caiman.de 02/2013

[kol_2] Grenzfall: Eine "Umarmung" zum Abschied!
"Abracaço" von Caetano Veloso

Noch einmal die gleiche Formel? Ein drittes Album mit jener jungen Band, eine Partnerschaft, die schon auf dem zweiten Album künstlerisch ausgelaugt erschien? Kann das sein? Ja, es kann! "Abracaço" (Umarmung), die neue Platte. die Caetano Veloso Ende 2012 veröffentlichte, schließt die Trilogie ab, die Caetano mit der Band "Cê" machen wollte. "Mission accomplished", Patient tot!



Als die erste, "Cê", 2006 erschien, funktionierte die Formel: Caetano erfand sich neu mit jenem Garage-Sound, dreckig, hingerotzt, unfertig – und neu! Nach unzähligen lauwarmen Liedchen für Novelas von TV Globo endlich etwas Unerwartetes. Der Musiker, verletzt durch das Ende seiner zweiten Ehe, verarbeitete in seine Texten seine Gefühle. Eine verletzte Zärtlichkeit, die zwischen Furie und Melancholie hin und her schwang. Caetano selbst nannte dies "Transrock", wobei wohl nur er selber genau weiß, was das sein soll.

Danach kam "Zii e Zie", die Zwillingsplatte, nur dass statt Rock jetzt Samba gespielt wurde. Caetano nannte es "Transamba", Samba gespielt von einer Rockband. Das Resultat: langweilige Lieder, für mich wenigstens. Deshalb erwartete ich vom neuen Album einen Befreiungsschlag, neue Ideen, eine neue Herangehensweise, neue Inspirationen. – War aber nix!



Die neue Platte geht los mit "A Bossa Nova é foda", ein Lied das zwanghaft versucht, modern zu klingen – Caetano vermischt die alten Helden des Bossa Nova mit den neuen Helden des martialen Kampfsports à la MMA. Auch dies übrigens eine Erfindung von TV Globe, die nichts unterlassen, um das Niveau des brasilianischen TVs immer weiter nach unten zu schrauben. Und Caetano springt auch noch auf diesen fehlgeleiteten Zug auf, wohl um ein junges Publikum zu gewinnen.

Es folgt mit "Abracaço" wenigstens eine schöne Melodie, aber es klingt müde und verloren. Wie übrigens das ganze Album, das eine "kreative Müdigkeit" ausstrahlt, wie die Kritiker das gerne nennen. "Estou triste" und "Quero ser justo" schleppen sich dahin wie eine 500 Jahre alte Schildkröte. "O império da lei" klang nur mit Gitarre besser, damals beim Konzert auf der Rio+20 Konferenz Mitte 2012. Jetzt bricht die Band dem Stück immer genau dann die Beine, wenn es endlich zu Laufen beginnt. Schade!

Und diese erste Hälfte der Platte ist noch die bessere! Was sich nach einer guten Nachricht anhört, ist natürlich keine. Von hier an ist es praktisch unmöglich, irgendetwas hervorzuheben. "Um comunista" zum Beispiel ist viel zu lang/sam/weilig und der Versuch eines Rap scheitert kläglich (Funk melódico). Der Rest ist so langweilig wie die Platte "Recanto Gal", das Album von Gal Costa das Caetano 2012 schrieb und produzierte.



Was folgen wird, weiß ich schon – viele Leute verteidigen Caetano: er mag es halt, eine schöne Polemik loszutreten. Dieses Argument hört man immer dann, wenn man etwas verteidigen will, was nicht zu verteidigen ist. Ich denke einfach, Caetano möchte uns mit seinem "Abracaço" ein (trauriges) "Auf Wiedersehen" senden.

"Where have you gone, Joe DiMaggio? A nation turns its lonely eyes to you Ooo ooo ooo..."

Text + Fotos: Thomas Milz

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