ed 02/2014 : caiman.de

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spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Fünfzehnte Etappe: Geschlossene Kirchen, offene Herzen und weite Horizonte
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Churrasco mit Klinsi
Ein Schwabe in Brasilien
THOMAS MILZ
[art. 2]
spanien: Die Nordküste Mallorcas im Winter
Zwischen Einsamkeit, Alt-Hippies und Stereotypen
ANDREAS DAUERER
[art. 3]
brasilien: Willkommen im Dünenparadies (Fotogalerie)
Natal und die WM 2014
THOMAS MILZ
[art. 4]
grenzfall: Kita-Krieg, ne Warze und El Ajo Macho
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 1]
macht laune: Mit dem Zug von Huancavelica nach Huancayo
NIL THRABY
[kol. 2]
traubiges: Ein weißer Kracher
Viñas del Vero Chardonnay ‚Colección’ D.O. Somontano 2012
LARS BORCHERT
[kol. 3]
lauschrausch: Von menschenfressenden Brüllaffen und kopflosen Maultieren
Brasilien - Sagen & Legenden
TORSTEN EßER
[kol. 4]

[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Etappen [15] [14] [13] [12] [11] [10] [9] [8] [7] [6] [5] [4] [3] [2] [1]
Fünfzehnte Etappe: Geschlossene Kirchen, offene Herzen und weite Horizonte
 
12. Juni 2013. Ein Hahn kräht, schrill und mahnend und nicht zum ersten Mal. Wir wollten eigentlich vor Sonnenaufgang im kastilischen Steppendorf Hontanas mit unserem nächsten 30-Km-Tagesmarsch beginnen, aber nun ist es schon kurz nach 7 Uhr, als meine Begleiterin Cayetana endlich fertig gepackt und den zusammen gerollten Schlafsack mit der Wut einer schlechten Frühaufsteherin in ihren Rucksack geboxt hat. Sie hatte schon beim mühsamen Aufstehen nicht die beste Laune. Später wird sie den 12. Juni den "Desaster-Tag" bezeichnen – mit ihrem typisch andalusischen Hang zu dramatischen Übertreibungen. Doch so schlimm sollte es am Ende nicht werden und gelassen im Rückspiegel der Erinnerung betrachtet können wir auch diesem Tag noch viele erlebenswerte Momente abgewinnen.

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Im Licht der Morgensonne wandern wir bei frischen Temperaturen zunächst wieder über Feldwege gesäumt von üppig wuchernden Mohnblumen. Durch stille Alleen nähern wir uns dem ersten Monument des Tages: der imposanten Ruine der Klosterkirche San Antón aus dem 14. Jahrhundert. Jetzt ist Cayetana wach. Ich muss gar keinen kunsthistorischen Vortrag beginnen, um die Begeisterung meiner jungen Begleiterin zu wecken. Fasziniert fotografiert sie jedes Detail dieser romantischen Ruine der Gotik, beginnend beim Seitenportal und der Fensterrose mit den rätselhaften T-förmigen Tau-Kreuzen. Dann umkreist sie Gedanken verloren die leeren, dachlosen Mauern des Kirchenschiffs. Zuletzt entdeckt sie hoch oben auf dem höchsten Punkt der Kirchenmauer eine kleine Mohnblume, erleuchtet von der Morgensonne. Mitten durch die Torbogen der Kirche verläuft heute der Camino in Form einer schmalen Landstraße. Links und rechts sitzen Pilger auf ihren Rucksäcken und blicken meditierend über die Vergänglichkeit alles Menschenwerks die halb verfallenen Mauern empor, die langsam wieder von der Natur überwuchert werden. Wir beschließen wie viele andere, diese märchenhafte Ruine als Frühstücks-Panorama zu nutzen. Ein junger Pilger aus Flandern geht umher und bietet allen köstliches Anis-Gebäck aus dem Kloster Santo Domingo de Silos an. Cayetana kramt in ihrem Rucksack nach einer Gegengabe und zaubert einen Rest Mojama de Atún (getrockneter Thunfischschinken aus Cádiz) hervor. Eine Szene wie sie Jesus gefallen hätte: alle teilen was sie dabei haben auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ziel. Dafür braucht man keine intakten Kirchenmauern, obwohl sie schön anzusehen sind. Die Sonne steigt höher und nach und nach schnürt jeder wieder seinen Rucksack und bricht auf.

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Und schon erscheint am Horizont das nächste Highlight. Von einem Hügel grüßt die Burgruine von Castrojeriz. Diese Siedlung entstand entlang des Jakobsweges und gilt heute als das "längste Dorf des Camino". Fast drei Kilometer erstreckt sich die Ortschaft zu beiden Seiten des Weges. Vier monumentale Kirchen erwarten die Pilger in diesem Straßendorf in der kastilischen Hochebene: Santo Domingo, San Juan, das Kloster der heiligen Klara und die Kirche der Madonna des Apfelbaums (Santa María del Manzano). Vor der letztgenannten stehen wir nun. Es ist das größte und edelste Gotteshaus in Castrojeriz und erhebt sich direkt rechts am Ortseingang. In goldfarbenem Stein gemeißelt sind die wunderschöne Fensterrose und Portalskulpturen dieses frühgotischen Tempels aus dem 13. Jahrhundert. Gern hätten wir der Jungfrau des Apfelbaums im Innern der Kirche einen Besuch abgestattet. Aber leider – Gott sei es geklagt - sind alle vier Kirchen von Castrojeriz fest verschlossen.  Frustriert trinken wir in der Bar gegenüber der Kirche ein paar Kaffee, in der Hoffnung, dass sich die heiligen Pforten doch noch öffnen – obwohl es schon Viertel nach 10 Uhr ist (um 10 Uhr morgens sollte sie eigentlich öffnen) und die Wirtin uns bereits gesagt hat, dass sie in diesem Monat ganz geschlossen bleibt.

