brasilien: Wer glaubt, der geht zu Fuß
ANA KARINA ROCHA
[art. 1]
venezuela: Piccola Italia zwischen Pelikanen und Langusten
Sonne und Regen im Inselparadies Los Roques
DIRK KLAIBER
[art. 2]
guatemala: Copavic und der Faire Handel
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
spanien: Teneriffas Tolle Tage
ELMAR WELLENKAMP
[art. 4]
grenzfall: Moneda und Moneten
Die Macht des kleinen Geldes
ANDREAS DAUERER
[kol. 1]
helden brasiliens: Die Kunst der Empörung
Washington Arléo: Provokateur und Vektorenliebhaber
THOMAS MILZ
[kol. 2]
macht laune: Tropisch begossen
TIO CAIMAN
[kol. 3]
lauschrausch: Unspanische Gesänge aus Spanien
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Brasilien: Wer glaubt, der geht zu Fuß

Am 11. Januar zogen etwa 700.000 Menschen durch die Unterstadt von Salvador da Bahia. Sie nahmen teil an der traditionellen Prozession, die über acht Kilometer bis zur Bonfim-Kirche führt, die wie keine andere Institution in Bahia das Nebeneinander des Katholizismus und der afrikanischen Religionen symbolisiert. So sind es die "Baianas" des Candomblé, die die rituelle Säuberung der Kirchentreppen vornehmen. Nicht immer läuft das Neben- und Miteinander der verschiedenen Religionen jedoch so reibungslos ab. So nutzten viele Anhänger der afrikanischen Religionen die Prozession, um deutlich zu machen: "Auch die Anhänger des Candomblé werden von Gott geliebt!"

Ana Karina Rocha, geboren in Santo Amaro da Purificação und aufgewachsen in Salvador, erzählt von ihren Eindrücken während der bunten und lautstarken Prozession unter einer glühenden Sommersonne.



Der Kilometer lange Weg, der die Baianos, die Bewohner von Bahia, bis zur Colina Sagrada, dem "heiligen Hügel" führt, ist beschwerlich, doch die Anstrengung lohnt sich allemal.

Durch meine Erinnerung geisterte noch die letztjährige Messe im Instituto Feminino da Bahia, in Salvador, die von Monsenhor Sadoc gelesen wurde. Sie vermischte sich mit meiner ersten Teilnahme an der Bonfim-Prozession, als ich gerade 17 Jahre alt war. So viele Informationen auf einmal! Als ich klein war, erzählte mir meine Tante Alice von den Messen des Monsenhor in der Matriz da Purificação, und ich war begeistert und stolz ob der Fähigkeit dieses Mannes, genau die Dinge anzusprechen, die sonst niemand ansprach.

So erinnere ich mich deutlich an seine Worte, mit denen er die Messe im Instituto Feminino eröffnete: "Heute haben wir uns hier versammelt, um für all diejenigen zu beten, die sich zur Bonfim-Kirche aufgemacht haben. Denn egal, wen ihr fragt, wohin er unterwegs ist - alle werden sagen: zur Bonfimkirche. Also lasst uns für ALLE beten, die unterwegs sind." Und so beteten wir. Ein katholischer Priester bittet Gott um den Segen für alle, die sich Jahr für Jahr zur Bonfim-Kirche aufmachen. Unglaublich!


Aus meiner Jugendzeit sind noch viele Erinnerungen lebendig: das Flirten mit den Jungs, die Lautsprecherwagen mit ihrer Musik, die Gesellschaft meiner Cousinen, die immer noch meine besten Freundinnen sind. Und ich erinnerte mich jetzt wieder an die unvermeidlichen Schlägereien am Rande, an die Schüsse zum Ende der Prozession, und ich versuchte zu ergründen, wie sich seitdem dieses Fest verändert hat. Damals gab es die LKWs mit Live-Musik, die Carnaval-Blocks, und der Parcour war auf den als Comércio bekannten Stadtteil beschränkt. Heute können die, die nicht mitlaufen, sondern lediglich feiern wollen, im Hafen den "Bonfim-Light" mitmachen, eine VIP-Veranstaltung im Partyzelt. Warum man diese Veranstaltung Light nennt, hab ich noch nicht verstanden. Schließlich verbrennen die Leute dort, im Gegensatz zu den Teilnehmern der Prozession, kaum Kalorien. Eher das Gegenteil ist der Fall, betrachtet man die Unmengen an Bier, Schnaps und Fruchtgetränken, die hier fließen. Aber was soll`s? Für sie haben wir damals ja bestimmt auch gebetet.


Während der Prozession gibt es - genau wie früher - immer noch die unvermeidlichen Betrunken, die fliegenden Händler, die öffentlichen Proteste, die Kundgebungen von Parteien und Politikern und die allgemein herrschende Partystimmung, im Partymachen zumindest ist der Baiano ja bekanntlich unschlagbar. Was neu ist, ist die Ruhe und Gelassenheit der Menschen. Ich verstand, was der Monsenhor damals sagen wollte: Alle die dabei sind, egal ob als aktive Pilger oder Straßenhändler, egal ob sie hier kaufen oder verkaufen, ob sie beten oder protestieren, alle sind unterwegs zur "Sagrada Colina", um dem Herrn, dem "Senhor do Bonfim", zu danken für das, was man erreicht hat, und um alte Gelübde zu erneuern. Und all diese individuellen Wege führen zu einem einzigen Punkt: dem Glauben.

Der Glaube als zusammenführendes Element. Eine seltsame Kraft, von der niemand genau weiß, woher sie kommt, und uns trotzdem durch die tiefste Dunkelheit führt. Trotz der Mittagssonne, der Lichter der Stadt und der verrückten Energie, die durch die Straßen zog, gab es Dunkelheit. Ich ging viele Meter als ob ich blind sei.


Während ich einen Deutschen durch die Prozession führte und ihm die Wichtigkeit des Festes erklärte, vollzog ich in aller Stille meine eigenen Reflexionen. Es gab viel zu sehen und für mich viel zu erklären, aber das gehörte dazu. Überall waren die "Baianas", die festlich gekleideten Frauen des Candomblé, einige noch sehr jung und wohl auf ihrer ersten Prozession, und dann manche die schon seit 25 Jahren oder länger dabei sind. Wie viele Geschichten würden wohl in ihre schmuckvollen Umhänge passen, die sie mit solcher Schönheit präsentieren? Wie viele Information in jeder Wicklung des Kopfschmucks? Und wie viele Menschen sind sich dessen vollkommen unbewusst? Wie oft haben ihre Vorfahren die Stufen der Kirchen von Salvador mit Wasser und Seife gewaschen? Wie viel Stolz steckt in der simplen Aktion des Gehens bis zur Bonfim-Kirche, um dort die Stufen mit parfümiertem Wasser, Lavendel und Blättern symbolisch zu reinigen? Und wie viele Tage brauchten die Frauen, um das in Krügen mitgebrachte parfümierte Wasser herzustellen, auf das alle warten, um damit gesegnet zu werden? Wissen.


Segnung. Die Segnung. Eine Segnung, die nicht im Entferntesten etwas mit dem katholischen Patriarchat zu tun hat. Uma bênção que nem de longe está ligada ao patriarcado católico. Mãe, mães de santo - Mutter, Mütter der Heiligen, Würdenträgerinnen des Candomblé. Segne mich, Mutter! Oxalá, höchster aller Orixas, segne mich. Auf dass alle Heiligen mich beschützen mögen.

Wenn man die Prozession an der Conceição da Praia Kirche beginnt, weiß man nie, was einen erwartet. Wege voll Licht und Sonne. Wir sahen die Filhos de Gandhy losziehen. Axé! Afoxé, eine Kalebasse, die als Rhythmusinstrument benutzt wird, Agogô, zwei miteinander verbundene Metallglocken, die Triangel, blau-weiße Halsketten, die man heutzutage leider nicht mehr gegen einen Kuss eintauschen kann. Der Carnaval beginnt bald... und alle sind schon da, schöne, wundervolle Schwarze, ein Weg voller Frieden. Aber heute ist es anders! Die Wahrnehmung einer Blinden: Farben, Licht und Geräusche.


Noch immer liegt der Lavendelgeruch in der Luft, wir beschleunigen unsere Schritte, während ständig neue Farben um uns herum explodieren. Die Straßenverkäufer bieten und geben alles! Die typischen Bändchen des Senhor do Bonfim an Holzgestellen zur Schau gestellt, die Halsketten der "Gandhi", die Samenkörner des Pau Brasil Baums, die um den Hals, die Schultern und die Arme gehängten Muscheln, die eine menschliche Verkaufsvitrine bilden. Ah! Bahia... und da ist auch noch der, der einen Gringo um ein Foto bittet, ein nach ihm "internationales" Foto, das ihn demnach zu einem Helden machen kann; allerdings soll der Gringo dann bitte schön auch ein Bier kaufen... Der Junge hat mit Sicherheit Stil.


