brasilien: Das Genie mit der Vogelseele
Aufstieg und Fall des Brasilianers Garrincha
THOMAS MILZ
[art. 1]
kolumbien: Leo Kopp - vom Bierbrauer zur Heiligkeit
CAROLINA ARAUJO
[art. 2]
peru: Lima – 2150, ungefähr
NIL THRABY
[art. 3]
grenzfall: Visa wie
NICO CZAJA
[kol. 1]
macht laune: Das Beste vom Samstag
Der Trödelmarkt der Praça Benedito Calixto in São Paulo
THOMAS MILZ
[kol. 2]
lauschrausch: Cesaria Evora - Rogamar
SONY BMG
[kol. 3]




[art_1] Brasilien: Das Genie mit der Vogelseele
Aufstieg und Fall des Brasilianers Garrincha

Das Vorrundenspiel Brasilien - UDSSR der WM 1958 in Schweden: Vom Anstoßpunkt spielt Didi den Ball zu Garrincha, der drei Verteidiger umdribbelt. Dann ist er am Fünf-Meter-Raum. Nach 42 Sekunden Spielzeit knallt er das Leder gegen den linken Pfosten. Die Zuschauer springen auf. Der Ball kommt zu Pelé, der ihn nach genau 55 Sekunden an die Latte hämmert. Die Sowjets sind hilflose Statisten. Garrincha ist überall, dribbelt und flankt. Ein neuer Star ist geboren. Nach 180 Sekunden beendet Vavá mit dem 1:0 die vielleicht besten 3 Minuten der WM-Geschichte.

Garrincha. Titel, Tore und Tragödien
Ruy Castro, Mai 2006

Quelle: amazon.de

Manuel dos Santos, genannt Garrincha, 24 Jahre alt. Meist kommt er über die rechte Seite, läuft bis zur Grundlinie vor, zieht die Abwehr auf sich. Dann die scharfen Hereingaben vor das Tor, wo Vavá, Didi und Pelé nur noch vollenden müssen. Brasilien wird zum ersten Mal Weltmeister.

Seine außerordentlichen Künste verdankt Garrincha seinen krummen Beinen. Sie sind kurz und muskulös, der linke Unterschenkel steht jedoch nach außen ab, und der rechte parallel dazu nach innen. Das linke Bein ist 3 Zentimeter kürzer, sein Becken dadurch in Schieflage. Bei der Nationalhymne steht er wie ein S da. Das ist aber nicht der Grund dafür, dass er anfangs die Nationalhymne nie mitsingt, er kennt sie einfach nicht.

Manuel kommt aus ärmlichen Verhältnissen. Seine Kindheit in dem kleinen Dorf Pau Grande in der Nähe von Rio de Janeiro verbringt er mit der Jagd nach Vögeln. Die Dorfjugend holt sie mit Steinen vom Himmel. Und Manuel ist der treffsicherste. Besonders Zaunkönige, Garrinchas genannt, haben es ihm angetan. Daher sein Spitzname.

Er steigt schnell zum absoluten Star seines Klubs Botafogo auf. Leichtfüßig durchfliegt er die gegnerischen Abwehrreihen. Trotzdem wohnt er weiterhin unter ärmlichsten Verhältnissen in Pau Grande, wo er die Nächte mit seinen Kumpels durchzecht und den Frauen zugetan ist. Der Nachwuchs kommt im Jahresrhythmus.

Die WM 1962 in Chile wird sein Meisterstück. Pelé scheidet verletzt aus, und so wechselt Garrincha von der rechten Angriffsseite ins Zentrum. Aus dem klassischen Vorbereiter wird ein Torjäger.

Zwei Tore im Viertelfinale gegen England, zwei im Halbfinale gegen Chile. Zwar sieht er gegen Chile die rote Karte, nachdem er seinen brutalen Gegenspieler aus Revanche in den Hinter getreten hat. Doch das Glück ist ihm treu, und der Disziplinarausschuss spricht ihn frei.

Während dieser WM beginnt seine Liebe zu der brasilianischen Starsängerin Elza Soares. "Ich gewinne den Titel für Dich", verspricht er ihr. Beim 3:1 Endspielsieg gegen die Tschechoslowakei glänzt er als Spielmacher. Er ist der König, er ist ganz oben angekommen. Daheim schenkt man ihm aus Dank für den WM-Titel einen Zaunkönig, den er hegt und pflegt.