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Cayetana hat kein Verständnis für diese verschlossenen Türen. "Es gibt hier bestimmt jede Menge Arbeitslose, einem von denen könnte man pro Tag 30 Euro und den Schlüssel in die Hand drücken, damit er die Kirche für ein paar Stunden geöffnet hält und aufpasst. Ein Camino-Dorf ohne offene Kirchen ist wie Weihnachten ohne Geschenke…" Da aber nun alle Kirchen verschlossen bleiben, widmen wir uns einem sehr viel profaneren Problem. Wir brauchen Geld und zwar sofort! Doch auch das ist nicht so einfach in Castrojeriz. Am ersten Bankautomat leuchtet die Anzeige, dass Cayetanas Karte nicht akzeptiert wird – sie schleudert dem Bankenbildschirm einen andalusischen Fluch entgegen. Ich kann mit meiner Karte hier gar nichts abheben, da es sich um eine kastilische Agrarbank handelt, deren Namen ich noch nie gehört habe (und eine Karte der Stadtsparkasse Köln wird von diesem rustikalen Bankomat verächtlich wieder ausgespuckt). Also müssen wir zu einer zweiten Bank am Ortsausgang.

Ein weiteres Hindernis erwartet uns nur einen Kilometer hinter Castrojeriz. Wie von Gott in einer schlechten Laune den Pilgern in den Weg geworfen, erhebt sich mitten auf dem Camino ein kilometerlanger Tafelberg von mächtigen Dimensionen: der Alto de Mostelares. Da muss man drüber, denn drum herum würde ein halbes Dutzend zusätzliche Kilometer bedeuten. Der Höhenunterschied beträgt auf dem Papier nur hundert Meter und sehr steil ist dieser Aufstieg auch nicht, er will nur kein Ende nehmen. Für die 3 Kilometer zur Besteigung dieses Hügels braucht man mindestens 45 Minuten. Cayetana stöhnt immer lauter während sie sich die staubige Piste empor schleppt. Und immer öfter bleibt sie stehen und blickt sich um. Aber nicht, um die grandiose Aussicht auf die weite Landschaft zu genießen, sondern um sich lautstark in alle vier Himmelsrichtungen zu beklagen. Schweißtropfen brennen in den Augen, der kalte Wind pfeift uns um die Ohren, die Knie und Füße schmerzen bei jedem Schritt.

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Hinter uns kriecht eine Pilgerin mit voll bepacktem Esel den Berg empor. "Guck da, sogar der Esel schafft das kaum!", deutet Cayetana auf den geduldigen Vierbeiner und erwartet doch mehr Mitleid für sich selbst. Endlich sind wir oben angekommen und auf der anderen Seite breitet sich in majestätischer Monotonie die kastilische Steppe bis zum Horizont vor uns aus. Entsprechend endlos scheint uns der Weg, das nächste Ziel liegt irgendwo hinter dem Horizont. "Das müssen wir jetzt noch alles gehen?!", fragt meine Begleiterin mich anklagend, als ob ich hier für die Routenplanung zuständig sei. Einen Moment fürchte ich, sie könnte wieder mit einem Sitzstreik reagieren. Aber nachdem sie einen großen Schluck Limo getrunken hat, marschiert sie mit bösem Seitenblick weiter. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir das Dörfchen Itero de la Vega.

Hier folgt das nächste Desaster, diesmal kulinarischer Art. Bisher hatten wir wirklich Glück mit den Pilgermenüs, die meisten waren köstlich und sensationell großzügig für 8 – 10 Euro. Aber in Itero de la Vega wären wir besser einfach weitergegangen. Was uns hier in "La Mochila" für 10 Euro vorgesetzt wird, ist im Vergleich fast schon unverschämt: der "arroz a la cubana" besteht aus einem Klumpen trockenem, klebrigem Reis ohne jedes Gewürz, begleitet von einem Klecks Ketchup, dazu gibt es in uraltem, stinkendem Öl frittierte Eier und Gummi-Fritten. Den "Rotwein des Hauses" spuckt Cayetana erschreckt auf den Betonboden des Innenhofs, denn er schmeckt wie Essig und ist längst oxidiert. Sie ist aufgebracht und ich versuche, mäßigend auf sie einzuwirken, indem ich sie an den Grundsatz "Der Tourist verlangt, der Pilger dankt" erinnere. Mit schwarz funkelnden Augen blitzt sie mich an: "…auch als Pilger darf ich erwarten, dass ich was Essbares bekomme – das ist hier schließlich kein Geschenk! In Sevilla oder Cádiz bekäme ich für 10 Euro ein köstliches Schwertfisch-Steak und besten Wein. Und Essig kippe ich vielleicht über meinen Salat, aber nicht ins Weinglas! Basta!" Nach dieser Anklage schiebt sie geräuschvoll Teller und Glas von sich und verschränkt die Arme als Zeichen, dass sie die Diskussion für beendet erklärt. Dann kramt sie Erdnüsse aus ihrem Rucksack, während ich aus purem Hunger die furchtbaren Fritten aufesse. Dann wird weiter marschiert.