Wir gehen durch das Geschäftsviertel, wo die Menschen ihre Büros verlassen, um die Prozession vorbeiziehen zu sehen. Die Häuser sind geschmückt, und eifersüchtig buhlen die Verzierungen miteinander. Geschmücktes Bahia, mit Bändern voller Prosa. Wir gehen weiter.

Meer, das Ferryboat, Fotos von schwarzen Männern und Frauen, Teil einer stadtweiten Open-Air-Ausstellung mit dem Namen NEGROAMOR. Aber wir haben unsere eigene Live-Ausstellung, Bahia zeigt sich. Eines Tages werden wir wirklich "den Schwarzen" lieben lernen? Wird das eines Tages endlich erlaubt sein? Es geht voran.

Der Block Cortejo Afro zieht vorbei. Frauen trommeln, ORISHALÁ! Sie bereiten die Bühne für den amtierenden Gouverneur vor. Die Frauen trommeln mit männlicher Stärke, ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren. Trommeln, tanzen, zeigen sich... durch die Gesänge der Schwarzen der Candomblé-Terrenos. Bahia wartet auf neue Zeiten. Mögen die Mitglieder von "Ghandi" vorbei ziehen,  mögen die Männer vorbei gehen und die Frauen ankommen. Fátima. Batalá.


Als wir am Largo de Roma ankommen, sehen wir die beliebteste Einrichtung der Stadt: die karitativen Einrichtungen der Geistlichen Irmã Dulce. Das Herz zieht sich zusammen, der Glauben wächst und erfüllt die Brust. An den Gittern des Gebäudes, das den Duft von Liebe verströmt, stehen die Alten, Kranken, Menschen mit Behinderungen und Angestellte feiern unseren Vorbeizug. Großartige Menschen, noble Gesten und Frauen. Das Herz einer Frau bewahrt Geheimnisse, die ein Mann niemals zu erdenken träumen würde. Ein Akt des Glaubens.


Weiter vorne sieht man das Schönste was man sich vorstellen kann, die Jungs vom Ylê-Block. Wundervoll, laut, imposant - niemals zuvor habe ich Menschen gesehen, die dermaßen von ihrem Verführungspotential überzeugt waren wie sie. Lindos! Gott schütze Ylê! Dreistigkeit, Verruchtheit, Dein Name ist Ylê Ayê!

Wir sind fast da! Eine lange Allee begrüßt uns mit einer Meeresbrise. Erfrischung, Mutmacher für den finalen Aufstieg. Der Hügel ist ein Meer aus hinauf und hinab schwappenden Menschen. Fluss und Rückfluss. Ich steige hinauf, kaufe meine Bändchen, bitte die Baiana, die neben mir geht, um Segnung. Obrigada. Ich denke an meine Familie, meine Freunde und an diese verrückte Menschenmenge. Ich blicke zur Seite, jemand geht an meiner Seite! Ich bin dankbar dafür. Ich grüße den "Senhor do Bonfim" mit der Gewissheit der erfüllten Pflicht. Du halte die Tränen zurück.


An dem metallenen Zaun knie ich nieder, bete und weine. Ich habe viel zu danken, und nichts zu erbitten. Träume, die wahr geworden sind. Gewonnene Kämpfe. Ich binde meine Bändchen an das Gitter. Die Kirche ist geschlossen, aber niemand braucht sie geöffnet, denn der Glaube ist dort, wo der Mensch glauben will. Ich bete.


Möge Gott, Jesus Christus, der Senhor do Bonfim und Oxalá meine Freunde beschützen, die nicht mehr hier in Salvador sind. Heute vertrete ich sie am Fuße der "Colina Sagrada". Und mögen sie meine Familie beschützen, denn es ist Zeit alleine weiter zu gehen. Und vielleicht können sie ja dafür sorgen, dass meine Freunde ab und zu meine Sehnsucht  erleichtern und mich besuchen mögen.

Die Raketen explodieren am Himmel, die Baianas segnen, weiße Ballons steigen auf und silberne Papierschnipsel regnen herab. Ich hab verstanden warum der, der glaubt, zu Fuß gehen muss. Denn "Gott liebt das Volk des Candomblé"!


Laroiê Exu! Atôto. Auf dass die Orixas uns beschützen mögen.

Text: Ana Karina Rocha
Fotos:
Thomas Milz






[art_2] Venezuela: Piccola Italia zwischen Pelikanen und Langusten
Sonne und Regen im Inselparadies Los Roques

30 Minuten nach dem Start in Maiquetia, dem Flughafen der venezolanischen Hauptstadt Caracas, taucht aus dem tiefen Blau des Meeres das Paradies auf: Für die nächsten acht Minuten überfliegen die 20 sonnenhungrigen Touristen Inseln, Strände, Sandbänke. Vereinzelt sehen sie Sonnenschirme und Yachten, die sich von den Blauschattierungen des Meeres abheben. Das Wasser zum Greifen nahe setzt die Maschine auf der mit Löchern übersäten Piste, die vorne und hinten an das Meer stößt, von Gran Roque auf. Bien venidos a Los Roques.



Ab und zu Wolkenbildung und Regen in den Monaten November und Dezember sagt der Reiseführer. Es ist Mitte Januar und obwohl die Sonne scheint, glänzen die Straßen vor Nässe. Es habe heute nur fünf Minuten lang geregnet, begrüßt uns die Posadabesitzerin, aber - und das macht mich doch ein wenig stutzig - wir sollten doch möglichst heute schon das tolle Licht des Abends nutzen zum Fotos schießen. Und dann wird es fast ein wenig absurd. Statt eines "Herzlich Willkommen" mokiert sie sich über unseren Voucher, der nur Übernachtung und Frühstück ausweist, nicht aber das Abendessen. Es gäbe ohne Reservierung in einem der Restaurants am Tag zuvor keine Möglichkeit auf der Insel zu speisen.

Tatsächlich bucht man als gemeiner Tourist einen Los Roques-Trip entweder als Fullboard (Übernachtung, 3 Mahlzeiten, Ausflüge) oder als Halbpension (Frühstück und Abendessen). Aus welchem unerfindlichen Grund auch immer ist die reine Übernachtung nicht vorgesehen. Zudem zahlen wir US-$ 100 pro Tag (inkl. Frühstück), unser Zimmer entspricht aber dem weltweiten Standard "extrem einfach". Statt Strand haben wir einen Basketballplatz gespickt mit Bauschutt vor der Tür. Unter normalen Umständen alles kein Thema, denn es zieht uns ja raus auf die kleineren Inseln, doch der Regen setzt wieder ein und hält fast zwei Tage an.


Erst als die Stimmung in Richtung - Los Roques ein Flop, statt krönender Abschluss einer Venezuelareise - zu entgleisen droht, strahlt die Sonne wieder vom nun wolkenlosen Himmel. Von einer Sekunde auf die andere ist die azure Farbenpracht wieder hergestellt, stürzen sich unzählige Pelikane kopfüber ins Wasser, um sich am Fischreichtum zu laben, wobei ihnen Fregattvögel und Raubmöwen die Beute streitig zu machen versuchen, kehren die Fischer heim und filetieren ihren Fang in Bretterverschlägen am Strand, breitet die italienische Bar ihre Sitzkissen im Sand aus, auf denen sich die Touristen niederlassen zum Cocktailschlürfen und Gambas fassen (ganz ohne Reservierung). Und natürlich brechen wir, wie alle anderen auch, auf zu umliegenden Inseln, zum Tummeln im karibischen Meer, zum Schwimmen, Sonnenbaden, Schnorcheln und vor allem zum Langustenverzehren in einer der Strandrestaurants.

Klein Italien
Die Auswirkung der Pfahlbauten, die einst zur Namensgebung dieses wunderschönen Landes führten - Venezuela (Klein Venedig) - haben auf Los Roques vor 20 Jahren mit dem Beginn der italienischen Einwanderung eine neue Dimension erreicht. Heutzutage befinden sich viele Posadas und die wenigen Restaurants und Bars auf der Hauptinsel Gran Roques in italienischer Hand. Und so etablierte sich als inoffizielle Amtssprache neben dem offiziellen Spanisch das Italienische. Trotz der noch jungen Einwanderungsphase aber haben sich die Roqueños mit den Ankömmlingen aus Südeuropa augenscheinlich vermischt, viele Kinder sind hellhaarig und haben grüne Augen. Die italienischen Posadas sind sehr stilvoll und detailverliebt gebaut und eingerichtet und grenzen sich so von der landesweit üblichen rustikaleren Bauweise ab. Und trotzdem sind die Posadas abgesehen von der geschmackvollen Gestaltung eher einfach, zumindest rechtfertigen sie kaum Übernachtungspreise von US-$ 200-300/Zimmer. Aber gut, a dolce vita des Paradieses hat seinen Preis.


