ed 03/2016 : caiman.de

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spanien: Cáceres - lebendiges Mittelalter-Museum als Weltkulturerbe
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Das Bromeliengewächs der Praça Mauá
Das Museu do Amanhã in Rio de Janeiro
THOMAS MILZ
[art. 2]
uruguay: Traditionell
Der Campo, die Gauchos und der Mate
LARS BORCHERT
[art. 3]
brasilien: Alles ist im Fluss
Die Basilika von Aparecida am Shopping-Center des Glaubens
THOMAS MILZ
[art. 4]
hopfiges: Ceriux aus der Rioja
DIRK KLAIBER
[kol. 1]
sehen: SOMOS CUBA – Wir sind Kuba
Dokumentarfilm mit geschmuggeltem Video-Material / 30. März im WDR
[kol. 2]
lauschrausch: Gregor Huebner - El violin latino Vol. II "For Octavio"
TORSTEN EßER
[kol. 3]





[art_1] Spanien: Cáceres - lebendiges Mittelalter-Museum als Weltkulturerbe
 
Cáceres, die heimliche Metropole der Extremadura (mit nur 80.000 Einwohnern eher ein Metropölchen) ist heute eine lebendige Universitätsstadt, deren Ortszentrum schon 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Gegründet wurde Cáceres 78 v.C. als römisches Heerlager Castra Caecilia, aus dem um 35 v.C. die Stadt Colonia Norba Caesarina entstand. Als die Araber die Stadt im 8. Jahrhundert eroberten, gaben sie ihr den Namen Hizn Qazris; allerdings blieb sie während der arabischen Epoche eine unbedeutende Provinzstadt. Erst im 11. und 12. Jahrhundert, nach der Besetzung durch die Almoraviden und Almohaden, deren Herrscher von Sevilla aus regierten, wurde Cáceres zu einer wichtigen Stadt im Westen der Iberischen Halbinsel.

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Im 12. Jahrhundert, im Lauf der Reconquista-Kriege, wechselte in Cáceres mehrfach die Herrschaft zwischen den almohadischen Kalifen und den katholischen Königen von León und Kastilien, bis schließlich 1229 König Alfons IX. die Stadt endgültig in Besitz nahm.

Aus der Zeit vor der kastilischen Eroberung stammen die almohadischen Stadtmauern und der wuchtige Torre de Bujaco. Der Name des Turms geht zurück auf den Kalifen Abu Yakub, der Cáceres ein letztes Mal für die Almohaden zurück eroberte und die christlichen Ritter, die den Turm bis zuletzt verteidigten, hier köpfen ließ. Jedenfalls hatten sie im Augenblick vor ihrem Tod eine grandiose Aussicht über die weite Landschaft der Extremadura. Heute breitet sich unterhalb des Turms der Renaissance-Platz (Plaza Mayor) von Cáceres aus.

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Wenn man von der im 16. Jahrhundert (um 1577) gebauten und weiß getünchten Plaza Mayor durch den Sternen-Torbogen schreitet, gelangt man jenseits der almohadischen Mauern in eine andere Welt. Man ist gefangen in einem stillen Labyrinth düster-geheimnisvoller Mauern des Mittelalters, in einer Szenerie, die dominiert wird von 15 mächtigen Wehrtürmen alter Adelspaläste aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Es gab mehr als doppelt so viele von diesen Türmen, aber Königin Isabella von Kastilien befahl 1479 allen Adelsfamilien, die beim Kampf um die Krone Kastiliens nicht auf ihrer Seite gestanden hatten, zum Zeichen der Demütigung, ihre Türme zu verkürzen oder ganz zu schleifen. Der höchste Turm von Cáceres ist der des "Storchen-Palastes" Casa de las Cigüeñas. Er gehörte dem Adligen Diego de Ovando, der den richtigen Riecher hatte und wusste, dass mit der gestrengen Isabella nicht zu spaßen war und sich beizeiten im Thronkampf auf ihre Seite schlug.

