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[art_3] Bolivien: Auf den Spuren Che Guevaras und Bruce Chatwins
 
Im Rahmen eines Auslandssemesters innerhalb des Biologiestudiums arbeitete Lennart Pyritz für vier Monate auf der biologischen Station "Los Volcanes" in den bolivianischen Ostanden an einem ornithologischen Projekt. Währenddessen unternahm er mit bolivianischen Freunden auch einige kurze Fahrten durch die Anden.

Teil IVa: Häusermeere
Ein kurzer Rückblick zwischen den Jahren: Letzte Woche habe ich in der biologischen Station in Los Volcanes noch mit einem eigenen kleinen Projekt begonnen. Ich bin den Fluss einige Stunden stromaufwärts gelaufen und habe an Stellen mit Sandbänken Salzlecksteine aufgehängt und die Spuren der so angelockten Tiere fotografiert. Neben Pekaris und Agutis war auch eine große Raubkatze dabei, ein Puma oder Jaguar, das versuche ich noch anhand von Abbildungen in der Literatur zu bestimmen.

An Heiligabend bin ich mit dem befreundeten Biologen Rodrigo zum zweiten Mal per Bus nach Cochabamba gefahren, was diesmal zwanzig Stunden gedauert hat: Der Bus musste die alte unbefestigte Strecke durch die Berge nehmen, weil auf der neuen Route eine Brücke zusammen gebrochen war. In Cochabamba habe ich mit Carolis Familie und Darren, dem britischen Entomologen mit Faible für Insektentattoos, Weihnachten gefeiert. Es war sehr entspannt mit unglaublich viel Essen und Sonnenschein. Abends bin ich mit Carolis jüngeren Brüdern losgezogen in die Stadt, die mit einer Vielzahl unterschiedlicher Bars und Discos aufwartet.

Nachdem Caroli und Darren die Rückreise nach Santa Cruz angetreten haben, habe ich mich
mit Rodrigo per Bus zum Regierungssitz Boliviens, der Stadt La Paz, aufgemacht. Der Altiplano war zwar Wolken verhangen, die Stadt dennoch eindrucksvoll: Ein riesiger Talkessel voller Häuser, die sich an sämtlichen Hängen heraufziehen. Oben auf der Ebene ist dann bei 4000 Meter Höhe ein zweites Häusermeer: El Alto. Und hinter allem prangt in der Ferne schneebedeckt der zweithöchste Berg Boliviens, der 6.439 Meter hohe Illimani.

Rodrigo und ich wohnen bei einem seiner Freunde - Hugo - in einem kleinen Haus hoch oben am Berg mit Blick in den Talkessel. Die Nächte in dem unbeheizten Steinhaus sind klirrend kalt, doch zum Glück haben wir warme Schlafsäcke im Gepäck.

Noch einmal kehre ich in der nächsten Woche zurück zum Arbeiten in den Wald. Danach will ich gemeinsam mit einem Freund - Philipp, der zurzeit eine Famulatur im argentinischen Mendoza absolviert - den Süden des Kontinents erobern.

Teil IVb: Ein Tango und drei U's
Philipp und ich sind seit gestern in Montevideo, Uruguay, aber ich will am Beginn unserer Reise in den Süden beginnen: Zunächst sind wir nachts in einem rumpelnden Zug von Santa Cruz durch die Sümpfe des bolivianischen Ostens bis in die brasilianische Grenzstadt Corumbá gefahren. Dort haben wir einen Überlandbus nach Campo Grande, Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso do Sul, bestiegen, wo wir uns zwei Tage aufgehalten und unsere durch die Zugfahrt strapazierten Knochen wieder in die richtige Position gebracht haben. Schließlich sind wir, abermals per Bus, südwärts nach Foz do Iguaçu gereist und haben dort zu Fuß die Grenze nach Argentinien überquert. Im argentinischen Nachbarort Puerto de Iguazú sind wir einige Tage geblieben und haben die berühmten Wasserfälle - die breitesten der Welt - bestaunt und den Nationalpark auf argentinischer Seite erwandert.

