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[kol_1] Grenzfall: Tödliche Exporte. Wie das G36 nach Mexiko kam.
Bundesregierung genehmigte Waffen für Mexiko
 
Am 23.9.2015 brachte das Erste einen Themenabend zum Export deutscher Waffen nach Mexiko. Es lief zunächst der Spielfilm Meister des Todes (SWR/ARD Degeto/BR), der in der ARD Mediathek bis zum 23.12.2015 täglich ab 20 Uhr abgerufen werden kann. Dann folgte die Doku Tödliche Exporte. Wie das G36 nach Mexiko kam. von Daniel Harrich (SWR/BR), die unter swrfernsehen.de zur Verfügung steht.

Zudem gibt es auf br.de die interessante Webdoku Waffen für Mexiko.


Foto 1: Schießübungen mit G36-Sturmgewehren von Heckler & Koch im mexikanischen Bundesstaat Puebla. Ab Herbst 2002 veranstaltete das H&K-Verkaufsteam Waffenpräsentationen und Schießübungen für Militär und Polizei in Mexiko, unter anderem auch in Bundesstaaten, für die die Bundesregierung Waffenlieferungen untersagt hatte. / Bild: SWR

Bundesregierung genehmigte Waffen für Mexiko
Trotz Warnung durch das Bundesausfuhramt
Beamter räumte gegenüber der Staatsanwaltschaft fehlende Kontrollen ein

Die Bundesregierung genehmigte dem Rüstungskonzern Heckler & Koch Kriegswaffenexporte nach Mexiko auch nachdem bereits bekannt war, dass die Firma nicht - wie vorgeschrieben - nachweisen konnte, in welchem Bundesstaat die Waffen zum Einsatz kommen würden. Das ergaben SWR-Recherchen zu der Doku "Tödliche Exporte - Wie das G36 nach Mexiko kam".

Das Bundesausfuhramt (BAFA) hatte bereits 2008 bei einer Überprüfung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz in der Heckler-&-Koch-Geschäftszentrale in Oberndorf am Neckar alarmierende Unregelmäßigkeiten bei den ersten Exporten von G36 Sturmgewehren nach Mexiko festgestellt. Das war zwei Jahre bevor die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren wegen illegaler Waffenexporte nach Mexiko einleitete.


Foto 2: In der Aula des Lehramtsseminars von Ayotzinapa / Guerrero ein Mahnmal mit 43 leeren Stühlen. Fotos und persönliche Erinnerungsstücke sollen an das Verbrechen vom 26. September 2014 und die 43 von der Polizei verschleppten Studenten erinnern. Auch bei diesem Einsatz gegen Studenten waren G36-Sturmgewehre von Heckler & Koch im Einsatz, obwohl der Export der Waffen in den Bundesstaat Guerrero von der Bundesregierung untersagt worden war. / Bild: SWR

Bei der Überprüfung der sogenannten Kriegswaffenbücher stellten die Beamten "erhebliche Defizite" fest. Die Prüfer entdeckten Lücken bei der Dokumentation der Endverbleibe der G36: Es fehlten Empfangsbestätigungen der mexikanischen Polizeieinheiten, an die Heckler & Koch laut "Endverbleibserklärung" liefern wollte. Diese Unregelmäßigkeiten waren so gravierend, dass das Bundesausfuhramt 2008 darüber eine Meldung an das übergeordnete Bundeswirtschaftsministerium machen musste. Damit setzte das Bundesamt die oberste Genehmigungsbehörde darüber in Kenntnis, dass der Verbleib der G36 in Mexiko unklar war.

Das Bundeswirtschaftsministerium erteilte dennoch Heckler & Koch weiterhin Genehmigungen zum Export von Kriegswaffen nach Mexiko. Die letzte dieser Genehmigungen datiert auf den 13. April 2010. Sechs Tage später stellten der Freiburger Buchautor Jürgen Grässlin und der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer Strafanzeige wegen der G36-Exporte nach Mexiko. Holger Rothbauer erweiterte 2012 die Anzeige gegen Beamte im Bundeswirtschaftsministerium.

