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[art_3] Spanien: Kataloniens Schönste 2050
Aber nicht bei Regen
 
Hat das geregnet! Während in der Heimat der November zum Sommer erklärt wurde, versank Katalonien im Regen. Es gab Tage, da blieben sogar die Schulen geschlossen. Da waren Straßen, ja auch die Schnellstraßen, etwa die NII, die wichtige Nord-Süd-Verbindung, einfach überflutet und somit gesperrt.



Unser Dorf will schöner werden
Es tut sich nach morbidem Stillstand Großes in Villavieja. 1998 habe wir im Ayuntament ein Modell gesichtet, wonach das Kernstück des alten Dorfes nahe Figueras mit Sozialwohnungen zugeplastert werden sollte. Damals waren wir entsetzt, wurden aber sogleich beruhigt: Das dauert noch Ewigkeiten. Im übrigen standen auch noch Häuser und wohnten Menschen und Tiere dort, wo das ehrgeizige Projekt realisiert werden sollte. Und eine wunderschöne alte Buche, in deren Schatten schon vor 60 Jahren die Gemüsefrau nach Schulende auf Abholung durch ihr Eltern wartete und 2004 die wohl schönste aller jemals gefeierten Hochzeiten stattfand.

Feldforschung
Wir waren zwei Jahre nicht mehr hier und so hatten wir den Beginn der Bauarbeiten glatt verpasst. Dann fuhren im Frühjahr Freunde nach Villavieja und berichteten mit leichtem Entsetzen von dem, was da entstehen würde. Sie schickten Fotos und wir erfuhren, dass das Projekt bis Ende 2011 abgeschlossen sein sollte. Das Ausmaß war bei weitem nicht so gewaltig, wie noch vom Modell der ersten Stunde dargestellt. Die Häuser, Menschen und Tiere waren geblieben. Und lediglich Spielplatz und Parkplatz, auf dem alle zwei Jahre der kleine Zirkus gastierte, hatten weichen müssen.

Kurz vor dem großen Regen im Oktober trafen wir ein und waren baff, mit welchem Ehrgeiz und Arbeitseifer zu Werke gegangen wurde am Großbauprojekt Vilaviejas. Entstanden waren sechs schmale Reihenhäuser und denen gegenüber ein gewaltiges Gebäude mit acht Wohnungen. Verkauft wurden die Wohneinheiten zunächst ausschließlich an junge Menschen aus der Gemeinde, deren Abwanderung man so verhindern möchte. Mit Erfolg, denn nur zwei der Wohnungen fanden keine jugendlichen Abnehmer und gingen an ältere Einwohner. Idee ist es, der kompletten Überalterung Vielaviejas entgegenzuwirken. Und so beschlossen die Entscheidungsträger rund um den Bürgermeister gleich noch weitere Verjüngungen: die Straßen werden erneuert und zweifarbig gepflastert. In gleichem Zuge wird das Gewusel aus schwarzen Kabeln unter der Erde verschwinden und eine Gasleitung verlegt.



Das Gebäude mit den Wohnungen ist nun tatsächlich eher ein architektonischer Fehlgriff, der sich so gar nicht ins Dorfbild einordnen lassen möchte. Die Reihenhausanlage hingegen ist zwar nicht hübsch, aber unauffällig. Immerhin jedoch passiert was in Richtung Kataloniens Schönste im Jahr 2050. Denn auch die Alteingesessenen hat der Verschönerungstrieb gepackt und so wurde nach zig Jahrzehnten zum ersten Mal wieder fleißig das heruntergekommen anmutende Grau geweißelt oder farbig aufgefrischt.
 
Als wir anreisten, war bereits das halbe Dorf gepflastert und die Straße, die zwischen den beiden neuen Gebäudekomplexen verläuft, gerade aufgerissen worden um erste Rohre zu verlegen. Und dann kam der Regen. Die neue Straße links von unserem und die vor unserem Domizil verwandelten sich in Bäche und die Baustelle lief voll. In den folgenden drei Wochen hatten die Bauarbeiter, Architekten, Bauleiter und Stadtverantwortlichen mit den nassen Umständen zu kämpfen. Immer neue Rohre wanderten unter Erde oder wurden ausgetauscht, die Straße mal aufgerissen, mal zugeschüttet. Nun scheint es, als ob die momentane Trockenphase wieder Friede für die Straße hat einkehren lassen, in der Hoffung alsbald gepflastert zu werden. Der Zeitpunkt der Schlüsselübergabe für die Käufer der Häuser und Wohnungen hat sich um zwei Monate verschoben auf Ende Februar. Was aber sind zwei Monate im Kampf gegen das Altern?



Er lahmt, der Regen
Zum Ende "der Regenzeit" fuhren wir Einkaufen in einen der größten Supermärkte Figueras, an der Schnellstraße auf dem Weg nach Rosas gelegen. Da es wieder schüttete als wir den Einkauf beendet hatten, wollten wir den Wolkenbruch abwarten und bestellten Kaffee. Kaum genippt, herrschte Aufregung. Der Fluss bzw. Bach Manol war über die Schnellstraße auf den Parkplatz vorgedrungen. Die Ausfahrt war schon nicht mehr passierbar und wir wurden aufgefordert, uns umgehend auf den Heimweg zu machen. Eine halbe Stunde später bahnte sich der Manol seinen Weg in den Supermarkt. Die Rückfahrt glich einem Spießrutenlauf, da sämtliche Straßen gesperrt waren inkl. erwähnter NII. Man war das aufregend.

Fazit der Feldforschung
Was uns persönlich getroffen hat und weshalb Vilavieja den Titel des Katalanischen Musterdorfes 2050 nicht erhalten wird, ist die Ermordung der alten Buche. An ihrer Stelle thront nun eine Batterie von Müllschluckern. Die Gemüsefrau hat Tränen vergossen und einen leichten Fluch in Richtung Dorfverwaltung geschickt. Ansonsten bleibt nur abzuwarten!

Text + Fotos: Maria Josefa Hausmeister

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