Im Laufe des 16. Jahrhunderts, ausgelöst durch den unverhofften Reichtum, den viele mitbrachten, die von hier als Habenichtse den weiten Weg über den Atlantik wagten und mit Gold, Sklaven und indianischen Ehefrauen aus Amerika zurück kamen, wurde das Mittelalter-Puzzle aus maurischen und gotischen Bauten durch Elemente der Renaissance ergänzt. So erhielt die frühgotische Kathedrale Santa María einen wunderbaren Renaissance-Hochaltar aus Zedernholz, geschaffen vom Bildhauer Roque Balduque um 1551.

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Und die mittelalterlichen Paläste wie Casa de los Golfines, Casa de los Sande und Casa de las Veletas (beherbergt heute das Archäologische Museum) wurden mit modischen Renaissance-Balkonen und Portalen ausgestattet. Dazu kam noch eine Reihe neuer Paläste im Renaissancestil. Der größte und mächtigste von ihnen trägt den klangvollen Namen Palacio de los (Toledo-)Moctezuma. Er wurde erbaut von einem Konquistador, der eine aztekische Prinzessin heiratete und mit nach Cáceres brachte (die Tochter von Moctezuma II.). Heute ist hier das Historische Archiv untergebracht.

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Nicht nur die unzähligen Storchennester, sondern auch eine spektakuläre Pflanzenwelt ergänzen das harmonische Gesamtbild der intakten Altstadt von Cáceres. Besonders beeindruckend sind der völlig mit Efeu überdeckte, gotische Torre de los Sande, die Bougainvillea-Lawine neben dem Arco de las Estrella und die gewaltige Rotbuche am Jardín de Doña Ulloa. Empfehlenswert ist in jedem Fall ein Aufstieg auf den Turm der Kathedrale und die Türme der barocken Jesuitenkirche San Francisco Javier. Beide sind etwa doppelt so hoch wie der Torre de Bujaco und entsprechend gut ist der Ausblick auf die Altstadt und das Umland. Zudem steht man dabei direkt unter den Glocken, die zur vollen und halben Stunde schlagen (Vorsicht - so ein Glockenschlag ist sehr laut und kann Unvorbereiteten einen gewaltigen Schrecken einjagen.)

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Die doppeltürmige Jesuitenkirche aus dem 18. Jahrhundert mit ihren vergoldeten Altären ist übrigens eines der wenigen "neueren" Bauwerke im ummauerten Mittelalterbezirk von Cáceres und beherbergt heute eine sehr interessante und kritische Ausstellung zur Kirchengeschichte.

Der Besuch von Cáceres gleicht einer Zeitreise voller Impressionen aus einer längst vergangenen Welt der Ritter und Konquistadoren, in der vorübergehend nichts an die Moderne erinnert. Und wem es im mittelalterlichen Gassen-Labyrinth und im Schatten düsterer Türme zu still wird, der kann zurück kehren auf die helle, von Licht überflutete Plaza Mayor, seit dem 16. Jahrhundert das Wohnzimmer von Cáceres, wo man schon seit Generationen die Köstlichkeiten der Extremadura genießt: Schinken und Braten der schwarzen Schweine, die fast nur Eicheln fressen, Forellen aus dem Fluss Jerte, Kirsch-Törtchen. Und auf jeden Fall empfiehlt sich abends zur Dämmerung oder zum Sonnenuntergang ein Ausflug zum Heiligtum von La Montaña (1 Kilometer südöstlich von Cáceres).

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Vom Plateau der hoch gelegenen Wallfahrtskapelle hat man einen grandiosen Blick auf das Lichtermeer von Cáceres und kann bei "Miguel" einkehren (Restaurant mit großer Terrasse und sehr freundlicher Bedienung). Auch die Santiago-Pilger, die auf der Vía de la Plata durch Cáceres kommen (hier ist ca. ein Drittel des Weges nach Santiago geschafft), sollten Cáceres mindestens zwei Tage widmen - es lohnt sich!

