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[art_3] Bolivien: Auf den Spuren Che Guevaras und Bruce Chatwins
 
Im Rahmen eines Auslandssemesters innerhalb des Biologiestudiums arbeitete Lennart Pyritz für vier Monate auf der biologischen Station "Los Volcanes" in den bolivianischen Ostanden an einem ornithologischen Projekt. Währenddessen unternahm er mit bolivianischen Freunden auch einige kurze Fahrten durch die Anden.

Teil III: Der Fliegenmensch
Ich bin seit gestern Nacht wieder "zu Hause" in Santa Cruz. Ich bin auch wieder solo, d.h. mein Körper hat die Fliegenlarve wohl vollständig assimiliert: die Dasselbeule ist abgeschwollen und die Wunde geschlossen. Wenn mir also demnächst Flügel wachsen sollten...

Doch ich fange besser mal von vorne an: Am Mittwoch vor zwei Wochen sind Daniela (aus Potosí) und Monica (aus Cochabamba) in der WG in Santa Cruz angekommen. Sie sind ebenfalls Biologiestudentinnen und helfen Caroli beim Stellen und Leeren der Insektenfallen in Los Volcanes. Am Donnerstag ist noch Darren hinzu gekommen, ein alter Bekannter von Sebastian und Caroli: Entomologe an der Universität in Oxford; ein absoluter Insektenfreak, der sich eine Schabe und ihren wissenschaftlichen Namen Periplaneta americana dahin hat tätowieren lassen, wo andere Leute Schiffe, Herzen, einen Anker oder den Namen ihrer Freundin tragen.

Am Freitag dann sind wir nach einem opulenten Lebensmitteleinkauf mit zwei Jeeps nach Los Volcanes aufgebrochen. Der eine Jeep musste oberhalb der Straße zur Station zurück gelassen werden, da er keinen Vierradantrieb hat. Also sind Darren, Daniela, Monica und ich die drei Kilometer bis zur Station zu Fuß gelaufen. Der Weg wurde schließlich zu einer mehrstündigen Nachtwanderung, weil Darren alle zwei Meter einen Stein umgedreht und zu dem darunter befindlichen Insekt eine interessante Geschichte feilgeboten hat. Inspirierend war auch, wie Darren mit unglaublicher Begeisterung und den bloßen Händen frischen Eseldung zerwühlte, um darin verborgene Mistkäfer zu finden. Zur Beute dieser Nacht zählten schließlich: eine Schlange, eine beinlose Echse (Apoda), mehrere Skorpione, eine Tarantel, Mistkäfer und eine grüne Gottesanbeterin.

Beim Thema Insekten fällt mir ein: Ich habe seit dem letzten Feldaufenthalt "boro", d.h. eine Fliegenlarve, die in meinem Fuß frisst und lebt. Der Übertragungsweg ist einigermaßen kompliziert. Eine Dasselfliege fängt sich eine Mücke und befestigt ein Ei an ihr.

Die zwei Wochen Arbeit in Los Volcanes waren diesmal hart und anstrengender als im Oktober und November, was mehrere Gründe hatte: Einmal hat Sebastian Kronennetze für den Vogelfang besorgt, die wir geknüpft und aufgehängt haben. Dafür muss zuerst ein Seil mit einer Zwille über einen Ast in luftiger Höhe geschossen werden, an dem dann eine kleine
Winde samt Netz nachgezogen werden kann. Dann haben Victor und ich mit Machete und Pico de Loro (eine Teleskop-Kneifzange für hohe Äste) kleine Lichtungen im Wald geschaffen, an denen das Netz herab gelassen werden konnte, ohne sich in den Zweigen zu verfangen – eine kraftraubende Aufgabe.

Hinzu kommt, dass die Regenzeit mit ihrer ganzen Wucht eingesetzt hat, so dass wir mehrfach völlig durchnässt wurden. In der Station trocknet auch nichts richtig; mein Rucksack hat angefangen zu schimmeln und meine Kamera versagt seit drei Tagen ihren Dienst. In unsrem Schlafraum war es zwischenzeitlich ein bisschen wie in einem U-Boot, draußen Wasser und drinnen Wäscheleinen mit Klamotten zwischen den Doppelbetten, durch die man sich hangeln musste, um zu seinem Bett zu gelangen.

Ein weiteres Problem waren regenbedingte Erdrutsche, durch die die Pumpe im Fluss beschädigt wurde. Das Wasser musste also in Kanistern vom Fluss heraufgeschleppt werden. Zudem gab es nach einer Woche nur noch Reis, Nudeln und einige Konserven. Der moralische Tiefpunkt waren schließlich zwei Tage im feuchtesten Gebiet des Waldes, nahe dem Flussbett. An einem habe ich mir beim Abrutschen an einem steilen Hang einen Dorn an einem Baumstamm tief in die Hand gerammt, so dass ich die Hand regelrecht
aus dem Dornengestrüpp ziehen musste, um mich loszumachen. Am anderen Tag bin ich beim Aufstellen der Netze mit Miriam in einen Treiberameisenzug geraten, deren Soldaten blitzschnell an den Beinen hoch krabbelten und schmerzhaft zubissen.

Aber es gab auch viele sehr schöne Momente: So sind wir einmal am Wochenende in das winzige Dorf Bermejo gelaufen, wo das halbe Dorf in einer Karaokebar gerockt hat. Oder was auch wunderbar ist: Wenn der Regen aufhört, riecht es im ganzen Wald nach Blüten.

Und hinsichtlich der Tierwelt gab es viele neue Highlights: Im Wald bin ich früh morgens auf einem der schmalen Pfade einmal einem Gürteltier begegnet. Wir haben einen Tukan gefangen, den ich beringt und vermessen habe. Dabei hat Miriam den bunt gemusterten Schnabel fest gehalten. Und ein anderes Mal ist kurz nach Sonnenaufgang eine große Fledermaus ins Netz geflogen; Victor und ich haben eine Stunde gebraucht, um das Tier vorsichtig aus den Maschen zu befreien, ohne gebissen zu werden.

Was hier für einen Europäer seltsam ist: Das Jahr streckt sich in meinem Empfinden unwahrscheinlich. Es ist schon Dezember und ich laufe noch wie seit Mai oder Juni im T-Shirt herum. An Weihnachtsstimmung ist nicht zu denken, auch wenn auf der Plaza von Santa Cruz jetzt überall im Eiltempo bunt leuchtende und blinkende Tannenbäume und Girlanden aufgehängt werden. Ein bonbonfarbenes Lichtermeer.

So, das wars erstmal, ich wünsche euch allen weiterhin alles Gute, L.

Text + Fotos: Lennart Pyritz

Teil I: Auf in die Anden, Teil II: Mit Jesus auf dem Berg und Larven im Fuß

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