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[art_4] Brasil: Rauschende Ballopern

Wenn die Sonne hinter den Bergen der Serra do Mar verschwindet, den Strand in dämmriges Grau und Gelb gehüllt zurücklässt, der vom Meer kommende Wind die Schwüle des Tages hinwegfegt und die letzten Sonnenanbeter den Strand verlassen haben, treten sie in Aktion, laufen ein in die zuschauerfreie Naturarena aus Sand, um ein abendliches Ritual zu vollziehen: der letzte Kick des Tages, eine Partie Strandfußball in der Dämmerung, ohne Schuhe und Hemd, ein paar Holzstäbe zu Toren zusammenimprovisiert. Weit weg von dem organisierten Wahnsinn des "Big Business Futebol", das auch hier in Brasilien seine Kapriolen schlägt.

Im Land des fünfmaligen Weltmeisters gibt es zurzeit in Sachen Fußball mehr verwirrendes als sonst was zu berichten.

Vor einigen Wochen schockte der plötzliche Tod des Verteidigers Serginho, der während des Spiels seiner Mannschaft São Caetano gegen São Paulo einfach zusammenbrach und starb, die fußballverrückte Nation.

Gegen den Präsidenten des Clubs und den Mannschaftsarzt soll jetzt Anzeige erhoben werden, da sie angeblich von den Herzproblemen des 30-jährigen wussten und ihn trotzdem spielen ließen. Außerdem sollen dem Club, der aktuell den vierten Platz belegt und noch Aussichten hat, Meister zu werden oder sich zumindest für die Copa Libertadores zu qualifizieren, all die Punkte abgezogen werden, die er mit Hilfe des eigentlich nicht spieltauglichen Serginho gewonnen hat. Die 24 Punkte Abzug würden den Club auf den 14. Platz abrutschen lassen, in die Abstieg gefährdete Tabellenzone. Freuen tun sich die hinter São Caetano platzierten Clubs wie Palmeiras und Goiás, die plötzlich wieder eine Chance wittern, doch noch den dritten Platz und damit die Qualifikation für die Libertadores zu erreichen.

Gerade war dieser Schock ein wenig abgeklungen, als die Mutter von Santos Superstar Robinho während eines Churrascos aus einem Restaurant der Baixada Santista entführt wurde. Noch während man um sie bangte und auf ihre Freilassung hoffte, meldeten die Agenturen plötzlich, dass Robinho für 12 Millionen Euro einen 5-Jahres-Vertrag mit Real Madrid abgeschlossen haben soll. Mit der offiziellen Verkündung des Wechsels wollte er jedoch warten, bis seine Mutter wieder auf freiem Fuß sei, verkündete die Nachrichtensprecherin ganz inoffiziell im brasilianischen Fernsehen. Ob die Entführer aufgrund dieser Entwicklung ihre Lösegeldforderungen nach oben korrigiert haben, wurde nicht gemeldet. Robinho beeilte sich, den angeblichen Wechsel als Falschmeldung eines spanischen Sportmagazins darzustellen.



Sportlich verlief das Jahr für die brasilianischen Teams eher bescheiden. In der Copa Libertadores kam man nicht allzu weit, und in der Liga sind einige der traditionsreichsten und zuschauerträchtigsten Vereine vom Abstieg in die zweite Division bedroht: Grêmio, Atlético Minas Gerais, Flamengo, Botafogo und sogar Vasco da Gama schweben in höchster Gefahr. Und auch die Nationalmannschaft, gespickt mit den Stars aus Europas Spitzenclubs, musste im letzten Spiel des Jahres eine empfindliche Niederlage in Ekuador hinnehmen. Allerdings ist das Team 18 Monate vor Beginn der Copa 2006 in Deutschland schon so gut wie qualifiziert.

