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[art_4] Kuba: Revolutionäre gehen nie in Pension
Fidel Castro wird 80 Jahre alt - beinahe

"Verurteilt mich, die Geschichte wird mich freisprechen", sagt Fidel Castro am 16. Oktober 1953 in seinem Schlussplädoyer, als er sich für den Putschversuch gegen das Regime des kubanischen Diktators Fulgencio Batista vor Gericht verteidigen muss.

Nur ein knappes Vierteljahr vorher hat der kubanische Anwalt 130 Männer versammelt, um die Moncada-Kaserne zu stürmen und so die Revolution zu beginnen. Der Versuch scheitert und am Ende des Prozesses verurteilt ihn das Gericht zu 15 Jahren Zuchthaus. Doch nach nur zwei Jahren Haft kommt Castro frei und gründet die Bewegung des 26. Juli (M-26-7). Seine Strategie: Den bewaffneten Kampf gegen den Diktator mit geheimen Kampftruppen im Untergrund fortzuführen. Fidel Castro, der noch wenige Jahre zuvor seinen Doktortitel in Rechtswissenschaft erworben hat, wird endgültig zum Guerillero.

Um die Zusammenhänge zu verstehen, hilft ein Blick in seine Kindheit: Fidel wird als uneheliches Kind am 13. August 1927 auf einer Zuckerrohrplantage nahe der Ortschaft Biran geboren. Seine Mutter ist eine einfache Arbeiterin, sein Vater der Plantagenbesitzer. 1942 lässt er seinen Vater seine Geburtsurkunde auf das Jahr 1926 fälschen, um am Jesuitenkolleg angenommen zu werden. Später studiert er Jura in Havanna und dort erwacht auch sein politisches Interesse.

Von ihrer Gründung 1947 an ist Castro Mitglied der Revolutionären Jugend der Kubanischen Volkspartei, später "Orthodoxe Partei", für die er bei den für 1952 geplanten Parlamentswahlen kandidiert. Da Batista jedoch zuvor putscht, finden die Wahlen erst gar nicht statt - und Fidel zettelt den Sturm auf die Moncada-Kaserne an.

Ein paar Wochen nach seiner Haftentlassung wird Castro aus Kuba ausgewiesen und geht mit 82 Gleichgesinnten nach Mexiko ins Exil. Dort trifft er auf Ernesto "Ché" Guevara. Gemeinsam brechen sie Ende 1956 mit dem Boot "Granma" nach Kuba auf, und Castro führt als Comandante en Jefe (Befehlshabender Kommandant) die Rebellenarmee M-26-7 an. Nach über zwei Jahren Guerillakrieg gegen die zahlenmäßig weit überlegene Batista-Armee flüchtet der Diktator schließlich am 1. Januar 1959 mit der Staatskasse aus Kuba.

"Was gut für mich ist, ist auch gut für Kuba"
Castro übernimmt neben der militärischen nun auch die politische Führung der Insel und lässt sich von der Bevölkerung als Befreier und Schöpfer eines neuen sozialistischen Kuba feiern. Tatsächlich aber regiert der Máximo Líder mit der Unterstützung Ché Guevaras bald selbst mit harter, diktatorischer Hand. Er verstaatlicht die Industrie und verwandelt privaten Großgrundbesitz in staatliche Kooperativen. Die Medien unterwirft er einer strengen Zensur. Auch heute noch werden auf Kuba Journalisten und Dissidenten mit Haftstrafen an ihrer Pressefreiheit gehindert. Die Insel gilt als weltweit größtes Gefängnis für Reporter. Die Bevölkerung hat nur schwerlich die Möglichkeit, sich im Internet unabhängig zu informieren: Der Kauf von Computern ist reglementiert und private Internetanschlüsse sind extrem teuer.

Biografen attestieren Castro eine besonders ausgeprägte Egomanie: "Was gut für mich ist, ist auch gut für Kuba", betont er immer wieder. Gegen seine Gegner lässt Castro Revolutionsgerichte vorgehen. Ausländisches Eigentum wird auf sein Geheiß nationalisiert. Die amerikanisch-kubanischen Beziehungen entwickeln sich - nach Castros eigenen Worten - zu einer "Kanonen-Diplomatie". Konsequenz: Er nähert sich zuerst wirtschaftlich, später auch politisch, immer enger den sozialistischen Staaten, vor allem der UdSSR, an. Als Folge dessen kommt es 1962 zur Kuba-Krise. Spätestens jetzt ist Castro der Lieblingsfeind der USA. Selbst Ché Guevara will dem pro-sowjetischen Kurs Castros nicht folgen. Die Differenzen zwischen den beiden Revolutionsführern spitzen sich zu. Und schließlich verlässt Ché Kuba im Juli 1964 in der Verkleidung eines Geschäftsmanns und reist in den Kongo.

Kuba aber lediglich als sowjetischen Satelliten zu betrachten, ist falsch: Vielmehr ist das Land lange Zeit ein oft unbequemer Alliierter der UdSSR. Dies ändert sich in dem Maße, in dem sich die wirtschaftlichen Bedingungen der Insel verschlechtern. Nachdem die Sowjetunion jahrzehntelang einen erheblichen Teil der kubanischen Zuckerernte zu Preisen über dem Weltmarktniveau abnehmen und Kuba großzügig subventionieren - durchschnittlich mit 4,5 Milliarden Dollar jährlich - übernimmt Castro für den kubanischen Staat immer mehr den politischen Stil.

