nationalbibliothek und dem Museu Nacional de Belas Artes gelegen. Der Eingang befindet sich an der Praça Marechal Floriano und ist wochentags von 10 Uhr bis 17 Uhr geöffnet.

Text + Fotos: Thomas Milz






[kol_1] Macht laune: Ohne Bändchen keine Liege

Die Hitze bringende karibische Sonne treibt den pauschalen und den unpauschalen Touristen ins kühle atlantische Meer. Wieder am Strand winkt All-inclusive dem Kellner nach Bier, mit dem er den salzigen Geschmack von der Zunge spült. Nichts-inclusive gönnt sich derweil einen Schluck agua mineral aus der 1,5 Liter Flasche, deren Inhalt dem Siedepunkt entgegen strebt. Ich-habe-Bändchen-Ich-habe-Liege richtet seine Position nach dem Stand der Sonne aus, während Ein-Handtuch-für-den-Urlaub-reicht-schon beschließt, im Stehen zu trocknen.



Alles-frei ist beim dritten Glas, da weiss Sonne-trocknet-mich nicht so richtig, was er denn so vor dem Handtuch stehend mit sich anfangen soll: Arme baumeln lassen oder hinter dem Rücken verschränken. So unentschlossen wird er zur leichten Beute des mit seiner Stimme auf Provisionsbasis arbeitenden Anwerbers für das Langosta Restaurante. Und nachdem Das-Handtuch-bleibt-trocken-komme-was-wolle diesem verständlich gemacht hat, dass er 50 US-Dollar für die nicht mehr allzu frische Languste, die der Anpreiser dem Freund-von-Essen-ohne-Animation vor der Nase hin und her schwenkt, für überteuert hält, nähern sich nacheinander die Zuarbeiter von Mundo Langosta und Langosta Fever. Pauschal bleibt unbehelligt.

Individuell besteigt den Bus und bereist das Land.

Zwei Wochen später beherrschen den Pauschal-Flieger gen Heimat Gesprächsthemen, die vom Radius der bunten Armbänder, die konsequent bis nach dem Flug die Handgelenke zieren, eingeschränkt sind: Sonnenbaden perfekt realisiert, Langosta Restaurante/Mundo/Fever.



Text + Fotos: Dirk Klaiber





[kol_2] Lauschrausch: Weltmusikmesse Womex

Lateinamerikanische Musik bleibt auf dem Weltmusik-Markt - zu Recht - sehr präsent, ebenso wie neue Interpreten von der Iberischen Halbinsel.

Beginnen wir unsere musikalische Reise auf der Iberischen Halbinsel: Auf dem Label Boa ist eine tolle Sammlung mit weiblichen Flamenco-Stars erschienen. "Flamenco Woman" vereint Sängerinnen aus den 1940er und 50er Jahren wie Lola Flores oder Dolores Vargas mit jungen Talenten wie Marina Heredia und Exoten wie Martirio: Eine sehr gelungene Mischung.

Das Projekt 08001, benannt nach der Postleitzahl des Stadtviertels Raval in Barcelona, spiegelt die multikulturelle Bewohnerschaft dieses Bezirks musikalisch wider: 23 Musiker, darunter Spanier, Lateinamerikaner, Araber und Afrikaner, spielen sich auf "Raval ta Joie" (Organic Records) durch die Welt der Musik: Flamenco trifft auf Rock und Dub, Rai auf Trip-Hop: Ein gelungenes Fusion-Projekt - auch wenn ich nicht die Meinung einiger so genannter Weltmusikexperten teile, dass nur in der Fusion die Zukunft liegt - an dem der spanische Anteil musikalisch wenig in Erscheinung tritt.

Auf "Tanger", der neuen Doppel-CD des Spaniers Luis Delgado (Nubenegra), werden die arabischen Wurzeln der spanischen (Musik-) Geschichte erforscht. Mit spanischen und marokkanischen Musikern spielte er elf Titel live in Tanger ein, deren Texte von arabischen Poeten aus dem 10. bis 12. Jahrhundert stammen.

Die spanischen Zwillingsbrüder Rafael (sax) und Victor (piano) Alcántara leben in München und präsentieren auf "Vive la Vida" groovigen Jazz, aufgenommen mit Musikern aus Spanien und Deutschland.

