caiman.de 10/2013
[art_2] Brasilien: Es waren viele Pferde
Der brasilianische Schriftsteller Luiz Ruffato "Dass ich überhaupt Schriftsteller geworden bin, ist letztlich ein Wunder." Luiz Ruffato schaut aus dem Fenster seiner Wohnung in São Paulo hinaus auf das graue Meer aus Häusern, Beton und einen Regen verhangenen Himmel. Seine Mutter sei Analphabetin gewesen, die im Interior von Minas Gerais als Wäscherin die Familie über Wasser hielt. Der Vater, ebenfalls im stetigen Kampf mit dem geschriebenen Wort, verkaufte Popcorn auf der Straße. Sein Weg durch Brasiliens Gesellschaft sei eigentlich vorgezeichnet gewesen, realistisch "maximal Hilfsarbeiter". Doch neben seinem Schlosserjob in einer Fabrik strebte Luiz seinem Traum an, Journalist zu werden. Was ihm schließlich gelang. "Irgendwann merkte ich dann, dass es mir liegt, Geschichten meiner Kindheit und meines frühen Arbeitslebens aufzuschreiben, in Literatur zu verwandeln." Das Ergebnis waren zwei erste Erzählbände, Histórias de remorsos e rancores (1998) und Os sobreviventes (2000). Der Rest sei eigentlich Glück gewesen, meint er heute. 2001 erschien der experimentelle Roman Eles eram muitos cavalos, den Brasiliens Kritiker begeistert aufnahmen. Mit "James Joyce im Kopf", wie ein Kritiker später schreiben sollte, schildert Luiz hierin einen Tag im Leben von 69 Bewohnern der Megastadt São Paulo. Ein Mosaik von Momentaufnahmen mit dem der Schriftsteller der Unfassbarkeit der gigantischen Stadt an den Kragen geht. "Ab 2003 machte das Buch plötzlich wie von selbst international Karriere," grinst Luiz. Mittlerweile ist es in mehrere Sprachen übersetzt, die deutsche Ausgabe Es waren viele Pferde erschien 2012 beim Hamburger "Assoziation A" Verlag. "Eigentlich ist es seltsam, wenn man bedenkt, dass es sich um ein schwieriges Buch handelt, um ein sehr unkonventionelles Werk." Luiz hing den Journalismus an den Nagel und kümmerte sich fortan ganz um seine Schreiberei. Im Durchschnitt veröffentlicht er seitdem ein Buch pro Jahr; viel Zeit für andere Dinge bleibt da sowieso nicht. Luiz ist ein Erfolgsfall der zeitgenössischen Literatur seines Landes. In Brasilien wird gerade die 11. Auflage von Es waren viele Pferde vorbereitet, ungewöhnlich für einen Gegenwartsautor in dem südamerikanischen Land. Auch in Deutschland war die Erstausgabe ziemlich schnell vergriffen.
Leben kann Luiz von seiner Schriftstellerei trotzdem nicht wie eigentlich alle brasilianischen Autoren mit Ausnahme von Paulo Coelho. "Ich habe viele Aktivitäten rund um das Schreiben entwickelt, mit denen ich mein täglich Brot verdiene." Dazu gehörten Vorträge, Workshops und Jurytätigkeiten bei Literaturfestivals. Gemeinsam mit rund 70 schreibenden Kollegen wird Luiz Mitte Oktober auf der Frankfurter Buchmesse präsent sein, wo Brasilien als diesjähriges Gastland besondere Aufmerksamkeit erregen wird. Er selber hat auch einen triftigen Grund vor Ort zu sein. Soeben ist bei "Assoziation A" sein Buch Mama, es geht mir gut erschienen. Das Buch ist das erste einer fünfteiligen Reihe mit dem portugiesischen Titel Inferno provisório (Vorläufige Hölle). Zwischen 2005 und 2011 veröffentlichte Luiz die die letzten 100 Jahre umspannenden Geschichten über Brasiliens Arbeiter. Man darf wohl davon ausgehen, dass die Reihe nun auch in ihrer Gänze in Deutschland erscheinen wird.
Wer Luiz Ruffato auf seiner rund einmonatigen Lesereise durch deutschsprachige Lande sehen will, dem bieten sich reichlich Gelegenheiten. Man sollte sie nicht verpassen! 04.10. Köln, Literaturhaus Köln mit DLF & DLR-Kultur, 19:30 Uhr 07.10. Frankfurt, Union International Club, 19:00 Uhr, Anmeldung erforderlich 08.10. Frankfurt Buchmesse Eröffnungsrede 09.10. Frankfurt Buchmesse - Blaues Sofa, Übergang Halle 5.1 zu Halle 6.1, 11:30 Uhr 10.10. Frankfurt Buchmesse Leseinsel, Halle 4.1., 14-16 Uhr 10.10. Frankfurt Buchmesse Halle 5.0, Weltempfang mit Ilija Trojanow, 16:30 Uhr 11.10. Frankfurt, Literaturbahnhof, 16-17 Uhr 11.10. Hofheim, Kulturverein, 20 Uhr 12.10. Frankfurt Buchmesse, LitCam, 11 Uhr, Fußball-Buch 14.10. Mainz, Itaú Cultural 15.10. Bad Berleburg, Berleburger Literaturpflaster, 20 Uhr 17.10. Wien, Itaú Cultural 18.10. München, Literaturhaus München, 20:00 Uhr 20.10. Zofingen - Schweiz, OX. Kultur im Ochsen, 11:15 Uhr, Historie als Kulisse 20.10. Zofingen, OX. Kultur im Ochsen, 14:15 Uhr, Von der Härte des Lebens 21.10. Freiburg, Literaturbüro mit Radio Dreyeckland & Jos Fritz Buchladen, 20:00 Uhr 22.10. Wuppertal, Literaturhaus NRW, 19:30 Uhr 23.10. Düsseldorf, Literaturbüro NRW, 19:30 Uhr 25.10. Berlin, Buchladen Schwarze Risse, 20 Uhr 27.10. Hamburg, Golem, 20 Uhr 29.10. Leipzig, GRASSI, Museum für Völkerkunde, 19 Uhr 30.10. 2.11. Frankfurt, Romanfabrik Text: Thomas Milz Fotos: amazon Weitere Links zu Luiz Ruffato: "Es waren viele Pferde" bei Perlentaucher "Mama, es geht mir gut" beim Assoziation A Verlag [druckversion ed 10/2013] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien] |