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[art_2] Bolivien: Quinoa und das Fairhandelshaus Gepa
 
Das Fairhandelshaus Gepa aus Wuppertal importiert seit bald 40 Jahren Produkte aus der ganzen Welt und verteilt sie von hier aus an Geschäfte in ganz Deutschland. Das Ziel: den Produzenten in den Entwicklungsländern ein ausreichendes Einkommen zu sichern und den Kunden in Deutschland hochwertige Biolebensmittel aus nachhaltigem Anbau anzubieten. Ein Besuch in Bolivien.

Das Altiplano, die Hochebene Boliviens, ist ein lebensfeindlicher Ort: auf 4000 Meter Höhe, trocken, kalt, windig. Und trotzdem wächst hier etwas, das die Menschen ernährt: Quinoa. "Ein Geschenk Gottes" sagen die Menschen, die hier leben. Doch das Geschenk Gottes ist nicht umsonst. Nur wer es pflegt und schützt, wird belohnt. Um das zu tun, steht Doña Lydia auch heute wie jeden Morgen um fünf Uhr in der Frühe auf, kocht ein herzhaftes Frühstück aus Quinoa und Lamafleisch und macht sich auf den Weg. Nicht zu ihren Feldern, sondern in die entgegen gesetzte Richtung zu ihren Lamas. Um Quinoa anzubauen, braucht man Lamas, denn so anspruchslos die Pflanze auch sein mag, sie benötigt den Dung der Kleinkamele um zu gedeihen. Doña Lydia hat sich ein wollenes Tuch um die Schultern gewickelt. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen und auf der Hochebene weht der Wind eisig kalt. Nach sechs Kilometern hat sie die Weidegründe ihrer Lamas erreicht. 120 Tiere sind es, die mit fast hochmütigem Blick zwischen den stacheligen Büschen entlang schreiten. Doña Lydia treibt die Herde zusammen und führt sie an eine ganz bestimmt Stelle. "Hier will ich nächstes Jahr Quinoa pflanzen", sagt sie.

Doña Lydia ist 55 Jahre alt und hat ihr ganzes Leben in dem Dörfchen San Pedro de Quemez, einige Kilometer vom Salar de Uyuni entfernt, verbracht. Quinoa anzubauen und Lamas zu züchten ist in der wüsten Einöde des bolivianischen Südwestens die einzige Möglichkeit, zu überleben. Lange Zeit kamen die Menschen hier so gerade eben über die Runden. Sie ernährten sich von ihrer Quinoa und den Lamas, aber Geld war damit nicht zu verdienen. "Manchmal kamen Händler mit Lastwagen voller Lebensmittel. Für einen Sack Mehl oder Zucker verlangten sie zwei Säcke Quinoa. Wir hatten keine Wahl, wir mussten unsere Quinoa mehr oder weniger verschenken, denn es gab keinen Markt dafür", erinnert sich Doña Lydia. Die Kleinbauern wollten das nicht länger hinnehmen. Sie schlossen sich 1983 zu der Kooperative Anapqui zusammen und suchten nach Käufern, die sie nicht übervorteilten. Und die fanden sie in Wuppertal bei der Gepa. "Plötzlich waren wir nicht mehr der Willkür der Händler ausgeliefert, sondern hatten Käufer, die uns einen fairen Preis für unser Produkt bezahlten."

Die Geschichte der Kooperative Anapqui und ihrer Zusammenarbeit mit der Gepa ist exemplarisch. Das Fairhandelshaus bezieht seine Produkte von 155 Handelspartnern aus 47 Ländern rund um den Globus. Kaffee aus Mexiko. Tee aus Sri Lanka. Zucker von den Philippinen. Kakao von der Elfenbeinküste, Reis aus Indien. Um nur einige Beispiele zu nennen. Seit 1975 sind die dahinter stehenden Prinzipien dieselben geblieben: "Wir wollen Kleinbauern, die sonst keine Möglichkeit haben ihre Produkte zu exportieren, einen Zugang zum Markt bieten", erläutert Andrea Fütterer, die Grundsatzreferentin der Gepa. "Dazu unterstützen wir sie in vielen Punkten, zum Beispiel bei Qualitätsfragen, bei der Exportabwicklung oder der Umstellung auf Biologische Landwirtschaft."

Außerdem zahlt die Gepa den Partnerorganisationen eine "Fairhandelsprämie". Die Mitglieder der Kooperativen entscheiden gemeinsam darüber, wie dieses zusätzliche Geld verwendet werden soll. Da werden Altersvorsorgekassen eingerichtet,  Straßen in Dörfern angelegt oder Grundschulen errichtet. Die Mitglieder von Anapqui verwenden das Geld für Universitätsstipendien ihrer Kinder. Außerdem ist der Aufbau zweier Gesundheitsstationen für Mitglieder und ihre Familien geplant.

