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[kol_4] Lauschrausch: La Migra und die Valle Cousins

Irakere lässt grüßen: Der erste Track auf dem Album "La migra" (Einwanderungspolizei) der in Toronto beheimateten Band Battles of Santiago klingt stark nach der kubanischen Band aus den 70er Jahren, die als erste die Gesänge und Trommeln der Santería-Zeremonien in die Musik, den Jazz holte. Kein Wunder, denn der funkrockige Titel, sieben Minuten lang, ist Oggun gewidmet, dem Orisha des Krieges und der Kraft.

La Migra
Battles of Santiago
made with pencil crayons

Während der zweite Titel, eine Endlosschleife gleicher Klänge und Rhythmen, nur nervt (er soll wohl den tranceartigen Charakter der Zeremonien versinnbildlichen), geht es für den Rest des Albums wieder bergauf: "Pa‘ bailar" und "Congo" steigen perkussiv und schnell und mit breiter Instrumentierung in den Latin-Jazz- bzw. Hardrock ein, während "Cimarron" - auch unter Latinrock abzulegen - im Rap-Gesang das Thema des entflohenen Sklaven, der ein freies Leben beginnt, aufgreift. Mit "El viaje del bata" holen die Musiker aus Kanada und Kuba heilige Trommeln in ihre Musik, die dann wieder zu Ehren des Schicksalsgottes Elleggua erklingen ("Barasu-Ayo"), dessen gute und böse Seite in getrennten Tracks behandelt werden. Funky klingt "Se me complica" nach dem das Album mit "Bomba grande", mit sehr markanten Saxophonsoli, im Bomba-Rhythmus (Puerto Rico) ausklingt. Energetisch, mitreißend, tanzbar. Empfehlenswert!


Der Schriftsteller Leonardo Padura nennt dieses Album ein "Juwel" und trifft damit ins Schwarze. Es ist für die Hörer ein Glücksfall, dass sich diese beiden Cousins, deren musikalische Karrieren so unterschiedlich verliefen, wieder getroffen und entschlossen haben, gemeinsam zu musizieren. Schon als Teenager hatten sie mal im Wohnzimmer von Orlandos Familie in Havanna zusammen gejamt, aber dann trennten sich ihre Wege: beide absolvierten zwar ein klassisches Musikstudium, Ramón wandte sich aber früh dem Jazz zu, während Orlando noch Erfahrungen in populären kubanischen Bands sammelte, bevor auch er sein Spektrum auf den Jazz ausdehnte (u.a. bei Irakere). Dann übersiedelte Ramón nach Europa, wo er mit europäischen Musikern spielte, aber auch seinen Wurzeln nachspürte und die traditionelle Musik in sein Programm / seine Kompositionen aufnahm.

Ramón Valle / Orlando "Maraca" Valle
The art of two
In + Out Records

Auf "The art of two" fließen all‘ diese Erfahrungen als Synthese aus afro-kubanischer Musik, Jazz und Kammermusik in die wunderschönen Melodien und wechselnden Rhythmen ein, sei es in den Balladen "Johana" und "Alena", die weiblichen Familienmitgliedern gewidmet sind oder im "flotten" Latinjazztitel "Latin for two". Selbst in den melancholischen Passagen steckt noch karibische Freude, meistens versteckt in Orlandos virtuosem Flötenspiel, während das klare Spiel von Ramón manchmal an Keith Jarrett erinnert. Zu den sieben Eigenkompositionen kommen drei traditionelle kubanische Titel hinzu, von denen nur "Tú mi delirio" von Cesar Portillo de la Luz ein echter Klassiker ist.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

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