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Unterkunft in Cáceres:
4-Sterne-Hotel NH Palacio de Oquendo, Plaza San Juan 11, 10003 Cáceres, Telefon:+34 927 21 58 00
http://www.nh-collection.com/es/hotel/nh-collection-caceres-palacio-de-oquendo
Renaissance-Palast mit schönem Patio, edlem Ambiente und gutem Restaurant

Verpflegung in Cáceres:
Die Restaurants / Tapas-Bars an der Plaza Mayor bieten alle gute Standards, sind jedoch nicht unbedingt günstig; da bezahlt man den Platz halt mit. Innerhalb der Mauern sind die Restaurants tendenziell allerdings noch teurer.

Bestes Restaurant an der Plaza Mayor, Küche moderner und innovativer als bei den anderen, günstiges Mittags-Menü mit großer Auswahl und exzellenter Weinkarte und vielen Gerichten mit dem besten Käse Spaniens (Torta del Casar) aus der Provinz Cáceres:
Cayena - Restaurante y Kitchen Club - Plaza Mayor, 9 - Cáceres
Tel.: 927 24 54 97
info@restaurantecayena.com

Auch nicht günstig, dafür aber alles vom Feinsten: Mesón San Juan, an der Plaza de San Juan, neben Hotel Palacio de Oquendo (s.o.) bietet Spezialitäten der Region und gute Weine wie den legendären Rotwein "Habla del Silencio", Tel. 927-626648

Kirchen:
Kathedrale Santa María: geöffnet 10.00 bis 12.00 Uhr sowie 13.00 bis 19.30 Uhr, Eintritt inkl. Turmbesteigung: 1 Euro
Jesuitenkriche San Francisco Javier: geöffnet 10.00 bis 14.00 Uhr sowie 16.30 bis 19.30 (Sommer von 17.00 bis 20.00 Uhr), Eintritt inkl. Turmbesteigung: 1 Euro

Casa de las Veletas / Archäologisches Museum: geöffnet Di. - Sa. 9.00 - 14.30 und 16.00 - 19.00 Uhr (Sommer 17.00 - 20.00 Uhr), montags geschlossen, So. 10.15 - 14.30 Uhr, Eintritt frei

[druckversion ed 03/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Brasilien: Das Bromeliengewächs der Praça Mauá
Das Museu do Amanhã in Rio de Janeiro

Unerbittlich brennt die Sonne. In langen Reihen stehen die Menschen an, Tag für Tag. Die Praça Mauá in Rio de Janeiros Hafenviertel ist die neueste Attraktion für Einheimische wie Touristen. Das Herz des wunderschön gestalteten Platzes ist das Museu do Amanhã, das "Museum von Morgen". Alleine an seinem Eröffnungswochenende lockte das Zukunftslabor 25.000 Besucher an.



Das spektakuläre Werk des spanischen Architekten Santiago Calatrava, das auf dem Mauá-Pier weit in das Wasser der Guanabarabucht hineinreicht, steht neben dem ebenfalls neuen Museu de Arte do Rio, dem MAR. Die Aussicht auf die Bucht ist spektakulär. Im Hintergrund zieht sich die Rio-Niterói Brücke bis weit über den Horizont hinaus. Schaut man nach links, sieht man die im umgebauten Hafenviertel festgemachten Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt.
 


Noch vor kurzem war die Landschaft von der Perimetral-Hochbahn beherrscht, einer monsterhaft scheußlichen Autobahn, die die Schönheit der historischen Region überdeckte. Wo der dichte Verkehr die Bewohner terrorisierte, kann man nun gemütlich zu Fuß schlendern. In wenigen Wochen wird hier zudem die neue Straßenbahn entlangfahren, die den Platz mit anderen wichtigen Punkten des Zentrums verbindet.
 


Die Umgestaltung der Praça Mauá gehört zum Porto-Maravilha-Projekt, das das fünf Millionen Quadratmeter große Viertel wiederbeleben will. Nachdem diese für Rios Stadtgeschichte wichtige Region über Jahrzehnte sich selbst und dem Zerfall überlassen wurde, werden hier derzeit Milliarden investiert.
 