Kaffee
Verwunderlich angesichts des italienischen Einflusses ist es, dass es auf Los Roques mit Abstand den schlechtesten Kaffee von ganz Venezuela gibt. In den hintersten Ecken des Landes findet man in den einfachsten Comedores Gaggia-Kaffeemaschinen und natürlich einen hervorragenden Kaffee, der durchaus Kaffeegourmets überrascht. Nur auf Los Roques ist guter Kaffee fast nicht zu finden. Einzig der efe-Eisladen offeriert einen ansehnlichen Espresso. Leider ist er morgens geschlossen.


Langusten
Langusten gibt es von November bis April. Auf den von Touristen meistfrequentierten Inseln gibt es Restaurants, die Langusten in allen Größen anbieten: von 700 Gramm bis drei Kilo. Die Preise für Langusten werden in Kilo abgegeben. Sie liegen zwischen 22 und 30 Euro. Auf Gran Roque muss man, wenn man Languste essen möchte, tatsächlich einen Tag vorher in einem der einer Poasada angeschlossenen Restaurants reservieren. Auf den Inseln Fransiquí, Madrizquí oder Crasqui bekommt man die Schalentiere zwischen 12 und 18 Uhr täglich und sofort (ohne Vorbestellung). Der Koch führt den Feinschmecker dann zu einem Gehege im seichten Wasser, zeigt seine Auswahl, fischt anschließend die gewünschte Languste heraus und wiegt sie. Die Methoden der Zubereitung sind ähnlich: auf dem Herd mit Knoblauch und Butter; die der Tötung der Languste variiert von sanft: Fühler stutzen und in Süßwasser ertränken, bis hin zu brutal: Messer längs ansetzen und mit dem Holzknüppel solange draufhauen bis der Körper zerteilt ist.


Cayo Francisquí und Cayo Matrizqui/Cayo Pirata
Die Insel Francisquí ist die nächst gelegene zu Gran Roque und wird den ganzen Tag über von acht kleineren Transportbooten angesteuert. Der Abfahrtssteg auf Gran Roque befindet sich direkt am Verkaufshäuschen am Flughafen bzw. der Start- und Landepiste - von einem Flughafen zu sprechen wäre wohl vermessen. Die Überfahrt kostet knapp 4 Euro (Hin- und Rückfahrt), Sonnenschirm mit 2 Stühlen 8 Euro (die Preise gelten auch für Cayo Matrizquí).

Cayo Francisquí ist absolut traumhaft. Der feine Sand des Strandes ist leicht mit Korallenresten durchsetzt, im Wasser aber ist er absolut weich. Man kann Stunden im knie- bis hüfttiefen Wasser umherwaten oder einen Stuhl auf einer Sandbank platzieren und die Sonne in vollen Zügen genießen. An verschiedenen Stellen fallen die Sandbänke steil ab und das Meer ist dort ein paar Meter tief und angenehm zum Schwimmen. Direkt am Strand befindet sich ein Fischrestaurant, das zwar zu den teureren (Barracudafilet 11 Euro, Calamares 7 Euro, Languste 28 Euro/Kilo) gehört, aber sehr zu empfehlen ist und bei Sonne satt eine willkommene Abwechslung bietet.

Die Insel Matrizquí befindet sich neben Franzisquí, 10 Minuten von Gran Roque entfernt. Sie besitzt ebenfalls einen traumhaften Strand mit feinem Sand. Der Strand ist mit 400 Meter Länge etwa fünf mal so lang wie der von Francisquí (genauer der Playa Medio auf Francisquí). Am Ende des Strandes führt eine Landzuge ins Wasser und biegt man hier links ab, so kommt man über eine Sandbank zur bewohnten Cayo Pirata, die zwei einfache Restaurants beherbergt.


Cayo Muerto und die Inselgruppe Noronquises
Wenn man das Bedürfnis verspürt, mal für sich alleine sein zu wollen, kann man sich auf einer der Noronquises Inseln bei der Insel Crasquí absetzen lassen. In der Regel sind die Sonnenschirme und Liegestühle im Preis von 19 Euro enthalten, denn es gibt keinen Schatten auf den Inseln.

Tauchen und Schnorcheln/Tagestouren
Genau fünf Tauchschulen befinden sich auf Gran Roque. Der Preis für zwei Tauchgänge liegt zwischen 50 und 75 Euro. Schnorchelequipment vermieten in der Regel die Posadas. Gute Stellen zum Tauchen und Schnorcheln gibt es reichlich. Schnorcheln ist bei Ganztagesausflügen immer Programmpunkt. Darüber hinaus werden bevorzugte Plätze von Wasserschildkröten und Vögel angefahren. Im Preis von rund 30 Euro sind weder das Schnorchelequipment noch Getränke und Speisen enthalten. In den Posadas kann man zu diesem Zweck Kühlboxen anmieten.

Text + Fotos: Dirk Klaiber


Online Reiseführer Venezuela (reihe fernrausch)
Der Hauptteil des Reiseführers besteht aus Beschreibungen von Ausflugsmöglichkeiten in die Natur, in Form von ein- oder mehrtägige Touren, individuell oder mit Guide organisiert, und Abenteuertrips.



Tipp:
Detaillierte Informationen zu Reisen in Venezuela:
Posada Casa Vieja Mérida / Tabay / Altamira





[art_3] Guatemala: Copavic und der Faire Handel

Rotglühendes, heißes Glas wirbelt an langen Stangen durch die Halle. Geschickt formen die Männer kleine Tiere, blasen Gläser, Vasen und Lampenschirme. Jedes Stück ist Handarbeit, zu 100 Prozent aus recyceltem Material hergestellt. 21 socios und 27 Angestellte arbeiten bei Copavic, einer Kooperative mit beispielhaftem Erfolg. Denn Copavic ist heute nicht mehr alleine auf den Fairen Handel angewiesen, sondern behauptet sich inzwischen dank der Hilfe aus Übersee auch auf dem nationalen Markt.

Die Glasmanufaktur liefert unterdessen nur noch 40 Prozent ihrer Produktion an den Fairen Handel, der größere Teil der Glasprodukte wird in Guatemala verkauft.

Trotzdem bleibt der Faire Handel ungeheuer wichtig für die Kooperative: "Wir bekommen aus Deutschland moderne Designs, die auch auf dem heimischen Markt gut ankommen", erklärt Joaquin Sosof Campa, der Geschäftsführer von Copavic.


"So haben wir immer ungewöhnliche Produkte, mit denen wir der Konkurrenz einen Schritt voraus sind." Manchmal zählt auch die praktische Unterstützung: Die gepa hat der Kooperative zum Beispiel einen Kontakt zu einer Firma in Deutschland verschafft, die ihnen günstig Farben für die Glasproduktion verkauft.

Das Prunkstück der socios ist ein neuer Plotter, ein computergesteuertes Schneidegerät, mit dem Aufkleber zugeschnitten werden, die auf Glas geklebt und unter ein Sandstrahlgerät gehalten Muster oder Schriftzüge ergeben. "Seitdem wir diese Maschine haben, können wir individuelle Gläser für Firmenjubiläen oder Hochzeiten herstellen", sagt Campa stolz und fügt hinzu: "Die besten Restaurants im Land verwenden unsere Gläser."

In den letzten Jahren konnte viel angeschafft werden, womit Copavic selbständiger und professioneller agieren kann: Fahrzeuge, um das Material zu transportieren, Computer und ein größeres Lager. Im nächsten Jahr will Copavic einen neuen Ofen kaufen. Auch die Verpackungen stellen die Mitglieder der Kooperative heute selber her, so dass sie in dieser Hinsicht ebenfalls unabhängig sind.

Große Sorge bereiten den socios allerdings die ständig steigenden Energiekosten. "Wir fürchten, dass wir in Zukunft nicht mit Glasproduzenten aus Indien oder Vietnam mithalten können. Schon bald werden wir die Preise erhöhen müssen und können nur hoffen, dass wir dann noch konkurrenzfähig sind. Aber auch für dieses Problem wird uns eine Lösung einfallen", sagt Joaquin Sosof Campa zuversichtlich.

