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[art_3] Bolivien: Dengue-Fieber - Die unterschätze Tropenkrankheit
 
Wenn es in Santa Cruz anfängt zu regnen, überprüft Dr. Juan Antonio Flores vom Kolping-Gesundheitszentrum noch einmal seinen Vorrat an Paracetamol und bestellt im Zweifel größere Mengen nach. Denn: wenn es regnet, dann dauert es noch fünf bis sieben Tage, bis die Tigermücken schlüpfen und beim Stechen Viren auf Menschen übertragen. Mit anderen Worten: es besteht die Gefahr einer Dengueepedemie in der bolivianischen Großstadt. Viele Menschen erkranken und müssen behandelt werden.

"Das größte Problem ist, dass es keine Medikamente gegen das Denguefieber gibt. Man kann nur dafür sorgen, dass der Patient ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt. Vor allem bei Kindern und Alten führt das Fieber von über 40 Grad zur Dehydrierung und in Folge dessen oft zum Tode. Der Patient sollte so viel wie irgend möglich trinken und ständig darauf achten, dass die Körpertemperatur nicht steigt. Wenn es gelingt, das Fieber zu kontrollieren und der Patient über gute Abwehrkräfte verfügt, wird er von selber wieder gesund", so Dr. Juan Antonio Flores.

Ein starkes Schmerzmittel ist ebenfalls angebracht. Denguefieber wird auch als Knochenbrecherfieber bezeichnet, denn es geht mit furchtbaren Gliederschmerzen einher. "Es ist ein Gefühl von vollkommener Schlappheit und Muskelschmerzen. Die Augen schmerzen unentwegt und man hat das Gefühl, dass einem das Ende bevorsteht", berichtet Bastian Müller, ein deutscher Tourist, der bis zu seiner Infektion noch nie von Denguefieber gehört hatte. Da er sich in den Tropen aufhielt, dachte er an Malaria und ging sofort zu einem Arzt, anstatt auf eigene Faust fiebersenkende Schmerzmittel zu nehmen. Glücklicherweise. Denn leicht hätte er das falsche Mittel erwischen können und das hätte unter Umständen alles noch viel schlimmer gemacht.

"Aspirin vermindert die Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Und das ist unter anderem eine der Auswirkungen, die das Denguefieber hat. Wenn nun Aspirin gegeben wird, wird dieser Effekt verstärkt und das kann zu einem hämorrhagischen Fieber führen", erklärt Dr. Flores.

Aber auch ohne Aspirin kann Hämorrhagisches Fieber bei Dengue auftreten. Das bedeutet, dass es zu inneren Blutungen kommen kann. Diese entstehen dadurch, dass die Zahl der Blutplättchen so stark abnimmt, dass sie sich nicht mehr zu einem Gerinnsel verbinden können. Gleichzeitig sind die Blutgefäßwände durchlässiger, der wässrige Anteil des Blutes tritt aus den Adern in das Gewebe aus, der Druck in den Adern sinkt und die den lebenswichtigen Sauerstoff transportierenden Blutkörperchen können nicht mehr zu den Organen gelangen. Das führt zu einem sogenannten hämorrhagischen Schock. In etwa zwei bis fünf Prozent aller Fälle nimmt die Krankheit diesen schweren Verlauf.

Wer in Deutschland an von Mücken verbreitete Tropenkrankheiten denkt, dem fällt als allererstes Malaria ein und danach vielleicht die Schlafkrankheit. Dabei ist Dengue mindestens so weit verbreitet wie Malaria. Die Krankheit kommt in Südostasien, Afrika und Lateinamerika vor. Übertragen wird sie von der Tigermücke, die auf einer Höhe von bis zu 2000 Metern vorkommt und tagsüber aktiv ist.

