ed 07/2014 : caiman.de

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[art_3] Brasilien: Fan in Action live
Der normale Wahnsinn um die besten WM-Momente

Diese Weltmeisterschaft im Land des Fußballs geht an Nerven und Substanz. Spannung pur auf Spielfeld und Ticketumschlag-Platz neben dem Platz. Hier die bisherigen Highlights:
 

 
Donnerstag, 12. Juni, Copacabana, Rio de Janeiro
In São Paulo startet die WM mit dem Spiel des Gastgebers gegen Kroatien. Der caiman ist in Rio, an der Copacabana, mit 20.000 Fußballbegeisterten auf dem Fan-Fest. Die Lage ist angespannt – aber nicht wegen des Brasilien-Spiels, das schaukelt der japanische Schiri schon nach Hause. Morgen steigt der Knüller Spanien gegen Niederlande an in Salvador. Wir haben Karten, die aber in der Post hängen geblieben sind. Die Post sagt, dass sie sie nicht mehr findet. Was nun? Die nette Dame von der FIFA schlägt vor, die Karten als gestohlen zu melden – dann könnte sie neue ausstellen. Also nix wie hin zur Polizei in Copacabana. Mit der Diebstahls-Anzeige zur FIFA zurück – man verspricht, die verschwundenen Karten noch heute zu stornieren und neu auszudrucken. Mal sehn...

Auf dem Fan-Fest tanzen Mexikaner, Argentinier und US-Amerikaner, während Brasilianer auf den umliegenden Straßen Bier-Dosen zum doppelten Preis an die Gringos verkaufen. Schweinerei! Wir boykottieren das.



Zurück zur FIFA – die Karten sind da. Flüge gab es auch noch, zumindest als wir morgens schauten. Jetzt am Vorabend kosten sie dreimal soviel. Panik bricht aus. Doch nicht fliegen?



Zum Glück zeigt ein Blick kurz vor Mitternacht noch ein Last-Minute-Angebot. Günstig hin- und zurück! Auf geht’s zum Flughafen. Schlaf gibt’s später.

Freitag, 13. Juni – Arena Fonte Nova, Salvador da Bahia



Sause vom Feinsten. Der Pelourinho-Platz im historischen Stadtzentrum ist ganz in Orange gehüllt. Die Niederländer haben eigene Musikwagen mitgebracht und tanzen zu Tausenden durch die Straßen. Die Brasilianer sind verstört – wer sind diese Menschen in den Frau-Antje-Kostümen?



Dann wälzt sich eine orange Welle ins nahe Stadion. Schwarzhändler bieten Tickets für 400 R$ an, 700 R$ kosten die Karten für das Spiel Deutschland gegen Portugal am Montag. Aber wir haben unser Ticket und flüchten vor der Affenhitze ins Stadion.



Das Spiel ist atemberaubend, die Niederländer feiern Carnaval und spielen den Weltmeister an die Wand. Van Persies Flugkopfball ist ein episches Gemälde, er liegt gefühlte drei Minuten in der Luft. Und Robben jagt quer über den Platz und lässt Casillas auf den Knien vor sich her rutschen. Hier geht der Wahnsinn ab. Die Fonte Nova brennt. Magie pur!



Zurück nach Rio, mitten in der Nacht. Kein Schlaf seit zwei Tagen, das kann nicht gutgehen.

Mittwoch, 18. Juni, Estádio Maracanã, Rio de Janeiro



Die Hütte kocht. Für Weltmeister Spanien geht es bereits um die Wurst, Chile hingegen hat das Stadion auf seiner Seite. Von hoch oben aus dem Stadion heraus sehen wir einen Knäuel aus chilenischen Fans, die offenbar nicht mehr an Tickets gekommen sind. Wenige Minuten später stürmen sie das Stadion durch das Pressezentrum, rund 100 von ihnen werden wieder eingefangen und des Landes verwiesen, weitere 150 schaffen es auf die Tribünen und werden von ihren Landsleute dort versteckt. Die FIFA-Sicherheitsleute laufen Amok im Stadionbereich. In jeder Ecke haben sich Fans versteckt. Mythos Maracanã!



Amok auch bei den Spaniern, die Chilenen machen Druck und zwei Tore. Das Maracanã kocht, "Chile Chile", peitschen die Fans ihr Team nach vorne. Sie seien die wirkliche "La Roja", sagen sie, und nicht die spanischen Namensklauer. Sensationelles Spiel, tolle Stimmung, Spanien draußen. Wer hätte das gedacht?



Samstag, 21. Juni, Estadio Castelão, Fortaleza
Am Vortag über die FIFA-Seite noch eine Karte ergattert, dazu einen Hin- und Rückflug nach bekanntem Schema: mitten in der Nacht hin, mitten in der Nacht zurück.



Die Müdigkeit ist ohrenbetäubend – nicht nur, dass man in der Nacht fliegt; wer noch Karten über die FIFA-Seite bekommen will, sitzt schon mal bis in die frühen Morgenstunden vor dem Laptop.

In Fortaleza dann mehr deutsche als ghanaische Fans. Es ist unglaublich heiß, die Sonne brennt. Statt im Stadion hält man sich so lange wie möglich bei einem kühlen Bierchen in den Katakomben auf.



Deutschland beginnt behäbig, die erste Halbzeit plätschert vor sich hin. Dafür ist die zweite dann unglaublich!

Erst das seltsame Tor von Mario Götze, mehr Knie als Kopf. Dann prügeln sich deutsche Fans mit Ordnern, die die mitgebrachten Fahnen abhängen wollen. Die deutschen Fans sind außer sich, es kommt zu turbulenten Szenen.