Zunächst einmal hat Copavic Gastanks gekauft und befeuert die Öfen jetzt mit einem Energiemix, der zur Senkung der Kosten beiträgt.


Die Entwicklung von einer kleinen Gemeinschaft zu einem profitablen Unternehmen ist in Guatemala so außergewöhnlich, dass Copavic von Kooperativen, Wirtschaftsstudenten und sogar Firmen besucht wird. Alle wollen wissen, wie die socios das geschafft haben. Und die Antwort ist wie so oft: harte Arbeit!

Während die Angestellten von 8 bis 13 Uhr arbeiten, müssen sich die Mitglieder der Kooperative nach der Arbeit an den Öfen um die Materialbeschaffung, den Export und die Kalkulationen kümmern. "Natürlich ist das viel Arbeit, aber es ist eben unsere Firma, nicht die von irgend einem Chef, und deswegen machen wir das gerne", erklärt Alfredo Colón, der seit fünf Jahren socio ist.

Der Einsatz zahlt sich aus: Copavic kann seinen Mitgliedern und Angestellten eine Gesundheitsversorgung und eine Lebensversicherung anbieten, Stipendien für eine handwerkliche Fortbildung vergeben, feste Löhne und extra Prämien, ja sogar Weihnachtsgeld, zahlen. Das alles ist in dem mittelamerikanischen Land alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Mit der Unterstützung durch den Fairen Handels ist die Kooperative für viele in Guatemala zu einem Vorbild geworden.

Zitat:
Alfredo Colón, 36 Jahre, seit 12 Jahren bei Copavic, seit fünf Jahren socio: "Mit dem Geld, das ich hier verdiene, habe ich etwas Land und Hühner gekauft. Meine vier Kinder können jetzt regelmäßig Eier und Fleisch essen. Und ich kann ihnen Schulbücher und -uniformen kaufen. Wenn Copavic nicht mit der gepa zusammen arbeiten würde, wäre das alles nicht möglich, denn die gepa ist das Herz unserer Kooperative, unser wichtigster Partner."

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Christian Nusch

Links:
COPAVIC: www.copavic.com
gepa Fair Handelshaus: www.gepa.de

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Peru verfasst, den ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet. Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Peru Kompakt
Autoren: Katharina Nickoleit, Kai Ferreira-Schmidt
276 Seiten
36 detaillierte Karten und Ortspläne, Umschlagkarten, Register, Griffmarken, 120 Farbfotos ISBN 3-89662-338-9
Verlag: Reise Know-How
2. Auflage 2005





[art_4] Spanien: Teneriffas Tolle Tage

Wie und wann der Karneval entstand, darüber streiten sich die Fachleute und verweisen darauf, dass seine Wurzeln bis in die Zeit der Römer und Germanen zurückreichen und versuchen seinen Ursprung anhand der typischen Begriffe und Rituale zu lokalisieren.

Das spanische Wort für Verkleidung beispielsweise, "disfraz", leitet sich vom Verb "frezar" ab, das vom katalanischen Wort "fressar" herkommt und im Bereich der Tierwelt "eine Spur hinterlassen" bedeutet, beispielsweise dann, wenn ein Schwein sich suhlt.


Die Vorsilbe "Dis" hingegen verkehrt die Bedeutung in ihr Gegenteil, meint also "eine Spur verwischen". Tatsächlich wurde das Wort "disfraz" im 19. Jahrhundert erstmals in Katalonien im Zusammenhang mit  Karnevalkostümen verwendet.

Den Namen und das Ritual des Karnevals leiten Sprachforscher und Historiker vom Theater ab. Sie verstehen dabei das Schauspiel als eine Zeremonie ohne religiösen Hintergrund. Aber wenn das alte Jahr entlassen und das neue begrüßt wurde, nahmen Schauspieler die Rolle der Götter ein. Es verwundert daher nicht, dass das lateinische Wort "Persona" damals nicht nur Person, sondern auch Maske bedeutete.

So gab es im antiken Rom den Brauch der "Saturnalen", bei dem die Soldaten den schönsten unter ihnen für die nächsten 30 Tage zum König bestimmten und ihn mit unbegrenzter Macht ausstatteten.


Am letzten Tag wurde der König dann als Menschenopfer für den Gott Saturn dargebracht, den er personifizierte. Vergleichbare Rituale existierten auf Kreta und im antiken Griechenland. Heute leben sie in der Wahl der Karnevalskönige und Prinzen fort. Auch verschiedene Begriffe verweisen auf den Ursprung des Karnevals im Bereich des Theaters. Die Karnevalstänzerinnen auf Teneriffa zum Beispiel werden "Comparsa" genannt, ein Begriff der auf das Theater im Mittelalters zurückgeht.

Im Christentum läutet das Ende des Karnevals die Fastenzeit ein, worauf auch der deutsche Begriff "Fastnacht" hindeutet. Papst Gregor ernannte im frühen Mittelalter den Sonntag vor dem Beginn der Fastenzeit zum "Tag des sich erhebenden Fleisches", was im Lateinischen "Dominica ad carnes levandas", was zu "carne levamen" wurde, woraus sich schließlich "carnevale" ableitete.

Bereits im 11. Jahrhundert wurde auf der Theaterbühne der Kampf zwischen "Don Carnal", dem Herrn des Fleisches und" "Doña Cuaresma", der Symbolfigur der Fastenzeit, von Schauspielern dargestellt: Der  Widerstreit zwischen Genuss und erzwungenem Verzicht.

Eine andere Erklärung sieht den Ursprung des Wortes "Karneval" in dem lateinischen Begriff "Carrus navalis", was auf italienisch "carro navale" bedeutet. Im Deutschen stehen diese Wörter für "Seegefährt" und verweisen auf ein Schiff mit Rädern, das der Bestandteil bei römischen Frühlingsfesten, aber auch bei Festivitäten der Germanen und Kelten war. Bei diesen Geselligkeiten wurden promiskure Tänze aufgeführt und obszöne Lieder gesungen.

Mit der Eroberung Südamerikas gelangten die Karnevalsbräuche auch in die neue Welt. So wird heute unter anderem in Kolumbien, Mexiko und der Dominikanischen Republik ausgiebig Karneval gefeiert.

Und natürlich in Brasilien, wo der berühmteste Karneval der Welt stattfindet. Spielfilme wie "Orfeo Negro" wurden vor der faszinierenden Kulisse der tollen Tage von Rio de Janeiro gedreht.

Auch auf Teneriffa reicht die Karnevalstradition bis in die Zeit der spanischen Eroberer vor mehr als fünfhundert Jahren zurück, als in allen Ländern, die der spanischen Krone unterstanden, Karneval gefeiert wurde. Allerdings existieren kaum Aufzeichnungen aus der Zeit. Fest steht aber, dass es zur Zeit der Entdeckung Amerikas, als die sogenannten "katholischen Könige", Philipp II. und Isabella herrschten, Brauch war, sich an bestimmten Tagen zu verkleiden und Witze an öffentlichen Orten zu reißen. Nicht immer zur Freude der Herrschenden. Philipp II. untersagte das Maskieren und Verkleiden genauso wie Karl I., der 1523 ein entsprechendes Gesetz erließ. Erst Philipp IV. führte den Karneval wieder ein und im Jahre 1638 feierte sogar der gesamte Königshof.

Der katholischen Kirche war der Karneval oft ein Dorn im Auge, insbesondere dann, wenn sich Männer als Frauen verkleideten oder umgekehrt. So wurde auf Initiative des Klerus im Jahre 1927 in Santa Cruz eine Verordnung erlassen, die verbot, dass Männer während des Karnevals Frauenkleider trugen.

Allerdings wurde das Verbot bald wieder aufgehoben, wohingegen das Verbot mit Eiern zu werfen 21 Jahre zuvor dazu geführt hatte, dass sich die Benutzung  von Konfetti und Luftschlangen ausbreitete.


Das Ende der Zweiten Republik und der Ausbruch des von 1936 bis 1939 dauernden Bürgerkrieges setzten dem kollektiven Feiern ein Ende. In der Franco-Diktatur wurde der Karneval verboten. Allerdings wurde auf Teneriffa trotz des behördlichen Verbots heimlich weitergefeiert. In den sechziger Jahren wurde das Fest durch die Hintertür wieder eingeführt.