Das Museu do Amanhã widmet sich der Zukunft der Menschheit und des Planeten Erde, wobei Kunst und Wissenschaft in digitalen Installationen und Spielen zusammen gebracht werden. Rios erstes experimentelles Museum basiert auf dem Prinzip der Interaktivität zwischen Ausstellung und Besucher.
 


Auf 15.000 Quadratmetern Grundfläche errichtet, soll sich der Architekt von einer recht ungewöhnlichen Pflanze inspirieren lassen haben: einem Bromeliengewächsen, wie es in Brasiliens tropischen Wäldern wächst.

Wenn das mal kein Grund ist, es persönlich kennen zu lernen.
Website: http://www.museudoamanha.org.br

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 03/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]






[art_3] Uruguay: Traditionell
Der Campo, die Gauchos und der Mate
 
Bitte nicht von der Pampa sprechen, wenn man über das uruguayische Landesinnere redet: Die Pampa ist in Argentinien. In Uruguay heißt das entsprechende Gebiet – auch wenn es streng genommen geografisch eine Verlängerung der argentinischen Pampa darstellt – entweder Interior oder Campo. Über so viele Jahrzehnte gab es Krieg und Streit zwischen den beiden Ländern, dass es in Uruguay traditionell schon fast zum guten Ton gehört, empfindlich auf einen so ur-argentinischen Begriff zu reagieren. Außerdem ist der Campo ein ganz zentraler Bestandteil der uruguayischen Identität, hat er doch über Jahrhunderte mit seinen Rindern, Schafen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen den Menschen das Überleben gesichert.

Und im Campo ist der Gaucho, die Personifizierung des edlen Menschen, zu Hause: etwas derbe Burschen zwar, an das einfache Leben in der freien Natur gewöhnt, aber anständig, bescheiden, fleißig, arbeits- und genügsam. So werden sie zumindest gerne beschrieben.

Und: Ihren Gauchos haben die Uruguayos das Nationalgetränk Nummer Eins zu verdanken. Denn sie waren es, die von den Ureinwohnern (vor allem den Guaranís) den Brauch übernahmen, Mate zu trinken. Dieser etwas bitter schmeckende Tee wird zwar auch in den anderen Ländern der Region (vor allem in Argentinien) getrunken, aber nirgends ist er so allgegenwärtig wie in Uruguay.


Selbst beim Spaziergang oder auf dem Weg zur Arbeit, zu Freunden oder zum Arzt, im Fußballstadion, am Strand oder im Bus – überall tragen die Uruguayos ihre Mate-Ausrüstung unter den Arm geklemmt: den ausgehöhlten Kern der Frucht des Matebaums als Trinkgefäß (calabasa oder auch matera), das metallene Saugrohr (bombilla) und die Thermoskanne mit heißem Wasser. Oft scherzen die Uruguayos, sie hätten ob ihrer Mate-„Sucht“ einen speziellen Muskel entwickelt, mit dem sie die Thermosflasche unter dem Arm eingeklemmt halten... Vor allem aber haben sie von den Indígenas auch das Ritual übernommen, die gefüllte calabasa unter den Anwesenden kreisen zu lassen und ihren Mate jederzeit und überall zu teilen.

Text + Foto: Lars Borchert

Reiseführer Uruguay: Dieser Text ist dem Reiseführer Uruguay – Handbuch für individuelles Entdecken erschienen im Reise Know-how Verlag entnommen. Wer nicht bis zum nächsten Caiman warten, sondern möglichst schnell mehr über Uruguay erfahren möchte, kann sich diesen Reiseführer für 16,95 Euro unter info@larsborchert.com persönlich beim Autor bestellen oder im gut sortierten Buchhandel kaufen.

