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[art_4] Peru: Cusco - die assimilierte Stadt
 
Ich hatte mir Cusco irgendwie bunter vorgestellt. Entsprechend überrascht war ich, als unser Bus einen auf 3.500 Metern gelegenen Pass überquerte und die Stadt plötzlich hinter einem Felsen auftauchte. Denn die in einem Talkessel gelegene Touristenhochburg ist im Juli vor allem eins: braun. Rot-braune Lehmhäuser, braune Hügel und ziemlich viel Verkehr mit braunen Abgasen.

Dabei lässt das Portrait der Stadt zunächst an Natürlichkeit denken: Cusco war einst die Hauptstadt des Inkareiches, das sich um 1500 n.Chr. vom heutigen Chile bis nach Kolumbien erstreckte.

Ausblick von der Terrasse unseres Hostals

Die Inka waren ziemlich überraschend innerhalb von hundert Jahren vom provinziellen Andenstamm zum größten Imperium des amerikanischen Kontinents herangewachsen. Cusco bildete dabei in jeder Hinsicht das Zentrum - sowohl als Ausgangspunkt des tausende Kilometer langen Straßennetzes der Inka, als auch als Verwaltungs- und Kulturzentrum. Die Inka hatten zwar keine Schrift (weswegen gesicherte Erkenntnisse über ihre Kultur nur bedingt existieren), konnten aber die Sterne lesen und haben dieses Wissen in ihren Bauwerken verewigt. Die oft angeführten Menschenopfer gab es zwar, wohl aber sehr vereinzelt und wenn, dann vor allem, um die jähzornigen Naturgötter zu besänftigen. Insgesamt hatten es sich die Inka Anfang des 16. Jahrhunderts geradezu gemütlich in ihrem Großreich gemacht.

Dann kamen die Spanier. Um 1520 griff eine von den ersten Europäern eingeschleppte Pocken-Epidemie von Mittelamerika ins Inkareich über. Die Südamerikaner waren dem Krankheitserreger schutzlos ausgeliefert und gingen in Scharen zugrunde. So auch der Inka-König Huayna Capac, der bis dahin das Zepter fest in der Hand gehalten hatte. Nach seinem Tod war es mit der Einigkeit im Inkareich vorbei: Huayna Capac hinterließ einen legitimen Sohn in Cusco (Huascar), bevorzugte wohl aber seinen von einer Konkubine in Quito geborenen Sohn Atahualpa. Die Folge war ein erbitterter Bürgerkrieg, der das Inkareich spaltete.

Die 180 Spanier, die 1532 im heutigen Peru landeten, fanden ein zermürbtes Land vor. Inspiriert von der hinterhältigen Gefangennahme des Aztekenherrschers Montezuma durch Hernan Cortes wenige Jahre zuvor, gelang es den Spaniern, den aus dem Bürgerkrieg siegreich hervorgegangenen Atahualpa in einen Hinterhalt zu locken und als Geisel zu nehmen. Anschließend marschierten die Konquistadoren nach Cusco und setzten den Marionetten-Herrscher Manco Capac ein. Atahualpa wurde bereits vorher von den spanischen Eroberern hingerichtet - allerdings erst nachdem sie einen kompletten Raum voller Gold und zwei Kammern voller Silber als Lösegeld für das Inka-Oberhaupt erhalten hatten.


Plaza de Armas in der Abenddämmerung

Zwar war damit der Widerstand der Inka nicht gebrochen, dieser Streich aber war ohne Frage der Anfang vom Ende. Insgesamt machten die Konquistadoren dank ihrer Feuerwaffen, ihrer Schlachtrösser (Pferde waren in Südamerika zu diesem Zeitpunkt komplett unbekannt) und ihrer Kampfhunde mit den zahlenmäßig weit überlegenen Heeren der Eingeborenen kurzen Prozess.

Die spanische Krone zementierte in den folgenden Jahrzehnten ihre Macht in Peru, indem sie die Festungen der Inka niederreißen und Kirchen auf die Fundamente der Inkatempel bauen ließ. An der Pazifikküste gründeten die Spanier die neue Landeshauptstadt Lima. Schließlich wurde auch die Inkasprache Quechua verboten und der Katholizismus zur einzig gültigen Religion erklärt.