So wurde 1965 offiziell ein "Winterfest" angemeldet, das zwei Jahre später zum "Fest von nationalem touristischen Interesse" ernannt wurde. Der Aschermittwoch hieß kurz darauf "Tag des Touristen". Das Winterfest wurde nach dem Ende der Franco-Diktatur im Jahre 1976 dann wieder in "Karneval" umbenannt.  Interessanterweise deklarierte der spanische Staat vier Jahre später den Karneval zum "Fest von internationalem touristischen Interesse". Es gilt heute als weltweit zweitwichtigste Faschingsfeier  nach Rio de Janeiro.

Teneriffa 
Auf Teneriffa gibt es zwei große Umzüge: Den "Coso" in der Hauptstadt Santa Cruz; die "Cabalgata"  findet eine Woche später in Puerto de la Cruz statt. Dort marschiert übrigens auch das Karnevalsprinzenpaar aus Düsseldorf mit.

Während auf Gran Canaria die bedeutendsten Veranstaltungen in Las Palmas und im Touristenzentrum Maspalomas stattfinden, befinden sich die  Karnevalshochburgen Teneriffas in der Hauptstadt Santa Cruz und dem Touristenort Puerto de la Cruz. Obwohl auch in Orten wie La Orotava, Los Realejos und Icod de los Vinos Bühnen aufgebaut und Karnevalsköniginnen gewählt werden, bewegt sich der Karneval verglichen mit dem der Hauptstadt oder auch Puerto de la Cruz in wesentlich kleinerem Rahmen.

Die Vorbereitungen auf das große Fest starten bereits im Oktober, wenn die Karnevalsvereine  mit dem Einstudieren ihrer Programme beginnen und dem Bürgermeister von Santa Cruz einen Besuch abstatten.


In der Folge finden überall auf der Insel Vorausscheidungen statt, da nur die Besten der Besten auf der größten Bühne Teneriffas, auf der Plaza de España in Santa Cruz, auftreten dürfen.

Auf dem karnevalistischen Sektor gibt es eine regelrechte Vereinsstruktur mit festen Gremien, Verbänden und Bewertungskriterien, wobei jede Karnevalsgruppe ein eigenes Vereinslokal und einen eigenen Übungsraum besitzt.

Infokasten:
Das Karnevalsplakat ist ein wichtiger Ausdruck des städtischen Lebens. So können die Plakate vergangener Jahrzehnte in Santa Cruz als gestaltete Pflastersteine auf dem Bürgersteig  der Avenida de la Constitución gegenüber vom Messezentrum Recinto Ferial bewundert werden. Darüber hinaus ist in der Nähe des Theaters Guimerá in den kommenden Jahren die Einrichtung eines Karnevalsmuseums geplant, wo nicht nur die Plakate der vergangenen Karnevalsfeiern, sondern auch weitere Dokumente närrischen Treibens bewundert werden können.

Wettstreit der Murgas
Der Karneval selbst besteht aus unterschiedlichen Veranstaltungen und beginnt mit dem "Pregón" einem einer Büttenrede vergleichbaren humoristischen Vortrag, der jedes Jahr von einem anderen Prominenten gehalten wird. Es folgen die verschiedenen Wettbewerbe, wo unter anderem die besten Kostüme prämiert werden. Hier messen sich die "Comparsas" genannten Tanzgruppen genauso wie die  "Rondallas" genannten Karnevalsorchester.

Dann folgt der mehrtägige Wettstreit der "Murgas", Bänkelsängergruppen. Die "Murga" ist ein Spottgesang, der vor rund 300 Jahren in Cádiz entstand und ein fester Bestandteil der spanischen und amerikanischen Kultur ist.

Ihre Einflüsse sind heute noch bis in den lateinamerikanischen Hip Hop spürbar. Die "Murga"-Sänger nehmen in ihren Liedern die Regierenden mit einem Augenzwinkern aufs Korn.

So teilte in 2006 die sechstplazierte Gruppe "Los Traspaseros" aus Los Realejos zur Melodie des Klassikers der Village People, "YMCA", mit, warum der Norden Teneriffas verglichen mit der Hauptstadt richtig klasse ist. Zwischen den einzelnen Strophen gibt es in der Regel Instrumental-Parts, bei denen die Sänger ins trompetenähnliche Kornett blasen.

Es gibt inzwischen sehr ausgereifte "Murga"-Präsentationen. Beispielsweise lassen "Los Singuangos", Teneriffas Seriensieger, sogar Go Go Girls auftreten. Die einzelnen Beiträge werden nach unterschiedlichen Kriterien beurteilt: Originalität von Text und Musik, Qualität der Darbietung und natürlich auch der Kostüme: Die "Murga"-Sänger treten jedes Jahr in einer anderen Verkleidung auf.

Für sie ist der Karneval somit nicht nur ein zeitintensives, sondern auch ein teures Hobby; denn billig ist das Outfit nicht, da in der Regel ein Schneider mit der Ausstattung des Kostüms beauftragt wird.

Infokasten:
Viele Bänkelsängergruppen in der Hauptstadt befinden sich im Viertel rund um die Calle de la Afilarmonica Nifú Nifá auf der dem Museum für Mensch und Natur gegenüberliegenden Seite dem Barranco de Santos, der einst die Stadtgrenze der Inselhauptstadt bildete. Die einzelnen Vereinslokale sind an bunten Schildern über dem Eingang erkennbar, die von bereits im Frühling für das kommende Jahr ausgewählten Künstlern gestaltet werden.

Die Wahl der Karnevalskönigin ein großes Fest
Allerdings wird hierbei nicht die Kandidatin, sondern ihr Kostüm gekürt. Bei diesem handelt es sich dann auch nicht um ein Kleid im herkömmlichen Sinne, sondern eher um eine Inszenierung aus Stoffen und Federn, die bis zu hundert Kilogramm wiegen kann und auf Rollen gelagert ist, damit die Kandidatin nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird.

Jedes dieser Kostüme kostet einen fünfstelligen Betrag, der von Sponsoren aufgebracht wird, so dass die Wahl der Königin auch ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Wirtschaftsunternehmen ist.

Darunter befinden sich so namhafte Förderer wie die Einkaufszentren "El Meridiano" in Santa Cruz und "Alcampo" in La Laguna, das Kaufhaus "El Corte Inglés" und das Kleinanzeigenblatt "El Baúl".

Jedes Kostüm steht unter einem bestimmten Thema: ob nun "Mittwoch bei Vollmond", "Klang des Friedens" oder "Ritual".

Neben der Karnevalskönigin werden außerdem noch eine Kinderkönigin und eine Seniorenkönigin gewählt. Die Wahl der Königin ist das Finale eines furiosen Spektakels, bei dem das Thema des Karnevals musikalisch und schauspielerisch auf einer riesigen Bühne mit vielen, bis zu zwanzig Meter hohen, Kulissen musikalisch, tänzerisch und schauspielerisch umgesetzt wird.

Die Bühne alleine kostet mehrere Millionen Euro. Der Aufbau dauert rund vier, der Abbau nimmt rund zwei Wochen in Anspruch. Trotzdem ist die Bühne zu klein für die vielen Akteure an diesem Tag.


Deshalb warten die meisten außerhalb des Festgeländes auf ihren Auftritt. An der Rückseite des Geländes sitzen auf einer Empore die Reporter von elf lokalen Radiostationen in engen Kabinen und versuchen trotz der extrem lauten Geräuschkulisse um sie herum, den Hörern ihre Eindrücke zu vermitteln.

Auch in Las Palmas wird im Rahmen der großen, "Mogollon" genannten Tanzveranstaltungen eine Karnevalskönigin gewählt. Der absolute Publikumsmagnet auf Gran Canaria ist allerdings seit einiger Zeit die Wahl der "Drag Queen", der Transvestitenkönigin. Im vergangenen Jahr wurde ein Delfintrainer aus dem Loro Park in Puertro de la Cruz zur zweitbesten Drag Queen Gran Canarias gekürt.

Im Gegensatz zur Wahl der Karnevalskönigin steht bei der Kür der hochhackigen Drag Queen die Bühnenpersönlichkeit des Kandidaten im Vordergrund.


Der Bewerber macht in der Regel ein paar launige Ansagen und trägt ein paar Songs zum Playback vor.

Auf Teneriffa gibt es Drag Queen-Wettbewerbe in La Orotava und Puerto de la Cruz. Allerdings in einem erheblich kleineren Rahmen, was auch mit der nicht allzu hohen Zahl der Bewerber zu tun hat.

Das kann allerdings nicht daran liegen, dass die Herren der Schöpfung sich davor schämen, in Frauenkleidern in der Öffentlichkeit aufzutreten. Nach einer Statistik verkleiden sich zu Karneval auf Teneriffa 80 Prozent der Männer als Frau, auf Gran Canaria sind es 70 Prozent und in Spaniens dritter Karnevalshochburg Cádiz immerhin 20 Prozent.

