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[art_3] Bolivien: Nada es seguro, pero todo es posible
Eine zoologische Diplomarbeit in Bolivien: Ein Rückblick in E-Mails

Mo, 21. Nov. 2007, 15:09:28
Betreff: Es geht los

Vom 29. November 2007 bis zum 20. April 2008 werde ich in Bolivien sein und dort Daten für meine Diplomarbeit mit dem handlichen Titel "Auswirkungen der Fragmentierung von Trockenwäldern auf Diversität und Zusammensetzung der Avi- und Primatenfauna im Departamento de Santa Cruz, Bolivien" sammeln.
Alles Gute und bis bald, L.

Vogelbestimmung und - beringung
Cebus Apella

Do, 8. Dez. 2007, 20:40:19
Betreff: Die Schnecke unter den Säugetieren...

...ist ja wohl das Faultier, und ich habe selten ein Tier gesehen, das sich am Boden in solcher Zeitlupe bewegt. Ab und zu könnte man auch denken, es wäre gerade gestorben, aber dann geht die rasante Tour weiter. Ich komme gerade drauf, weil ich vorhin auf der plaza von Santa Cruz saß, als sich ein Faultier auf den Fußweg zur drei Meter entfernten Palme gemacht hat: die Stunde muss man sich schon mal nehmen. Ja, ich bin in Santa Cruz, der zweitgrößten Stadt Boliviens, im subtropischen Tiefland gelegen. Bis vor ein paar Jahrzehnten noch ein kleines Kaff mit Schlammstraßen, heute ein Über-1-Millionen-Einwohner-Moloch mit Schlammstraßen. Santa Cruz ist das Wirtschaftszentrum des Landes, mit teuren Läden und Hotels im Zentrum und armen, verlotterten Vororten. In den Straßen begegnet man gegelten Anzugträgern und ponchotragenden Bolivianern aus dem Hochland, die Arbeit in der Stadt suchen. Eine sehr gegensätzliche Stadt.

Ich wohne hier bei Sebastian, einem deutschen Biologen. Das Viertel heißt Palmira und ist das südlichste der Stadt. Gleich nebenan liegt das Gefängnis Palmasola. "Super Wohnlage", meinte Sebastian dazu, wer ausbreche, was öfter vorkomme, haue gleich weiter ab, und in der Nähe vom Knast seien Einbrüche auch psychologisch einfach schwieriger - bleibt zu hoffen, dass er da Recht behält.

Allmählich nimmt mein Projekt Gestalt an. Wir haben uns bereits zwei Untersuchungsgebiete (ich brauche insgesamt mindestens zehn) und einmal den botanischen Garten der Stadt (ein eingezäuntes 180 ha-Waldstück am Stadtrand) angesehen. Dort werden wir übermorgen mit der Arbeit beginnen (d.h. Netze für Vogelfang und -beringung aufstellen, Transektläufe für die Affen und Vogelstimmaufnahmen mit einem Mikrofon durchführen), zusammen mit einer bolivianischen Studentin. Das zweite Waldfragment befindet sich im Naturpark Lomas de Arena, der einige Kilometer hinter unsrem Haus liegt. Gestern haben wir dann noch für 150 Dollar einen Überflug mit einer klapprigen Cessna gemacht und währenddessen zig Filme verknipst, um die Waldfragmente im Südosten von Santa Cruz auszukundschaften und zu prüfen, welche sich außerdem noch für die Studie eignen. In den letzten Tagen musste ich zudem noch viel Kram und Ausrüstung besorgen: Macheten, Netzstangen, Aufnahmekassetten, Spiritus zum Kochen im Feld usw. Dabei bin ich in den Genuss gekommen, den klapprigen Jeep von Sebastian durch Santa Cruz zu manövrieren; da verliert man schon Einiges an Nerven und auch mal einen Außenspiegel. Ansonsten ist alles in Butter.
Euch eine schöne Weihnachtszeit mit Schnee und allem drum und dran! Alles Gute und bis zur nächsten Mail, L.


