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[art_4] Bolivien: Lithium
Was ein Salzsee mit Elektroautos zu tun hat
 
Mitten auf dem gleißenden Weiß des Salar de Uyuni stehen ein paar Kegel aus Maschendraht, die mit orangefarbener Plastikfolie verkleidet sind. Auf der Spitze der Kegel drehen sich Räder klappernd im Wind. Im Innern der Kegel wird durch Schläuche Salzlauge nach oben gepumpt, die von den Rädern über die Kegel verteilt wird. An denen läuft sie nach unten, wobei das Wasser zum Großteil verdunstet. Übrig bleibt eine konzentrierte Salzlauge mit dem begehrten Lithium des Sees. Die ungewöhnliche Konstruktion ist der ganze Stolz des bolivianischen Projektleiters, des Bergbauingenieurs Jaime Claros: "Das Ganze begann an einem lauen Sommerabend in einem Garten in Freiberg bei Dresden. Ich saß gemeinsam mit Professor Wolfgang Voigt bei einem Glas Wein und plötzlich kam uns die Idee, wie man die Salzlauge eindampfen kann, um an das Lithium zu kommen."

Die Lithiumforschung am Salar de Uyuni ist ein gemeinsames Projekt der Universitäten Thomas Frias im bolivianischen Potosi und der Technischen Universität Freiberg bei Dresden. Beide Institutionen arbeiten seit über 40 Jahren immer wieder zusammen. Mit dem Forschungsprojekt am Salar de Uyuni ist die Partnerschaft zwischen den beiden Universitäten noch einmal intensiviert worden. Seit 2008 fliegt der Chemiker Professor Wolfgang Voigt regelmäßig nach Bolivien. Doch die Arbeitsbedingungen in dem Entwicklungsland erleichtern nicht unbedingt seine Forschung: "Man muss sich sehr genau überlegen, was man mitnimmt an den Salar, denn dort gibt es eigentlich nichts."

Die dem Salzsee am nächsten gelegene Stadt ist Uyuni. Ein kleiner, grauer, trostloser Ort mit gerade einmal 12.000 Einwohnern, der seine relative Größe und seinen Bekanntheitsgrad primär den Touristen verdankt, die von hier aus den Salar besuchen. Das Klima hier ist rau: Der Salar liegt auf einer Höhe von 3.600 Metern über dem Meeresspiegel in den Anden. Er ist fast fünf Mal so groß wie das Saarland. Eine wunderschöne, riesige, weiße Salzwüste, in der weit und breit keine Menschenseele lebt, wo es kein Trinkwasser gibt und kein Mobiltelefon funktioniert. Wer hier forschen will, muss in der Lage sein, mit wenig auszukommen.

Die Wissenschaftler haben nicht nur mit organisatorischen Problemen, sondern auch mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ziel ist die Erforschung der bis zu 120 Meter dicken Salzkruste, doch in Bolivien jemanden zu finden, der in der Lage ist bis zu solchen Tiefen zu bohren, ist nahezu unmöglich: "Wir haben zu Beginn mit einer einheimischen Bohrmannschaft und bolivianischem Gerät gearbeitet, doch nach zwei Wochen waren wir genau einen halben Meter tief. Zum Glück haben wir dann durch die Universität Freiberg ein Bohrgerät aus Deutschland bekommen, mit dem wir die entsprechenden Probebohrungen durchführen konnten."

Bei der Lithiumgewinnung gilt es zudem noch einen ganz anderen Punkt zu beachten: Die Rechte der ansässigen Landbevölkerung.

Heute sind Abgesandte der umliegenden Dörfer zu der kleinen Forschungsstation auf den Salar gekommen. Es sind einfache Bauern, die von Lamazucht und Kartoffelanbau leben. Sie tragen die typische Landestracht: Die Frauen weit schwingende Röcke, lange Zöpfe und Bowlerhüte, die Männer haben sich in Ponchos gehüllt. Jaime Claros erklärt ihnen, warum das Lithium so wertvoll ist und wie die zur Gewinnung installierten Kegel funktionieren.

Cirlaco Mamani Soliz ist Dorfvorsteher einer der anliegenden Gemeinden. Als Zeichen seiner Würde trägt er einen Beutel mit Cocablättern um den Hals. Er betrachtet die orangenen Kegel mit einer gewissen Ehrfurcht – und mit ein wenig Stolz: "Wir sind die Eigentümer des Salzsees, und wir können das auch mit Dokumenten belegen. Wir werden es nicht erlauben, dass sich andere hier bereichern. Das ist das, was ich dazu zu sagen habe."