Hierzu gibt es unterschiedliche Theorien: einerseits wird den Männern Teneriffas eine latente homophile Veranlagung unterstellt, andererseits, etwas profaner, wird behauptet, dass die Herren zu geizig sind, um sich Kostüme zu kaufen und deshalb den Kleiderschrank ihrer Frau oder Freundin plündern.

Besonders auffällig sind die als Frau verkleideten Männer am Tag der "Beerdigung der Sardine", dem Pendant zum deutschen Aschermittwoch.


Sie führen dann, ganz in schwarz gekleidet, den Zug an, der eine Sardine aus Pappmaché durch die Straßen des jeweiligen Ortes zu dem Platz trägt, auf dem sie verbrannt wird.

In Puerto de la Cruz geschieht das romantischer Weise im kleinen Fischereihafen und zieht tausende von Schaulustigen an, die zuvor dem Pappfisch auf seinem Weg über die zentrale Plaza del Charco gefolgt sind. Allerdings ist der Karneval dann noch nicht vorbei, es wird bis zum folgenden Sonntag weitergefeiert. 

In Puerto de la Cruz stehen beispielsweise unzählige Buden und Zelte zwischen der zentralen Plaza de Charco und dem großen Parkplatz am Hafen.


Und natürlich fehlen auch Stände mit Masken und Karneval-Acessoires nicht.

Text: Elmar Wellenkamp
Fotos: Teneriffa Panorama

Wir danken Teneriffa Panorama für diesen Beitrag:
Teneriffa Panorama ist eine vierteljährlich erscheinende vierfarbige Hochglanz-Zeitschrift mit derzeit 60 Seiten. Inhaltliche Schwerpunkt sind die Kultur, Natur, Menschen und Geschichte der Kanarischen Inseln.






[kol_1] Grenzfall: Moneda und Moneten
Die Macht des kleinen Geldes

Seien wir mal ehrlich: der schnöde Mammon regiert die Welt! Überall. Ob nun in der okzidentalen oder orientalen Welt, ob Nord oder Süd oder West oder Ost. Nur Cash macht fesch, wie mir mal anvertraut wurde. Vielleicht liegt es daran, dass ich noch immer keine betuchte Frau fürs Leben gefunden habe, dass mir dieser Satz hier wieder einfällt. Aber halt, ich schweife ab. Also: Wer nix zum Ausgeben hat, der bleibt auf der Strecke.

santiago de chile

Paradoxer Weise kann es in der Stadt der guten Lüfte auch andersherum sein. Du hältst einen Haufen Geld in der Hand, bekommst aber nichts. Wie ist das möglich, fragst Du? Ganz einfach. Man gehe nach einer intensiven Ankunftswoche auf die Bank und ziehe mit der EC-Karte sechshundert Pesos aus dem Automaten, um die Miete für das Zimmer zu bezahlen und noch ein bisschen was zum Leben zu haben. Nur kurz zum besseren Verständnis: 500 Pesos, das entspricht beim derzeitigen Umrechnungskurs ziemlich genau 136,16 Euro - von der Kaufkraft her gesehen, dürfte man aber getrost drei- bis viermal so viel erwarten verglichen mit dem alten Kontinent. Kurzum, das ist, zumindest in meinen Augen, eine Menge Holz, mit dem sich allerlei lustige Sachen anstellen ließen. Der Automat verrichtet also klaglos seinen Dienst und spuckt sechs einhundert Peso Noten aus. Ganz warm sind sie und riechen irgendwie nach Druckerfarbe, wenn sie so in meiner Hand liegen. Ein tolles Gefühl. Ich falte die Scheine zusammen und verstaue fünf davon in meiner Geldbörse, einen schiebe ich in die Hosentasche. Es gibt nichts Lästigeres, als ständig nach seinem Geldbeutel zu kramen, um irgendwas zu bezahlen. Deshalb hab ich mir seit längerem angewöhnt, das Geld in meinen Hosentaschen griffbereit  zu halten. Nun ja, raus aus der Bank und wieder ins pralle Stadtleben Buenos Aires! Ah, "la ciudad de la furia", wie es Gustavo Cerati mit seinen alten Soda Stereo besingt, hat mich wieder.

Es ist Sommer und es ist heiß, beinahe schon unerträglich heiß und die Stadt ist deutlich menschenleerer als sonst. Ferias Judiciales ist das Stichwort: der Beamtenapparat ruht bis Anfang Februar und die Porteños sind alle - soweit es die Situation erlaubt - an die Strände Argentiniens und Uruguays geflohen, um sich Seite an Seite den Teint für die nächsten Monate zu holen. Für mich heißt das im Umkehrschluss, dass sie den Weg freimachen, um den Stadtsommer mit ein wenig mehr Ruhe genießen zu können. Hier und jetzt! Wie auf Kommando klingelt im selben Augenblick mein Telefon: "Schatz, hast Du nicht Lust zum Mittagessen vorbeizukommen? Ja! Sehr schön, dann warten wir auf Dich!" Klick. Gut, ich muss ja auch nicht antworten. Ich nehme diese Art Befehle gerne entgegen, zumal die Stimme an der anderen Leitung zu einer guten Freundin gehört. Und Essen kann in diesem Falle ja per se schon nicht so falsch sein. Hunger habe ich jedenfalls genug. Also auf zum Retiro, hinein in den Zug nach San Isidro, dem etwas betuchteren Viertel der nördlichen Region Buenos Aires’. Vielleicht weht heute sogar der Wind eine kühle Brise vom Rio de la Plata herüber.

Als ich schließlich die Treppen zur Subte, der hiesigen U-Bahn, hinuntersteige und mich in die Warteschlange zum Ticketkauf einreihe, schaue ich neugierig in die mich umgebenden Gesichter und atme den typisch-muffigen U-Bahngeruch.

Nach zwei schnellen Minuten stehe ich in der Schlange beinahe ganz vorne, als es mir siedendheiß auffällt: das Klirren der Münzen, die in die kleine Mulde am Schalter hineinfallen, herausgenommen werden und als Wechselgeld dem Fahrgast entgegenrollen.

"Amigo…" höre ich hinter mir und schon werde ich sanft in Richtung Gitter geschoben, auf dessen anderer Seite wohl der Schalterbeamte hockt und seine Münzen zählt. Zu sehen ist er jedenfalls nicht. Als ich ihm meinen einhundert Peso Schein, zugegeben ein wenig verschämt, zu reichen versuche, um die kurze Fahrt zum Bahnhof zu bezahlen, kommt nicht ein mal ein müdes Lächeln. Nicht dass ich es sehen kann, aber ich merke es an der Reaktion; denn eine solche gibt es nicht. "No tengo cambio de cien!", ist die lapidare Antwort. Kein Wechselgeld. Was mach ich nur? Schwarzfahren kommt nicht in Frage, denn auch wenn man einfach über diese kleinen Drehtüren hüpfen könnte, um hinunter zur U-Bahn zu kommen, so steht hier direkt ein Beamter davor, der das Ganze überwacht. Und zehn Zehner-Karten will ich mir jetzt auch nicht leisten. Erst einmal weg vom Schalter, die Hinterleute drängeln schon.

Ich steige also die Stufen wieder hoch zur Straße, um mir irgendwo den Schein zu wechseln. Was auf den ersten Blick eine einfache Angelegenheit erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als wirkliche Herausforderung.

Die ersten beiden Kioskos wollen mir zwar wechseln, können aber nicht, der dritte will nur, wenn ich auch was kaufe. Dann aber bitteschön mehr als zehn Peso ausgeben, weil es sonst auch nicht gehen würde. Schau ich denn wirklich so gringomäßig aus?

santiago de chile


Meine letzte Hoffnung liegt im herkömmlichen Supermarkt. Irgendwas wird sich schon auf die Schnelle finden lassen. Und ja, eine Flasche Wasser und ein paar Bizcochos sind allemal drin. Ich schäme mich schon fast, als ich mich wieder hinten an eine viel zu lange Schlange anstelle, weil es ja nur drei Peso fünfzig sein werden. An Wechselgeld sollte es aber hier bitteschön nicht mangeln. Irgendwann bin auch ich an der Reihe und ich reiche der Verkäuferin den großen bläulichen Schein mit dem Konterfei von Julio Argentino Roca, zweifacher Präsident Argentiniens (ist allerdings schon etwas länger her). Die Blicke der guten Frau sprechen Bände, doch ich setze mein freundlichstes Lächeln auf - das bewirkt bekanntlich Wunder. Allerdings nur manchmal, denn die Dame gegenüber betrachtet die 100 Peso recht argwöhnisch und untersucht den Schein akribisch. "Es trucho." Falsch? Nein meine Liebe, das kann nicht sein, ich hab ihn eben aus dem Bankautomaten geholt. Die Banken wollen zwar auch hierzulande nur unser Geld, aber wenn sie es schon rausrücken, dann sollte man doch annehmen können, dass es sich um echte Scheine handelt, oder? Die Dame sitzt etwas teilnahmslos und achselzuckend auf ihrem Stuhl. Ich hole mein Portmonee raus und reiche den nächsten hinüber. Selbe Prozedur, leider auch gleiches Ergebnis. Also Nummer drei. Ein bisschen genieße ich es jetzt auch. Hinter mir ca. sechs andere zahlungswillige Kunden und ich plage mich hier mit einer Kassiererin herum, die auf das Wohl der Firma und auf das Wohl des Kunden getrimmt wurde, wobei man Letzteres nicht sofort bemerkt. Immerhin ist es schön kühl im Supermarkt.