Titel: Uruguay – Handbuch für individuelles Entdecken
Autor: Lars Borchert
ISBN: 978-3831725908
Seiten: 300
Verlag: Reise Know-How
1. Auflage 08/2015

[druckversion ed 03/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: uruguay]





[art_4] Brasilien: Alles ist im Fluss
Die Basilika von Aparecida am Shopping-Center des Glaubens

Eigentlich waren die drei Fischer Domingos Garcia, Filipe Pedroso und João Alves auf reiche Fischbeute aus. Die Ratsherren des Städtchens Guaratinguetá hatten sie beauftragt, den schlammig-braunen Fluss Paraíba do Sul nach vorzeigbarer Nahrung abzusuchen. Immerhin hatte sich mit Dom Pedro de Almeida e Portugal der Gouverneur der vereinigten Kapitanien von São Paulo und Minas Gerais angekündigt. Doch nichts wollte ihnen an diesem Tag ins Netz gehen.


Fast schon wären die drei unverrichteter Dinge umgekehrt, als João Alves plötzlich eine kleine schwarzfarbige Figur aus dem Wasser zog. Nachdem sie den Schlamm abgespült hatten, wurde ihnen klar, was da buchstäblich aus den Fluten aufgetaucht war: eine Statue der Nossa Senhora da Conceição. Jedoch ohne Kopf. Sogleich warf João noch einmal sein Netz aus. Dieses Mal fischte er den fehlenden Kopf aus dem Wasser. Von nun an füllten sich ihre Netze mit Fischen. Immer mehr wurden es, so viele, dass das kleine Fischerboot zu kentern drohte.

Aparecida heißt der Ort der überraschenden Marien-Erscheinung. Seit jenem bemerkenswerten 12. Oktober 1717 ist hier nichts mehr so wie zuvor. Wer mit dem Auto von São Paulo nach Rio de Janeiro über den Dutra-Highway braust, erblickt nach 160 Kilometern zu seiner Linken ein beeindruckendes Bauwerk. Auf einer Anhöhe thront die zweitgrößte Basilika der katholischen Welt, nach dem Petersdom: 18.000 Quadratmeter Grundfläche, angeblich 7 Millionen Pilger pro Jahr, 45.000 Sitz- plus 25.000 Stehplätze.


Mindestens ebenso beeindruckend sind die mondähnlichen Parkplatzflächen rings um das Monumentalbauwerk. Sie bieten Platz für 4.000 Busse und 6.000 Autos. Alles ist bereit, die Pilger zu empfangen. Wie auch das Shopping-Center des Glaubens, direkt vor dem Haupteingang der Basilika. Bereit, die Menschenströme aufzunehmen, die hungrigen Massen zu verköstigen. Die Speisung der 5.000 in der Betonwüste. Im "Maria Madalena Grill" gibt es reichlich Fleisch zu Live-Country-Musik. "Kaufen Sie meine CD, nur 10 Reais! Die ist wirklich schön!", wirbt die Sängerin zwischen den Liedern.

Auf den Straßen der kleinen Stadt reihen sich mit Plastikfolien überspannte Souvenirstände endlos aneinander. Die heiß begehrten Nachbildungen der Statue gibt es in verschiedenen Größen, und für einen kleinen Aufschlag kommt sie auch noch mit einem Mäntelchen daher. Und Krone. Aber die kostet auch noch mal extra. Ein unbeabsichtigter Ratscher mit dem Fingernagel lässt sofort die Farbe abblättern. "Vorsicht, die sind nur aus Gips", mahnt die Verkäuferin. "Da kann man aber einfach mit schwarzer Farbe nachlackiere"

Direkt neben dem Heiligen-Sortiment kann man Büstenhalter und Unterhöschen erstehen. Oder Plastikgewehre Made in China, nachgemachte Fußballtrikots mit "Bavern Munchvev" Aufdruck. Und knallbunte, 50 Zentimeter hohe Schäferhunde, die auf Knopfdruck bellen. Auch der Liebhaber potenter Stereoanlagen fürs Auto findet hier alles, was das Herz begehrt. Ein dichter Strom von Suchenden wälzt sich durch die schmale Gasse zwischen den Ständen.


