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[art_3] Brasilien: Caetano Veloso zum 70. (Teil 4)
Araçá Azul und die Frustrationen eines verwöhnten Jungen
 
Frühjahr 1972: Zurück in Brasilien aus dem londoner Exil begibt sich Caetano umgehend ins Studio: Auf "Transa", sein erstes "experimentelles" Album, folgt "Araçá Azul", das noch ein Stückchen über das vorangegangene hinaus geht. Vielleicht ist konfus ein besseres Wort, um die LP zu beschreiben, mit der er "die Albträume von 1968 wieder aufleben" lassen und "das reaktivieren wollte, was [er] in jenem Moment des Konflikts im Sinn hatte." Und das war eine "verspätete Version des Albums, das [er] 1968/69 im Stile concretista-paulista zu gedenken hielt."



Was dabei heraus gekommen ist, ist eine LP mit avangardistischem Anspruch. Aber trotzdem eine schlechte Platte, technisch wie musikalisch, wie Caetano schnell klar wird: "In Brasilien gab es zu der Zeit bessere Musik wie Jorge Ben Jor..." Jahre später bezeichnet er den Caetano von damals als "verwöhntes Jüngelchen", unfähig zur Selbstkritik.

Fast durchgängig zeigt sich "Araçá Azul" ohne Sinn und Zweck, seltsame Gesprächsfetzen, die ohne ersichtlichen Grund planlos mit Geräuschen gemischt wurden wie "De palavra em palavra" und "De palavra / cravo e canela". Einzig "Tu me acostumaste", eine Komposition des Kubaners Frank Dominguez aus dem Jahr 1957, ist zu ertragen. Ansonsten ein wenig Rock ("De cara / eu quero essa mulher"), Batucada mit Samba ("Sugar cane fields forever") und ein Lied für den zukünftigen Nachwuchs ("Júlia / Moreno").



Nach dem grandiosen Scheitern der Platte – angeblich brachen die Rückgaben der Käufer an die Plattenläden sämtliche Rekorde – setzt sich Caetano zunächst ein vernünftiges Ziel: "Erst einmal die Bescheidenheit zurückgewinnen und danach bei technischen und kommerziellen Errungenschaften mitwirken."

Es folgt noch 1972 eine Liveplatte mit Chico Buarque, "Caetano e Chico juntos ao vivo", aufgenommen im Teatro Castro Alves in Salvador. Caetano zeigt eine wütende und deshalb brillante Interpretation von Chicos "Partido alto", danach "Tropicalia" (ebenfalls gelungene Interpretation) und Chicos "Morena dos olhos d`agua" und das in einer selten gehörten Schönheit. Caetano at his best! Weitere Höhepunkte der Platte sind "Você não entende nada / Cotidiano", "Os argonautas" und "A Rita".

Auf der Bühne präsentieren Chico und Caetano mehrere Stücke des damals von der Zensur verbotenen Musicals "Calabar". Überhaupt die Zensur – sie überdeckt ungewünschte Textzeilen einfach mit dem Applaus des Publikums.



Kurz darauf zieht es Caetano nach Rio de Janeiro, wo er eine Therapie beginnt. Die 70er Jahre gefallen ihm nicht, die neuen Kulturwellen aus Europa und den USA ebenfalls nicht. Er kommt einfach nicht an in diesem neuen Jahrzehnt und nach zwei Jahren in London irgendwie auch nicht in der alten Heimat.

Erst 1974 gibt er ein Lebenszeichen von sich: "Temporada de verão", live mit den Freunden Gilberto Gil und Gal Costa aufgenommen. Ein erster Hinweis auf die "Doces Bárbaros", die Band, die er mit den beiden und seiner Schwester Maria Bethânia 1976 ins Leben rufen wird. "Temporada de verão" bringt aber erst einmal nicht viel Neues, bis auf das nette "De noite na cama", mit dem Jahrzehnte später Marisa Monte einen Hit landen sollte.



Das Jahr 1975 wird zwei "Brüdern gleichende" LPs bringen, die mageren Jahre für Caetano sind vorüber und er setzt zu einem erneuten Höhenflug an. Der Meister ist zurück. Tudo Jóia?

Text + Fotos: Thomas Milz



Hier kommt ihr zu:
Teil. 1: Vom Bossa zum Tropicalismo
Teil. 2: London, London
Teil. 3: Ergrautes Chamäleon, ewig junger Romantiker

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