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Die Kirchen in den kleinen Dörfern sind alle geschlossen. Die Horizonte bleiben weit und scheinbar endlos, wir haben oft das Gefühl, gar nicht voran zu kommen, weil die grünen Felder immer gleich aussehen. Dann versperrt uns noch eine Schafherde den Weg und ich habe Angst vor den Schäferhunden. Die werden jedoch von einem freundlichen Hirten, der zum Gruß seinen Stock hebt, zurück gepfiffen. Der alte Hirte geht gebeugt und schenkt uns ein strahlendes, allerdings teilweise zahnloses Lächeln. Er wünscht uns im Vorbeigehen einen guten Weg, mit der Bitte, in Santiago auch für ihn zu beten. Wieder eine von diesen Camino-Begegnungen, die nur ein paar Sekunden dauern, uns aber wie eine Motivationsspritze den Schritt beschleunigen lassen.

Endlich erreichen wir am späten Nachmittag erschöpft das Dorf Boadilla del Camino. Inmitten eines sehr schönen Gartens finden wir eine Pilgerherberge, die auf den ersten Blick schon voll zu sein scheint. Doch wir werden sehr herzlich empfangen und es findet sich noch ein Hochbett für uns.

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Während ich die schöne Dorfkirche im Abendlicht fotografiere und darüber staune, dass allein der Turm von vier (!) Storchennestern besiedelt ist, erholt sich Cayetana bei einem Glas Roséwein neben einem blühenden Blumenbeet von den Strapazen des Tages. Mitten durch diese paradiesische Oase tappst ein unfassbar riesiger schwarzer Hund, groß wie eine Kuh. Alle ziehen sich bei seinem Anblick ein paar Schritte zurück – bis man registriert, dass dieser Zerberus zahm ist wie ein Schoßhündchen und eigentlich nur spielen will. Er geht reihum und lässt sich von der ganzen Wein trinkenden Pilgerschar den Nacken kraulen. Fehlt nur noch, dass er anfängt zu schnurren wie ein Kätzchen.

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In dieser Nacht träumt Cayetana, dass sie an ganz viele geschlossene Kirchen entlang des Weges leuchtende Plakate klebt mit der Aufschrift "Warum seid ihr geschlossen? Lasst frische Luft hinein!"

Text und Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links: Etappe von Hontanas nach Boadilla del Camino: 29 Km
www.redalberguessantiago.com
www.turismocastillayleon.com
http://es.wikipedia.org/wiki/Castrojeriz

Unterkünfte:
Unterkunft in Castrojeriz: Private Pilgerherberge "Casa Nostra", Calle Real del Oriente Nr. 54, Tel. 947-377493: Waschmaschine, Trockner, Küche, Internet. Übernachtung 7 Euro

Unterkunft in San Nicolás de Puente Fitero: Pilgerherberge der italienischen Jakobsbruderschaft in der Kapelle von San Nicolás, einfach aber schön, freundliche und sympathische Betreuung. Freiwillige Spende für Übernachtung erwünscht.

Unterkunft in Boadilla del Camino: Private Pilgerherberge "En el Camino", Plaza del Rollo / Ecke Calle Francos, gegenüber der Dorfkirche, Tel. 979-810284 oder 619105168; Waschmaschine + Trockner, Internet, Getränkeautomat, sehr schöner Garten, im Sommer mit Pool und Barbetrieb auf der Terrasse, Restaurant (s.u.), Übernachtung 6 Euro. www.boadilladelcamino.com

Essen und Trinken:
Verpflegung in Castrojeriz: Restaurant "La Taberna", direkt an der Hauptstr., Tel. 947-377001

Verpflegung in Itero de la Vega: Auf keinen Fall!: "La Mochila" – hier wurde uns zum üblichen Preis das schlechteste Essen des ganzen Camino aufgetischt, lieber Durchhalten und weiter gehen bis Boadilla del Camino

Verpflegung in Boadilla del Camino: Restaurant der Pilgerherberge "En el Camino": üppiges Pilgermenü für 10 Euro (3 Gänge, z.B. großartiger Bohneneintopf, Fischfilet oder Kotelett, Pudding, plus 1 Flasche Wein)

Kirchen:
Kirchenruine von San Antón: Mitten durch die beeindruckende gotische Ruine des ehem. Antoniusklosters verläuft heute der Camino. Man beachte die Fensterrose mit Tau-Kreuzsymbolen.

Santa María del Manzano (Castrojeriz): Große frühgotische Kirche am Ortseingang, mit schönem Portal und spektakulärer Fensterrose, leider meist geschlossen (obwohl Öffnungszeiten mit 10 – 14 Uhr und 16 – 19 Uhr angegeben werden).

Iglesia de Santo Domingo (Castrojeriz): Renaissancekirche mit zwei Furcht einflößenden Totenkopfsymbolen neben dem Eingangsportal, leider meist geschlossen.