Nach zwei Tagen im Nationalpark ging es per Nachtbus aus Puerto de Iguazú nach Buenos Aires weiter - kein Vergleich zu Nachtfahrten im armen Bolivien: Der Bus schnurrt über glatt asphaltierte Straßen, so dass man in den breiten Sitzen fast so gut schläft wie in einer Pension. Am Morgen gab es sogar ein Frühstück, was eher an eine Flug- als an eine Busreise erinnerte.

In Buenos Aires angekommen, haben wir uns um nichts gekümmert, sondern uns als leichte Beute von einer Jugendherbergsangestellten gleich am riesigen Terminal abfangen und in ein Taxi zur Herberge im Zentrum setzen lassen. Buenos Aires ist riesig: Im Zentrum kann man gut und gerne 15 Blocks abfahren und alles sieht nach Großstadtzentrum aus. In der Stadtmitte wurde für die Hauptstraße "9 de Julio" ein ganzer Block abgerissen, so dass den Autos dort 16 Spuren für sich und ihren Vorfahrtskampf zur Verfügung stehen. Es kann schon mal zehn Minuten dauern, diese Asphaltbarriere zu überqueren.

Wir haben die Stadt zu Fuß erkundet: Microcentro, das alte Tangoviertel San Telmo mit Märkten und viel herrlicher Straßenmusik, das Hafenviertel La Boca mit knallbunten Künstlerhäusern, aber auch sehr armen Straßen (Diego Maradona, Fußballgott bzw. die Hand Gottes, kommt hierher), der Zoo mit kopulierenden Riesenschildkröten und wegen der
Hitze badenden Eisbären und schließlich auch die Plaza mit Kathedrale und dem rosafarbenen Regierungsgebäude, das man aus Nachrichtenbildern kennt. Am Donnerstag unserer Ankunft fand auf der Plaza eine Demonstration der "Madres de la Plaza de Mayo" - Mütter von während der Militärdiktatur in den 70ern und 80ern verschwundenen Menschen
(Desaparecidos) - statt. Eine Demonstrantin sagte uns, sie seien jeden Donnerstag dort, mit Kopftüchern zum Zeichen der Trauer und beschrifteten Bannern gegen das Vergessen der Militärverbrechen.

Nach drei ereignisreichen Tagen des Umherstreunens in der Stadt haben wir schließlich müde und mit abgelaufenen Sohlen die Fähre nach Uruguay bestiegen. Die Überfahrt über den Río de la Plata war gemütlich. In Colonia, einer alten portugiesischen Siedlung auf urugayischer Seite angekommen, ging es gleich weiter per Bus in die Hauptstadt Montevideo. Die Stadt hat etwas Liebenswürdiges an sich: die Lage am Meer, viele alte, verfallende Kolonialhäuser mit schmiedeeisernen Balkonen und noch ältere, vor sich hinrostende Oldtimer in den ruhigen Straßen.

Gestern sind wir abends auf die Hafenmole geschlendert und haben den Fischern bei ihrem Handwerk zugesehen, danach bei Dunkelheit zurück in die Stadt, wo es an vielen Ecken nach Marihuana riecht. Heute haben wir uns Fahrräder ausgeliehen, sind durch die Stadt und bis zum Cerro auf der anderen Hafenseite geradelt, von wo aus man von einer alten Befestigungsanlage einen wunderbaren Blick über die Stadt und das Meer hat. Morgen wollen wir zurück nach Colonia und dort die Altstadt anschauen. Einen Tag darauf dann wieder per Schiff zurück nach Buenos Aires und weiter die Küste entlang nach Süden.

Bis dahin, Alles Gute, L.

Text: Lennart Pyritz

Teil I: Auf in die Anden
Teil II: Mit Jesus auf dem Berg und Larven im Fuß
Teil III: Der Fliegenmensch

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