caiman.de 09/2012

[art_5] Argentinien: Einfach nur da zu sein ist das Wichtigste
 
Elisabeth Löffler wurde von Brot für die Welt als Freiwillige nach Argentinien entsendet. Hier kümmert sie sich um vernachlässigte Kinder und Jugendliche.

Inmitten der Traube dunkelhaariger Kinder steckt ein aschblonder Kopf. Er gehört Elisabeth Löffler aus Kassel, an der gerade viele kleine Hände ziehen. Die 19-jährige absolviert bei Arcángel Gabriel ihr freiwilliges soziales Jahr in Buenos Aires, Argentinien. In dem von Brot für die Welt unterstützen Jugendzentrum befinden sich rund 25 Kinder und Jugendliche aus einem der vielen Elendsquartiere der Megacity. Für die zu Hause vernachlässigten Kinder ist das Zentrum eine Anlaufstelle, in der sie etwas zu Essen bekommen und an verschiedenen Bastel- und sonstigen Projekten teilnehmen können. Das wichtigste aber ist, dass sie bei Arcángel Gabriel immer jemanden finden, mit dem sie reden können, der ihnen zuhört, sie in den Arm nimmt – kurz, einfach für sie da ist. Einfach da zu sein, das umschreibt Elisabeths Aufgabe ganz gut. "Ich helfe natürlich auch bei den Projekten mit oder beim Kochen und gebe Englischunterricht, aber das Wichtigste für die Kinder ist Spielen und Kuscheln", erzählt Elisabeth und legt den Arm um die neunjährige Micaela, die ihr nicht von der Seite weicht. "Vor allem die Kleinen sind sehr anhänglich. Man merkt richtig, wie ausgehungert sie nach Liebe und Zuneigung sind."

Elisabeth wollte nach 13 Jahren Schule nicht nahtlos an der Uni einschreiben, sondern für eine Weile etwas ganz anderes machen. Lateinamerika hat sie schon immer gereizt, ein wenig Spanisch an der Volkshochschule gelernt und so fiel die Wahl auf das Jugendzentrum in einer der tristen Vorstädte von Buenos Aires. An ihren ersten Rundgang durch das Barrio, aus dem die von ihr betreuten Kinder und Jugendlichen kommen, kann sie sich noch gut erinnern: "Am krassesten fand ich, dass es keine Privatsphäre gibt. Die Häuschen sind winzig und stehen dicht an dicht und man bekommt alles mit." Elisabeth selber hat es allerdings besser – sie wohnt zusammen mit zwei anderen Freiwilligen in einer Wohnung, die die Deutsche Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt hat, und die liegt in einem deutlich besseren Viertel. Alleine in die Elendsquartiere zu gehen, das ist den Freiwilligen streng verboten, es ist einfach zu gefährlich, denn man weiß nie, ob es nicht gerade mal wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Banden kommt.

Inzwischen sind seit Elisabeths Ankunft einige Monate vergangen. Sie hat sich gut eingelebt und ihr Spanisch ist viel besser geworden. Dabei waren mangelnde Sprachkenntnisse auch ganz am Anfang kein Problem – "die Kinder sehen lachend über Sprachbarrieren hinweg und freuen sich einfach, dass ich da bin. Dabei mache ich doch eigentlich gar nicht viel!", meint sie. Die Kinder, das merkt Elisabeth oft, haben viel Schlimmes erlebt. Wenn es beim Essen mal Streit gibt, dann hebt schnell einer drohend das Tafelmesser. Und auch beim Toben und Spielen kann die Stimmung schnell kippen. "Wir müssen immer ein Gespür dafür haben, ob das jetzt noch Spaß ist oder ob die Fröhlichkeit gleich in Aggressivität umschlagen wird." Wie sehr das Leben der Kinder und Jugendlichen von Gewalt geprägt ist, bekommt Elisabeth in ihrem Arbeitsalltag zu sehen. Nicht selten kommt eines von ihnen mit einem tiefblauen Auge ins Zentrum oder die Gespräche der Kinder drehen sich darum, mit was für Gegenständen sie schon geschlagen wurden. Am meisten hat die junge Frau schockiert, als sie mitbekam wie eine 13jährige bei einer Fehlgeburt das Kind ihres eigenen Vaters verlor. "Missbrauch ist hier in den Familien fast schon normal, das ist manchmal schwer auszuhalten", sagt sie nachdenklich.

Elisabeth weiß, dass sie an der Situation der Kinder nicht viel ändern kann, doch das ist auch nicht ihr Anspruch. "Aber ich kann ihnen für ein paar Stunden am Tag eine schöne Zeit bereiten, das ist möglich und wichtig." Und aus genau diesem Grund ist sie hier.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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