Iglesia de la Asunción (Maria Himmelfahrt), in Boadilla del Camino an der Plaza del Rollo: Renaissancekirche aus dem 16. Jahrhundert, mit wuchtigem Turm voller Storchennester


[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Brasilien: Churrasco mit Klinsi
Ein Schwabe in Brasilien
 
Ist er das? Eine schlanke Gestalt huscht wild zwischen den Spielern der US-amerikanischen Fußballnationalmannschaft hin und her. Gekleidet ist er wie die Spieler, nur das weiße Käppi weist darauf hin, dass jene jugendlich anmutende Gestalt kein normaler Spieler ist. Und die laut auf Englisch mit schwäbischem Akzent gebrüllten Anweisungen entlarven ihn. Da ist er, der Held meiner Jugend, der ehemalige Blondschopf von den Stuttgarter Kickers, der Tonnentreter von Bayern München, der Trappatoni  damals nahe legte, k....en zu gehen.

Klinsi is in town. Als erste Nationalmannschaft überhaupt sind die US-Boys nach Brasilien gekommen, um ihr Trainingszentrum für die WM 2014 zu testen. Beim FC São Paulo hat man Quartier bezogen, jetzt trainiert man für zwei Wochen in der Megastadt.

Jürgen Klinsmann, der Bäckerssohn und ehemalige Diver von Tottenham ist in aller Munde. Brasiliens Presse berichtet breit und ausführlich über das Team, das "den Menschen in São Paulo sofort ans Herz gewachsen" sei und für das man "bei der WM die Daumen drücken" wolle, wie ein Repräsentant des brasilianischen Klubs später beim gemeinsamen Grillen verkündet.

Doch bevor es zu dem üppigen Fleischverdrücken kommt, müssen wir noch eine Stunde auf Klinsmann warten. Der dreht nämlich nach dem 90-minütigen Training erst noch seine Joggingrunden rund um den Platz, während die Sportpresse schon mal ein frisch gezapftes Bierchen genießt. Coca Cola gibt es nicht, weil "Klinsmann ein erklärter Gegner des dick machenden Gebräus sei", wie der Pressesprecher der US-Boys erklärt. "Wenn er hier jemanden beim Colatrinken erwischt, muss der sich auf eine gehörige Predigt einstellen."

Endlich kommt Klinsi, frisch geduscht, begrüßt die Wartenden mit einer gut gelaunten Ansprache. Von der "Todesgruppe der Amerikaner" spricht er, besonders der erste Gegner Ghana mache ihm Sorgen. "Die haben uns bei den letzten beiden WMs rausgekegelt, da haben wir also noch eine Rechnung offen." Danach, so Klinsi, kämen dann die beiden leichteren Gegner. Deutschland und Portugal. Er lacht nur. Sonnyboy konnte er schon immer, der ewige Optimist. Man wolle halt bald zu den "15 oder 10 besten Teams der Welt" gehören, da sei es gut, stets gegen die ganz Großen zu spielen.

Wenig später steht er am Grill und bestaunt die Fleischberge, die die fleißigen Helfer des FC São Paulo über die Grillkohle gehängt haben. Im "Barbecue" seien die Brasilianer ja bereits Weltmeister, auch wenn die Amerikaner ihnen da dicht auf den Fersen seien, scherzt er. "Keiner geht, bevor das hier nicht komplett verdrückt ist." Er zeigt auf das komplette Schwein, das zum Nachtisch gegrillt wird. Anschließend entschwindet er, um sich auf den folgenden Interview-Marathon vorzubereiten.

Wenig später erscheint er dann in den Katakomben des Pressepavillons, "20 Minuten hab ich." Während Licht und Ton gerichtet werden, erinnert Klinsi sich an seinen alten blauen Käfer, mit dem er einst durch Mailand düste und den er verschrotten musste, nachdem er dreimal mit ihm von London nach Stuttgart gebraust sei. Als Vater habe er was falsch gemacht, berichtet er noch, sei der Sohn doch Torwart und die Tochter Abwehrspielerin geworden. Und das bei derartigen Stürmergenen, die er ihnen mitgegeben habe....

Dann steht er Rede und Antwort, die üblichen Fragen nach der Bäckerei der Familie ("die betreibt mein Bruder"), dem Favoriten auf den WM-Sieg ("ich drücke Deutschland die Daumen, die haben es jetzt mal verdient") und ob er denn mal Trainer in Brasilien werden wolle ("da macht die Familie ja nicht mit"). Dann muss er weiter, das nächste Interview wartet.

Schnell noch ein Erinnerungsfoto ("sowas findet man in den USA total unprofessionell", grummelt sein Pressemann im Hintergrund) und ein Autogramm für die Nichte ("kein ernsthafter Journalist in den USA würde um so etwas bitten", flüstert es von der Seite), dann muss er los.

Leicht und locker hüpft er die Treppen runter. Fast 50 und immer noch voll jugendlichem Elan. Der Mann wird es auch als Trainer noch weit bringen.

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_3] Spanien: Die Nordküste Mallorcas im Winter
Zwischen Einsamkeit, Alt-Hippies und Stereotypen

Ruhig muss es sein. Und warm. Vielleicht auch noch ein bisschen Meer, selbst wenn man schon sehr hartgesotten sein muss, um im Winter irgendwo am Mittelmeer Badefreuden zu frönen. Artá also. Ein kleiner Ort im Nordosten Mallorcas, nur knapp 8000 Einwohner, verwinkelte Gassen mit Einbahnsystem, nicht direkt am Meer, ein paar Hügel drumherum, um ausgiebige Spaziergänge zu unternehmen und dennoch so gut gelegen, um die Nordküste schnell und unkompliziert mit dem Auto zu erreichen. Und natürlich herrschen hier selbst tagsüber Temperaturen um die 15 bis 18 Grad. Soweit, so stimmig.