Es sind mehr Menschen als in der Basilika, wo an diesem Ostersonntag gerade die Mittagsmesse gelesen wird. Doch die Reihen sind recht leer. "Die Leute nutzen das verlängerte Wochenende gerne, um ans Meer zu fahren", weiß die Dame am Infoschalter zu berichten.

Die wenigen, die trotzdem hier sind, recken ihre Hände empor. Autoschlüssel, Handys, Fotos der Familie werden hochgehalten, um den Segen zu empfangen. Der unachtsame Fotograf bekommt ungewollt eine Ladung Weihwasser auf seine Spiegelreflex.

Alles im Fließen begriffen. Sonntagsausflügler statt auf Knien rutschender Pilger. Immer mehr Kirchgänger würde man in Brasilien verlieren, klagen so manche Priester. Individualisierung der Gesellschaft, sagen die einen. Rückzug in das Private, die anderen. Damit meinen beide wohl das Gleiche. Fische kommen aus der Dose, nicht mehr aus dem Fluss.


Vor einigen Jahren zertrümmerte ein Prediger einer evangelischen Freikirche vor laufenden Fernsehkameras eine Aparecida-Nachbildung. Frei machen müsse man sich von den Bildern, sich auf das Wesentliche besinnen. Nächstes Jahr kommt der Papst nach Aparecida. Dann wird die Basilika zum Bersten gefüllt sein. Die Souvenirverkäufer freuen sich jetzt schon darauf. Und die Country-Sängerin wohl auch.

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 03/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[kol_1] Hopfiges: Ceriux aus der Rioja


Jetzt wird’s traubig hopfig. Die beiden typisch spanischen Rebsorten Viura (weiß) und Tempranillo (rot) sind neben Hopfen und Malz die Grundbestandteile der Biere der noch jungen Brauerei Ceriux in Nalda, inmitten der Rioja gelegen.



Nach der ganzen Einheitsbrauerei auf Basis diverser US-amerikanischer Citrus-Hopfen hätte ich der spanischen cerveza artesanal (craft beer) schon fast den Rücken gekehrt. Eine glückliche Fügung jedoch geleitete mich nach längerer Abstinenz wieder einmal in den Spirituosen-Supermarkt Wine Palace.

Schon im zweiten Regal ziehen mich unbekannte Biersorten in ihren Bann. Neben den oben beschriebenen Langweilern finde ich Ceriux, ein Bier aus dem Herzen des Weinbaus. Das Etikette verweist bereits in der ersten Zeile auf die Herkunft des Ceriux: La Rioja. Damit ist ein klares Zeichen gesetzt. Dieses Bier hat auf jeden Fall etwas mit Wein zu tun. Auf der Rückseite findet sich unter Zutaten dann auch „Exotisches“: Trauben-Most. Die Spannung wächst.

Der Wine Palace bietet Ceriux in zwei Sorten an: Rubia und Tostada. Ich entscheide mich für das helle Ceriux Rubia. Die kleinere Varianten von 375 ml gegenüber 750 ml soll erst einmal reichen.



Wir schnuppern und trinken vor dem Kamin

Es ist der Abend der Heiligen drei Könige, die in Spanien die Geschenke bringen. Lassen wir uns also von Ceriux beschenken.

Die Flasche ist schwer. Sie erinnert auch durch ihre Form eher an Champán. Diese Assoziation unterstützt das Logo am Flaschenhals. Es zeigt eine Weintraube.

Im Glas schmückt das Ceriux Rubia ein weißer, kleinporiger Schaum, der lange bestehen bleibt. Die Farbe des Bieres ist gelb-orange mit schwacher Trübung – der Jahreszeit geschuldet, passt die spanische Übersetzung besser: ligeramente nebuloso (leicht nebelig).

Wir sind zu dritt, was die Verkostung nicht unbedingt objektiver macht, aber zumindest mehrere subjektive Einschätzungen zulässt.

