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[art_1] Spanien: Sevilla - Regenschirme statt Madonnen-Baldachine
Sechste Ausgabe unserer nicht ganz ernst gemeinten Chronik der Semana Santa (2011)
Sevilla, Palmsonntag, 17. April 2011, ca. 10:00 Uhr Die 18-jährige Cayetana, die gestern aus Cádiz angekommen ist, um mit uns die Sevillaner Semana Santa zu erleben, faltet geräuschvoll ihre Zeitungslektüre (Diario de Sevilla) zusammen und blickt Hilfe suchend in die Frühstücksrunde. "Das wird wohl nichts" und sie zeigt auf die Wetterkarte in der Zeitung, bevor sie beunruhigt an ihrem Honiggebäck knabbert.
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"Sei nicht so pessimistisch", versucht die Hausherrin Angélica sie zu beruhigen, "sieh doch, was für ein strahlender Tag heute ist!" Dabei zieht sie die Gardine weg und grelles Morgenlicht fällt ins Zimmer. |
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Auch ich bemühe mich, Zuversicht zu verbreiten: "Heute ist traumhaftes Semana Santa Wetter, es soll sogar 30 Grad heiß werden." "Ja heute", entgegnet Cayetana und schlägt die Wetterseite des Diario de Sevilla wieder auf: "Aber ab morgen abend sieht es düster aus und für Donnerstag und Freitag droht eine Regenwahrscheinlichkeit von 100% !" Gebeugt über die Isobaren-Karte, die in der Tat ein gewaltiges Tief bei den Azoren im Anmarsch zeigt, tauschen wir besorgte Blicke aus, entschließen uns aber, für den Moment den furchtbaren Gedanken an eine Semana Santa ohne Madrugá (Prozessionen der Karfreitagnacht) zu verdrängen. Angélica klatscht in die Hände und ruft: "Kommt Leute, es ist Zeit, uns aufzubrezeln, ihr wißt ja, wie lange das dauern kann..." (Vor allem bei ihr, denn als wir um 11.30 Uhr aufbrechen, ist sie als einzige nicht fertig und meint, wir sollten schon mal vorgehen zur Kirche San Andrés.)
Unsere Gruppe von Semana Santa Fans besteht schon seit Jahren aus meiner Freundin Carmen und ihrem Mann Manolo, die wir gleich besuchen werden, Theresa und Regina, meiner Freundin Angélica (der die Semana Santa nicht besonders gefällt, deshalb fährt sie am Mittwoch nach Portugal) sie alle sind aus Sevilla; der jungen Cayetana aus Cádiz, zwei Pilgern aus Madrid (Manuel und Christina) und mir (diesmal hat die Redaktion wieder alle Namen geändert).
Wie jedes Jahr haben uns Carmen und Manolo zum Auftakt der Karwoche zum Mittagessen eingeladen, das diesmal nicht in ihrer Wohnung, sondern im Patio des Pumarejo-Palasts stattfindet. Das Essen ist so köstlich wie immer: Kabeljau-Kichererbsen-Eintopf, Kabeljau mit Tomate oder Spinat, dazu Empanadas, Oliven, Schinken vom Feinsten.
Umgeben von der bröckelnden Pracht des Palasts aus dem frühen 18. Jahrhundert, der anscheinend von der Stadtverwaltung Sevillas ebenso wie die Kirche Santa Catalina dem Verfall preisgegeben wird, scheinen sich alle Gäste mit besonderer Hingabe einem so vergänglichen Genuss wie dem Essen zu widmen. Bis die Fanfaren erklingen und die Prozession der Bruderschaft La Hiniesta den Platz erobert.
Am besten könnte man sie von einem Balkon des Palastes sehen, aber das ist inzwischen zu gefährlich wie Manolo meint. Zu baufällig seien die Balkone geworden. Also steigen wir nach einem labyrinthischen Parcours durch das Dämmerdunkel unheimlicher, auch nicht gerade Vertrauen erweckender Treppen dem leer stehenden Palast aufs Dach. Dort werden wir vom grellen Sonnenlicht geblendet und gehen vorsichtig bis zum Rand, als wir endlich durch das am Gesims wuchernde Unkraut tief unter uns in der Gasse die blauen Nazarenos von La Hiniesta entdecken.
