Es ist früher Abend in Soroa, einem winzigen Ort, der eigentlich nur aus einer Straße, einem Hotel und 15 Häusern besteht und in dessen Nähe sich der Wasserfall Arco Iris (Regenbogen) und ein außergewöhnlicher Orchideengarten mit 6000 Pflanzenarten aus allen Erdteilen befinden. Wir haben uns in einer Privatunterkunft einquartiert und mixen unsere Mojitos selbst. Der Rum stammt vom Laden nebenan; Minze und Limetten von der Hotelbar. Die Cocktails werden immer besser, der Abend immer länger und unsere Koordination immer dürftiger. Irgendwann dreht sich bei mir alles und ich werfe mich völlig erschöpft aufs Bett. Das ist für das gute Stück leider zuviel: es kracht! Oh nein, was mache ich jetzt?, schießt es mir durch den Kopf. Ich beschließe, das Ganze kubanisch anzugehen und erstmal drüber zu schlafen.
Das Bett hält wacker bis zum nächsten Morgen durch, doch die ersten Sonnenstrahlen bringen es ans Tageslicht: eines der Bretter ist hinüber, da gibt es nichts zu deuteln.
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Dummerweise ist die Vermieterin, von uns mit dem Spitznamen "dicke Zicke" bedacht, total unfreundlich (was völlig untypisch für Vermieter von Privatzimmern ist). Doch zum Glück ist ihr Mann wesentlich sympathischer. Ich warte also, bis der Hausdrache ausgeflogen ist und wende mich kleinlaut an den Herrn des Hauses, um den entstandenen Schaden zu zahlen. "No hay problema!", lächelt er mich an und sägt Momente später schon ein neues Brett zurecht. Zwei Stunden später ist bereits alles repariert. Wir staunen nicht schlecht. Ein gutes Beispiel für das Improvisationstalent und handwerkliche Geschick vieler Kubaner.
Am nächsten Tag geht es mit einem alten Chevi aus den 50er Jahren zum benachbarten Ökotourismuszentrum Las Terrazas. Hier veranlassten ökologische Verwüstungen ein einmaliges Projekt: Durch Waldbrände und fehlerhafte Anbautechniken waren die Gebirgshänge fast vollständig der Rodung zum Opfer gefallen, so dass man sich 1971 entschied, ein Wiederaufforstungsprogramm ins Leben zu rufen. Das Projekt verlief so erfolgreich, dass die UNESCO 1985 den Ort unter ihre Obhut nahm.
Bei den Wanderungen durch die dichten Wälder zu den Ruinen der Kaffeeplantagen des 19. Jahrhunderts lohnt es, die Augen offen zu halten und genau hinzusehen, denn hier tummeln sich mit einem pfenniggroßen Frosch und der Schmetterlings-Fledermaus einige der kleinsten Arten der Welt, vom Nationalvogel Trogon ganz abgesehen.
Da wir uns fortan weder die sündhaft teuren Leihwagen noch Taxis leisten können und es hier keine Busverbindung für Touristen gibt, geht es auf kubanische Reiseart nach Pinar del Rio: Man setzt sich einfach an der Autobahn in den Schatten einer Brücke und wartet auf den nächsten Bus oder Lastwagen, in bzw. auf den man sich quetschen kann (das würde ich aber nur empfehlen, wenn andere Transportmöglichkeiten nicht in Frage kommen, um den Kubanern nicht die Plätze wegzunehmen. Außerdem ist das nichts für zarte Gemüter!).
Pinar del Rio ist zwar eine recht große Provinzhauptstadt, strahlt aber einen ländlichen Charme und eine Menge Gemütlichkeit aus. Man nennt sie auch "el paraiso de las columnas", das Paradies der Säulen, denn Schattenspendende Säulen-Arkaden ziehen sich kilometerweit durch die Stadt.
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Um die Pinareños drehen sich viele Witze. Zum Beispiel heißt es, dass hier schon mal die Feuerwehrstation abgebrannt sein soll und sich angeblich ein Bautrupp selbst in einem Haus eingemauert hat. Ich mache meine eigenen Erfahrungen:
Auf der Straße werde ich von einem jungen Kubaner angesprochen und gefragt, ob er denn mal mit dem geliehenen Mofa fahren könne. Da er sehr nett zu sein scheint, sage ich zu. Ich müsse nur vorher bei einem Campismo vorbei, er solle hinten aufsteigen und könne dann ja zurückfahren. "Hast Du denn einen Führerschein?" - "Na klar, den muss ich nur vorher noch zu Hause abholen." Wir fahren also bei ihm vorbei. Etwas stutzig werde ich zum ersten Mal, als er nicht auf der Landstraße, sondern erst in der Stadt fahren will. Doch dann fällt der Peso: Na klar, dort sind schließlich seine Freunde, er wird gesehen und kann sich in Pose werfen! Wir wechseln also die Plätze und er lässt den Motor aufheulen. "Langsam!", warne ich noch, und habe irgendwie kein gutes Gefühl. Doch das Unglück nimmt bereits seinen Lauf: er kommt überhaupt nicht mit dem Gashebel zurecht und dreht voll auf. Wir machen einen Hochstart wie aus dem Lehrbuch und landen beide unsanft auf der Straße, sehr zur Belustigung der umstehenden Zuschauer. Jetzt wird mir klar, dass der Grünschnabel in seinem Leben noch keinen Führerschein gesehen hat. Fluchend sammele ich das Mofa auf und ziehe von dannen. Noch Tage später kursiert die Geschichte in den Straßen.