Sehr fruchtig und heftig prickelnd. Mein Eindruck ist schweres Zitrusobst, etwa Pomelo.

Wie Brause, Waldmeisterbrause. Ich muss unweigerlich an Berliner Weiße denken.

Oder Kambucha.

Das ist mir zu schwer, zu geschmacksintensiv. Allerdings hat es bis auf das Prickeln keinen Nachgeschmack. Hat das Bier erst einmal die Zuge verlassen, bleibt nichts zurück.

Das Prickeln geht ins Hirn, bis an die Schädeldecke.

Mein Fazit: Echte Alternative für das Anstoßen mit Sekt zu Silvester.



Was knabbern und speisen?

In Spanien ist es nicht zuletzt durch den Starkoch und Bierschöpfer Ferran Adrià Usus geworden, jedem Bier eine Empfehlung mit auf den Weg zu geben, zu welchen Speisen es besonders gut passt.

Das Ceriux Rubia eignet sich scheinbar hervorragend zu grünem Salat, zu Meeresfrüchten, egal ob roh mariniert, plochiert oder gebraten, zu Schnecken und Tintenfisch. Zu Pan con Tomate (Weißbrot mit Olivenöl, Tomate, gern auch Knoblauch und Salz), zu „blauem“ Fisch oder zu deutsch Fettfisch (Fische mit hohem Anteil an Omega 3 Fettsäuren wie Lachs, Makrele, Hering, Aal, Seezunge…). Zur japanischen Küche basierend auf Sojasoße und Wasabi. Und nicht zu vergessen zu Apfelkuchen, Käse und Füchten.

Hätte ich doch die große Flasche nehmen sollen?

Text + Fotos: Dirk Klaiber

[druckversion ed 03/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: hopfiges]





[kol_2] Sehen: SOMOS CUBA – Wir sind Kuba
Dokumentarfilm mit geschmuggeltem Video-Material / 30. März im WDR
 
Sieben Jahre. Drei Familien. Eine Nachbarschaft. Kuba wie es westliche Augen noch nie gesehen haben: Fernab der Boulevards und großen Motive folgt der Film – gedreht mit einer kleinen Amateurkamera – dem Alltag dreier Familien in einem armen Arbeiterviertel von Havanna.

Sendetermin: Mittwoch, 30. März 2016, 23.25 Uhr

"Faszination Erde - mit Dirk Steffens: Der wahre Fluch der Karibik": Dirk Steffens auf einem Piratenschiff.
Foto 1: Andres' Tochter Leydis (r) mit ihrer Tante. / Sieben Jahre lang drehte der Gelegenheitsarbeiter Andres für diesen einzigartigen Dokumentarfilm mit einer kleinen Videokamera sein direktes Umfeld.

Copyright: WDR/Saxonia Entertainment


Sieben Jahre lang drehte der Gelegenheitsarbeiter Andres für diesen einzigartigen Dokumentarfilm mit einer kleinen Videokamera sein direktes Umfeld. Die Filmemacherin Annett Ilijew schmuggelte das Material aus Kuba heraus und montierte den Film. Im Zentrum stehen Vollblut-Macho Chicho und seine Familie, das Dissidenten-Paar Sonia und Cocorio – und der alleinerziehende Amateur-Kameramann selbst mit seiner Tochter im Grundschulalter.

"Faszination Erde - mit Dirk Steffens: Der wahre Fluch der Karibik": Dirk Steffens unter Wasser.
Foto 2: Andres' Tochter Leydis. / Im Zentrum stehen Vollblut-Macho Chicho und seine Familie, das Dissidenten-Paar Sonia und Cocorio - und der alleinerziehende Amateur-Kameramann selbst mit seiner Tochter im Grundschulalter.

Copyright: WDR/Saxonia Entertainment


Die sehr persönlichen Aufnahmen zeigen, warum Kuba so ist wie es ist: geprägt von politischer Indoktrination, täglichem Überlebenskampf, innerer Immigration aus Verzweiflung, aber auch der Suche nach dem kleinen, privaten Glück.

