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[art_3] Brasilien: Gegen die Strömung
Das Projekt "Semeando para Cristo Jesus" in Catumbi – Rio de Janeiro

"In Kürze hier: Modell-, Friseur- und Theaterkurse" steht auf dem Schild an der Wand. Diese ist voller Löcher, der Boden mit Ziegelstein-Stapeln übersät, dazwischen Zementsäcke und Holzreste. "Das war mal ein Aufnahmestudio für Filmsynchronisierungen. Wir werden diesen Ort in ein Studienzentrum für die Kinder dieses Viertels verwandeln, Berufsbildung für Jugendliche und Alphabetisierungskurse anbieten." Luiz Alberto Pereira Fernandes ist voller Enthusiasmus. In Anzug und Krawatte gekleidet führt er die kleine Besuchergruppe durch das ganze Haus.

Die Mönche der indischen NGO Amurt sind schwer begeistert. "Das wird ein sehr schönes Projekt werden", sagt einer von ihnen, ein Afrikaner aus dem Kongo, mit seinem schweren französischen Akzent. Ein anderer Mönch mit asiatischen Zügen schüttelt zustimmend den Kopf. Die Mönche betreuen bereits zahlreiche Sozialprojekte in Brasilien, und in Kürze werden sie darüber entscheiden, ob sie auch das "Semeando para Cristo Jesus" Projekt, "Sähen für Jesus Cristus", unterstützen werden.



Luiz Alberto (2. von links),
Capoeiralehrer (rechts) und die
Mönche der Indischen NGO Amurt

"Wenn wir in einer Gemeinschaft ankommen, haben wir niemals ein fertiges Konzept in der Schublade. Wir bieten zunächst auch nichts an. Wir fragen die Menschen lediglich: Was ist Euer Traum? Und wenn Ihr wollt, können wir Euch dabei helfen, ihn zu realisieren," erklärt der Mönch aus dem Kongo. "Und wir ziehen uns aus dem Projekt zurück, sobald sich eine kompetente lokale Führung gebildet hat."

"Ihr könnt auf der Veranda keine Fotos schießen. Und zeigt bitte auch nicht mit dem Finger auf irgend ein Haus." Luiz Alberto ist besorgt. "Es gibt fünf Favelas um uns herum, und genau in diesem Augenblick werden wir von vielen Augen sorgsam beobachtet. Wenn ihr auf ein Haus zeigt oder es fotografiert, werden sie denken, dass ihr von der Polizei seid – und schießen."

Seit zwei Jahren ist der 44-jährige Luiz Alberto Präsident des "Semeando para Cristo Jesus" Projektes, das Freizeitprogramm und Unterricht für Kinder und Jugendliche aus Catumbi anbieten will, einem nahe dem Zentrum von Rio de Janeiro gelegener Stadtteil, welcher an das berühmte Ausgehviertel Lapa grenzt. "Der Schlüssel, um eine Person in einen Bürger zu verwandeln, ist dieser bestimmte Fähigkeiten zu vermitteln. Sie müssen lernen, sich selbständig zu versorgen und sich selbst als wertvoll zu akzeptieren", legt Luiz Alberto die Philosophie des Projektes dar.

Er weiß, wovon er spricht: "Als ich zwölf war, habe ich mit den Drogen begonnen. Aus Revolte, weil ich von meinen Eltern zurückgewiesen wurde. Einen Hass auf die ganze Menschheit hatte ich in mir.

Und mein Vater drohte ständig: Wenn Du auf die schiefe Bahn gerätst, fliegst Du aus dem Haus. Als ich vierzehn war, hat er meine Drogensucht entdeckt und mich rausgeschmissen. Er selbst war in die Lotteriemafia verstrickt, aber Drogen hat er nie akzeptiert."

Auf der Straße wurde Luiz Alberto zum Drogendealer. Er schmuggelte Kokain von Bolivien nach Rio de Janeiro. Mehr als zwanzig Jahre lang lebte er als Krimineller in Abhängigkeit von den Drogen. Jetzt will er selbst Ex-Knackis und Ex-Drogis bei ihrer Wiedereingliederung in die Gemeinschaft helfen.

"Wenn Du in die Droge einsteigst, weißt du: das Risiko heißt töten – und sterben. Aber ich habe überlebt, denn ich hatte sehr viel Glück. Gott hat mich aus dieser Hölle heraus gezogen und an diesen Ort hier gebracht, um der Gemeinde zu helfen. Eine alte Schwarze der Umbanda-Religion hat mich gerettet. Schmeiß alles hin und hau ab, hat sie mir geraten. Deine Zeit ist schon abgelaufen, sagte sie, und wenn Du nicht sofort was dagegen unternimmst, wirst Du sterben."

"Ich wohnte damals in Niterói. Da gab es eine schmale Treppe ohne Fluchtmöglichkeiten. Die ging ich hinunter, und vor mir, auf dem Platz am Ende der Treppe, wartete bereits die Polizei, um mich kalt zu machen. Und eine Stimme sagte zu mir: Du bist bereits ausgeknipst. Aber Gott hat mir einen Fluchtweg gezeigt, und ich bin entkommen. Ich in ein evangelisches Entzugsheim gegangen. Dort machte ich dann eine Ausbildung zum Missionar, und nun bin ich Missionar."

Wir sind mittlerweile in einem Hinterhof des Hauses angekommen. Hier können wir in Ruhe ein paar Bilder fotografieren, denn die wachsamen Augen der Beobachter aus den Favelas können uns hier nicht sehen.

150 Mitglieder, 100 Mitarbeiter und 10 finanzielle Unterstützer – das sind die Zielvorgaben des Projektes. "Wir werden einen symbolischen Monatsbeitrag erheben, etwa zehn Reais. Wir wollen hier nichts kostenlos anbieten. Und wer seinen Beitrag nicht bezahlen kann, muss halt irgendeine Leistung zum Tausch anbieten." Das Projekt wird bereits von professionellen Kräften unterstützt, wie einem Sportlehrer und einer Yogaprofessorin.

Eine Capoeiralehrer gibt es auch bereits. Seine eigenen fünf Kinder springen auch schon durch das halbrenovierte Haus. "Ich habe gelernt, dass Capoeira ein Mittel ist, um mich von meinen Aggressionen zu befreien", erzählt er.

Luiz Alberto ist optimistisch, Hilfe von vielen Seiten für sein Projekt zu bekommen. "Gott hat schon so viele Menschen von weit her hier hin gebracht. Die Mönche aus Indien, Menschen aus anderen teilen Brasiliens, und jetzt Du aus Deutschland."


Als wir uns verabschieden, drückt er meine Hand. "Komm mal wieder hier vorbei. Und vielleicht gibt es ja in Deutschland ein paar Menschen, die uns helfen möchten."

Text + Fotos: Thomas Milz
Infos zum Projekt: Thomas Milz