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[kol_3] Helden Brasiliens: Senhor Claude revisited - Zurück auf der Ilha Grande

Schon von weitem sehe ich es: Der Hut ist ein anderer! In seinen 44 Jahren hier in Brasilien war der grau-verwuselte Hut Senhor Claudes stetiger Begleiter, doch jetzt, im 45., wurde er durch eine blaue Mütze ersetzt. Während Pompom, sein Hund, genüsslich im Sand vor der Pousada Mara e Claude liegt, steht sein Herrchen am Eingangstor und raucht. "Pompom ist richtig berühmt geworden, seitdem Du sein Foto ins Internet gestellt hast. Manchmal kommen wildfremde Leute vorbeispaziert und rufen: "Hallo Pompom, alter Junge, wie geht`s?" Und wenn ich frage, woher sie ihn kennen, heißt es stets: hab ihn doch im Internet gesehen."

Die kleine Pousada Mara e Claude mit ihren sechs geschmackvoll eingerichteten Zimmern ist ausgebucht.

"Es hört einfach nicht mehr auf. Als wir vor sechs Jahren die Zimmer eingerichtet haben, wollten wir nur ein bisschen Beschäftigung auf unsere alten Tage. Und jetzt kommen immer mehr Leute..." Claude zeigt eine portugiesische Reisezeitschrift, die mit dem Titel "Brasiliens verlorene Paradiese" aufwartet und, unter anderem auch die Ilha Grande vorstellt.

In dem wohlwollenden Artikel findet sich eine Besprechung der Pousada. "Invés de ficar bobo olhando para o mar, temos a chance de conheçer muita gente interessante” wird Claude zitiert - "Anstatt durch das ewige auf das Meer Starren zu verblöden, haben wir die Chance, viele interessante Menschen kennen zu lernen."

Er lächelt verschmitzt. "Die waren sehr nett, die Portugiesen. Aber Seefahrer waren sie nicht wirklich. Am ersten Tag haben sie ihre ganze Ausrüstung, Kameras und und und in ein Boot gepackt und wollten losfahren. Während sie noch mit dem Anlassen des Motors beschäftigt waren, sind sie auf die kleine dem Strand vorgelagerte Insel gebrettert und untergegangen. Die Frau kam pitschnass zurück und rief nur: "naufragamos!" - "Wir haben geschiffbrucht!". Das ganze Material haben sie verloren. Und so was will ne Seefahrernation sein?"

In den letzten zwei Jahren hat sich die Insel vom Geheimtipp zu einem beliebten Reiseziel entwickelt. Von Dezember bis März ist es schwierig, ein gutes Zimmer zu vernünftigen Preisen zu bekommen. Wer Neujahr hier feiern will, muss mit Paketpreisen von 2.000 Reais (ca. 600 €) für fünf Übernachtungen rechnen. Das gleiche gilt für das Karnevalwochenende.

Von März bis zu den Schulferien im Juli ist es dagegen ruhig auf der Insel, genau wie zwischen August und November.

Es hat sich herumgesprochen, dass die autofreie Insel über einige der schönsten Strände Brasiliens verfügt, versehen mit dem Postkartenmotiv blau-grünem Wassers, dichter dunkelgrüner Vegetation und erfrischend kühler Wasserfälle. Zudem kann man abends in den zahlreichen Restaurants des kleinen Hauptörtchens Abraão ausgiebig schlemmen und einen erfrischenden Drink genießen. So wie wir am Strand vor der Pousada.

Nach der obligatorischen Garaffe Maracuja-Caipirinha, die Claude mit seinen Gästen zu Ehren jedes gelungenen und missratenen Sonnenunterganges zelebriert, zieht die Karawane in das benachbarte Fischrestaurant weiter. "Wenn das so weitergeht, werde ich auf meine alten Tage noch zum Alkoholiker", klagt der 70-jährige leise.

Die französischen Gäste wollen wissen, was genau die Unterschiede der verschiedenen Fischgerichte, Eintöpfe und Suppen sind. Eine Weile quält sich Claude durch verschiedene Erklärungsansätze, nuschelt die französischen Übersetzungsversuche durch den dichten Bart, bis er es schließlich aufgibt und einfach einen Riesenpott voll Meeresgetier bestellt.

Und auf Portugiesisch brummelt er in sein Bier: "Ich habe schön und genug gesprochen, jetzt reicht es. Euch wird das Essen schon schmecken."

Und später gesteht der in Frankreich geborene ehemalige Pastetenfabrikant selbstkritisch: "Alle Welt will einfach nur ein gutes Essen genießen. Egal wie der Fisch heißt oder ob das Gericht aus Rio oder Salvador stammt. Außer den Franzosen, die unbedingt alles Ess- und Trinkbare zu einer Kunst erheben müssen. Sie nerven die ganze Welt ständig mit neuen Wein- und Käsesorten. Unerträglich." Er steckt sich gemütlich eine Zigarette an und zieht voller Genuss daran.

"Was ist eigentlich mit dem alten Hut geschehen?" Senhor Claude schaut sich verstohlen um.

"Mara hat ihn versteckt. Sie meint, dass ich mich mit ihm lächerlich machen würde. Ich habe ihr gesagt, gerade jetzt, wo ich anfange, berühmt zu werden und die Leute mich anhand des Hutes erkennen, kann sie ihn mir doch nicht einfach wegnehmen. Aber sie versteht überhaupt nichts von Marketing!"

Er zieht erneut an seiner Zigarette, nachdenklich. "Seit Jahren trage ich nichts mehr anderes als meine Strandshort und meinen Hut. Zu Nikolaus wollte ich ein Paar Schuhe vor die Türe stellen, doch dann ist mir aufgefallen, dass ich gar keine mehr habe. So ist das Leben."

Text + Fotos: Thomas Milz


Die Ilha Grande liegt vor der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro. Boote fahren ab Mangaratiba (2 Stunden südlich von Rio) täglich um 8 Uhr, freitags zusätzlich um 22 Uhr. Rückfahrt von Abraão täglich um 17.30 Uhr.

Von Angra dos Reis (3 Stunden von Rio und 7 Stunden von São Paulo) Montags bis Freitags um 15.30 Uhr, Samstags, Sonntags und an Feiertagen um 13.30 Uhr. Rückfahrt von Abraão täglich um 10 Uhr.

Die Pousada Mara e Claude liegt in der Rua da Praia 333, Vila de Abraão. Tel: 024 - 3361 5922.
Kontakt: tom@caiman.de oder direkt bei Mara und Claude (auf portugiesisch) ilhamara@ilhagrande.org.

Mehr Infos unter www.ilhagrande.org.

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