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Eine Offenbarung ist der Blick aber nicht, also stürmen wir wieder herunter auf den Platz und begleiten die Prozession in die Gasse Relator, weil Theresa heraus gefunden hat, dass dort von einem Balkon der berühmte Saeta-Sänger El Sacri für die Madonna singen wird. |
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Und während hoch oben El Sacri wie immer herzzerreißend und mit viel Pathos gestikulierend für die blau bemantelte Madonna singt, gibt es nahe der Erde profane Bedürfnisse zu befriedigen. Der "Aguador" verteilt Wasser in Becher, die ihm von den durstigen Trägern eilig entgegen gestreckt werden.
Dazu werden die Samtvorhänge des Paso weg geklappt und man sieht kurz die Arme und Füße der Costaleros eine kleine "Modenschau mit schicken Sneakers", wie Carmen bemerkt. Regina äußert den Verdacht, dass es gar kein normales Wasser ist, was dort an die tapferen Träger verteilt wird, sondern eine neue, "unrote" Sorte Red Bull, vielleicht Limone.
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Sie scheint recht zu haben, denn nach ihrer flüssigen Stärkung wuchten die Costaleros den Baldachin ihrer Jungfrau mit solchem Elan empor, dass die Samtborten beben und ihr fast die Krone vom Haupt fällt. "Ja, das war eine Red-Bull-Aktion", meint Manuel grinsend. |
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Kurz vor Sonnenuntergang führt Angélica uns wieder auf eine luxuriöse Dachterrasse, die Freunden gehört. Im goldenen Abendlicht stehen hier über der Calle Conde de Torrejón alle Bewohner dieses Palastes mit auserwählten Gästen, um die grandiose Prozession von La Amargura aus privilegierter Perspektive zu betrachten.
Alle blicken fasziniert nach unten, wobei jeder auf andere Details achtet: Manuel meint, dass man die dramatische Komposition der Szene mit Christus vor Herodes erst von hier oben richtig erkennt, Christina bewundert die Disziplin und Ordnung in der endlosen Doppelreihe weißer Nazarenos, Regina und Theresa beobachten eher das Publikum und flüstern sich so manch bösen Kommentar über Verhalten oder modische Entgleisungen der Zuschauer zu, Angélica nippt an ihrem Sherry-Glas und blickt in die untergehende Sonne, die mit den letzten Strahlen die vergoldete Altarbühne von La Amargura illuminiert und Cayetana hat sich zum ersten Mal während dieser Semana Santa verliebt (es wurde auch Zeit!); in einen sehr dunklen Leuchterträger mit Engelsgesicht, der melancholisch in den Abendhimmel blickt.
Da wir den zweiten Paso mit der Madonna der Bitterkeit lieber ganz nah unten in der Straße sehen wollen, stürmen wir die Treppen hinunter, sobald sie in die Gasse hinein getragen wird. Doch unten ist der Weg versperrt durch ein Gitter! Das Portal des Palastes ist zwar offen, das hohe Gitter davor aber dicht. Oft gibt es neben dem Portal einen Automatik-Knopf, um so ein Eingangsgitter zu öffnen und fieberhaft suchen wir danach, während die Madonna sich mit lauten Trompeten nähert. Kein Tür-auf-Knopf nirgends. Entnervt blicken wir uns um.
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Kein Hausbewohner in Sicht und Angélica, die als einzige unserer Gruppe wissen müsste, wo man dieses Gitter öffnet, steht mit ihrem Sherry-Glas vier Stockwerke über uns. Zu spät! Da ist die Amargura schon angekommen und wir in unserem Luxusgefängnis sind zu weit weg, um das Gesicht der Madonna hinter ihrer Kerzenpyramide gut sehen zu können. |
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Wir ziehen uns am Gitter hoch, um einen besseren Blick zu haben. In diesem Moment springt das Gitter auf, Angélica war herunter gekommen und hatte den Knopf betätigt. Nun war die Amargura schon wieder angehoben und weiter getragen worden. Aber für nächstes Jahr wissen wir jetzt, wo sich der magische Knopf befindet.
