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[art_2] Brasilien: Gott oder der Teufel im Sertão von Minas
Auf den Spuren Guimarães Rosas

"Gott lacht so manches Gelächter…"
Wem dienen wir, Gott oder dem Teufel? Wer bestimmt unser Leben, gibt uns die Richtung vor, die wir aus irgendeinem Grund einschlagen? Wer führt uns durch die Orientierungslosigkeit hindurch zur Seelenrettung?


Der Sertão, lässt Guimarães Rosa seine Romanfigur Riobaldo in "Grande Sertão: Veredas" erzählen, ist ein Ort, an dem die Viehweiden keine Begrenzungen haben, wo man zehn oder fünfzehn Léguas zurücklegen kann, ohne auf einen Menschen oder eine Hütte zu stoßen. Ein Ort, an dem Banditen wie Gott über Leben und Tod entscheiden, ohne von irgendeiner weltlichen Autorität aufgehalten zu werden.


Der Sertão ist der Schauplatz von Rosas Epos, eine Ebene, die der Protagonist Riobaldo durchquert wie einst Odysseus das Meer. Ähnlich dem Griechen ist Riobaldo hineingeworfen in eine Welt, die er nun auf der Suche nach einem Sinn durchschreitet.


Riobaldo ist ein jagunço, eine Mischung aus Viehhirte, Auftragskiller und Tunichtgut, der mit seiner Bande den Sertão des nördlichen Minas Gerais durchstreift. Und überall lauert der Teufel, ein übler Fallensteller, der Riobaldo und seinen Männern in den verschiedensten Formen erscheint: mal in Tier-, mal in Menschengestalt. Und mal als Schwarzer, mal als Indianer. "Die Indianer haben die größte Teufelsdosis in sich…" Im Sertão sagt man, dass es der Anteil an Indianerblut sei, der die Caboclos, die Menschen des Sertão, so jähzornig werden lässt. "Gott ist die Gelassenheit. Das Gegenteil ist der Teufel."


Ist es vielleicht der Teufel, mit dem Riobaldo einen Pakt geschlossen hat und der ihm zur Seite steht? Inmitten der von der unerbittlichen Sonne vertrockneten Natur irrt der Mensch scheinbar ziellos umher; stets bemüht, der ausgedörrten Erde sein Überleben abzutrotzen. "Der Sertão ist eine Strafe, ein Verbrechen. Im Sertão muss ein Mann einen starken Nacken und eine große Hand haben."


"Die ganze Welt ist verrückt, alle. Der Herr, ich, wir, alle Menschen. Deshalb benötigt man so sehr die Religion: um sich die Verrücktheit aus dem Leibe zu ziehen, den Irrsinn. Das Beten heilt vom Wahnsinn."


Doch wo Gott ist, muss zwangsläufig auch der Teufel sein. "Was nicht Gottes ist, gehört dem Dämon. Gott existiert selbst dann, wenn es ihn nicht gibt. Aber der Teufel muss nicht erst existieren, damit es ihn gibt - wenn die Menschen denken, dass es ihn nicht gibt, reißt er alle Macht an sich. Die Hölle ist ein endloses Etwas, das man nicht sehen kann."


"Der Teufel schreitet durch die Straßen, inmitten des Strudels…"


Lebensadern
"Nur der Rio São Francisco, der Chico, ist ein Fluss. Der Rest sind Veredas."
Wie Lebensadern durchziehen die Veredas den Sertão; kleine Flussläufe, verdeckt von üppigem Gestrüpp, Bäumen und Palmen. Sie halten Mensch und Vieh in der staubtrockenen Savanne am Leben. Ihnen folgt man, will man überleben. Sie geben die Richtung vor in einer ansonsten orientierungslosen Umgebung.


Riobaldos Leben ist ein ständiger Kampf. "Mein Glück lebend, voll Kämpfe und Kriegen!" Mit seinen Männern, darunter seinem treuen Begleiter Diadorim, durchzieht er das nördliche Minas Gerais. Mit Diadorim verbindet ihn eine leidenschaftliche Liebe, die jedoch rein platonischer Natur zu sein scheint. Gemeinsam sucht man den Banditen Hermógenes, der Diadorims Vater tötete. Riobaldo ist auf Rache aus.


"Hermógenes - er tut einem Leid, und macht gleichzeitig Angst. Ich hatte eine Vorahnung: mit dem Teufel darf man kein Mitleid haben, […] Denn er ist unheilbar irre. Eine Gefahr. Und damals war auch ich vollkommen verwirrt." Ist der mordend umherziehende Riobaldo selbst etwa vom Teufel besessen? Die Pferde scheuen vor ihm, ein untrügliches Zeichen?


Rosas Erzählung, die vor 50 Jahren erschien und den Autor zu Brasiliens berühmtestem Schriftsteller emporsteigen ließ, ist Riobaldos Lebensbeichte, mit der der Bandit sich am Ende seines Lebens vielleicht seine Absolution erhofft hatte.


Riobaldo ist eine Figur von faustischen Ausmaßen, hin und her gerissen zwischen dem Guten und dem Bösen. Im Gegensatz zu Goethes Mephistopheles ("Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.") meint Riobaldo jedoch: "Zu leben ist sehr gefährlich… Das Gute zu sehr zu wollen, ohne zu wissen wie, kann leicht das Schlechte hervorrufen."


Erst die Liebe zu seinem Gefährten Diadorim gibt Riobaldos Leben Sinn. Zu spät erkennt er den Grund seines rastlosen Treibens. Im apokalyptischen Endkampf gegen Hermógenes und dessen Bande in dem Dorf Paredão, der "großen Wand", stirbt Diadorim, Riobaldos geliebter Freund. Als er dessen aufgebahrten Körper sieht, erkennt er, dass es sich bei dem vermeintlichen Gefährten in Wahrheit um ein Mädchen handelt. Vielleicht ein hermaphroditisches Wesen in diesem brasilianischen Epos?


Aber die Liebe zu Diadorim hat ihn erlöst. Hat ihn rastlos und - scheinbar ziellos - durch die Welt ziehen lassen. Doch seine Suche hat ihr Ziel gefunden. Denn die Seele ist nur durch die Liebe zu retten.


Riobaldo beschließt, das Banditenleben hinter sich zu lassen und sich zurück zu ziehen. "Dass Gott existiert - ja… Er existiert - aber nur durch die Taten der Menschen: die guten und die bösen… Der große Sertão ist eine potente Waffe. Und Gott ist der Abzug?"

Und er schließt seine Erinnerungen ab: "...für mich ist klar: der Teufel existiert nicht. […] Es gibt nur menschliche Menschen." Und "der Sertão ist weder böse noch barmherzig… Er nimmt oder gibt, gefällt oder verbittert dich, abhängig davon, wie du selbst es willst."

Nur Du alleine kannst entscheiden, was das Leben für Dich bedeuten soll.

Text + Fotos: Thomas Milz

Das Buch: João Guimarães Rosa: Grande Sertão