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[art_2] Peru: Parracas, Ceviche und komische Schädel

Neben der beeindruckenden Fauna auf und nahe der Parracas-Halbinsel gibt es dort noch etwas zu bewundern, dessen Signifikanz kaum geringer ist. Auf der Halbinsel nämlich lebten zwischen 700 v. Chr. bis 200 n. Chr die Angehörigen der sogenannten Parracas-Kultur, einer der großen und wichtigen Kulturen vor den Inka.

Da ist zum einen die Keramik, dann die Bewässerungssysteme, Erfindungen auf dem Gebiet der Agrikultur (vor allem der Terrassenbau), Steinmetz- und schließlich Textilarbeiten. Hinsichtlich letzterem brillierten die "Peruaner" im internationalen Vergleich besonders. Das liegt sicher auch daran, dass den Stoffen eine noch größere Wichtigkeit zukam, als das zum Beispiel in Europa der Fall war. Obwohl wir zum Beispiel wissen, dass Purpur ausschließlich dem König vorbehalten war, so gab es in Europa doch niemals einen echten Kult um Stoff. In Peru dagegen wurden die Stoffe als quasi-religiöse Objekte angesehen. Man könnte vielleicht die Rolle der Webarbeiten mit der des Goldes in Europa vergleichen. Neben einer besonderen Sorte Muscheln (Spondylus) galten Stoffe als die höchste Form von Reichtum und Fürsten verschenkten Stoffballen als besonderes Zeichen ihrer Gunst.


Dabei wurde in den Anden natürlich vor allem die Wolle von Alpaca und Lama verarbeitet. Für die Herrscher - vor allem in der Inka-Kultur - war die besondere Wolle der Vicuñas vorgesehen, die so selten war und ist, dass nur das Gewand des Inkas daraus gewebt war. An der Küste dagegen verarbeitete man eher Baumwolle und natürlich Schafswolle. Die Stoffe wurden ergänzt durch natürliche Fasern, vor allem Papageienfedern.

Mit den Parracas erreichte die Webkunst einen sehr frühen Höhepunkt. Die erhaltenen Stücke, die wir in dem kleinen Museum auf der Halbinsel sehen konnten (und später im Museum der Nation in Lima), sind einfach phantastisch. Mit gerade einmal sieben Grundfarben schufen die Parracas knapp zweihundert Farbtöne. Die Stoffe sind fein gewoben und teilweise überraschend groß-breiter als die Armspanne eines Webers. Sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ein traditioneller Webstuhl eher ein lowtech-Gerät ist.

Doch die Parracas hatten noch mehr zu bieten. Sie schufen eine sehr schöne, farbige Keramik. Wie "üblich" mit der Darstellung vieler katzenartiger Gottheiten. Im Gegensatz zu anderen Kulturen aber - mit Ausnahme vielleicht der nahen Nazca - sind die Figuren nicht unbedingt Furcht einflößend, sondern durchaus sympathisch.

Das vielleicht auf den ersten Blick Spektakulärste der Parracas aber ist die Verformung der Schädel, die später von vielen anderen Kulturen nachgeahmt wurde. Man glaubt heute, dass die Verformung im Wesentlichen ästhetischen Zwecken dienen sollte, sowie einer gewissen Klassendifferenzierung. Nur der "Adel" durfte seinen Schädel verformen und setzte sich so auch physisch von den Angehörigen der anderen Schichten ab. Eine Idee, die uns ja mehr als bekannt vorkommt, aber selten in solch einer Konsequenz verfolgt worden ist.

Um den Schädel zu verformen, wurde bereits Säuglingen, die ja noch über einen weichen Knochenbau verfügen, enge Bandagen angelegt. Man muss sich das so vorstellen wie die zusammengeschnürten Füße der chinesischen Frauen. Die Bandagen wurden häufig gewechselt, mussten während des Wachstums aber von dem Kind ständig getragen werden. Das Resultat ist mehr als beeindruckend, wenn auch durchaus befremdlich: ein Schädel, dessen hinterer Teil, statt rund abzufallen, steil nach oben zeigt. Der Schädel wird dadurch sicherlich doppelt so hoch wie ein normaler.