Durch die Straße der Liebe Gottes (Amor de Dios) lassen wir uns mitreißen von der Menschenmenge, die dem Baldachin der Amargura folgt. Unser Ziel ist, wie jeden Palmsonntag, von der Bitterkeit (Amargura) zur Liebe (El Amor) zu kommen. Und es gibt einen sehr konkreten Punkt, wo wir diese Prozession sehen wollen: wir postieren uns in der C. Javier Lasso de la Vega gegenüber dem Haus Nr. 7, wo El Sacri um 21.30 Uhr wieder singen soll.
Theresa hat den Plan dabei, der alle Auftritte dieses Saeta-Sängers ankündigt. Als der gekreuzigte Christus von El Amor an uns vorbei getragen wird, wird wie erwartet eine Saeta intoniert, aber die Stimme klingt nicht vertraut. Regina zeigt auf den Balkon und flüstert erstaunt: "Ist El Sacri jetzt zur Frau geworden oder was?" In der Tat singt dort eine junge Frau (und gar nicht schlecht), vielleicht hat der Meister seinen Platz aufgrund dringender Verpflichtungen an sie abgetreten. Nach einer großen Tortilla auf der Plaza de San Andrés verfolgen wir die Prozession von La Estrella, die sich schon auf dem Rückweg befindet. Gegen 1:00 Uhr nachts erreichen wir sie auf der Brücke nach Triana. Die Menschenmasse auf der Brücke ist weniger dicht als sonst, aber viele drängeln sich neben der langen Prozession rücksichtslos durch. Dabei fährt mir ein Kinderwagen voll über die Füße. Eine Entschuldigung gab es nicht, aber sie sei gewährt, denn alle haben es eilig, um ein letztes Mal das ergreifende Gesicht der Sternen-Madonna zu sehen, bevor sie für ein Jahr in ihrer Kapelle verschwindet.
Heiliger Montag, 18. April 2011 Wir fangen dort an, wo wir gestern aufgehört haben: auf der Brücke von Triana. Um 5:00 Uhr nachmittags erwarten wir hier die Bruderschaft San Gonzalo. Eigentlich wollten wir diese sehr populäre Prozession schon vor einer Stunde neben der Kapelle der Estrella sehen, aber dort türmten sich schon die Zuschauer in solchen Massen, dass wir mutlos wurden und den Rückzug zur Brücke antraten. Nur Cayetana quengelte, sie hätte sich gern mitten hinein gedrängt, aber ich erklärte ihr, dass wir alt geworden seien und den langen Tag nicht so stressig beginnen wollten. Auf der Brücke lässt der schöne Christus von San Gonzalo aber zu lange auf sich warten, wir verlieren die Geduld und setzen uns auf eine Terrasse am Ufer. Dort trinken wir dekadent Kaffee, bis der goldglänzende Paso auf der Brücke erscheint.
Am Abend stehen wir neben der Oper und betrachten die Prozession von Las Aguas, die aus ihrer kleinen Kapelle gegenüber dem Hospital de la Caridad strömt. Pünktlich um 19:00 Uhr singt El Sacri (diesmal wieder ganz er selbst) für den "Christus der Wasser". Christina flüstert neben mir. "Er sollte nicht zu laut singen angesichts der Wetterprognosen, wir wollen keinen Regen!" Der Himmel ist schon sehr bewölkt und Cayetana behauptet, sie hätte ein paar Regentropfen gespürt.
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Las Penas de S. Vicente [zoom]
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Eine Stunde später stehen wir stolz auf einem Balkon gegenüber dem Portal der Kirche San Vicente der beste Platz, um der Salida der Bruderschaft von Las Penas beizuwohnen. Die Einladung eines Freundes von Angelica verhalf uns zu diesem seltenen Glück. Vor allem Manuel ist aufgeregt, denn der Christus dieser Bruderschaft, ein Werk des großen Pedro Roldán, gehört zu seinen Lieblings-Kunstwerken. Welch ein Kontrast während unter uns in strengem Schwarz gewandete Büßer aus der Kirche marschieren, spielen neben uns auf dem Balkon bunt angezogene Kinder, ab und zu zur Ruhe und zum Zuschauen ermahnt. Als die goldene Altarbühne mit dem Christus de Las Penas unter den Klängen eines Trauermarsches aus der Kirche getragen wird, tippt Christina mich an: "Sieh mal Manuel weint."