Dass es sich um spanische Musiker und Komponisten handelt, ist nur an den Vokal-Titeln zu erkennen, die meist einen leicht poppigen Charakter haben: mit Ausnahme von "No pudieron matar mis sueños", das vom Madrider Attentat 2004 inspiriert ist und des schmalzigen "Tu sonrisa en mi cara": Anklänge an den Flamenco oder andere "typische" spanische Musikstile fehlen hier erfreulicherweise gänzlich.

Flamenco pur gibt es dann auf dem 12. Album von Vicente Soto "Estar alegre". Bulerías, Alegrías und Tangos - alles Eigenkompositionen - werden hier geboten, deren Texte sich um Liebe und Leidenschaft drehen: Trotz der oft traurigen Inhalte bleibt die Musik fröhlich und erfrischend.

Anklänge an den Flamenco gibt es auch in der Musik der Gruppe EA! aus Cádiz.

Sie fusionieren auf "Un sentir" (EAMÚSICA) ihre Stücke mit afrikanischer und baskischer Perkussion, arabischen und baskischen Gesängen: Poppige Weltmusik, die in diesem Stil Viele machen (alle: Vertrieb galileo mc).

Der große katalanische Sänger Lluís Llach hat auf seiner neuen Live-CD "Poetes" (BMG) die Texte (berühmter) katalanischer Dichter des 20. Jahrhunderts, u.a. Màrius Torres, Joan Fuster und Miguel Marti i Pol, zu Liedern verarbeitet.

Damit trifft der ehemalige Anti-Franco-Sänger die katalanische Seele. Aber auch für Nicht-Katalanen sind die sparsam instrumentierten Lieder ein Genuss.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon.de






[kol_3] Hopfiges: Petra trifft Eisenbahn

2 Biere, 3 Meinungen: Verdutzt erblickte ich im Bierregal des Supermarktes eine kleine Bierflasche mit der unverwechselbar deutschen Aufschrift Eisenbahn inmitten all der brasilianischen Biere mit ihren so typisch brasilianischen Namen wie Kaiser, Skol, Kronenbier, Bavaria und Brahma, was übrigens die Abkürzung von Brauhaus Magdeburg ist. Sei’s drum, die Flasche tat mir ob ihrer Einsamkeit so leid, dass ich sie mit nach Hause nahm, um ihr im Kreis einiger Freunde einige letzte Gemeinschaftsgefühle zu verleihen, bevor ihr güldener Inhalt endgültig in den schwarzen Tiefen unserer durstigen Rachen verschwinden sollte.

Damit sie vor ihrem Ableben noch ein wenig Spaß haben würde, suchte und fand ich im Bierregal eine nette Begleiterin für die letzten Minuten: Petra, ein schwarzes Premium Bier. "Die beiden passen von der Körpergröße her auf jeden Fall gut zueinander", dachte ich mir so beim Betrachten der beiden Flaschen, "und die etwas blasse Eisenbahn mag bestimmt die doch so dunkle Petra."

Und so kam es, dass die beiden noch einige gemeinsame und ungestörte Augenblicke zu zweit in der Eiseskälte unseres WG-Kühlschranx genießen durften.


Nachfolgend das Protokoll von Eisenbahn und Petras letzten Augenblicken:

Tester: T, 33 Jahre, aus Deutschland; A, 30 Jahre, von der Ilha de Marajó; J, 27 Jahre, aus São Paulo.

T: Guten Abend!
A: Guten Abend!
T: Wir haben zwei Biere zum Test bestellt, das helle Eisenbahn aus Blumenau, dem Zentrum deutscher Einwanderung nach Brasilien, und die schwarze Petra aus Petropolis hoch in den Bergen Rio de Janeiros. Gefallen Dir die Flaschenlayouts?
A: Sehr hübsch, sieht gut aus!
T: Und das Eisenbahn Layout für sich?
A: Auch toll!
T: Und das von Petra?
A: Genauso! Petra mit seiner dunklen Farbe symbolisiert in meinen Augen die "Negritude", die schwarze Kultur, während Eisenbahn ein typischer Vertreter der weißen Kultur ist.