Ich hatte ein kleines Hotel gebucht, nicht zu viele Zimmer, keine Bettenburg, wobei es die in Artá ohnehin nicht gibt. Es sind augenscheinlich noch drei weitere Gästepaare da. Alles fest in deutscher Hand. Kurz muss ich mich wundern. Klar, da war doch was mit dem 17. Bundesland und der Deutschen liebster Insel. Aber es hätte doch trotzdem zum Beispiel ein Franzose da sein können, oder? „Bei den Deutschen sind wir schon sehr beliebt und 90 Prozent unserer Gäste kommen auch von dort“, erklärt mir Félix, der nickelbebrillte Juniorchef des Hotels. Nun denn… Draußen ist es so ruhig, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nebensaison, ein paar unerschrockene Touristen. Die Fußgängerzone, gleichzeitig Haupteinkaufsflaniermeile, hat auf ihren 300 Metern nicht nur zahlreiche Geschäfte, diese haben auch fast alle geöffnet. Die Spanier trotzen also dem Winter und legen sich nicht wie die Murmeltiere hin und warten auf den nächsten Frühling, denke ich bei mir. Bunte Schilder in der hiesigen Landessprache und Mallorquí wollen mich überzeugen, dass ich im Urlaub bin. Die Ernüchterung folgt dann aber in den Boutiquen und Souvenirläden. Nicht nur, dass hier einerseits Batikkrismkrams angeboten wird, nein, auch alle Marken aus der Berliner Hipster-Szene sind zu finden. Die Verkäuferin mit den Dreadlocks fragt mich dann auch ohne Umschweife, ob wir uns nicht kennen und ich aus Hamburg-Eppendorf stamme. Dreads, Hippie-Hosen, angesagte Markenware und früher im feinen Hamburger Viertel gelebt. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.

Bei einem gemütlichen Kaffeeplausch mit Einheimischen frage ich nach, was es mit der teutonischen Einwanderung hier auf sich hat. Man klärt mich auf, dass Artá einst eine kleine Aussteigerhochburg gewesen sei. Und die Reminiszenzen kann man hier eben noch hautnah bewundern. Die meisten seien aber gut integriert in die Gemeinde und könnten neben Spanisch auch Mallorquí sprechen, versichert man mir.

Das mit der Integration ist aber so eine Sache, wenn man etwa zu den Küstenorten ans Meer fährt. Um diese Jahreszeit sind sie total ausgestorben, die Bewohner bleiben dann unter sich, die Alten versammeln sich auf einen Plausch am Hauptplatz und der Rest geht ins Café.

Alcúdia, Port de Pollença oder Cala Ratjada sind solche Orte, wobei ersterer noch einen großen Hafen besitzt und letzterer definitiv das charmanteste Örtchen dieser Aufzählung ist. Da ist es dann durchaus wahrscheinlich, dass man im Winter im Café einen Querschnitt deutscher Auswanderer antrifft. Karl-Heinz aus Duisburg, Ende 50, braungebrannt und in kurzer Hose debattiert mit seinem Lederhaut-Gegenüber in den Mittsechzigern lautstark über die Vormachtstellung des FC Bayern München gegenüber der Konkurrenz. Kalle ist Schalker, Lederhaut drückt den Dortmundern die Daumen, auf dem leeren Stuhl daneben liegt die Bild. Dahinter sitzt eine Gruppe am Dreiertisch, zwei Frauen noch gut zehn Jahre von der Pensionsgrenze entfernt und ein älterer Herr mit sauber zurückgegelten Haaren, einem weißen Hemd, das ausladend aufgeknöpft ist. Zum Stereotyp fehlt nur noch die goldene Kette, die er statt um den Hals, am rechten Handgelenk trägt. Er schlürft einen Weißwein, die Damen unterhalten sich, wie viel schöner es sich hier auf Mallorca leben lässt und dass man froh ist, hier die Winter verbringen zu können. Der Mann nickt manchmal, schweigt aber beständig.


Alltag in mallorquinischen Cafés um diese Jahreszeit. Und auch gar nicht schlimm. Man muss es einfach nur wissen und vor der Reise vielleicht auch mal kurz nachlesen, wohin man da eigentlich fährt. Dabei ist es durchaus interessant, was aus einer kleinen Insel in der kühleren Nebensaison so wird, wenn die Einheimischen zum Luftholen für die nächste Saison ein wenig leiser treten. Wobei, leiser? Eigentlich sieht man sie ja gar nicht…

Text + Fotos: Andreas Dauerer

[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_4] Brasilien: Willkommen im Dünenparadies (Fotogalerie)
Natal und die WM 2014

Dünen sind in Natal angesagt. Die Stadt im Nordosten Brasiliens galt lange als Verlierer der WM-Vorbereitung, das Stadion, das natürlich "Arena das Dunas" heißt, werde nicht fertig, hieß es, die FIFA stand bereits bereit, um der Stadt an der Atlantikküste die WM wieder wegzunehmen.