Am Abend genießen wir im Cabaret die tolle Show. Gegen Ende gleitet eine der Darstellerinnen von Tisch zu Tisch und fordert die Leute zum Tanzen auf. Unweigerlich kommt sie näher und prompt erwischt es mich. Da ich mir meiner hölzernen Bewegungen bewusst bin und keine 500 Blicke auf mich ziehen möchte, weigere ich mich energisch. Mein Freund genießt unterdessen, dass der Kelch an ihm vorübergegangen ist und macht fleißig Dokumentationsfotos von unserem Tauziehen. Ich behalte die Oberhand und bleibe sitzen.
Gegen Ende der Show wendet sich die Ballerina erneut an mich: was denn los sei, ob sie mir nicht gefiele. "Doch, auf jeden Fall", antworte ich. "Nur kann ich halt kein Salsa tanzen. Normalerweise habe ich zwar kein Problem damit, aber bei so viel Publikum..." - "Dios mio! Das darf doch nicht wahr sein! Jemand, der nicht tanzen kann! Das müssen wir sofort ändern." Und so komme ich zu meiner ersten Privat-Salsastunde.
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Erstaunlicherweise verlässt keiner der Gäste den Saal und tatsächlich geht die Show weiter. Diesmal jedoch sind die Zuschauer die Protagonisten: Aufgefordert wird zu einem Tanzwettbewerb, zu dem sich sofort 10 Paare melden. Ein jeder darf nun seinen eigenen Stil präsentieren, und es gilt: je verrückter, desto besser. Das Publikum tobt. Ich reibe mir erstaunt die Augen und kann qualitätsmäßig kaum einen Unterschied zu den professionellen TänzerInnen entdecken!
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Am nächsten Abend setzen sich einige Prostituierte an unseren Tisch. Mittlerweile erkenne ich "Jineteras" auf den ersten Blick: der Schmuck- und Seidenanteil weist einen bestimmten, über dem Durchschnitt liegenden, Prozentanteil auf. Wir bleiben höflich, aber distanziert. Da tritt ein älterer Deutscher an unseren Tisch, mit einer jungen Kubanerin im Arm. Väterlich gibt er mir den Tipp: "Ihr müsst lediglich eine Flasche Rum bestellen. Die kostet euch US-$ 1,50 und die Mädchen werden es euch später danken." Ich erwidere, er könne sich seine Tipps sonst wohin stecken und rege mich über den Sextourismus auf. Leider werden in erster Linie die Prostituierten bestraft, wenn sie erwischt werden und nicht die ausländischen Touristen.
Am nächsten Tag steht das Kurbad San Diego de los Baños auf dem Programm. Die Banken in Pinar (wo ich vorher noch Geld abheben wollte), haben rätselhafter Weise geschlossen, obwohl erst morgen offizieller Feiertag ist. Ich kratze also mein letztes Geld zusammen, um mir ein Mofa mieten zu können und muss zudem noch meine Vermieterin anpumpen. Dann geht es los in die hinterste Provinz bis zur mitten im tropischen Regenwald gelegenen Cueva de los Portales, einem der Rückzugsgebiete Che Guevaras während der Kubakrise im Oktober 1962. Ein freundlicher Führer empfängt mich und zeigt mir die spartanisch eingerichtete kleine Hütte, in der Che schlief, Tagebuch schrieb, Schach spielte und mit seinen 30 höherrangigen Offizieren Strategien diskutierte. "Siehst du die Einschusslöcher an dem Baum dort? Hier hat Che seine Schießübungen gemacht." Überhaupt ist der von jung und alt verehrte kubanische Volksheld noch heute allgegenwärtig und wirkt mit seinen von ihm glaubhaft vorgelebten Idealen als Vorbild für eine gerechte Gesellschaft. Eine seiner zentralen Forderungen war revolutionärer Einsatz und Disziplin jedes Einzelnen zum Wohle der Gemeinschaft, z.B. in Form von freiwilliger Arbeit. Dies sollte helfen, die Unterentwicklung zu überwinden und Wirtschaft und Gesellschaft getreu seinem Motto: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche, umzugestalten und den "Neuen Menschen" zu schaffen.
Ich schwinge mich erneut auf das Mofa und kämpfe mich 12 Kilometer in Schlangenlinien durch eine Schlaglochpiste bis zum Park La Güira, wo ein verrückter spanischer Rechtsanwalt seine Kreativität ausgetobt hat. Schon am Eingang begrüßen einen hohe mittelalterlich anmutende Türme, und auf dem Gelände selbst trifft man auf chinesische Pavillons und gotische Festungen im Miniaturformat. Man kommt sich ein bisschen wie in einem Freizeit-Märchenpark vor. Bambushaine, mit Seerosen bewachsene Teiche, überwucherte Skulpturen und verfallene Gebäude verleihen dem riesigen Gelände ein verwunschenes wildromantisches Ambiente. Ich ziehe weiter.
Kurz darauf erreiche ich San Diego de los Baños, dessen Geschichte bis ins Jahr 1632 zurückreicht, als ein kranker Sklave einen Schluck aus einer Quelle nahm und sich die Nachricht von seiner Genesung wie ein Lauffeuer verbreitete. Hier suche ich mir eine Privatunterkunft.
(Hier endet der 1.Teil über Pinar del Rio. Die Fortsetzung erscheint in der Novemberausgabe des caiman.)
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Text und Fotos: Dirk Krüger
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