Man fragt sich heute natürlich nach den Konsequenzen. Da die Parracas ohne ersichtlichen Grund verschwanden, besagt eine Theorie, dass die Schädelverformung gewissermaßen fatale Folgen hatte. Andere weisen daraufhin, dass die Parracas wohl in der Nazca-Kultur aufgegangen sind, und dass es daher gar kein "Verschwinden" im eigentlichen Sinne gegeben hat.

Neben der Verformung führten die Parracas Schädeloperationen durch, wie sie auch aus Ägypten bekannt sind. Man fand heraus, dass die solchermaßen Behandelten überraschenderweise in großem Maße überlebt haben. 60% der Mumien, die man gefunden hat und die eine Schädeloperation aufwiesen, überlebten den Eingriff. Wozu die Operationen dienten, ist allerdings nicht so recht klar. Man nimmt religiöse oder primitiv-medizinische Gründe an, beispielsweise um die bösen Geister aus dem Kopf zu lassen.

Abgesehen von dem kleinen, aber sehr beeindruckenden Museum gibt es aber auch noch die Halbinsel zu bewundern. Anders als auf der Strecke Lima-Pisco ist der Sand oder besser vielleicht die Wüste hier nicht schmutzig-grau, sondern weist ein beeindruckendes Farbspektrum auf. Der Sand ist so fein (was wir abends aus den Schuhen, Hosentaschen, Ohrmuscheln usw. schüttelten, kann man sich vielleicht vorstellen), dass er mühelos als Uhrensand benutzt werden kann.

Die Küste ist teilweise sehr sanft und lässt natürliche Häfen entstehen. An einem derselben durften wir unser Mittagessen einnehmen: natürlich alles organisiert. Allerdings haben wir dem ein Schnippchen geschlagen und unsere Früchte und ein wenig weißen, frischen Käse direkt am Strand eingenommen. Das Wetter war herrlich, der Himmel mehr als blau und der Wind pfiff über uns hinweg. Ein paar Seesterne und immer wieder Pelikane verschönten die Sicht.

Der andere Teil der Küste ist beeindruckend steil. An einer Stelle ist eine interessante und hübsche Felsformation "Die Kathedrale" zu sehen. Früher konnte man sie direkt besteigen, aber nach dem Erdbeben im Juli 2001 ist das zu gefährlich. Macht nichts, dachten wir, denn das Material, aus dem die Klippen bestehen, ist anders als etwa in der Bretagne, kein fester Fels, sondern eher ziemlich erosionsfreudiger Sandstein, so dass immer mal ein Stück wegbrechen kann.


Zurück in Pisco widmeten wir uns dem Essen. Ceviche ist das große Stichwort der gesamten Küste. Durch die nicht unbedeutende japanische Immigration (siehe Fujimori) inspiriert, haben die Peruaner ein neues Gericht kreiert, das insofern auf Sushi beruht, als dass es auch mit rohem Fisch zubereitet wird, aber durch die Verwendung von Ají -und damit verbunden die Schärfe-eine eindeutig peruanische Note bekommt. Die Kombination von stark-saurer Zitrone, Fisch und der würzigen Schärfe der Chilis füllt einem den Mund auf eine eigenartig vollständige Art und Weise. Man bekommt ein bisschen den Eindruck, dass der ganze, aber auch wirklich der ganze, Mund schmeckt. Zudem ein wenig aufputschend durch die Intensität des Geschmacks, vergleichbar mit einem Glas Sekt (zuviel).

Charakteristisch für die Küche Perus ist auch die Größe der Portionen. Wir bestellten uns im Prinzip zwei Hauptgerichte, ein Ceviche und einmal Flußkrebse in einer Knoblauchsoße und eine Suppe. Schon als die Suppe in einer Terrine kam und ausschließlich für mich bestimmt war, fragten wir uns, ob wir uns mengenmäßig nicht übernommen hatten. Das bittere Ende war die Notwendigkeit eines Mototaxis, wegen kompletter Bewegungsunfähigkeit, der Schwur, mindestens die nächsten drei Tage nichts zu essen und drei Stunden siesta, weswegen wir vom Hotelier und einer sehr freundlichen Angestellten mehr als einmal auf den Arm genommen wurden. Aber das war es wert.

Text + Fotos: Nil Thraby

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