Mi, 14. Dez. 2007, 21:22:25
Betreff: Scheiß Mücken

Heute nur eine kurze Mail. Seit vier Tagen rackern wir im Jardín Botánico. Es ist sehr anstrengend, weil der botanische Garten nur im vorderen Bereich gepflegt wird (in dem Teil, in dem wir campieren), weiter hinten ist einfach nur dichter Wald, Sumpf und Dornendickicht. Außerdem geht`s um 4 Uhr morgens los. Die Mücken hier malträtieren uns grausam (die lachen über Autan und den ganzen Kram, es helfen nur dicke Klamotten,). Ich bin total verquaddelt, aber die Gärtner, mit denen wir uns angefreundet haben, meinten, das würde bald besser - die müssen`s wissen, entzünden aber auch noch ständig stark rauchende Feuer, um die Mücken zu vertreiben. Die Arbeit ist ganz gut angelaufen (Stimmaufnahmen, Netzfänge, und wir haben schon vier Affenarten gesehen bzw. gehört), allerdings geht alles langsamer voran, als zunächst kalkuliert. Heute habe ich mir einen Nachmittag frei genommen, um in die Stadt zu fahren und Wasser, Brot und Batterien für`s GPS-Gerät zu besorgen.
Ich verabschiede mich noch mal mit einem leidenschaftlichen "Scheiß Mücken!", L.

Galbula Ruficauda
Picumnus Dorbignyanus

Sa, 24. Dez. 2007, 18:12:01
Betreff: Feliz Navidad

Erst einmal wünsche ich Euch allen natürlich schöne Weihnachten und einen guten Start ins Neue Jahr, falls wir nicht vorher noch einmal voneinander hören.

Seit gestern sind wir von der ersten Untersuchungsfläche, dem Jardín Botánico, zurück. Insgesamt sind wir auf mehr Affenarten getroffen als erwartet: Cebus, Callicebus, Alouatta, Aotus und Callithrix. Z.T. konnten wir sehr schöne Fotos schießen und die Brüllaffen habe ich auf Kassette aufgenommen. Ein typischer Feldtag sah etwa folgendermaßen aus: Von 5 bis 7 Uhr morgens bin ich bestimmte Punkte im Wald abgelaufen und habe Stimmaufnahmen gemacht, die ich später in Göttingen auswerten werde. Parallel hat meine Feldassistentin Miriam Netze im Wald geöffnet und die gefangenen Vögel beringt. Die Netze haben wir mitten im Wald platziert, wobei man ganz schön mit der Machete herumhacken muss bis man so ein Netz aufstellen kann. Außerdem wurden die Netze alle zwei Tage an einen anderen Ort gebracht, um Gewöhnungseffekte der Vögel zu vermeiden. Dazu haben wir das Fragment per GPS vermessen und die Waldstruktur beschrieben (Kronendachhöhe, Strauchdichte, Stammdurchmesser usw.). Anfangs war das Wetter heiß und feucht, vor einer Woche gab`s dann einen Sturm und Unmengen Regen. Danach war der Garten völlig überschwemmt, so dass man teilweise bis zu den Knien durchs Wasser waten musste - kein Spaß, wenn man morgens im Dunkeln in den Wald zieht oder die schweren Netzstangen durch den Sumpf schleppen muss...

Gewohnt haben wir in einem leer stehenden Haus am Eingang des Gartens. Wegen der Unmengen an Mücken haben wir anfangs unter Tischen mit Mückennetz geschlafen bis Sebastian unsre Zelte gebracht hat. Die Mücken hatten trotzdem ihr Festmahl, 50 Stiche pro Hand pro Tag waren da schon drin, dazu Sandflöhe in den Füßen. Aber auch andere Tiere haben sich beobachten lassen: Ein Nasenbär, Füchse, Echsen, Taranteln, Frösche (die sich auch gerne im Klo aufgehalten haben) und Schlangen. So, genug der Biologie.
Nochmal alles Gute und bis bald, L.


Mi, 25. Jan. 2008, 19:19:26
Betreff: Im Land der Mennoniten

Die letzte Zeit haben wir in einem Gebiet gearbeitet, das früher von großen Mennonitenkolonien besiedelt war, die mit ihren stetig wachsenden Familien mehr Land zum Bewirtschaften brauchten und deswegen weiter nach Osten in unbewohnte Gebiete gezogen sind. Auf dem ehemaligen Mennonitenland sind jetzt einzelne Fincas bolivianischer und eingewanderter Bauern, die Viehzucht und Ackerbau betreiben. Gewohnt haben wir zuletzt auf der Finca vom Schweizer Don Estephan: Ein ca. 60-jähriges Urgestein, (nach eigener Einschätzung) Sozialist, mit Schnurrbart und buchreifer Biografie. Als Jugendlicher abgehauen, in Schottland Schafe gehütet, in Frankreich Erntehelfer, dann für die Schweizer Entwicklungshilfe in Honduras und Bolivien unterwegs.