In den folgenden vier Jahrhunderten wurde Cusco zur abgelegenen Andenstadt mit hübschen Mauerresten aus der Inkazeit und imposanten katholischen Kathedralen. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten westliche Archäologen dann immer mehr der teils vergessenen Festungen im abgelegenen heiligen Tal der Inka. Darunter auch das 75 Kilometer entfernte Machu Picchu. 1983 schließlich wurde die größtenteils erhaltene Stadt zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Dann kamen die Touristen. Cusco befand sich plötzlich erneut im Blickpunkt Südamerikas. Der Strom Schaulustiger nahm in den 90er Jahren beständig zu. Heute besuchen jedes Jahr hunderttausende Touristen Cusco und Machu Picchu.

Die Kathedrale San Cristobal erbaut die auf den Fundamenten des Sonnentempels

Die Ausländer veränderten das Stadtbild von Cusco vermutlich in ähnlichem Maße, wie es einst die Spanier taten. So wird es heute von Hostal- und Restaurant-Fassaden bestimmt, zwischen denen hellhäutige Touristen mit Llama-Strickmützen und Sonnenbrillen hin und her schlendern.

Die Folge davon ist eine komplette Verdrängung der peruanischen Kultur in der Region. So gut wie jeder Peruaner in Cusco lebt auf irgendeine Art und Weise vom Tourismus. Der Verkauf von Inka-Souvenirs beispielsweise hat eine eigene Industrie hervorgebracht, deren Ziel es ist, Touristen möglichst viele Pullover, Jacken, Taschen, Armbänder und Mützen aus Alpaka-Wolle zu verkaufen. An jeder zweiten Straßenecke lauern traditionell gekleidete 10-Jährige mit einem Llama-Jungen auf dem Arm, die für einen Dollar photographiert werden möchten.

Ohnehin wird der Gang über den im Zentrum gelegenen Plaza de Armas zum Spießroutenlauf: alle paar Schritte werden einem lautstark Massagen, Bergtouren oder besagte Photos angeboten.

Cusco bei Nacht, Waldbrand am Horizont

Nach ein paar Tagen wird das - zusammen mit den Preisen auf westeuropäischem Niveau - zum dominierenden Nervfaktor und man muss sich zusammenreißen, nicht unfreundlich gegenüber Menschen zu sein, die das in ihrer Situation Naheliegende machen. Die eleganteste Lösung stellt wohl jene dar, die ein Bekannter anwandte. Er malte sich ein großes Schild mit den Worten "No, gracias!" und hielt es beim Gang durch Cusco vor seine Brust.

Das Erstaunliche an Cusco ist aber, dass es trotz dieses offensichtlichen Mangels an Authentizität irgendwie zu gefallen weiß. Vielleicht wegen des tagsüber stets sommerlichen Wetters und des oftmals strahlend blauen Himmels. Vielleicht aber auch, weil man hier den Übergang einer Kultur in eine andere (so verurteilenswert er auch sein mag) aufs Anschaulichste nachvollziehen kann.

Die Stadt ist gewissermaßen ein Inkaheiligtum, das von den Tentakeln des Katholizismus durchdrungen wurde.

Dieser ungleiche Hybrid wurde schließlich in dem Bestreben, Scharen von Touristen zu bespaßen, in höchstem Masse verwestlicht und kommerzialisiert.

Ein Stück Inkamauer, inklusive weltberühmtem 12-eckigem Stein

So zeugen heute vor allem noch die überall sichtbaren Mauerreste aus Inkazeiten, auf denen koloniale Gebäude oder Kirchen errichtet wurden, von dem Cusco vergangener Jahrhunderte.

Den Kontrast der Welten kann man aber auch bei einem Spaziergang auf einen der Hügel am Rande der Stadt erleben. Hier befinden sich die Ruinen der Festung Saqsaywamán (touristisch: "sexy woman"), die einst als Bollwerk gegen Eindringlinge errichtet wurde und von der noch irreal glatte Mauerreste zeugen, die die letzten fünfhundert Jahre dank der meisterhaften Steinmetzkunst der Inka unbeschadet überstanden haben.


Saqsaywamán-Ruinen (rechts) und Jesus-Statue (links) über Cusco

Wenige Meter von der Festung entfernt, breitet eine zehn Meter hohe, aus weißem Stein gefertigte und nachts hell beleuchtete Jesus-Statue ihre Arme über der Stadt aus. Sie wirkt wie ein Fremdkörper und man wünscht sich, sie könnte davon fliegen.

Text + Fotos: Robert Gast

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