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[kol_2] Helden Brasilien: Die "jecken" Nonnen von Santa Teresa
 
Am Carnavalsfreitag schlägt das Herz des bunten Jeckentreibens von Rio de Janeiro in Santa Teresa, einem beschaulichen Stadtviertel hoch über der "wundervollen Stadt". Hier wird mit dem Umzug des Carnavalsvereins "Carmelitas" seit nunmehr 20 Jahren die heiße Phase der schönsten Jahreszeit eingeläutet. Nur wenige Meter vom Ausgangspunkt des Umzugs entfernt trotzt der Karmeliterkonvent von Santa Teresa derweil in stoischer Ruhe dem bunten Treiben.


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Der Gegensatz könnte wohl kaum größer sein. Während die Fans der "Carmelitas" zu Ohren betäubend lauter Sambamusik durch die engen Gassen des Viertels ziehen, folgen die Karmelitinnen in ihrem von dicken Mauern und hohen Gittern umgebenen Konvent unbeirrt ihrer eremitischen Lebensweise. Ein Leben in steter Klausur, abgeschottet von den Nachbarn, die nach eigenen Angaben keinerlei Kontakt zu den Nonnen haben.


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Die Geschichte des Stadtviertels ist untrennbar mit dem Konvent verbunden. Im Jahre 1750 ließen zwei Ordensschwestern des Teresianischen Karmel hier zu Ehren der Heiligen Teresa von Avila (1515-1582) einen Konvent mitsamt Kirche errichten. Dieser gab dem Viertel später seinen Namen. Damals war der Hügel im Stadtzentrum von Rio de Janeiro jedoch noch unbewohnt. Von der späteren Besiedelung der Region profitiert der Orden übrigens bis heute. So muss bei jedem in Santa Teresa getätigten Immobiliengeschäften eine Abgabe an den Orden abgeführt werden.

Am Carnavalstreiben aber nehmen die Nonnen nicht teil. Den Konvent verlassen sie angeblich nur alle vier Jahre einmal um bei den Wahlen ihre Stimme abzugeben. Anders als die "Carmelitas". "Wir sind für einen Tag aus dem Konvent ausgebüchst um mal richtig Carnaval zu feiern", scherzt eine leicht bekleidete Anhängerin der "Carmelitas". "Erwischt mich meine Oberin, setzt es eine deftige Bestrafung."


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Ein wenig lustig mache man sich schon über die strengen Nonnen, gibt sie zu. Die "Verkleidung" der "Carmelitas", egal ob Mann oder Frau, besteht lediglich aus einem Haarschleier, entweder blau-weiß oder schwarz-weiß. Der Rest bleibt jedem selbst überlassen. Bei 35 Grad wählen viele dabei ein möglichst knappes Kostüm, wobei auch Bikinis oder offen getragene Unterwäsche ausreicht.

Bissiger Spott war stets das Markenzeichen des Carnavals und dabei werden auch die Karmelitinnen nicht verschont. Man habe sich bei der Gründung des Vereins im Jahre 1991 von den Nonnen inspirieren lassen, erzählt einer der Gründerväter der "Carmelitas". Die Idee kam angeblich einer Gruppe von Jugendlichen die sich jeden Donnerstag nach dem Fußballspielen auf ein paar Biere in einem Lokal zu Füßen des Konvents traf.


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Eine andere Version des Gründungsmythos erzählt von einer Nonne, die sich heimlich aus dem Konvent stahl um Carnaval zu feiern. Ihr zu Ehren sei der Name "Carmelitas" ausgewählt worden. Ob man dieser Version der Geschichte Glauben schenken möchte, muss wohl jeder für sich selber entscheiden. Immerhin schieben die Gründer jener Nonne zu allem Übel auch noch die Schuld für einen zweiten Umzug während des Caravans zu: da die jecke Carmelita angeblich von Carnavalsfreitag bis Dienstag durchfeierte, sehen sich die "Carmelitas" gezwungen zum Abschluss des Caravans am Dienstag noch einen zweiten Umzug durch Santa Teresa zu starten. Und zur allgemeinen Überraschung finden sich immer noch tausende von Narren ein.

Text + Fotos: Thomas Milz

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