"Die Tigermücke brütet gerne in Wohngebieten. Es reichen ihr kleine Mengen frischen Wassers, wie zum Beispiel in einem Blumentopf. Dengue ist hier ein großes Problem, vor allem in der Regenzeit – da steigen die Fälle sprunghaft an", berichtet Jelina Roca. Sie arbeitet im Tropeninstitut von Santa Cruz und analysiert die Proben, die die Hausärzte bei ihr einschicken. Über die Jahre ist ihr aufgefallen, dass sich die Krankheit verändert hat: "Wir beobachten, dass die Symptome der Krankheit zunehmend schwerere sind als bei den früheren Epidemien, die Krankheit häufiger mit Komplikationen verläuft. Wir sehen hier im Labor, dass sich der Virus verändert. Es gibt neue Typen und diese Fälle sind gravierender. Die Menschen haben größere Schmerzen, das Fieber dauert länger an.

Hinzu kommt: Eine überstandene Dengue-Infektion macht nicht immun. Man kann die Krankheit immer wieder bekommen – weil sich die Viren ständig verändern und das Immunsystem sie dann nicht wiedererkennen kann. Allgemein wird sogar angenommen, dass es bei einer wiederholten Infektion häufiger zu inneren Blutungen kommen und die Krankheit durchaus tödlich verlaufen kann. So stellt beispielsweise eine ganze Reihe internationaler Organisationen keine Mitarbeiter ein, die schon einmal Denguefieber hatten, weil sie das Risiko einer Zweitinfektion für nicht verantwortbar halten. Auch Bastian Müller, der in Bolivien lebt, ist deshalb äußerst vorsichtig, wenn er ins tropische Tiefland fährt und lässt keinen Zentimeter Haut ungeschützt: "Man muss sich in diesen Epidemiegebieten einfach sehr vorsehen, dass man nicht gestochen wird; d.h  viel Mückenschutzmittel auftragen und lange Bekleidung. Was anderes kann man da nicht machen."

Natürlich ist es in Gebieten mit Denguefieber sinnvoll, sich so gut wie möglich vor Mückenstichen zu schützen. Trotzdem gibt es für Aber Bastian Müller und andere ehemalige Denguepatienten einen Lichtblick. Dr. Joachim Richter vom Tropeninstitut der Uniklinik Düsseldorf hat sich eingehend mit Zweitinfektionen von Dengue beschäftigt und ist zu dem Schluss gekommen, dass eine wiederholte Ansteckung keinen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit hat: "In jedem der deutschen Institute sehen wir mindestens 20 bis 25 Fälle pro Jahr. Wenn man sich nun überlegt, wie viele Deutsche in Thailand, Brasilien oder wo auch immer Urlaub machen bzw. leben und nach einiger Zeit wieder nach Deutschland zurück kehren, dann würde man davon ausgehen, dass die Fälle von hämorrhagischen Fieber bei uns zunehmen würden. Es gibt aber viel weniger Dengue-hämorrhagische Fieber als Zweitinfektionen. Das Dengue-hämorrhagische Fieber ist im Vergleich zu den Millionen von Fällen von Dengueinfektionen immer noch sehr selten."

Nach intensivem Quellenstudium fand der Tropenmediziner sogar heraus, dass Komplikationen eher bei Erstinfektionen auftraten. Offenbar hängt es vom Immunsystem ab, ob die Krankheit mit inneren Blutungen einher geht. Dafür spricht, dass die Krankheit vor allem bei kleinen Kindern häufig schwer verläuft. Zwar gibt es auf eine große Anzahl von Fragen die Krankheit betreffend noch keine Antworten; aber zweifelsfrei steht fest, dass sich die Krankheit immer weiter ausbreitet. Joachim Richter und seine Kollegen verzeichnen eine stetige Zunahme von Denguefällen, und das liegt nicht nur daran, dass der Fernreiseverkehr zunimmt.

"Wenn Sie sich die Karten von vor zwei Jahren ansehen, war Denguefieber auf die tropischen Regionen begrenzt. Heute haben wir die sogenannten autochthonen Infektionen in Kroatien, Südfrankreich oder auch Ägypten, also alles Länder, die nördlich der Sahara liegen", so Dr. Richter.