Garrincha verlässt seine Familie und zieht aus dem beschaulichen Pau Grande zu Elza ins swingende Rio. Was folgt sind wilde Partys, schnelle Autos und teures Jetset-Leben. Und noch mehr Alkohol. Das Leben in Rio ist zu schnell für ihn. Er habe die verletzliche Seele eines kleinen Vogels, sagt ein Mitspieler.

Der Abstieg beginnt. Seine krummen Beine verursachen höllische Schmerzen, seine Knie halten die ständigen Attacken der gegnerischen Abwehrspieler nicht mehr aus. Nach den Spielen schwellen sie an, und er muss nach jeder Begegnung einen Monat pausieren. Da er pro Spiel bezahlt wird, kommen finanzielle Probleme hinzu. Garrincha betäubt den Schmerz mit Alkohol.

Betrunken verursacht er Autounfälle am laufenden Band. Sein Ruf ist ruiniert. Aus sentimentalen Gründen nimmt man ihn 1966 mit zur WM nach England. Doch Garrincha steht nur noch unbeweglich auf dem Platz. Seine Karriere ist zu Ende.

Das knapp gewordene Geld verschenkt er an seine 14 Kinder und vertrinkt den Rest. Mitte der 70er verlässt ihn Elza.

Ein letztes Mal trifft er Pelé, den Sunnyboy, dem auch nach dem Karriereende alles gelingt. Daneben sitzt ein zerstörter Garrincha, aufgedunsen und dem Ende nahe. Das selbige kommt nach insgesamt 15 Klinikaufenthalten Anfang 1983. Der Flug des Zaunkönigs ist zu Ende. Ein kleiner Junge mit einer Vogelseele hat ihn vom Himmel geholt.

Text + Fotos: Thomas Milz





[art_2] Kolumbien: Leo Kopp - vom Bierbrauer zur Heiligkeit

Offenbach, Frankfurter Straße 62, Geburtsort von "Don Leo", dem beliebtesten "Heiligen" Bogotás und Freimaurer jüdischen Glaubens: Hier beginnt die Geschichte von 6,6 Milliarden Euro. 116 Jahre nach dem Bau einer kleinen Brauerei in Kolumbien durch den Offenbacher Leo Kopp wurde im Juli 2005 "Bavaria" in Bogotá, mittlerweile die größte Brauerei in Lateinamerika, zu diesem Wahnsinnspreis an den zweitgrößten Bierkonzern der Welt SABMiller verkauft.

Frauen, Männer und Kinder, arm und reich. Sie alle stehen Schlange, um mit Don Leo Siegfried Kopp - dem berühmtester Offenbacher in Lateinamerika - sprechen zu können.

Dieser verharrt geduldig in einer Körperhaltung, die an Skulpturen von Pierre Rodin erinnern auf die viele Blumen, die ihm seine Besucher mitbringen. Am Eingang zum Cementerio Central, dem Zentral-Friedhof von Bogotá, sitzen alte Frauen. Sie verkaufen Rosen und Nelken. "Don Leo gefallen vor allem die Rosen", behaupten sie. Eine zahnlose ältere Frau mit Sonnenbrillen sagt: "Junge Mädchen bekommen von Don Leo alles, was sie wollen: Einen Freund, einen Liebhaber, einen guten Ehemann."

Männer tragen ihre Wünsche in Sachen Sport und Politik an ihn heran: Ihr liebster Fußballclub möge die nationale Meisterschaft erringen, eine gute Politik ihre materielle Lage verbessern. Inmitten von acht Millionen Einwohnern und unzähligen großen Gräbern bedeutender Dichter, Expräsidenten und Politiker verzeichnet die letzte Ruhestätte von Leo Kopp die meisten Besucher pro Tag.

Leo Siegfried Kopp legte den Grundstein seines Imperiums im Herzen von Bogotá. Im Stadtteil San Diego, zwischen Carrera 7 und Calle 28 gegenüber dem Museo Nacional de Colombia. Heute stehen auf dem Gelände der ehemaligen Kopp Deutsche Brauerei Bavaria, Gebäude, in denen die Wirtschaft Kolumbiens "gemacht" wird. In unmittelbarer Nähe zu internationalen Firmen, Banken, Hotels und kulturellen Einrichtungen. Aus den ersten Anfängen Kopps als deutscher Brauer wurde die große Cervecería Bavaria, die heute als Grupo Empresarial Bavaria fungiert, die einzige kolumbianische Firma, die das 19. Jahrhundert überlebte.