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Da ihr Mann durch diesen Gefühlsausbruch nicht weiter fotografieren kann, nimmt sie ihm sanft die Kamera aus der Hand und macht Fotos. Leider wurde der Paso gedreht, so dass die Christusskulptur nun zur anderen Seite blickt. Wir verabschieden uns und verlieren uns in der Calle San Vicente im Menschenstrom, der sich an den Mantel der Madonna hängt. Manuel und Christina sind plötzlich verschwunden, während wir zur Plaza de San Andres gehen.
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Es ist schon halb elf abends, als dort die wunderbare Skulpturengruppe von Santa Marta in ihre Kirche zurück getragen wird. Viel zu schnell hastet die Szene an uns vorbei. Carmen spricht aus, was alle denken: "Diese Bruderschaft ist bekannt für ihre Schnelligkeit, aber es wäre schöner, wenn sie diesen Paso alle drei Meter anhalten müssten." |
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Um halb zwei nachts sind wir wieder vor der Kirche San Vicente, um die Rückkehr von Las Penas zu bewundern. Dort treffen wir auch Manuel und Christina wieder und gemeinsam verfolgen wir gebannt den riesigen Schatten, den der Baldachin der Madonna auf die Hauswände wirft und suchen vergeblich den Vollmond; düstere Wolken haben sich davor geschoben.
Heiliger Dienstag, 19. April 2011 Wir stehen vor dem Portal der Kirche Omnium Sanctorum und warten auf die Prozession der Bruderschaft Los Javieres. Es regnet. Im Innern der Kirche diskutiert die Bruderschaft, ob man die Prozession wagen solle oder nicht. Ein paar Minuten lang hört es auf zu regnen und das Portal öffnet sich. Das Publikum applaudiert, glaubt, dass die Prozession beginnt, doch im nächsten Moment reißen alle wieder die Schirme hoch, die Kirchenpforten schließen sich, denn ein neuer Wolkenbruch beendet alle Hoffnungen. Es ist erst Nachmittag und wir wollen den Tag noch nicht verloren geben. Wir beschließen, das neue Museum des Klosters Santa Clara zu besuchen geschlossen! Unverdrossen stapfen wir weiter durch Pfützen und Regen, allerdings kaufe ich mir unterwegs beim Chinesen einen Regenschirm für drei Euro.
Heiliger Mittwoch, 20. April 2011
Zum Auftakt der gleiche Schauplatz wie gestern, nur eine Stunde früher. Die Wolkendecke bricht auf und es scheint sogar die Sonne. Vor dem Portal von Omnium Sanctorum erwarten wir die Bruderschaft Carmen Doloroso und einen Paso, der mit über sechs Meter Länge zu den größten in Sevilla gehört.
Die Träger müssen beide Pasos auf Knien durch das Portal wuchten; bei der Madonna, deren Baldachin noch etwas höher ist, müssen sogar links und rechts noch Träger mit anpacken und dirigieren, da es um Zentimeter geht. Viele von ihnen haben die Hosenbeine hoch gekrempelt, so dass man ihre Waden sehen kann. "Wie gern doch die eitlen Costaleros ihre Beine zeigen", kommentiert Theresa.
Darauf muss man Cayetana nicht hinweisen, sie fotografiert sowieso mehr die Wadenmuskeln der Träger als das Gesicht der Madonna del Carmen. Und auch die Reporterin des Fernseh-Senders Giralda Televisión schaut mehr nach unten als nach oben, während sie in ihr Mikro spricht.
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Nach dem Auszug von Carmen Doloroso wollen wir noch eine zweite Salida sehen, daher postieren wir uns kurz nach 17:00 Uhr am Rand der schönen Plaza de San Martín links gegenüber dem Portal der Kirche. |
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Kurz vor 18:00 Uhr schreiten die ersten Nazarenos der Bruderschaft La Lanzada mit roten Kapuzen aus der Kirche und die Prozession bahnt sich einen Weg. Wir lassen den Blick schweifen. Rings um den Platz sind die Balkone zum Bersten voll. Im Palast hinter uns hören wir, wie eine energische weibliche Stimme Befehle gibt: mehr Iberico-Schinken solle an die Gäste verteilt werden und man solle die Cognac-Flasche ordentlich kreisen lassen.