Turbulenzen auch auf dem Platz. Ghana gleicht aus und führt plötzlich, die Deutschen werden komplett an die Wand gedrückt. Die brasilianischen Fans im Stadion laufen zu Ghana über. Die Deutschen beherrscht die Angst.



Gefühlte 5 Minuten stehen Schweinsteiger und Klose an der Seitenlinie, wollen eingewechselt werden. Das deutsche Spiel schreit förmlich nach Schweinsteiger, doch Ghana drückt und drückt.

Dann kommen beide rein und blasen zum Angriff. Jetzt ist es ein richtiger Fight geworden, ohne Deckung und Plan – einfach anrennen. Klose macht die Hütte und fast noch das Siegtor.



Aus! 2 : 2 – was für ein Spiel. An der Beira-Mar tanzen die deutschen Fans bis in die Morgenstunden. Da sitzen wir schon wieder im Flieger Richtung Rio.

Montag, 23. Juni, Estádio Mané Garrincha, Brasília
Die brasilianische Regierung war so nett, uns einzuladen. Jetzt geht es mit einem geräumigen Bus vom Hotel Richtung Stadion. Und da erst einmal in den FIFA-Hospitality-Bereich, wo ein wundervolles Buffet wartet.



Hübsche Frauen in netten Kleidchen reichen Champagner, die Stimmung ist toll. Das Stadion gigantisch, wie man das für einen 500 Millionen Euro Bau auch erwarten darf. Und komplett in Gelb-Grün getaucht. Kamerun kann einem Leid tun, die schlechteste Mannschaft der WM. Und auch nur angetreten nachdem die Prämien geflossen sind.



Neymar ist überall, reißt das Spiel Brasiliens an sich. Auch weil der Rest der Truppe eher schwach auf der Brust ist. Nachdem Kamerun ausgleicht, schleicht Angst über die Ränge. Das feine Hauptstadtpublikum vergisst, dass es im Stadion ist und nicht vor dem Fernseher sitzt. Statt anzufeuern, kaut man Fingernägel. Geschenkt, Neymar richtet es schon.



Zum Ende wird es beinahe ein Schützenfest, die Brasilianer singen vergnügt. "Das war aber auch einfach" denkt man bei sich. Gigantisches Stadion, Wahnsinn. Und ab zurück in den Hospitality-Bereich. Der Nachtisch wartet.

Donnerstag, 26. Juni, Arena Pernambuco, Recife
Und wieder hat es geklappt! Die Karte über die FIFA-Seite 24 Stunden vor dem Spiel, ein günstiges (naja) Flugticket von Rio nach Recife, wo man am Vorabend bei einem Kumpel unterkommt.

Am nächsten Morgen soll es früh losgehen, schließlich beginnt die Partie zwischen Deutschland und den USA (Klinsmann!) schon um 13 Uhr. Man erwacht, schaut aus dem Fenster – und sieht Recife unter Wasser. Es regnet in Strömen. Ach was, das ist die Sintflut, das Ende der Welt.

Am besten mit der Metro zum Stadion, doch wie kommt man zur nächsten Metro-Station? Keine Taxis weit und breit. Also laufen, über Straßen, die sich in Sturzbäche verwandelt haben. Nach zwei Sekunden ist man pitschnass, und vor einem liegt noch ein ganzer Tag.



Irgendwo nimmt man einen Bus, der dann zur nächsten Metrostation fährt. Die Straßen haben sich in Lagunen verwandelt, es geht schleppend voran. An der Metro steht die Schlange aus deutschen und US-Fans vor dem Schalter. "Man sollte Herrn Blatter verklagen, Scheiß-Organisation", hört man deutsche Stimmen schimpfen.



Dann eine halbe Stunde Metro-Fahrt, danach die nächste Schlange, um in die Zubringerbusse zur Arena zu kommen. 15 Minuten fahrt bis zur Arena – oder fast: man wird einen Kilometer vorher abgesetzt. Laufen durch den Regen, auch egal, sind eh schon nass bis auf die Knochen.





Im Stadion dann us-amerikanische Übermacht und Ordner, die die deutschen Banner wieder abnehmen. Dieses Mal verzichten die deutschen Fans auf Krawall – und die deutsche Mannschaft darauf, sich wie gegen Ghana überrennen zu lassen. Kontrolle pur, die Deutschen dominieren das Spiel. Nach dem 1:0 ziehen sie die Handbremse. Man will wohl der Klinsi-Truppe nicht zu sehr zusetzten.

Die freuen sich dann auch nach dem Schlusspfiff über den Einzug ins Achtelfinale. Alle sind glücklich, man verbrüdert sich vor dem Stadion. Dann geht die ganze Transporttortur wieder von vorne los.

An der Metrostation stehen brasilianische Kids Spalier, bitten um Trinkbecher und sonstige Souvenirs von der Partie, die sie selber nur im Fernsehen gucken konnten. Und Recife steht immer noch unter Wasser!
 
Letztes Highlight



Montag, 30. Juni, Fan-Fest, Recife
Mal wieder hat die FIFA-Webseite ein Ticket ausgespuckt, dieses Mal für das Spiel Deutschland gegen Algerien. Aber die Flugpreise nach Porto Alegre sind einfach eine Unverschämtheit. Deshalb: auf zum Fan-Fest in Recife. Dürfte auch nett werden.

Mal sehen, ob das mit den Highlights so munter weitergeht...

Text + Fotos: Thomas Milz

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