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Doch dann die Überraschung: Natal hat die anderen fünf Stadien, die erst nach dem ConFedCup im Juli 2013 fertig gestellt werden sollten, überholt. Seit dem 22. Januar ist alles startklar, das Schmuckkästchen ist vollendet.

In unregelmäßigen Wellen zieht sich das Dach über die 42.000 Menschen fassende Arena, das vielleicht schönste Stadion ganz Brasiliens. Stolz ist man in Natal darauf, auch wenn man "nur eine kleine Fußballtradition" habe, wie aus dem lokalen WM-Komitee zu hören ist.

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Zweitligagekicke wird nach den vier WM-Spielen angesagt sein, vielleicht auch mal ein internationaler Show-Star, der sich hier den Fans stellen wird. Ein Shopping-Center soll auch noch gebaut werden, Pläne hat man viele für die Raumnutzung.

Natal lebt und stirbt mit dem Tourismus. Weniger dem internationalen... dafür lieben die Südbrasilianer die Ganzjahressonne bei leichter Meeresbrise. Das Meer ist hier ganzjährig auf Badewannentemperatur, Surfer tummeln sich im türkisfarbenen Nass. Entlang der Ponta Negra, Natals Badestrand, werden Kids auf aufblasbaren Plastikbananen durch die Wellen gezogen. "Keine Haie", da hat man gegenüber dem 300 Kilometer südlich gelegenen Recife deutliche Vorteile.

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Und die Dünen? Die bekannteste, "Morro do careca" (Glatzkopfberg) genannt, galt früher als Rodlerparadies für die Kids, die den Hang hinunter bis ins Meer glitten. Doch seit einigen Jahren ist der Spaß vorbei, der Hang seitdem gesperrt um die anfällige Vegetation zu schonen. Wen es trotzdem nach einer Sandtour lechzt, der kann mit Strandbuggys außerhalb der Stadt durch die endlosen Dünentäler bretzeln.

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Vom Verlierer zum Sieger – Natal könnte zu den Gewinnern der WM in Brasilien gehören. Nicht schlecht für eine kleine Stadt, die man bisher eher belächelte. Nun wird spekuliert, dass Natal sogar ein paar zusätzliche WM-Spiele zugesprochen bekommt. Da das südbrasilianische Curitiba auf der Kippe steht, man dort trotz germanischer Planungstradition das Stadion nicht fertig zu bekommen scheint, könnte die FIFA Natal als Ersatzspielort benennen. Und vom Loser zum heimlichen Sieger ist es oft nicht weit, wie man in Natal mittlerweile weiß.

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]




[kol_1] Grenzfall: Kita-Krieg, ne Warze und El Ajo Macho
 
Der Granada lag ruhig auf der Straße. Der Kita-Leiter ließ eine Gauloises vom linken in den rechten Mundwinkel wandern, inhalierte und blies den Rauch durch die Nase in die Freiheit. Er rührte in der Kassettenbox, ohne die Augen von der Straße zu nehmen. 47 Sekunden später brachte er ein älteres Band zwischen Zeige- und Mittelfinger zum Vorschein und kündigte den Titel für sich selbst an:

"Geliebte Kinder, beknackte Eltern. Unser Gewinner heißt: Huibuuh, daaaaaas Schlossgespenst."

Das Tape setzte irgendwo in der Mitte ein und Huibuuh traf auf eine abgrundtief widerwärtige Gräfin. Ausführlich und angewidert beschrieb das Schlossgespenst deren Zinken, deren Warze auf dem Zinken und deren dickes schwarzes Haar auf der Warze auf dem Zinken.


Auf dem letzten Elternabend in der Kita der glücklichen Kinder war Krieg ausgebrochen. Die Elternvertreter hatten die Lage misinterpretiert. Eine halbe Stunde lang schlugen sie ohne Vorwarnung der anderen Eltern den Erziehern ihren Masterplan zur Dokumentation des Kita-Alltags um die Ohren:

Ein Zettel über dem Wickeltisch zur exakten Erfassung eines jeden Windelwechselns und der Stuhlfarbe, ein Zettel an der Tür zur Dokumentation des Draußenseins… – Analog zur öffentlichen Putzdoku auf der Toilette bei Mc Donalds.

Was war passiert? So recht weiß das niemand. Vielleicht lag es an der Warze, die eines Tages unter dem Fuß eines Kita-Kindes gewachsen war. Die Notaufnahme hatte ein Mittel mitgegeben – ohne Erfolg. Die Besuche bei diversen Ärzten führten zu weiteren Mitteln – ohne Erfolg. Statt dessen hatte die Warze Ableger bekommen. Einer im Gesicht. Auf der Nase. Nein, kein Haar. Aber sie war wohl den Elternvertretern ins Auge gestochen und wie die Laus über die Leber gelaufen.

Nach besagtem Eltern-Horror-Abend fror die Stimmung ein in der Kita, in der nur glückliche Kinder sind. In dieses Tief hinein war eine Praktikantin geworfen. Erst kürzlich war sie in Peru aufgebrochen, um deutsch zu lernen. Eine Woche später war die Warze verschwunden.

Auf die Frage, wie sie das geschafft hatte, antwortete die Praktikantin:
"Ajo Macho. Frischer Knoblauch. Schälen, in zick zack von einer Seite aufschneiden und dann an die Warzen rubbeln. 2-3 mal al dia."