In Vallegrande, nahe dem Ort, wo Che Guevara erschossen wurde, hat er in den 70er Jahren auch gearbeitet, und ihm wurden in Hinterzimmern Bilder von Einwohnern Arm in Arm mit Che gezeigt, der hier immer noch große Sympathien genießt. Don Estephan hält Milchkühe und baut Mais und Gemüse an (das heißt, wir hatten jeden Morgen frische Milch direkt aus der Kuh und konnten auf den Feldern Möhren usw. zum Kochen ernten). Wir haben in zwei kleinen Wäldchen (so jeweils drei Hektar) auf dem Gelände gearbeitet, in denen es immerhin mehrere Affenarten und Faultiere gab.

Während unserer Zeit wurden eines Nachts zwei Kühe von Viehdieben "entführt" und an einem Feldweg geschlachtet, so dass Don Estephan nur noch zwei Köpfe und acht Beine gefunden hat - ein bisschen wilder Westen. Ein Nachbar hat ihm auch schon dreimal dasselbe Pferd geklaut, aber es ist immer wieder zurückgekommen. Irgendwann hat Don Estephan den Dieb zur Rede gestellt, woraufhin der meinte, es sei doch alles in Ordnung, das Tier komme doch immer wieder zurück.
Un abrazo fuerte, L.


Mi, 1. März 2008, 20:04:27
Betreff: Geschafft

Wir haben jetzt Daten in zehn Waldfragmenten aufgenommen: Vogeldiversität und -dichten, Primatenarten und Daten zu Größe, Isolationszeit und Vegetationsstruktur der Waldflächen. Aber ich will noch etwas von der vergangenen Zeit erzählen:

Ich bin vor ca. einer Woche wieder mit vollgestopftem Jeep und Feldassistentin Miriam losgefahren, um eine halbe Fahrtstunde östlich von Santa Cruz in eine herrliche Schlammpiste einzutauchen, die ins Dörfchen Paurito führt.
Versunken im Schlamm

So ziemlich direkt an der Abzweigung hatten sich allerdings an die 100 Demonstranten mit brennenden Autoreifen usw. auf der Straße postiert - eine der typisch bolivianischen bloqueos, mit denen hier gegen alles demonstriert wird. Mir kam die glorreiche Idee auf die Wiese neben der Straße abzubiegen, auf der nur einige Menschen herumsaßen. Aber Miriam meinte trocken: "Lennart, die prügeln uns zusammen, wenn wir da langfahren." Ok, das muss nicht sein, dann vielleicht doch lieber umdrehen und über eine Ausweichpiste nach Paurito. In Paurito haben wir auf der Finca eines bolivianischen Bauern gecampt und mehrere kleine Waldstücke in der Umgebung untersucht. Im Dorf war buchstäblich nichts los, bzw. am Samstag und Sonntag ist immer großes Besäufnis, das hat mir der bolivianische Familienvater glücklich und vollstramm erzählt - allerdings am Montag.

Noch in Bolivien werde ich jetzt erstmal die Vogelstimmen, die ich aufgenommen habe, mit Sebastians Hilfe auswerten und Artenlisten für jedes Waldfragment erstellen. Dann werde ich die zoologischen Daten später in Göttingen mit den Habitatdaten in Verbindung setzen, um zu sehen, welche Habitatparameter den größten Einfluss auf die Vögel und Affen haben… mal sehen
Ich hoffe, Euch allen geht es gut! Bis bald in Göttingen, L.

Text + Fotos: Lennart Pyritz

Weitere Veröffentlichungen des Autors:
www.spektrumdirekt.de/madagaskar
www.primate-sg.org/PDF/NP14.2.alouatta.bolivia.pdf

Lennart Pyritz hat am Reiseführer über Bolivien mitgewirkt, den ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Titel: Bolivien Kompakt
Verlag: Reise Know-How

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