Der Star der Stunde ist Ronaldinho Gaúcho, der mit Barcelona den wohl zurzeit besten Fußball überhaupt spielt. Seinen Nationalmannschaftskollegen von Real Madrid und dem AC Mailand scheint hingegen im Moment nicht viel zu gelingen. In den Schlagzeilen steht vor allem Ronaldo, der vor drei Monaten seine Hochzeit mit MTV-Moderatorin Daniela Cicarelli für Anfang Januar bekannt gab, den Termin seitdem aber schon zweimal verschoben hat. Gerüchten zufolge hat den Superstar der Mut verlassen und so steht Ronaldos Handy angeblich nicht mehr still. Daniela soll ständig anrufen, um zu wissen, wo sich der zukünftige Gatte gerade aufhält. Ob in der Kabine unmittelbar vor dem Spiel oder noch beim Verlassen des Rasens direkt nach Abpfiff – Ronaldo hat keine Ruhe mehr. So sehr in Manndeckung wurde er wohl noch nie genommen, witzeln die Sportreporter. Mal sehen, so unkt man, wie lange er sich das noch gefallen lässt.

Dabei wurden Daniela und Ronaldo vor ein paar Tagen erst in Rom beim Kauf eines Hochzeitskleides gesehen. Danielas Gesicht wirkte dabei ungewöhnlich verquollen.

Sie habe, so erklärte sie die Deformationen, mit Ronaldo an einer Messe des Papstes teilgenommen und dabei fürchterlich geweint. Böse Zungen sprachen jedoch von einer Schönheitsoperation, bei der sie sich ihr Gesicht mit Botox aufspritzen lassen hatte.

Für eine richtige Seifenoper sorgten die Verantwortlichen der Corinthians São Paulo, dem zweifachen Weltpokalgewinner. Der angeschlagene Club suchte seit geraumer Zeit nach einem finanzkräftigen Partner und hat ihn allem Anschein nach in dem Iraner Kia Joorabchian gefunden, dem Chef der Gruppe MSI - Media Sports Investments. Diese hat sich bereit erklärt, dem Club 35 Millionen US-Dollar als Soforthilfe zur Verfügung zu stellen. Dafür hat MSI in den nächsten zehn Jahren im Club das Sagen und kassiert 80% der Gewinne. In einer vollkommen konfusen Sitzung, in der die Polizei mehrmals einschreiten musste, um furiose Fans aus dem Verkehr zu ziehen, wurde jetzt die Zusammenarbeit beschlossen. Zumindest behaupten dies die Befürworter. Die Gegner des Deals hingegen beharren darauf, dass die angebliche Abstimmung über die Partnerschaft lediglich die Abstimmung darüber war, in welchem Modus man abstimmen solle, und will nun vor Gericht ziehen.

Am Strand ist es fast vollkommen dunkel geworden. Wie man bei dieser Lichtknappheit den Ball überhaupt noch spielen kann, bleibt das Geheimnis der barfüßigen Ballkünstler. Leichtfüßig springen sie der widerspenstigen Lederkugel hinterher, die in hohem Bogen hinaus auf die Wellen fliegt. Dort tanzt sie im zarten Licht des Mondscheins auf und ab. Zur gleichen Zeit versenkt Ronaldo sein Handy im fernen Madrid in der Toilette, betätigt die Spülung und erinnert sich sehnsüchtig an die Zeit zurück, in der Fußball einfach bloß ein Spiel war.

Brandaktuell: 1.) Corinthians São Paulo hat zusammen mit MSI bereits zugeschlagen und den argentinischen Angreifer Carlos Tevez fuer 22 Millionen Dollar von Boca Juniors Buenos Aires geholt. 2.) São Caetano drohen jetzt schon wegen des Todes von Serginho 180 Punkte Abzug und damit der direkte Abstieg in die zweite Liga. Der brasilianische Sportgerichtshof will jedes der 30 Spiele, die Serginho in dieser Saison im Campeonato Brasileiro bestritten hat, mit 6 Punkten Abzug werten.

Text + Fotos: Thomas Milz

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