Die Tigermücke wurde sogar schon am Oberrhein beim Brüten beobachtet. Es ist die Klimaerwärmung, die mit milden Wintern dafür sorgt, dass die Mücken inzwischen auch nördlich der Tropen überleben. Diese Entwicklung ist neu. Auch für deutsche Ärzte. Sie sind nicht darin geschult, tropische Krankheiten zu erkennen. Und auf die Idee, jemanden, der im Urlaub in Kroatien war, auf Denguefieber zu testen, muss man überhaupt erst mal kommen.

Dengue ist übrigens nur eine von mehreren Tropenkrankheiten, die sich im Zuge des Klimawandels in den letzten Jahren gen Norden ausgebreitet hat und deren Symptome von den Ärzten hierzulande nur schwer eingeordnet werden können.

Doch Dengue "wandert" nicht nur immer weiter Richtung Norden, sondern tritt auch in den tropischen Gebieten zunehmend häufiger auf. Eine Impfung gibt es nicht und die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass jedes Jahr 50 Millionen Menschen mit Dengue infiziert werden – rund vier Mal so viele, wie noch Ende der 70er Jahre. Für diese Zunahme gibt es einen Grund: Die Städte in den Entwicklungsländern wie Bolivien wachsen rasant - und ohne, dass Stadtplaner dabei mitreden würden.

"Das Bevölkerungswachstum hier in Santa Cruz ist völlig außer Kontrolle geraten. Die Häuser werden einfach irgendwo gebaut, an Orten, wo sie nicht stehen dürften. Die Leute wohnen am Rande von Müllhalden in Gegenden, die mit dem Denguevirus verseucht sind", erklärt Dr. Flores.

Das Kolping-Gesundheitszentrum, in dem Dr. Juan Antonio Flores praktiziert, steht am Rande einer solchen wilden Siedlung, in der sich die Denguefälle häufen. "Hier", sagt er, "findet die den Denguevirus übertragende Tigermücke optimale Bedingungen – weil überall Müll herumliegt."

"Wenn die Regenzeit beginnt, bilden sich überall kleine Pfützen. Damit sich Denguemücken entwickeln können, reicht schon ein wenig Wasser in einem herumliegenden Flaschendeckel. Die Mücken haben die Eier darin schon lange vorher abgelegt. Wenn diese nun mit Wasser in Berührung kommen, dauert es nur fünf bis sieben Tage, bis die nächste Generation verseuchter Mücken geschlüpft ist", erklärt Dr. Flores.

Das flächendeckende Einsammeln des Mülls kurz vor der Regenzeit wäre eine ebenso einfache wie wirksame Methode, um die jährliche Dengue-Epidemie in Santa Cruz und anderen tropischen Städten zu bekämpfen. Jedes Jahr weist das Ärzteteam von Kolping die Behörden aufs Neue darauf hin, wie wirksam eine solche Aktion wäre. Doch die Appelle verhallen ungehört und das macht Dr. Flores ungehalten. Schließlich ist Vorbeugung die einzige Möglichkeit, die Krankheit einzudämmen. "Die Prävention fußt auf zwei wichtigen Säulen: Die Leute dazu zu bringen, ihren Müll nicht überall hin zu schmeißen und von Seiten der Behörden das Einsammeln des Mülls. Aber soweit sind wir noch nicht. Wir sind ein Entwicklungsland, in dem die Menschen noch nicht verstanden haben, wie die Dinge zusammen hängen."

Mit einer breit angelegten Aufklärung eine Epidemie einzudämmen, kann funktionieren. Das zeigt zum Beispiel eine Kampagne des Roten Kreuzes in Dörfern in Ruanda, wo die Zahl der Malariafälle deutlich gesenkt werden konnte. Vergleichbare Aufklärung in den Slums der Dritten Welt über die Zusammenhänge zwischen Müll, Mücken und Denguefieber könnte ähnlichen Erfolg haben. Doch das müsste erst einmal von irgendwem finanziert werden.

Text: Katharina Nickoleit

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
252 Seiten
ISBN 978-3-89662-362-1
Verlag: Reise Know-How
3. Auflage 2012

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