Eisenbahn, 4,8%, 100% organisch:
T: Brasiliens erstes 100% organisches Bier, das dem deutschen Reinheitsgebot von 1516 folgt.
A: Die Farbe ist ja gar nicht so weiß, sondern stark, starkes gelb, anders als die brasilianischen Biere. Und hat nicht viel Schaum.
J: Lieber Himmel, wie dunkel Eisenbahn ist, irgendwie zähflüssig. Petras Schaum sieht ziemlich kremig aus, Eisenbahns Schaum sehr wässrig, nicht so kremig wie Petra. Guter Geruch, lasst uns ans Probieren gehen... hhhmmm sehr gut, stark, ziemlich bitter hinten raus, ein gutes und bitteres Bier. Erinnert sehr an deutsches Bier, das deutscheste von allen Bieren, die ich hier in Brasilien getrunken habe.
T: Ups, sehr stark, sehr gut, markant, viel Körper!

A: Anders, stärker und ganz andere Geschmaxrichtung als brasilianische Biere. Ich sehe da keine Ähnlichkeit mit brasilianischen Bieren. Für mich ist das sehr exotisch und seltsam...
T: Interessant festzuhalten das für einen Brasilianer deutsches Bier durchaus exotisch sein kann... Ich finde es toll, ein gutes Bier, aber schmeckt ein wenig nach Plastik – kann das durch das Malz kommen?
A: Schmeckt nach Oliven, aber ich weiß nicht wieso...


Petra, 4,4%, voll allerlei Stoffe:
J: Süßer Geruch, die Farbe ist wirklich schwarz schwarz schwarz. Vom Äußeren her viel kremiger als in der Wirklichkeit – eigentlich ist Eisenbahn vom Geschmack her viel kremiger.
T: Es ist nicht kremiger, das muss einen anderen Grund haben...
J: Vielleicht ist Eisenbahn etwas substanzieller... mehr Körper, während Petra wässriger ist.
A: Ich find Petra besser. Das erinnert irgendwie an Erfrischungsgetränke, Coca-Cola, hat auch einen schön hohen Schaum...
T: Irgendwie anders.... ein wenig erinnert es an Malzbier, aber kein typisches, denn dafür ist Petra nicht süß genug.
A: ...und Petra verursacht auch nicht diesen Plastikgeschmack im Mund.
T: Malzgeruch hat’s, aber nicht viel. Schmeckt etwas nach Wasser, ein wenig eben und horizontal, halt wie ein See, voll mit Wasser.
A: Ich bleibe bei der Petra, mehr Geschmack, das leicht Bittere hinten raus ist richtig nett.
T: Ich nehme die Eisenbahn, da ist der Geschmack nicht so künstlich wie bei der Petra. Schmeckt nach deutschem Bier, das Heimweh stillt.
J: Mir gefällt auch Eisenbahn besser. Petra ist gut, aber Eisenbahn ist besser.

A: So kommen wir zu dem Schluss, dass sich an unserem Tisch zwei Kulturen begegnen, eine brasilianische Kultur, die eher mit Petra harmoniert, und eine deutsche Kultur, die viel exotischer ist, viel andersartiger.

PS: Eisenbahn kostet übrigens dreimal so viel wie Petra. Und das war schon ein Sonderangebot!

Eisenbahn (1-4):

1. Hang over Faktor
(4 = kein Kopfschmerz):
2. Wohlfühlfaktor (Hängematte)
(4 = Sauwohl):
3. Etikett/Layout/Flaschenform
(4 = zum Reinbeißen):
4. Tageszeit Unabhängigkeit
(4 = 26 Stunden am Tag):
5. Völkerverständigung
(4 = Verhandlungssicher):

Petra (1-4):

1. Hang over Faktor
(4 = kein Kopfschmerz):
2. Wohlfühlfaktor (Hängematte)
(4 = Sauwohl):
3. Etikett/Layout/Flaschenform
(4 = zum Reinbeißen):
4. Tageszeit Unabhängigkeit
(4 = 26 Stunden am Tag):
5. Völkerverständigung
(4 = Verhandlungssicher):

Text + Fotos: Thomas Milz






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