caiman.de 01/2008

[kol_1] Grenzfall: Kirchner und er

Fernando A. Iglesias ist der Autor des Buches ''Kirchner y Yo: por qué no soy kirchnerista'' und erst vor kurzem als Abgeordneter der Coalición Cívica ins argentinische Parlament gewählt worden.

Wir haben ihn in Buenos Aires getroffen, um über Argentiniens neue Präsidentin Cristina Kirchner zu sprechen, die am 10. Dezember ihr Amt antrat. Doch auch über symbolische Wettbewerbe und den Platz Argentiniens im Mercosur konnte uns Iglesias Auskunft geben.



Was erwarten Sie von Cristina Kirchner?
Nun, es wird eine Fortsetzung der Amtszeit ihres Mannes Néstor Kirchner werden. Ich glaube nicht daran dass es große Veränderungen geben wird. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik muss allerdings etwas geschehen - besonders im Bereich Inflationsbekämpfung. Ansonsten wird dies lediglich eine Fortsetzung von Néstor Kirchners Projekt für unser Land.

Aber ich hoffe, dass Cristina Kirchner den Willen zeigt, anders mit den Institutionen umzugehen. Während ihres Wahlkampfes sprach sie oft von "institutioneller Qualität", doch bisher hat sie eigentlich immer das genaue Gegenteil praktiziert. Mal wieder wurde das Wirtschaftsnotgesetzt in Kraft gesetzt, das die Präsidentin, also die Exekutive, auf Kosten der Legislative stärkt. Das ist auf jeden Fall keine "institutionelle Qualität".

Und nun der aktuelle Skandal mit dem Geldkoffer* - ihre Äusserungen dazu waren Besorgnis erregend. Sie hätte besser die FBI-Untersuchungsergebnisse genommen und eine eigene Untersuchung starten sollen. Und nicht einfach nur behaupten, es handele sich um ein Komplott des US-Imperiums.

Hätten die USA tatsächlich die Absicht gehabt, Cristina Kirchner zu schaden, hätten sie diese Dinge während des Wahlkampfes veröffentlicht und nicht nach den Wahlen. Der Vorwurf ist also Blödsinn und entbehrt jeglicher Grundlage.

Wir Argentinier wollen eine Untersuchung um zu klären, wieso US-$ 800.000 plötzlich hier in Argentinien auftauchen.

* Im August wurden drei Venezolaner und ein Uruguayer, die aus Caracas kamen, vom argentinischen Zoll am Flughafen in Buenos Aires festgenommen. Die Polizei fand US-$ 800.000 im Koffer des Venezolaners Guido Antonini Wilson. Das US-amerikanische FBI glaubt, dass Venezuelas Präsident Hugo Chávez das Geld als Unterstützung für Cristinas Kampagne geschickt hat.


Aber solche Vorfälle sind ja eigentlich normal bei Wahlen in dieser Region...
Es war sicherlich keine Überraschung. Aber die ganze Situation war absurd. Wilson kam hier mit US-$ 800.000 im Koffer an, und die Polizei zeigte ihn wegen Geldschmuggels an! Geldwäsche wäre da wohl der zutreffende Begriff.

Das Gesetz besagt, dass er eigentlich nur die Hälfte des Geldes hätte abgeben müssen. Aber er ließ einfach den gesamten Betrag zurück, sagte nichts und verschwand. Klar, dass das Geld nicht ihm gehörte!

Aber wir haben so etwas ja schon erwartet, denn Cristinas Kampagne war absurd. Sie hatte Unsummen zur Verfügung. Und auch der Einsatz öffentlicher Mittel war unglaublich - sie benutzte die Präsidentschaftsmaschinerie ihres Mannes und das öffentliche Fernsehen für ihre Wahlkampfzwecke.

Wir fordern eine Untersuchung über die Herkunft des Geldes. Solche Dinge dürfen sich hier nicht mehr wiederholen.

Wie steht denn Argentinien nach vier Jahren unter Néstor Kirchner da?
Die wirtschaftliche und soziale Situation hat sich sehr verbessert. Die Frage ist lediglich, ob sie dies dank Kirchner oder trotz Kirchner getan hat.

Wir haben es jedoch immer noch nicht geschafft, unser Produktionsprofil zu ändern. Immer noch sind wir von Exporten von Soja und anderen Rohstoffen abhängig. Und unsere Industrie wird subventioniert und ist nicht wirklich wettbewerbsfähig. Wenn demnächst der Sojapreis abrutscht, wird das Geld fehlen, die Wirtschaft zu unterstützen und sie wird genauso in die Krise rutschen wie unter Menem.

Argentinien muss sein ökonomisches Profil verändern und zu einer Informationsgesellschaft mit moderner Industrietechnologie werden. Und das soziale Profil muss ebenso geändert werden - denn heute ist die Ungleichheit genauso groß wie unter Präsident De la Rúa im Jahr 2001, also vor der Krise. Nichts hat sich geändert! Die Krise ist vorbei und alles ist beim Alten geblieben. Aber die beiden Kirchners haben keinen Plan, wie man das ökonomische und soziale Profil ändern könnte. Das ist ihr großes Problem.



Argentinien hat die bittere Pille geschluckt, dass Brasilien die Nummer Eins im Mercosur ist?
Wir Argentinier haben die furchtbare Angewohnheit, ständig symbolische Wettbewerbe auszutragen, die ausschließlich in unseren Köpfen existieren. Schon seit langem ist Brasilien viel wichtiger und entwickelter als Argentinien.

Vor hundert Jahren haben die Argentinier gesagt, dass sie die US-Amerikaner von Südamerika werden würden. Danach behaupteten wir, dass wir auf dem gleichen Niveau wie Australien, Neuseeland und Kanada seien. Und danach ließ man verlauten, dass wir es locker mit Brasilien aufnehmen könnten.

Und jetzt haben wir uns Chile als Modell ausgesucht. Demnächst werden wir sicherlich auch auf gleicher Augenhöhe mit Venezuela sein!

Wenn wir mit Kirchners Politik so weitermachen, wird dieser nationale Verfall munter so weitergehen.

Fragen + Fotos: Thomas Milz

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