Im Interview mit dem SWR sagt er dazu: "Es könnte sich um Beihilfe zum Verstoß nach dem Außenwirtschaftsgesetz handeln. Es könnte sich aber auch um Vorteilsannahme und um Urkundenfälschung im Amt handeln." Der Ministerialrat, der für die G36-Ausfuhrgenehmigung verantwortlich war, gab gegenüber der Staatsanwaltschaft Stuttgart an, dass der Endverbleib der Kriegswaffen vor Ort nicht durch die Bundesregierung kontrolliert werde. Das geht aus dem Vernehmungsprotokoll hervor, das der ARD vorliegt.


Foto 3: Das Verbrechen von Iguala /Guerrero am 26. September 2014 löst eine nicht endende Protestwelle in der mexikanischen Bevölkerung aus. Hier demonstrieren Hunderttausend Menschen in der Innenstadt von Mexiko-Stadt. / Bild: SWR

Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, teilte der ARD mit: "Es bestätigt sich, dass es eine ganze Reihe Probleme gegeben hat. Das Genehmigungsverfahren ist insgesamt kritikwürdig. So hätte es nie laufen dürfen und es darf sich nicht wiederholen."

Agnieszka Brugger, die Obfrau der Grünen im Verteidigungsausschuss erklärte dazu im Interview: "Diese Dokumente und diese Details belegen, dass sowohl Mitarbeiter aus dem Auswärtigen Amt als auch aus dem Bundeswirtschaftsministerium wirklich fast fahrlässig oder willfährig sich zum Helfer der Rüstungsindustrie gemacht haben und da müssen auch personelle Konsequenzen gezogen werden und da muss man auch schauen, wie man dafür Sorge trägt, dass so etwas nie wieder vorkommt."


Foto 4: Der Kommandant der Bürgerpolizei FUSDEG in Tiera Colorada im mexikanischen Bundesstaat Guerrero präsentiert ein G36-Sturmgewehr. Diese Waffe haben Mitglieder der FUSDEG kurz zuvor “El Taliban”, dem Chef des lokalen Drogenkartells, gewaltsam abgenommen. Der Bundesstaat Guerrero ist einer von vier Bundesstaaten, in die die Bundesregierung aufgrund der desaströsen Menschenrechtssituation den Export von G36 verboten hat. / Bild: SWR


Jan van Aken (Die Linke), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, sagte der ARD gegenüber: "Wenn man sich das Protokoll anschaut, hat man ja das Gefühl, da sitzen richtige Helfershelfer oder sogar Mittäter in den Behörden. Ich möchte wissen - und zwar mit Namen und Dienstgrad - wer sitzt wo im Ministerium, der sich an diesem schmutzigen Geschäft beteiligt hat."

In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der ARD räumte Heckler & Koch ein, das Unternehmen habe - trotz der verbindlichen 'Endverbleibserklärung' - "keinen Einfluss darauf, wohin die Waffen letztendlich geliefert wurden." Weiterhin teilt Heckler & Koch mit: "Zu Kleinwaffenexporten möchten wir generell festhalten, dass Heckler & Koch sich als Hersteller von Waffen der besonderen Verantwortung bewusst ist. Unsere unternehmerische Tätigkeit unterliegt den bestehenden waffen- und ausfuhrrechtlichen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland, an die wir uns strikt halten. Das Verhältnis des antragstellenden Unternehmens zu den Entscheidungsträgern im Genehmigungsverfahren wird durch die klaren gesetzlichen Vorgaben des Antragsverfahrens bestimmt."

Das Bundeswirtschaftsministerium betont in einer schriftlichen Stellungnahme der ARD gegenüber, dass sie "seit 2010 die Genehmigung von Anträgen von Heckler & Koch für den Export von Kleinwaffen nach Mexiko ausgesetzt" habe. Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Seit 2010 ist die Vorlage von Empfangsbestätigungen für den Erhalt von Waren für alle Exporteure von Kriegswaffen zudem eine allgemeine Genehmigungsauflage. Seit 2010 ist somit die nachträgliche Vorlage von Empfangsbestätigungen zusätzlich zu den Endverbleibserklärungen Teil des Genehmigungsverfahrens."

Die Zuverlässigkeitsprüfung von Heckler & Koch durch das Bundesausfuhramt und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dauern an.

Text + Fotos: SWR

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