Amüsiert blicken wir uns an. Jetzt erscheint die Dueña über uns auf dem Balkon eine typische sevillanische Aristokratin, um die 60 Jahre und blondiert, elegant und ganz in Schwarz. Sie sieht ungefähr so aus wie die Duquesa de Alba vor 30 Jahren. Die ganze feine Balkongesellschaft präsentiert sich in Sonntagskleidung, die meisten wirken distinguiert und etwas gelangweilt. Ein Ehepaar verlässt den Balkon, obwohl in ein paar Minuten der Christus kommt, wie die Hausherrin betont. "Na ja, wir haben das schon so oft gesehen", ruft eine gleichgültige Stimme aus dem Innern des Palasts.
Wir konzentrieren uns auf den prunkvollen Paso, der sich Meter um Meter, zwei tapfere Engel voran, aus der Kirche schiebt. Trompeten setzen ein und La Lanzada beginnt den Triumphzug durch Sevilla. Nachdem der Paso samt Musikkapelle verschwunden ist, hört man wieder die gebieterische Stimme der Dueña : "Und jetzt nehmen wir zwischen Christus und der Madonna den Champagner ein!" Regina kichert und fragt in die Runde, ob denn heut Sylvester sei. Theresa prustet: "Jetzt fehlt nur noch, dass die gleich Böller auf ihrem Balkon zünden!" Und so müssen wir die Madonna unter rotgoldenem Baldachin mit unterdrücktem Lachen verabschieden, während man sich eine Etage über uns mit Feinperligem zuprostet.
In der blauen Stunde lassen wir neben den Mauern des Alcázar die Prozession von San Bernardo vorbei ziehen. Als die Jungfrau der Zuflucht vor uns eine Pause macht, wird die Trägermannschaft ausgewechselt. Als letzter klettert ein braun gebrannter, sehr muskulöser Costalero mit großzügig tätowiertem Oberkörper unter dem Paso hervor. Cayetana reißt ihre Kamera hoch und blickt ihm wie hypnotisiert hinterher. Regina kommentiert mit maliziösem Lächeln: "Meine Liebe, ich weiß nicht, ob Du bei dem Erfolg haben würdest, ich könnte mir vorstellen, dass er sich mehr darüber freuen würde, Deinen Surfer-Bruder zu umarmen." Manuel verdreht etwas die Augen, legt ihr die Hand auf die Schulter und empfiehlt: "Cayetana, es ist wirklich langsam an der Zeit, dass Du Dir mal einen festen Freund zulegst."
Nach wohl verdienten Tapas in der Bar El Patanchón in der C. Mateos Gago brechen wir zum feierlichen Schlussakkord des Tages auf die Rückkehr des Cristo de Burgos. Wir drängen uns in die Menschenmenge auf dem völlig dunklen Platz, alle Laternen sind für die Prozession ausgeschaltet worden. Da erhebt sich zu Ehren der Madonna eine klagende Stimme in den Nachthimmel. Eine Saeta. Aber nicht irgendeine, je länger die Stimme gegen die Nacht ansingt, desto klarer wird: dies ist die perfekte Saeta, die beste, die wir jemals gehört haben. Angespanntes Schweigen liegt über dem Platz, als das Werk beendet ist. Kein Applaus, aber überall schluchzende Menschen; Christina und Manuel liegen sich weinend in den Armen, sogar Cayetana hält sich ein Taschentuch vors Gesicht, der ganze Platz scheint mit den Tränen zu kämpfen der größte Applaus, den ein Saeta-Sänger sich wünschen kann. Wie wir später erfahren, ist sein Name Manuel Cuevas. Sein Stern ist in dieser Nacht aufgegangen.
Gründonnerstag, 21. April 2011
Es regnet. Es regnet drei Jahre, drei Tage und 48 Stunden.