Das Leben der Familie Kopp spiegelt zugleich die leidvolle Geschichte der weltweiten Vertreibung und Verfolgung von Juden wider. Im zweiten Weltkrieg werden 1943 als Folge der Kriegserklärung Kolumbiens an das Deutsche Reich alle deutschen Firmen verstaatlicht. Kolumbien hatte nach dem Verlust von Panama 1903 seine Beziehungen zu Nordamerika neu belebt und erfüllte damit eine Forderung der USA. "Die Alliierten wollten mit dieser Maßnahme die deutsche Industrie ausschalten und den Nationalsozialismus bekämpfen", erklärt der Forscher und Experte für Deutsche Einwanderung nach Lateinamerika aus Bogotá, Enrique Biermann.

Fast 36 deutsche Brau-Meister, die seit 1930 für Bavaria arbeiteten, verließen damals das Land. Don Leos Familie wurde enteignet, die Firmen von kolumbianischen Geschäftsmännern übernommen. Ob die Familie Kopp jemals entschädigt wurde, ist nicht bekannt. Don Leo selbst bleibt diese Erfahrung erspart, da er bereits 1927 stirbt und sein Sohn Guillermo die Brauerei übernimmt.

Don Leos Rezepte und sein Know-How blieben aber erhalten. Ein Verdienst von Braumeister Wilhelm Schmitt, der später an der Universität Biertechniker und Ingenieure ausbildete.

Im Jahre 1904, 15 Jahre nach Gründung der Bavaria, entging Don Leo Kopp nur knapp einem Attentat durch einen Mitarbeiter, der ihn mit einer Axt angriff. Das Motiv ist nicht bekannt, wahrscheinlich handelte es sich nicht um persönliche Gründe, die den Attentäter antrieben. Eher ist davon auszugehen, das er beeinflusst war von der Pogrom-Stimmung, die die Konservative Partei gegen Freimaurer und Juden verbreitete. In Kolumbien wurden zu jener Zeit, von der großen Konservativen Partei unterstützt, "Die Protokolle von Sion" propagiert, eine Hetzschrift gegen die Juden, die wenige Jahre später Nationalsozialisten und Henry Ford gleichsam als ideologische Grundlage für militanten Antisemitismus einsetzten. "Damit haben viele Leute Gewalt gegen und Mord an den Juden gerechtfertigt", erklärt der kolumbianische Journalist und Akademiker José Guillermo Ángel. Doch Don Leo überlebte das Attentat. Erst 23 Jahre später am 15. September 1927 starb er in dem Dorf La Esperanza.

Weshalb bringen die Bogotaner Don Leo so viele Blumen ans Grab, warum beten die zu 90 Prozent katholischen Kolumbianer zu ihm, dem Juden und Freimaurer, flüstern seinem Abbild ihre heimlichen Wünsche ins Ohr? Jüdischer Glaube und Freimaurertum schließen einander nicht aus.

"Freimaurer fordern den Glauben an einen Gott, der die Rolle als Architekt des Weltalls spielt", sagt José Guillermo Ángel. Leo Kopp wurde 1913 Freimaurer und vier Jahre später erhielt er den 30. Grad in der kolumbianischen Loge, die Ende des 18. Jahrhunderts gegründet wurde. Zentrale Figur war, inspiriert von den Ideen und Idealen der Französischen Revolution und der jungen demokratischen Bewegungen in Europa der Unabhängigkeitsheld Antonio Nariño.

Die katholische Kirche, die bislang einen starken Einfluss auf die Politik und die kolumbianische Gesellschaft nahm, wehrt sich nicht mehr gegen die "Volksglut" außerkirchlicher Riten, die seit 1927 Bogotá erfasste. Nach Jahrzehnten des Streitens und Kämpfens gegen Freimaurerei, Liberalismus, Judaismus und abergläubische Riten von Mestizen, verbietet sie niemandem mehr zu Don Leo zu beten. Pater Juan betreut den Friedhof von Bogotá: "Don Leo hilft besonders Familien, die kein Dach über dem Kopf oder keine Arbeit haben. Gewiss fragen mich Besucher, ob der Besuch seines Grabes eine Sünde sei." Dies verneint der Pater entschieden. "Alle können glauben was sie wollen", sagt er. "Der Glauben des Volkes ist stärker als der Glaube der Kirche."

