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[art_4] Venezuela: Domino in Chávezlandia
 
Irgendwo ganz weit draußen, kurz bevor dieses unendlich lange Moloch Caracas tatsächlich zu existieren aufhört, hab ich dann doch noch was von der cultura caraceña mitbekommen.



Abseits von jeglichem Innenstadt-Trubel, genau dort, wo ein gewöhnlicher Tourist normalerweise nicht hinkommt - warum ich ausgerechnet dort gelandet bin, tut hier nichts zur Sache - und die dünn gesäte Mittelschicht in ihren Trabantenstädten dahinvegetiert. Anders kann man diese Residenciales beim besten Willen nicht benennen. Kennst du eine, kennst du alle. Grau, Plattenbauweise, und schön sozialistisch einheitlich. Sogar der Schnitt der Zimmer ist bis hinauf unters Dach in den 14. Stock identisch. Allein die Bewohner unterscheiden sich noch ein klein wenig voneinander. Ich jedenfalls durfte auf wundersame Weise eine Nacht in einem solchen Betongefängnis verbringen.

Es war schon weit nach Mitternacht als José mich nach dem vierten Rum fragte, ob ich denn Domino spielen könne.
»Moment, ist das nicht dieses Kinderspiel?!«
»Genau das.«
»Gleiche Regeln?«
»Gleiche Regeln.«
»Also gut, warum nicht.«

Meine Antwort hatte ich noch betont lässig gegeben. Aber was bitteschön sollte ich nur auf einem Domino-Spiele-Abend? Entweder hatte ich gerade einen fatalen Fehler begangen oder alles richtig gemacht; jedenfalls war es vorbei mit dem geruhsamen Abend.

Nach einem Griff ins Rumregal ging es im rechten Trabantenturm in den 14. Stock. Schon als die Tür des Fahrstuhls aufsprang, wusste ich, dass „Domino-Spielen“in Venezuela vor allem fiesta heißt. Alle vier gegenüberliegenden Apartmenttüren standen sperrangelweit offen und aus allen vieren drang rhythmische Latino-Musik. Aus vierfachem Stereo konnten wir glücklicherweise dann einen machen. Der Grund: nur hinter einer Tür sollte wirklich Domino gespielt werden, die anderen waren nur dazu da, dass sich keiner der Untermieter allzu leicht in den Schlaf mogelte.



Meinen Spielpartnern war ziemlich schnell anzusehen, dass sie gewiss nicht erst seit kurzem mit dem Steinchen anlegen begonnen hatten. Ich musste mich schon höllisch konzentrieren überhaupt ihre Namen zu verstehen. Und das, obwohl ich noch einen gehörigen Rückstand in Sachen Cuba libre hatte. Doch nach dem vierten Glas sollte der dann auch nicht mehr ins Gewicht fallen. Wir setzten uns also an den viereckigen Filztisch; ganz so, als würde man eine Runde Karten spielen, nur eben diesmal mit kleinen schwarzen Steinen.

Ob ich was trinken wolle, fragte mich Jorge, in dessen Wohnung wir waren. Klar! Cuba libre! Also blaffte er meinen Wunsch gleich seinem zwölfjährigem Sohn Aurelio zu, der sich allerdings nur widerwillig von seinem Internetspiel losmachen wollte. Inzwischen war es gut und gerne ein Uhr durch. Aber, und das muss man dem Jungen lassen, trotz dieser späten Stunde erledigte er seine Cocktail-Pflichten ohne Murren und, was noch wichtiger ist, auch mit äußerster Sorgfalt. Es war einer der besten Cuba libre, die ich in Venezuela vorgesetzt bekam.

Mittlerweile war das Spiel in vollem Gang. Die sich gegenüber Sitzenden bildeten stets ein Paar und Ziel war es alle Steine schneller loszuwerden als der Gegner. Das ganze ging dann im Urzeigersinn reihum. Angelegt werden durften natürlich nur jeweils Steine mit der richtigen Anzahl an Pünktchen. Ansonsten keine weiteren Erklärungen. Außer vielleicht, dass man nicht mit abgezockten Venezolanern spielen sollte. Die haben, auch wenn man es diesem Spiel nicht auf den ersten Blick ansieht, tatsächlich ein paar taktische Finessen drauf. Hauptaugenmerk liegt allerdings auf der Kommunikation mit dem Gegner. Pepe, im normalen Leben ein blasser Angestellter einer IT-Firma und stets adrett in Markenkleidung gehüllt, macht nebenher die offensichtlich lukrativeren Geschäfte mit dem Dollarkurs. In Venezuela ist es nämlich mit der Währung ein wenig verzwickt. Es gibt einen offiziellen Chávez-Dollar-Kurs, bei dem vor allem die Touristen geschröpft werden sollen. Und es gibt einen inoffiziellen, der dem realen Kurs entspricht. Differenz: je nach Kurs doppelt oder fast dreimal so viel.



Weil aber in Venezuela das Dollartauschen für die Einwohner reglementiert, sprich deutlich eingeschränkt, ist, man den Green Back als Auslands- oder Geschäftsreisender aber trotzdem braucht, ergibt sich für viele eine nette Einnahmequelle. Kurzum: Pepe drangsalierte mich unaufhörlich mit den zu erwartenden Kursen am nächsten Morgen, wenn ich bei ihm nur meine Dollar eintauschen würde. Das machte er derart geschickt, dass ich weder Zeit hatte, mal eine Wasserpause zu machen noch vernünftig meine Steine zu sortieren, geschweige denn anzulegen.

Was soll ich sagen? Leg Dich bloß nie mit einem Dollar tauschenden Venezolaner an; insbesondere dann nicht, wenn Du ihn beim Domino als Gegner hast. Am Ende hatte meine Pechsträhne aber doch noch was Gutes an sich. Weil ich wohl nach drei Stunden Domino mit diesen Kerlen etwas bedauernswert dreingeblickt haben durfte, hatte Pepe tatsächlich ein Einsehen. Er tauschte mir die Dollar zu einem Kurs, den ich in ganz Venezuela nie mehr finden sollte.

Text: Andreas Dauerer
Fotos: Dirk Klaiber

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