Bei Nummer vier kann ich mir dann die Bemerkung, dass ich noch zwei Weitere zur Ansicht habe, nicht mehr verkneifen. Inzwischen werde ich von den dunklen Augen bereits getötet. Ein Stich ins Herz, aber mir ist es egal.

Tatsächlich wird der vierte Schein für gut befunden und angenommen. Ich erhalte das Rückgeld von sechsundneunzig Pesos und fünfzig Centavos. Und das bedeutet für mich nichts anderes, als dass ich einen Peso fünfzig für Subte und Bahn zur Verfügung habe. Und weil das nicht reicht, hab ich in der Hinterhand noch den fünf Peso Schein - und die Hoffnung, dass zumindest dieser beim Gebrauch gewechselt werden kann

Text + Fotos: Andreas Dauerer






[kol_2] Brasilien: Die Kunst der Empörung
Washington Arléo, Provokateur und Vektorenliebhaber

Che Guevara starrt auf eine nackte Frau. Die Frau hat eine Hand zwischen ihren Beinen und masturbiert. Mit der anderen Hand streichelt sie ihre Brust. PRIVILEGIORUM MATERIA!

Sinnlichkeit, Erotik und Pornografie gehen Hand in Hand mit mathematischen Formeln, bekannten Gesichtern wie Lula, Bob Dylan und Fidel Castro und Satzfetzen in den verschiedensten Sprachen. Die Bilder missbrauchen den Begriff des "Schönen", spielen mit den Gedanken des Betrachters, der sich schließlich in Arléos vornehmlich in Schwarz-Weiß gehaltener Welt verliert.

Er spricht nicht gerne über die Techniken, die er in seinen Bildern anwendet. "Ständig kommen Leute hier vorbei und fragen mich aus, um dann meinen Stil zu kopieren."


Zwei Galerien im historischen Zentrum von Salvador stellen seine Werke aus. Aber heutzutage verkauft er am meisten in wohlhabende Länder wie die Schweiz, Deutschland und die Niederlande. "Ich denke, dass die Leute dort mein Werk besser verstehen als hier."

Touristen gehen an dem Bild mit der masturbierenden Frau vorbei, auf dem Weg zum Pelourinho, dem zentralen Platz des historischen Stadtkerns. Neben dem für viele anrüchigen Werk kann man auch das Harmlose kaufen, mit kleinen bunten Häuschen drauf, Capoeira-Szenen und lächelnden Gesichtern typischer Baianos und Baianas. Aber das Schöne und Nette ist nicht die Sache von Arléo, Salvadors Nummer Eins Provocateur, dessen Hauptziel stets die vollkommene Verwirrung seiner Zuschauer ist.

Und er steht auf Frauen, besonders wenn sie verheiratet sind. Er liebt es, Skandale zu provozieren mit seiner seinen Geliebten gewidmeten pornografischen Poesie und den dazugehörigen Fotos derselbigen, die er auch im Internet veröffentlicht. "Und ich bin verrückt nach Vektoren. Die male ich besonders gerne."


Er zündet sich eine weitere Zigarette an. Hollywood, die Roten. "Ich würde ja gerne aufhören zu rauchen. Aber es geht nicht.... dafür rauche ich viel zu gerne."

Arléo ist ein Alleskönner: Maler, Skulpteur, Bühnenbildner, Poet und irgendwie Allgemeinkünstler, Autodidakt, ohne jedwedes Studium. Dabei hatte er sogar ein Studium an der UFBA in Salvador begonnen, doch da verursachte er Polemiken und noch mehr Chaos. Bis er schließlich sogar verklagt wurde.

Wenn er über den Pelourinho schlendert, begrüßt er alle Welt. Und es sieht so aus, als ob die Leute unschlüssig sind, ob sie Angst vor ihm oder Mitleid mit ihm haben sollten. Er ist stets der Mittelpunkt jeglicher Gerüchte, zumeist der heftigeren Art. Und er ist stets eine Bedrohung für jede Art von Establishment; immer bereit, zu streiten, zu kämpfen, und vor allem seine Schimpfwörter der übelsten Kategorie lauthals über allen auszukippen. Er ist ein „alter Hund" Im Viertel, obwohl er für seine 52 Jahre buntes Leben äußerst jugendlich wirkt.

Aber was haben Che Guevara, Lula und Fidel Castro im Jahre 2007 gemeinsam auf einem Bild zu suchen? "Wir Latinos, wir Dritte-Welt-Kinder, müssen uns unsere eigenen Ikonen suchen. Und Che symbolisiert für mich jegliche Form von In-Frage-Stellung und Empörung."

Er zündet eine weitere Zigarette an. Hollywood, die Roten. "Es gibt eine Tendenz nach Links in Lateinamerika, aber das ist nur ganz natürlich. Denn der große Antagonist der linken Politik sind nun einmal die USA. Sie sind Invasoren, und sie mischen sich ständig in das politische Leben der anderen Länder ein."


Eine sanfte Brise durchweht die kleine Bar und sorgt für etwas Erfrischung an diesem sonnig-heißen Sonntag. "Die kubanische Revolution war vielleicht nicht gerade DER große Erfolg, aber hat immerhin einen Weg aufgezeigt. Aber jede stagnierende Revolution verwandelt sich in etwas Konservatives und Reaktionäres – das passiert ganz automatisch. Man muss ihnen halt die Fehler vergeben, denn eine wirklich faire Chance zur freien Entwicklung haben sie nie gehabt."

Die kubanische Freundin an seiner Seite verdreht ihre Augen. "Das ist leicht gesagt – schließlich musst Du ja nicht in Kuba leben." Er zündet eine weitere Zigarette an. Hollywood, die Roten.

Die Augen bleiben strikt hinter einer Sonnenbrille versteckt. Selbst drinnen in der Bar. Da lässt er nicht mit sich reden. "Aber niemand kann verneinen, dass die kubanische Revolution ein wichtiger politischer Meilenstein war. Und Che ist der Poet der Empörung – wo auch immer ein Mann auf dieser Welt Empörung verspürt, ist Che Guevara an seiner Seite."

Alter politischer Haudegen, ehemaliger Präsident der Vereinigung der Bildenden Künstler Bahias, Ex-Mitglied im Rat der Carnavals-Organisation. Heute ist er zutiefst empört über die Richtung, die der Carnaval in Bahia eingeschlagen hat: die von Unternehmen gesponserten Logen, die exklusiv den Reichen und den Stars vorbehalten sind, die unglaublich teuren „offiziellen" Verkleidungen der einzelnen Blocks, die Invasion der Touristen, die den Einheimischen ihre Plätze wegschnappen. „Und das Volk bleibt im Popkorn sitzen."


"Der Carnaval stammt aus dem Innersten des Volkes, aber heutzutage hat er sich in eine riesige Gelddruckmaschine verwandelt. Sobald das Großkapital einsteigt, und mit ihm das kommerzielle Interesse, gibt es kein Halten mehr. Keinerlei Sinn und Gespür für die Grenzen, für die Tiefe und Bedeutung des Events, das sie sich unter den Nagel gerissen haben. Und das komplette kulturelle Erbe reißen sie nieder, im Tausch gegen ihre sprudelnden Einnahmen. Der Preis hierfür ist sehr hoch, und manchmal ist der Prozess unumkehrbar."