Große und nachhaltige Erfolge erzielt er im Erziehungssektor. Sein erklärtes Ziel ist eine Bildungsgesellschaft. Waren 1953 noch 23,6 Prozent aller Kubaner über zehn Jahre Analphabeten, sind es 1999 gerade einmal drei Prozent. Noch im Jahr 2000 beträgt der Anteil der Staatsausgaben für Bildung knapp 18 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im selben Jahr gerade einmal 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Einen weiteren Schwerpunkt setzt der Staatschef in der Gesundheitspolitik, die eine kostenlose Versorgung aller Bürger erreicht. Nach wie vor steht Kuba im Bildungs- und im Gesundheitswesen an der Spitze aller Entwicklungsländer.

Ein erstes deutliches Signal der Unzufriedenheit in der kubanischen Bevölkerung ist die Massenflucht im April 1980 in die peruanische Botschaft. Nur sehr zögerlich lässt Castro 10.000 Bürger per Luftbrücke ausreisen. Bis heute sind insgesamt mehrere hunderttausend Kubaner in die USA geflohen. Reformen in Richtung Pluralismus, Mehrparteiensystem und repräsentative Demokratie lehnt Castro dennoch strikt ab.

Mehr als ein Jahrzehnt nach Ende des Kalten Krieges und Kubas wirtschaftlicher sowie politischer Isolation bekommt der Máximo Líder wieder Unterstützung. Sein militärischer und ideologischer Ziehsohn Hugo Chávez, Venezuelas populistischer Präsident, steht ihm spätestens ab 2004 tatkräftig zur Seite. Die beiden heben das lateinamerikanische Integrationsbündnis "Alternativa Bolivariana para las Américanas" (ALBA, was soviel wie Morgendämmerung bedeutet) aus der Taufe, um ihre Unabhängigkeit zu stärken. Zu diesem Bündnis gesellt sich Anfang 2006 auch Boliviens neuer Präsident Evo Morales.

Castro privat - eines der am besten gehüteten Geheimnisse
Sein Privatleben hat der Máximo Líder stets wie ein Staatsgeheimnis gehütet: Aus seiner geschiedenen Ehe mit Mirta Diaz-Balart hat er einen Sohn Felix Fidelito, der 1984 Direktor der kubanischen Atomenergiekommission wird. 1992 setzt er ihn aber wieder ab - angeblich wegen Unfähigkeit. Seine langjährige Revolutions- und Lebensgefährtin Celia Sanchez stirbt im Januar 1980. Zwanzig Jahre sollen sie zusammen gewesen sein. Aus einer kurzen, aber leidenschaftlichen Episode mit der angesehenen Arztfrau Natalie Fernández geht Castros uneheliche Tochter Alina Fernández Revuelta hervor, die in ihrer 1999 erschienenen Autobiographie mit dem ungeliebten Vater abrechnet. Erst Anfang der 90er Jahre wird bekannt, dass Fidel mit Dalia Soto del Valle - mit der er 35 Jahre verbracht haben soll - fünf Söhne hat. Deren Namen sollen alle mit A beginnen. Außerdem werden ihm sechs bis acht weitere uneheliche Kinder nachgesagt. Unbestätigten Presseberichten zufolge stehen dem Máximo Líder 32 Häuser in allen Regionen der Insel ständig zur Verfügung, dazu ein Heer von fast 10.000 Leibwächtern und zwei unterirdische Bunker.

Am 13. August nun wird Castro 80 Jahre alt - offiziell. Der kubanische Revolutionär ist länger als jeder andere Staats- oder Regierungschef an der Macht, und die Weltöffentlichkeit beobachtet seinen Gesundheitszustand aufmerksam, da nach seiner Ära mit grundlegenden Veränderungen zu rechnen ist. Ein Rücktritt als Staatschef steht nicht zu erwarten und seine Nachfolge ist heute noch offen: Sein Bruder Raúl galt zwar lange Zeit als Kronprinz.

Jedoch scheint in Kuba - insbesondere innerhalb der jüngeren Garde der Kommunistischen Partei - der Wunsch nach einem gemäßigten Neuanfang zuzunehmen. Raúl ist ein Hardliner und hat zu wenig Rückhalt in Staatsführung und Volk, um sich zu behaupten. Der große Bruder hat ihm zwar vorsorglich die Kontrolle über die Armee übertragen, die "Straßenmeinung" auf Kuba sieht allerdings allemal einen blassen Funktionär in ihm, der ohne Protektion rasch entmachtet würde. Zwei Wochen vor seinem Geburtstag legt Fidel Castro - der einmal gesagt haben soll: "Revolutionäre gehen nie in Pension" - vor seinen Landsleuten seine Zukunftspläne dar. Er wolle bis an sein Lebensende dafür kämpfen, "Gutes und Nützliches" zu tun. Die Nachwelt des Máximo Líder wird entscheiden müssen, ob die Geschichte ihn freisprechen kann.

Text: Lars Borchert
Foto: Thomas Milz
Buchcover: amazon.de
[Fidel Castro]
[Die Autobiographie des Fidel Castro]