Dem Kita-Leiter war's egal. Ihm war aufgrund des Elternabends immer noch zum Kotzen zumute und so befand er nach nur 72 Sekunden Huibuuh, dass es reichte. Er fischte das Tape aus dem Recorder und warf es aus dem Fenster. Dann beschleunigte er den Granada.

Bleibt zu hoffen, dass sich mit Tape und Warzen auch die schlechte Stimmung verflüchtigen wird.

Text + Foto: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_2] Macht Laune: Mit dem Zug von Huancavelica nach Huancayo

Ich leihe meinem Sitznachbarn unsere Zeitung. Er nimmt das zum Anlass, um mit uns ins Gespräch zu kommen und reicht die Zeitung an jemand anderen weiter. Nachdem wir uns verabschiedet haben und er ausgestiegen ist, setzt sich ein anderer Mann zu uns mit den Worten: "So, jetzt bin ich dran" und der Dialog beginnt von vorne.

Als wir Stunden zuvor den Bahnhof von Huancavelica betreten, ist dieser menschenleer, obwohl es bis zur Abfahrt gerade mal zehn Minuten sind. Doch mit erstaunlicher Geschwindigkeit folgt die Belegung des Zuges, sodass wir letztendlich pünktlich und beinahe ausgebucht die Reise beginnen.


Da es pro Richtung nur einen Zug am Tag gibt, wird er für den Transport von Mensch und Ware genutzt. Bei den ersten paar Wagen direkt hinter der Diesellok handelt es sich um Güterwaggons; es folgen die Wagen der zweiten Klasse, in der sich ausschließlich Holzbänke tummeln; dann die der ersten, deren Sitze gepolstert sind und schließlich, nicht zugänglich vom Rest des Zuges aus, die Executive-Klasse, in der Essen serviert wird und die von fliegenden Händlern nicht betreten werden darf.

Das Spektakel in den einzelnen Waggons ist erheblich. An jeder Station, an der wir halten, wird der Zug von ambulanten Verkäuferinnen geradezu gestürmt. Angeboten werden Esswaren aller Art: mal süß, mal salzig, mal fettig, mal trocken. Wir kaufen an jeder Haltestelle eine Kleinigkeit, verschmähen jedoch die vom Kellner angebotene Mahlzeit, denn auch unsere Kapazität hat Grenzen.

Die Landschaft, durch die wir fahren, ist atemberaubend. Die Bahnstrecke führt durch ein schmales Tal, das von Huancavelica aus bis nach Huancayo zu reichen scheint. Dabei überwindet die Bahn immerhin mehr als 800 Höhenmeter. Wir starten auf knapp 3700 Metern, fallen bei M. Caceres bis auf 2819 Meter ab und kriechen dann wieder bis auf 3200 Meter. Bei Steigungen verlangsamt sich die ohnehin schon nicht sehr hohe Geschwindigkeit erheblich und schwärzester Rauch steigt in dicken, öligen Wolken aus dem Schornstein der Lokomotive.

Eine Zeit lang fesselt ein Vertreter unsere Aufmerksamkeit. Wie in fast allen Fernbussen, mit denen wir bisher gefahren sind, steigt neben den Fahrgästen auch hier in der Bahn einer dieser fliegenden Händler zu, der Naturmedizin anbietet. Dieser preist dann in einem viertelstündigen Monolog – "ich werde Sie nur einen winzigen Moment lang stören" – sein Produkt an.

Oft schildert er ein dramatisches Szenario: langatmige Begrüßung der Reisenden, Einleitung über ein ganz anderes, aber interessantes Thema, sehr kurze Überleitung, Exposition der Katastrophe (Nervenzerrütung, Impotenz, Schlafstörungen, Ausfall in der Schule) und Auflösung. Dann wird meist das Produkt herumgereicht – manchmal darf auch probiert werden –, der Preis genannt und schließlich der Verkauf durchgeführt. Dazu geht der Vertreter noch einmal durch den Bus, sammelt die Proben ein und versucht in Einzelgesprächen zum Kauf zu animieren.

In Erstaunen versetzt zumeist der zweite Teil, genauer die so ganz und gar nicht zum Produkt passende Einleitung. Hier sind der Kreativität keinerlei Grenzen gesetzt. So hielt uns einmal ein Zauberer eine ganze Busfahrt lang mit seinen ausgezeichnet vorgetragenen und wirklich guten Tricks in Atem. Eine außergewöhnliche Vorstellung. Der Verkäufer im Zug wechselt in seiner Erzählung vom Thema Sex, das er erstaunlich saftig behandelt, zu praktischen Vorführungen in einer nicht näher zu identifizierenden Kampfkunst.

Damit garantiert er sich die vollste Aufmerksamkeit zumindest der jungen Leute. In erster Linie sind es natürlich die Männer, die an seinen Lippen hängen. Ich warte die ganze Zeit gespannt auf die Überleitung zu seinem Produkt, denn immer noch hege ich die Hoffnung, dass Thema und Produkt irgendwie miteinander in Verbindung stehen. Am Ende verpasse ich irgendwie seine Überleitung und erkenne das Kaufobjekt erst viel später, als sich die freundliche, ältere Dame, die sich zu uns gesetzt hat, um den jungen Lauschern zu entkommen, mit meiner Begleiterin berät. Der Gegenstand ihrer Ratlosigkeit ist eine absolut scheußliche Spieluhr in billigstem roten Samt ausgeschlagen, die dazu noch als Schmuckkästchen dient. Meine Freundin rät sehr vorsichtig aber bestimmt die verschiedenen Schwachstellen zeigend ab und unsere Reisebekanntschaft kauft nicht.

