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[art_4] Mexiko: Marzipansärge, Entenjagd und Totenbrot
Die mexikanische Art, der Toten zu gedenken
 
Dia de los Muertos heißt das Fest, das zu Ehren der Toten am zweiten November in ganz Mexiko gefeiert wird. Dabei vermischen sich indigene Traditionen mit christlichem Glauben.

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Damit die Toten pünktlich zum Fest für eine Nacht den Weg zurück zu ihren Familien auf der Erde finden, werden in den Häusern und auf öffentlichen Plätzen Opferaltäre errichtet, die mit leuchtend gelben und lilafarbenen Cempasúchil-, ánima- und tiringuini-tzitziqui-Blüten, ähnlich den Studenten- und Ringelblumen, geschmückt werden. Je mehr Schmuck und Kerzen desto besser - denn so ist der Weg für die rückkehrenden Seelen leichter zu erkennen.

Auf der Insel Janitzio im See Patzcuaro in Michoacán feiern die indigenen P‘urhépecha den Tag der Toten besonders ausgiebig. Schon Tage vor dem Fest wird Pan de los Muertos gebacken, süßes "Totenbrot" mit Orangen- und Zitronengeschmack in Schädel- oder Knochenform. Die Kinder naschen Marzipansärge und Calaveras de dulce, Leckereien in Totenkopfform.

Auf Janitzio dauert das Totenfest drei Tage. Am 31. Oktober werden früh morgens Enten gejagt, die anschließend zubereitet und den Toten angeboten werden. Später dann werden die verstorbenen Kinder eingeladen. Im Haus ihrer Paten bereitet die ganze Familie einen Opferaltar mit deren Lieblingsspeisen, -getränken, Kleidung und Süßigkeiten in Engelform vor. Anschließend versammeln sich alle zu einer Prozession, die vom Haus des Paten zum Elternhaus führt, bei der gesungen, gebetet und Feuerwerk abgebrannt wird. Den Tag beendet die Familie mit einem gemeinsamen Abendessen.

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Um fünf Uhr morgens des nächsten Tages wird der Altar zum Grab des Kindes transportiert und bleibt dort bis die Angehörigen aus der Messe zurückkehren und ihn wieder mit nach Hause nehmen. In der Nacht vom ersten zum zweiten November werden die verstorbenen Erwachsenen eingeladen. Die Familie bereitet Opferaltäre vor und bringt sie zum Friedhof, wo die ganze Nacht lang die Kirchenglocken erklingen. Nach dem Abbauen der Altäre tauschen die Familien ihre Opfergaben mit Nachbarn und Freunden. So kommen sie nicht in die Verlegenheit, die Opfergaben des eigenen Angehörigen verspeisen zu müssen.

All diese Traditionen klingen nach einer andächtigen Totenfeier, bei der getrauert und geweint wird. Der erste Tag der Toten ist in der Tat für viele Hinterbliebenen noch schwer, doch schon im folgenden Jahr tanzen und singen sie mit ihren Gästen und feiern ein fröhliches Fest mit ihren Liebsten.

Allerdings haben sich die gemeinsamen Feierlichkeiten der Lebendigen mit den Seelen der Verstorbenen im Laufe der Zeit gewandelt. Heute bahnen sich Touristen und Einheimische in Janitzio mit der Kamera in der einen und der Bierdose in der anderen Hand ihren Weg durch die Gräber. Statt sich jedoch über die vielen Schaulustigen zu ärgern, haben die P’urhepecha einen Weg gefunden, um Profit aus dem Spektakel zu schlagen. Bis zum Morgengrauen werden heiße Ponche (Fruchtbowle) und kühles Bier verkauft.

Ansässige Familien verwandeln ihre Heime in Verkaufsläden für heißen Fisch, Schals und Andenken in Skelettform oder geben ihre Toiletten gegen drei Pesos für die Öffentlichkeit frei.

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Und wenn die Familien am nächsten Morgen die Reste von Enten und Totenbrot verspeisen, sind die meisten Touristen schon auf dem Heimweg und auf der Insel kehrt wieder Ruhe ein.

Text + Fotos: Annika Wachter

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