Quinoa wird im Andenhochland schon seit vielen Jahrhunderten angebaut. Sie ist äußerst nahrhaft und gesund und gehörte bereits bei den Inkas zu den Grundnahrungsmitteln. In den letzten Jahren erlebte die Quinoa einen ungeahnten Boom. Sie enthält viele Proteine und ist damit ein idealer Ausgleich für Vegetarier, die auf tierisches Protein verzichten. Außerdem verzichten immer mehr Menschen auf Gluten. Mit der Quinoa können sie herkömmliche Nudeln, Frühstücksflocken und Mehl aus Weizen ersetzen. So ist die Nachfrage nach dem "Korn der Inka" weltweit steil angestiegen. Für die Bauern im Hochland Boliviens sind goldene Zeiten angebrochen, denn zum ersten Mal können sie auf ihren kargen Wüstenböden etwas ernten, was wirklich Geld einbringt. Für einen Sack Quinoa bekommen sie heute vier Säcke Mehl, Zucker, Reis oder Nudeln. Eigentlich könnte sich die Gepa zurückziehen, doch das tut sie nicht. Und das hat einen guten Grund. "Dieser Quinoa-Boom hat ernste Folgen für das Ökosystem in den Anden. Weil alle soviel wie möglich damit verdienen wollen, werden überall Büsche gerodet um Quinoafelder anlegen zu können", hat Andrea Fütterer beobachtet. Doch die karge Ebene des Altiplanos ist für den intensiven Anbau nicht geeignet. Das bisschen fruchtbare Erde im Sand ist das Ergebnis Jahrhunderte langer Beweidung mit Lamas. "Wenn der Boden einfach aufgebrochen wird, trägt der Wind diesen wenigen Mutterboden in kürzester Zeit davon und dann haben die Bauern nichts mehr."

Doch kann man es den Bauern verdenken, dass sie endlich einmal Geld verdienen und nicht immer nur am Existenzminimum leben wollen? Kann man von ihnen erwarten, dass sie um der Nachhaltigkeit Willen auf ein Einkommen verzichten und weiterhin nur winzige Parzellen für den Eigenbedarf anpflanzen? Die Gepa versucht, den Bauern zu helfen, einen Mittelweg zu finden, der beiden gerecht wird: dem Gedanken der Nachhaltigkeit und dem Bedürfnis der Bauern nach einem angemessenen Auskommen. Ihre Rolle allerdings hat sich dabei geändert. Ging es früher darum, Märkte zu erschließen, so steht heute der nachhaltige Anbau im Vordergrund. Andrea Fütterer war gerade zum dritten Mal in Bolivien um mit den Mitgliedern von Anapqui darüber zu sprechen, was zu tun ist. Das Ergebnis: Der Bau der Gesundheitsstation wird verschoben. "Anapqui wird mit der Fairhandelsprämie stattdessen eine kleine Baumschule ins leben rufen, damit die Bauern zur Verfügung haben um die Felder bepflanzen zu können. Die sollen die Krume vor dem Wind schützen." Und um die Qualität des Bodens zu erhalten, werden den Bauern, die keine Lamas haben zur Anschaffung solcher, Kleinkredite gewährt.

Was den lukrativen Einsatz von Lamas angeht, ist Doña Lydia schon ganz weit vorne. Sie lässt ihre Tiere konsequent dort weiden, wo sie im nächsten Jahr ein Quionoafeld anlegen will. Während ihres Besuchs bei der Lamaherde hat Lydia einen Sack voll Lamaköttel eingesammelt. Sie setzt damit Dünger an. Um ihn herzustellen, versenkt sie den wasserdurchlässigen Sack wie einen gigantischen Teebeutel in einer halbgefüllten Wassertonne und deckt sie mit einer Plastikfolie ab. Mindestens zwei Monate lang muss das Gebräu ziehen.

Eine andere Tonne enthält bereits fertigen Dünger. Lydia füllt einen 10 Liter Kanister ab und läuft mit der schweren Last vier Kilometer weit zu ihrem Feld. Unterwegs macht sie bei einem weiteren Mitglied der Kooperative halt und übernimmt das Sprühgerät. Es wurde mit Geldern aus der Fairtradeprämie angeschafft und wird von mehreren Mitgliedern Anapquis gemeinsam genutzt. Im beige-braunen Altiplano fällt Doña Lydias leuchtend grünes Quinoafeld sofort ins Auge. Noch sind die Pflanzen klein, es sieht ein wenig so aus, als hätten sie sich in einer Sanddüne verirrt. Doña Lydia besprüht eine nach der anderen mit flüssigem Lamadung. Diese nachhaltige Art des Quinoaanbaus ist mühsam, keine Frage.  Für die Produzenten bedeutet es viel zusätzlichen Aufwand und für die Gepa langwierige Überzeugungsarbeit. Aber für die Bauern ist es die einzige Aussicht auf langfristige Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Und wenn alles gut geht, wird es auch irgendwann die Gesundheitsstation geben.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
ISBN: 978-3-89662-586-1
Seiten: 252
Verlag: Reise Know-How
4. aktualisierte Auflage 2014

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