"Faszination Erde - mit Dirk Steffens: Der wahre Fluch der Karibik": Luftaufnahme an einem Karibik-Strand.
Foto 3: Andres in seinem Haus / Die Filmemacherin Annett Ilijew schmuggelte das Material aus Kuba heraus und montierte den Film.

Copyright: WDR/Saxonia Entertainment


SOMOS CUBA ist eine Produktion von Saxonia Entertainment in Koproduktion mit dem WDR und Annett Ilijew. Gefördert durch den Babelsberger Medienpreis, das Gerd Ruge Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW, das Filmbüro Bremen und die Bremische Landesmedienanstalt.

Ein Dokumentarfilm von Annett Ilijew
Deutschland 2015, 91 min.

Text + Fotos: WDR

[druckversion ed 03/2016] / [druckversion artikel]





[kol_4] Lauschrausch: Gregor Huebner - El violin latino Vol. II "For Octavio"

Die Violine hat eine lange Tradition in der lateinamerikanischen Musik. Schon die Jesuiten brachten in ihren Reduktionen der indigenen Bevölkerung Bau und Spiel dieses importierten Instruments bei, mit großem Erfolg. Später fand die Geige ihre Rolle u.a. in der Mariachi-Musik, im Tango oder im kubanischen Danzón. Damit der gebürtige Stuttgarter Geiger Gregor Huebner mit diesen Genres in Berührung kam, musste er nach New York übersiedeln.

Eigentlich kam er 1994 auf den Spuren des Jazz in die Stadt, aber schnell tauchte er in die brodelnde Latin-Szene des Big Apple ein, wo Millionen von Latinos vom ganzen südamerikanischen Kontinent leben. Bald war er in Deutschland Teil von Bands wie Salsafuerte und Tango Five, mit denen er beeindruckende Alben herausbrachte. In den USA spielte er mit Los Jóvenes del Barrio, Eye Contact und Son Radical.

Gregor Huebner
El Violin Latino Vol.II "For Octavio"
GLM / Soulfood

Irgendwann kam ihm die Idee, die Geige als ein verbindendes Element der lateinamerikanischen Musik zu betrachten und ein Album mit Stücken des Kontinents herauszubringen, genauer mit Titeln aus Brasilien, Kuba und Argentinien, denn – ohne die musikalischen Leistungen der anderen lateinamerikanischen Staaten schmälern zu wollen – von dort stammen die meisten Rhythmen, die international Bedeutung erlangt haben. Eine Idee, die gut ankam, weshalb nun Teil 2 erschienen ist. Mit seinen Mitmusikern aus diesen drei und weiteren Ländern spielt er, neben von osteuropäischer Geigentradition beeinflussten Eigenkompositionen, Stücke von Tom Jobim oder Astor Piazzolla ein (erfreulicherweise nicht die üblichen Verdächtigen!), aber auch Titel von jüngeren Komponisten wie dem seit 1993 in New York lebenden Kubaner Oriente López, dessen "La canafistula" ein wunderbar instrumentierter Titel ist.

Aus dessen Feder stammt auch das swingende "El frio y la oscuridad". Der ebenfalls in New York lebende Bandoneonist Raúl Jaurena, der auf den fünf argentinischen Titeln zu hören ist (u.a. auf "La última curda"), steuert auch ein Stück bei. Gastsänger/innen wie Amparo Barón oder Ernesto Camino veredeln die Vokaltitel. Bei den Eigenkompositionen sind hervorzuheben "For Octavio", das mit einem dramatischen Violinsolo endet, eine Hommage an den verstorbenen Freund und Pianisten Octavio Brunetti, das melancholische "Fantasía" sowie "Gitano bambú", Huebners Hommage an den Schmelztiegel New York, die durch den Sprechgesang der Sängerin Yumaria an die jazz and poetry-Aufnahmen der beatgeneration erinnert.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 03/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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