Die Wissenschaftler versuchen, die Dorfbewohner in das Forschungsprojekt einzubeziehen, da gerade die indigene Bevölkerung Boliviens dafür bekannt ist, sich mit Hilfe von Streiks und Straßenblockaden zur Wehr zu setzen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. So etwas kann schnell das ganze Land und erst recht ein kleines Forschungsprojekt lahm legen. Deshalb werden die Dorfgemeinschaften bald jeweils eigene, vergleichbare Anlagen bekommen, mit denen sie im Auftrag der Universität Potosi die Salzlauge eindampfen sollen – und so etwas Geld verdienen können. "Das Konzentrat bringen wir dann in unser Labor an der Uni in Potosi, wo wir experimentieren, wie wir aus der Salzlauge qualitativ hochwertiges Lithium gewinnen können", so ein Sprecher der Universität.

Die Salzlauge in großen Fässern nach Potosi zu bringen ist ein aufwendiges Unterfangen. Die Stadt liegt zwar nur 200 Kilometer vom Salar de Uyuni entfernt, doch auf der schlechten Straße dauert die Fahrt rund sechs Stunden – wenn nicht, wie meistens, noch eine Reifenpanne dazu kommt.

An der Tomas Frias Universität in Potosi wird eine Technologie entwickelt, mit der das Lithium von den anderen Stoffen, die in der konzentrierten Salzlauge enthalten sind, getrennt werden kann. Das kleine Labor ist denkbar einfach: Keine Fenster, Holzboden, ein großer Tisch und im Regal ein halbes Dutzend Glasgefäße.

"Dass man wie in Deutschland einfach eine Vitrine zur Verfügung hat, von der man weiß, dass dort 20 sofort verwendbare Gefäße stehen, ist ein Luxus, den wir hier nicht haben. Die Anzahl ist begrenzt, man muss sich schon absprechen und zur Not die Gefäße halt auch mal selber auswaschen." Julia Schmitt lernte schnell, dass im Zweifel auch mal ein Marmeladenglas statt eines Erlenmeierkolbens zum Einsatz kommen kann. Die zierliche 25-Jährige studiert Angewandte Naturwissenschaften an der Technischen Universität Freiberg. In Deutschland hat sie unter anderem gelernt, wie Inhaltstoffe in einer Lösung bestimmt werden. Dieses Wissen sollte sie als Austauschstudentin in Potosi an die bolivianischen Kommilitonen weiter geben: "Angedacht waren zwei Monate. Nur, dass wir die ersten anderthalb Monate damit verbrachten, die Rahmenbedingungen zu schaffen, statt uns direkt an die Arbeit machen zu können, damit hatten wir nicht gerechnet." Denn dem Labor fehlte es nicht nur an Apparaturen und Gefäßen, sondern auch an Chemikalien.

Hinzu kommen die üblichen Probleme eines Entwicklungslandes: Stromausfälle und Wasserknappheit. In Kürze wird die Universität Potosi ein Technikum, eine Art Groß-Labor, erhalten. Dieses soll dann mit finanzieller Hilfe aus Deutschland perfekt ausgestattet werden. Die Geräte werden zum Teil in Bolivien gefertigt, zum Teil kommen sie aus Deutschland.

Allen technischen und organisatorischen Problemen zum Trotz hat das Projekt erste Erfolge zu verzeichnen. So zeichnet sich beispielsweise bei der Trennung des Lithiums von den übrigen Salzen ab, dass es dem Team gelingen könnte, ein neues Verfahren zu entwickeln, welches anschließend zum Patent angemeldet werden könnte: "Von allen Forschungsprojekten, die es am Salar de Uyuni gibt, sind wir am weitesten. Und das liegt einfach daran, dass die Universität Thomas Frias aus Potosi und die Technische Universität Freiberg gemeinsam an dem Projekt arbeiten. Und diese Zusammenarbeit wird auch in Zukunft stattfinden", so der Projektleiter.

Bis allerdings das obige Verfahren soweit verfeinert sein wird, dass damit Lithium im großen Stil gewonnen werden kann, wird es noch eine Weile dauern. Und ganz gewiss werden noch eine ganze Reihe weiterer Schwierigkeiten auftreten, mit denen niemand gerechnet hat. Da ist es gut, dass das Forscherteam die technische Versiertheit der Deutschen und das Improvisationstalent der Bolivianer in sich vereinigt.

Text + Fotos: Katharina Nickoleit

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
252 Seiten
ISBN 978-3-89662-364-5
Verlag: Reise Know-How
2. Auflage 2009

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