La Madruga (Karfreitagnacht), 22. April 2011 Draußen regnet es geräuschvoll. Seit Mitternacht sitzen wir vor dem Fernseher und verfolgen live zwischen Hoffen und Bangen zwei Stunden lang, wie in einer Kirche nach der anderen die Entscheidungen über die wichtigsten Prozessionen der Semana Santa von den Großmeistern der Bruderschaften verkündet werden und wie unter der Diktatur dieses Dauerregens zu befürchten war, sind alle negativ. La Macarena, El Silencio, Gran Poder, Esperanza de Triana. In dem Moment als auch diese Bruderschaft das Nein verkündet, zerreißen wie zur Untermalung gewaltige Donner und Blitze den Nachthimmel. Ein Wolkenbruch überschwemmt die ganze Straße und wir springen von Fenster zu Fenster, weil es überall herein regnet.
Karfreitag, 22. April 2011
Hatte ich schon erwähnt, dass es regnet?
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Karsamstag, 23. April 2011
Heute hatte trotz des Regens aus symbolhaftem Trotz als einzige Bruderschaft El Sol (die Sonne) ihre Prozession zur Kathedrale durchgeführt. Die halbe Stadt hat sich auf den tapfer unter finsteren Wolken marschierenden Christus gestürzt, während diese ganz neue Bruderschaft in einer normalen Semana Santa nicht gerade zu den Publikumsmagneten gehört.
Trotz dieser traurigen Woche versammeln wir uns zum traditionellen Osternacht-Abendmahl, diesmal im "Bacalao" und sogar mit Angelica, die aus Portugal zurück gekehrt ist.
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Als nach üppigen Hauptgängen die Desserts gewählt werden sollen, wird auch nicht gespart. Mit Angst um ihre Strandfigur meint Cayetana: "Uff, wir haben echt voll viel gegessen die ganze Woche!" Wir nicken und Regina entschuldigt uns alle: "Es gab ja auch kaum was anderes zu tun, wo doch die meisten Pasos ausfielen..."
Ostersonntag, 24. April 2011 Morgendämmerung. Nach soviel hinfort geschwemmter Semana Santa wagen ein paar von uns, sich wieder profanen Vergnügungen hinzugeben und besuchen in der Osternacht nach reichlich Kirchenbesuchen einen Tanztempel.
Die Tanzfläche hatte sich gegen 7:00 Uhr morgens schon beträchtlich geleert, da erklingt plötzlich die Stimme des DJ aus den Lautsprecherboxen: "OK Jungs, wir machen jetzt hier dicht und ich schlage vor, wir gehen jetzt mal alle zusammen den Auferstandenen begrüßen!"
Und so geschieht es. Auf dem Campana-Platz werden wir von den ersten Sonnenstrahlen und Trompetenfanfaren begrüßt, als der auferstandene Christus mit triumphaler Geste an müden Tänzern und normalen Zuschauern vorbei zieht. Und als hätte er nicht nur den Tod, sondern auch den Dauerregen besiegt: wir sehen die ersten Sonnenstrahlen seit Mittwochmittag.
Als die Jungfrau der Morgenröte nun genau vor uns zum Stehen kommt, murmelt Cayetana leise neben mir: "Mir ist vorher noch nie aufgefallen, wie schön diese Madonna ist..." Offenbar muss erst die halbe Semana Santa ausfallen, damit man auch ihre unbekannteren Schönheiten plötzlich zu würdigen weiß...
Text: Berthold Volberg
Fotos: Berthold Volberg + Vicente Camarasa
Folgende Pasos waren u.a. in der Semana Santa 2011 dem Regen geschuldet nicht auf Sevillas Straßen zu bestaunen:
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Esperanza de Triana [zoom]
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Esperanza de Triana [zoom]
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Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa
(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm |
Von Berthold Volberg sind zur Semana Santa in Sevilla folgende Artikel erschienen:
[Es ist vollbracht: Der Karsamstag in Sevilla]
[Zwischen strahlendem Barock und düsterer Mystik: Der "Heilige Montag"]
[Die Passion in Sevilla: Der "Heilige Mittwoch"]
[Der Karfreitag in Sevilla: Ein Andalusisches Requiem]
[Der Tag der Himmelsköniginnen - Palmsonntag in Sevilla]
[Goldrausch in Sevilla: Gründonnerstag der Semana Santa]
[Semana Santa in Sevilla - Die Geheimnisse der Madrugá]
[Heilige Nacht mit Guaraná - Nicht ganz ernst gemeinte Chronik der Semana Santa (2007)]
[druckversion ed 06/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: peru]
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