Käufer für seine Werke auf dem heimischen Markt zu finden, wird mit der Zeit immer schwieriger. "Ich hab mit sehr vielen Leuten gestritten. Dabei versuche ich eigentlich, mich zu beherrschen. Aber wenn ich dann erst mal das Mikrofon in meiner Hand habe, werfe ich meinen ursprünglichen Diskurs über Bord und improvisiere blitzschnell. Und dann sage ich halt, was ich so denke." Er benutzt seinen beißenden poetisch künstlerischen Diskurs um öffentlich anzuklagen, wobei er auch schon mal alle Welt dabei verhöhnt und der Lächerlichkeit preisgibt.

So stellte er sich öffentlich gegen den Versuch, die Gay Parade mit öffentlichen Geldern aus der Kunstförderung zu finanzieren. Und das mit den Steuergeldern der einfachen Arbeiter! "Klar macht man sich damit hier keine Freunde. Denn die hier gültige Währung ist der Arsch, und wer den seinigen nicht zur Verfügung stellen will, kommt nicht weit." Direkt wie die Vektoren, die er so gerne mag.

Er zündet eine weitere Zigarette an. Hollywood, die Roten. "Ich rauch ja schon weniger als früher... Und jetzt nur noch Zigaretten. Früher hab ich alles geraucht, nicht weil ich es so gerne mochte, sondern um die anderen zu retten. Ganz alleine habe ich versucht, das ganze Marihuana der Bahia aufzurauchen – um die Gesundheit der anderen zu schützen. Doch als ich etwa halb fertig damit war, merkte ich plötzlich, dass ich nicht mehr ganz richtig tickte."


Er denkt daran, nach Europa zu gehen, "Portugal wohl, wegen der Sprache – schließlich spreche ich ja nix außer dem Portugiesischen. Aber hier in Bahia hat es ja gar keinen Zweck mehr."

Selbst der Sieg der Arbeiterpartei PT in Bahia und das damit eingeleitete Ende der Ära von Antônio Carlos Magalhães kann ihn nicht aufheitern. "Bahia ändert sich niemals, trotz der PT-Regierung. Die Linke hier ist genau wie Magalhães, ist Carlista, oder besser gesagt, die Linke hier ist eigentlich eine Rechte. Das hier ist die Wiege Brasiliens, und hier gibt es immer noch die feinen Senhores und Senhorinhas, und die Leute verneigen sich vor den Mächtigen. Alles hier ist auf einem unmoralischen Fundament aufgebaut, und Gesetze zählen nicht. Das einzig gültige Gesetz ist das des Mächtigen. Selbst die Linke, wenn sie denn mal an die Macht kommt, kniet vor der Rechten nieder, die sie abgelöst hat, und bittet um Verzeihung dafür und um die Erlaubnis zum regieren." Er zündet eine weitere Zigarette an. Hollywood, die Roten.

"Die Leute, die jetzt die ganzen Posten besetzen werden, würden niemals gegen die alten Strukturen vorgehen. Denn denen schulden sie ganz viel. Und es ist nur eine Frage der Zeit bis die, die jetzt abgewählt worden sind, wieder zurückkommen. Die Verhärtung der hiesigen Dominanzen ist nicht zu verhindern. Denn die Bevölkerung hier reagiert überhaupt nicht, hat keinerlei tiefere politische oder philosophische Konzeption."

Er verharrt in einem gedankenverlorenen Schweigen. Dann nimmt er einen Schluck Bier, beobachtet die draußen über den Pelourinho schlendernden Personen. Es ist Sommer, Zeit der Touristenströme.

Und der Carnaval steht vor der Tür. Und fast alle freuen sich schon drauf. "Naja, Zirkus gibt es ja genug hier, und es ist ein hübscher Flecken Erde, gesegnet mit einer traumhaft schönen Küste."

"Und solange es Zirkus gibt, gibt man noch ein bisschen Brot dazu, und alle machen sich froh und lustig zum Samba auf. Das Leben geht weiter! Genau das ist die Art wie der Baiano lebt. Leider. Und das wird sich niemals ändern."

Er zündet eine weitere Zigarette an. Hollywood, die Roten.

Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_3] Macht Laune: Tropisch begossen




hau ruck
höher männer
noch eine reihe
wir sind in den tropen
hau ruck

stockfinster
es hat geregnet
ach was, gegossen hat es
knöcheltief steht das wasser auf der straße
noch 50 meter bis zur posada
rettende lichter flackern

letzte reihe männer
wir wollen es richtig krachen lassen
und jetzt an die äxte
schlagt zu

oh gott, ein getöse
als bräche ein damm
und dann noch einer
und noch einer
immer näher rückend
40 meter bis zur posada

nächste reihe
hoch die axt
schlagt zu

ein eisiger wind kommt auf
panisches frösteln überzieht den nacken
unendliche wassermassen jagen herbei
30 meter bis zur posada

mehr sonntagseele
ihr zuckerpüppchen
nächste reihe
axt schlägt

20 meter bis zur posada
doch ich seh sie nicht mehr
als würden alle fässer dieser welt
von unfähigen würdenträgern
zugleich angeschlagen
kracht eine wand
aus eimerdicken tropfen
und begießt mich tropisch



Text: Dirk Klaiber
Fotos: Thomas Milz





[kol_4] Lauschrausch: Unspanische Gesänge aus Spanien

Buika
Mi niña Lola
casa limón/ galileo mc

Dreimal "A" klingt aus der Stimme und der Musik Concha Buikas heraus: Afrika, Andalusien und Amerika. Die in Palma geborene Sängerin mit Wurzeln in der ehemaligen spanischen Kolonie Äquatorialguinea mischt afrikanische Rhythmen mit Elementen aus dem Flamenco, dem Soul und dem Jazz, wie in ihrer Eigenkomposition "A mi manera" in der auch kurz Duke Ellingtons "Caravan" anklingt. Mit ihrer rauchigen Stimme interpretiert sie kraftvoll berühmte coplas (eine Form des populären spanischen Liedes) wie "Mi niña Lola" oder "Ojos verdes" und steht einer Gitano-Sängerin in nichts nach. Was nicht weiter verwundert, wenn man weiß, dass Concha mit gitanos aufwuchs.

Cuban salsa
Erst während eines Konzertbesuches in London entdeckte sie ihre Liebe zur Musik. Die Autodidaktin komponierte auch Housemusic, aber ihre Leidenschaft gehört dem Flamenco und dem Jazz.

Mit ihrem zweiten Album bestärkt sie diese Zuneigung und ihre Rolle als eine der Hoffnungsträgerinnen der spanischen Gesangsmusik. Buikas Texte nehmen den Hörer mit auf eine emotionsgeladene Reise ins Innerste ihrer Gefühle ("Loca"). "Die großen Musiken sind international und kommen nie aus der Mode", sagt Concha Buika, "und wenn man sie von exzellenten Musikern interpretieren lässt, entsteht daraus ein explosiver Cocktail". Aus diesem Grund hat sie sich wohl auch Größen wie den kubanischen Schlagzeuger Horacio "El Negro" Hernández, den Pianisten José Reinoso und den Flamencogitarristen Niño Josele ins Studio geholt.


Faltriqueira
Efffecto
Resistencia/ galileo mc 12661

Das neue Album von Faltriqueira beginnt mit einem fröhlichen Lied der senegalesischen Band Touré Kunde bevor sich die vier Sängerinnen aus La Coruña der Musik ihrer Heimat Galizien zuwenden. Sie arrangieren die traditionellen Stücke neu und setzen dabei auch moderne Instrumente ein, die sie aber nicht selbst spielen. Beherrschen die Vokalistinnen neben ihrem Gesang doch "nur" Tambourine im Stil der melodischen Tradition der pandereteiras (Tambourine-Spielerinnen in Galizien). Hauptsächlich mischen Faltriqueira ihren polyphonen Gesang aber mit Perkussion und akustischen Instrumenten. Die Gruppe wählt zudem Stücke von anderen Breitengraden für ihre Konzerte und CDs aus oder interpretiert einheimische Lieder im Stile anderer Kulturen, wie bei "Adios", das einem griechischen Sirtaki ähnelt oder "Corpiño xeitoso" das brasilianisch daher kommt - übrigens ein Hit ihres Landsmannes Andrés do Barro aus der kurzen Modephase mit Songs in galizischer Sprache nach Ende der Franco-Diktatur.

Calle Real Con Fuerza

Auch Victor Jaras Stück "Canto libre" haben die vier Damen auf "Efffecto" für ihren polyphonen Gesang neu arrangiert.


Der Name "Faltriqueira" kommt übrigens von der Tasche, die sich unter den traditionellen Kleidern der galizischen Tänzerinnen befindet und in der sie kleine Dinge aufbewahren. Ein schönes Album vor allem für Fans traditioneller Musik.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon.de






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