Der Zug nähert sich Huancayo und noch bevor das allgemeine Sammeln und Präparieren für den Ausstieg einsetzt, kehrt unsere Zeitung, die den gesamten Waggon durchlaufen hat, wieder säuberlich zusammengelegt zu uns zurück.

Text + Fotos: Nil Thraby

[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_3] Traubiges: Ein weißer Kracher
Viñas del Vero Chardonnay ‚Colección’ D.O. Somontano 2012
 
Nach zwei Roten ist es an der Zeit an dieser Stelle einen Weißwein zu besprechen. Einen Spanier, der von der Rebsorte her zwar auf den ersten Blick nichts Besonderes zu sein scheint, nicht autochthon, nicht über die Maßen filigran – eher ein Gewächs, das sich fast überall behaupten kann. Aber das macht ihn ja nicht automatisch zu "everybody’s darling" ohne eigenen Charakter.

Im Gegenteil: Der Chardonnay ‚Colección’ 2012 vom Weingut Viñas del Vero ist ein fabelhaftes Beispiel für einen durch und durch gelungenen Charakterkopf.

Ohnehin hat sich die Bodega, die im aragonesischen Somontano, am Fuße der Pyrenäen, liegt, mit ihren Chardonnays schon früh einen Namen in der Weinwelt gemacht. Aus gutem Grund. Andere spanische Weine aus dieser Rebsorte müssen sich mächtig ins Zeug legen, um ihnen Konkurrenz machen zu können. Vor allem weil der 2012-er noch einen Tick besser ist als die Jahrgänge zuvor.

In einem strahlenden Strohgelb kommt dieser Chardonnay daher. Nicht irgendein Strohgelb, das man wahlweise auch als eher fahles Strohgelb oder als ein ins Ocker tendierendes Strohgelb bezeichnen könnte – sondern ein echtes wahres einzigartiges Strohgelb mit zarten grünen Reflexen. Und so intensiv wie seine Farbe im Glas leuchtet, so üppig strömt sein Duft zur Nase. Honigmelone, Zitrusfrüchte gepaart mit würzigen und feinen laktischen Noten. Dazu Fenchel, grüne Minze, Jasmin und etwas Heu.

Am Gaumen entwickelt diese Aromenbombe ein ebenso wunderbares und lebendiges Zusammenspiel von fruchtigen und würzigen Komponenten wie in der Nase. Aber hier dominieren vor allem exotische Früchte, besonders Pampelmuse. Eine ganze leichte Holz-Vanille-Note macht sich bemerkbar. Fast schon berauschend ist sein Nachhall. Im langen Finale trifft eine herrlich herbe Note auf einen leicht balsamischen Geschmack.

Dieser Chardonnay zeigt, wie heimisch diese ursprünglich burgundische Rebsorte südlich der Pyrenäen geworden ist. Grandioses Gewächs für kleines Geld.

Text + Foto: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de wird er ab jetzt jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika berichten.

[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: traubiges]





[kol_4] Lauschrausch: Von menschenfressenden Brüllaffen und kopflosen Maultieren
Brasilien - Sagen & Legenden
 
Nicht nur Griechen, Römern und Germanen erschienen viele Naturphänomene so wundersam, dass sie einen Pantheon voller Götter erfinden mussten, um damit leben zu können; auch den Urwaldbewohnern Brasiliens ging es so. Aus der spirituellen Koexistenz mit ihren Naturgöttern und -geistern entstanden Sagen und Legenden, die erfüllt sind von übernatürlichen Kräften und wunderbaren Geschehnissen.

Brasilien
Sagen & Legenden (2 CD)
John Verlag 2013

So hören wir u.a. von menschenfressenden Brüllaffen, Botos (rosa Amazonasdelfinen), die sich nachts in einen hübschen Mann verwandeln, um hübsche Mädchen zu entführen, von einer Riesenschlange, die die Nacht auf die Erde brachte und davon, warum sich eine Frau in ein kopfloses Maultier verwandelt.

Die Mythen der indigenen Völker hören zu können, verdanken wir auch dem Universalgenie Paul Ehrenreich, der sie im 19 Jahrhundert auf seinen Amazonasexpeditionen sammelte. Es ist eine vortreffliche Idee, sie dem deutschen Publikum zugänglich zu machen, denn sie sind sonst kaum in Übersetzung erhältlich. Allerdings werden auf den beiden CDs alle Texte von einer Sprecherin gesprochen. Sie liest zwar einwandfrei, aber für von Emotionen überbordende Geschichten zu sachlich, zu wenig akzentuiert - außerdem wird es ohne Sprecherwechsel bei Zeiten anstrengend zuzuhören. Das sollte der Verlag für zukünftige Projekte bedenken. Im Booklet inkl. Minikarte von Brasilien werden zudem die wichtigsten Orte des Landes und der Geschichten beschrieben. Empfehlenswert!

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 02/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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