caiman.de 02/2008

[kol_1] Helden Brasiliens: Bei Gisele daheim
Ein Wochenende in Horizontina

Horizontina ist nicht gerade das, was man so von einer brasilianischen Stadt erwarten würde. Angefangen damit, dass es hier, im Gegensatz zu beinahe dem ganzen Rest Brasiliens, einfach viel zu ruhig ist. Nicht einmal am Wochenende kommt das gediegene 20.000 Einwohner zählende Städtchen in Schwung. Nach sieben Uhr abends Zigaretten zu erstehen oder gar ein Taxi zu ergattern, ist nahezu aussichtslos. Aber selbst wenn man es schaffen sollte – wo sollte man denn überhaupt hinfahren?

Gäbe es da nicht das Supermodel Gisele Bündchen, würde wohl niemand Horizontina kennen. "Gisele hat Horizontina auf die Weltkarte gebracht," freut sich Lilico, DJ beim örtlichen Radiosender Vera Cruz, der im Herzen der Stadt liegt. Am Empfang von Vera Cruz sitzt eine "Prinzessin", zumindest nennen alle hier die blonde Frau mit den unglaublich blauen Augen so. Auch dies ist anders in Horizontina als im großen Rest des Landes: man findet kaum typisch brasilianische Mulatas. Dafür schreiten blonde Frauen auf ihren langen Beinen durch die Stadt; waren es doch hauptsächlich deutsche und italienische Einwandererfamilien, die Horizontina gegründet haben.

Vor 27 Jahren wurde die blonde Gisele hier geboren, und hier wuchs sie zusammen mit ihren fünf Schwestern bei ihrem Vater Valdir und ihrer Mutter Vania auf. Heute leben nur noch Valdir und sein Bruder Jorge Frederico in Horizontina. Und Großvater Walter Bündchen, ehemals Bürgermeister der Stadt und ein Pionier der örtlichen Land- und Forstwirtschaft.

"Ich habe Gisele schon lange nicht mehr gesehen", klagt der 81-jährige Walter. "Das letzte Mal haben wir vor einem Jahr miteinander telefoniert und vor etwa acht Monaten haben die Jungs ihr eine E-Mail von mir geschickt. Darin hatte ich Gisele geraten, in Europa und in Euros zu investieren und nicht alles in den USA anzulegen. Aber ich weiß nicht, ob sie meinem Rat gefolgt ist." Stolz hält Walter das Foto mit den sechs Schwestern Bündchen hoch, die sich über Elton Johns Stern auf dem Hollywood-Boulevard versammelt haben.

[Gisele Bündchens Großvater Walter]


"Gisele hatte immer etwas Besonderes an sich; sie war die cleverste der sechs Schwestern", weiß der Großvater zu berichten. "Als Kind habe ich sie Volleyball spielen sehen und sie hatte einige unglaublich raffinierte Spielzüge drauf. Und beim Canasta hat sie auch immer geschummelt und die Joker vom Tisch stibitzt."

Walter Bündchen wirkt traurig als er sagt: "Ich glaube nicht, dass sie jemals wieder in Horizontina leben wird."

Das Samstagsabendprogramm in Horizontina besteht für die meisten Familien aus kollektivem Zusammensitzen auf den Wiesen rund um das Rathaus. Oder man isst arabisches Fastfood in Hamdis "Chopp Stiefel". Was nach deutscher Stube klingt, wird in Wirklichkeit von dem 57-jährigen Palästinenser Hassan Juma, kurz Hamdi genannt, geführt.

"Giseles Vater Valdir war gerade noch hier zum Essen", erzählt Hamdi feierlich. "Ich kenne Gisele und ihre Familie schon seit Ewigkeiten. Bin ja auch schon mehr als 30 Jahre hier."



[Gisele Bündchen und ihre fünf Schwestern]

Die Jugendlichen Horizontinas fahren derweil nach Santa Rosa, der nächst größeren Stadt gut 30 Minuten entfernt. Dort soll es sogar Diskotheken geben Die Fahrt mit dem Taxi dorthin würde locker 30 Euro kosten. In Horizontina selbst herumzufahren, ist da schon billiger: 8 Reais kostet jede Fahrt mit einem der acht lokalen Taxen. Egal wohin es einen in der kleinen Stadt verschlägt, der Preis ist stets der Gleiche.

Die Rettung für ein beschauliches Wochenende im nur 15 Kilometer von der argentinischen Grenze entfernt gelegenen Horizontina ist der örtliche Sportklub mit seinem 25 Meter Becken. Allerdings ist das Wasser braun-grün, da Erde in die Leitungen eingesickert ist. "Dafür kipp ich einfach ein bisschen mehr Chlor rein, dann passiert Dir schon nix", meint der Herr am Beckenrand. Für 3 Reais Pauschale kann man sich hier den ganzen Tag auf der Liege fläzen.

Am nächsten Tag sitzen Valdir und sein Bruder Jorge Frederico Bündchen schon früh in ihrem Büro in Horizontina. Jorge Frederico entwickelt Zukunftsprojekte im Bereich Energiegewinnung für die Region. "Zuckerrohr wird bereits zur Versorgung mit Ethanol-Sprit angebaut. Aber nur für den lokalen Markt, nicht für den Export. Und Windenergie wäre hier in der Region auch das Richtige. Wind ist da und die brasilianische Regierung würde das Ganze auch noch steuerlich fördern."

Im Nachbarbüro sitzt Giseles Vater Valdir. Er kümmert sich um Giseles Umweltstiftung, die den örtlichen Fluss wieder auf Vordermann bringen will. Knapp eine Million US-Dollar stehen bereit, um die Uferböschungen aufzuforsten.



[Gisele Bündchens Vater Valdir und Onkel Jorge Frederico]

Daneben schreibt Valdir an seinem zweiten Buch. Vor 10 Jahren hat er einen Ratgeber zur Persönlichkeitsentwicklung veröffentlicht – ein Buch dass Gisele auf ihrer Karriereleiter viel geholfen habe, so hat sie einmal gesagt. Über Giseles Privatleben schweigt sich ihr Vater aus. Tom Brady, Giseles neuer Freund? Einmal habe er ihn gesehen, so der Vater, und er scheine nett zu sein. Wie auch der Ex Leonardo DiCaprio nett war. Aus, keine weiteren Kommentare.

"Meine Töchter müssen selbst wissen, was sie tun. Und das Wichtigste ist doch, dass sie glücklich sind – egal ob sie mit einem Fußballer oder einem Astronauten verheiratet sind."

Vielleicht, so geht es einem auf dem Rückweg zum Hotel so durch den Kopf, könnte sich ein raumfahrender Schwiegersohn schon eher vorstellen, in Horizontina zu leben. Denn der Mond kann auch nicht viel einsamer sein.

Text + Fotos: Thomas Milz

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