Der heilige Don Leo? Heiligsprechung ist ein Prozess über viele Jahre. Es bedarf der Initiative der katholischen Kirche in Kolumbien bei Papst Benedikt in Rom. Pater Juan hält es für möglich, dass sich die Amtskirche wegen des Freimaurertums von Don Leo zurück hält. Bischöfe und Kardinäle signalisieren bisher keine Bereitschaft, sich für seine Heiligsprechung stark zu machen, obwohl sie sich der vielen Wunder, die Don Leo zugeschrieben werden, bewusst sind.

Die Auswanderung
Kleiderfabrikant Leopold Kopp hatte mit seiner Ehefrau Johanna geb. Koppel neun Kinder. Nach dem Tod des zweijährigen Siegfried Leopold wurde fünf Monate später am 14. August 1858 Leo Siegfried (Don Leo) geboren. Das Kleidergeschäft lag in der heutigen Frankfurter Straße 62, zwischen Kaiser- und Luisenstraße. Die kleine Kleidermanufaktur dürfte nach 1852 gegründet worden sein. In Folge der Verleihung von Bürgerrechten auch an Juden, ein Ergebnis der bürgerlichen Revolution von 1848, erhielt Leopold Kopp am 21. April 1852 das Bürgerrecht in Offenbach und damit eine Gewerbeerlaubnis, berichtet der Leiter des Offenbach Stadtarchivs Hans Georg Ruppel. Am 27. Januar 1877 zogen Leopold und Johanna Kopp mit acht Kindern nach Frankfurt.

Ende des 19. Jahrhunderts tobte in Kolumbien eine Vielzahl an Bürgerkriegen. Don Leo und sein Bruder Emil kamen angeblich über Venezuela und Ostkolumbien 1886 nach El Socorro, einem Dorf 290 Kilometer nördlich von Bogotá. El Socorro galt als wichtiges Handelszentrum. Hier fand 1781 die erste Erklärung zur Unabhängigkeit Kolumbiens von Spanien statt. Heute ist El Socorro ein historischer Ort, der seine Bedeutung für Politik und Wirtschaft eingebüßt hat.

Der Journalist Ángel hält eine andere Einwanderungsroute für wahrscheinlich. Die Kopps könnten über die Hafenstadt Barranquilla eingereist sein. Damals der wichtigste karibische Ort für Kolonisten. Hier existierte bereits eine jüdische Gemeinde. Deutschland hatte 1871 zwar den Krieg gegen Frankreich gewonnen, dennoch wanderten aus wirtschaftlichen und religiösen Gründen viele Katholiken, Protestanten und Juden nach Südamerika aus, wo ihnen uneingeschränkt wirtschaftliche wie persönliche Freiheit garantiert wurde. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts warben die liberalen Regierungen Kolumbiens gezielt junge deutsche Ledige an, um an ihrem wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Know-How zu partizipieren. Die Einwanderer heirateten Kolumbianerinnen. Die Kinder sprachen Deutsch mit den Vätern, Spanisch mit den Müttern.

Don Leo Kopp heiratete Doña Mary Castello, deren Familie mit den Brüdern Kopp das Handelshaus "Fenicia" und später die Brauerei "Cervecería Kopp y Cía" gründete. Doch der Erfolg blieb aus.

Die Familie Kopp verlegte ihre wirtschaftlichen Aktivitäten nach Bogotá, wo die "Sociedad Kopp y Castello" am 4. April 1889 die Gründung von Bavaria eintragen ließ. Im Juni 1890 wurde die Partnerschaft aufgelöst und es entstand die Kopp Deutsche Brauerei Bavaria.

Der Name Kopp
Die Kinder von Leo Kopp und Mary Castello waren Guillermo, Leo R., Juanita und Daniel. Guillermo war Freimauer und wurde in Bogotá für sein soziales Engagement hoch geschätzt. Juanita starb im Alter von 19 Jahren. Leo R. leistete in der deutschen Armee seinen Militärdienst und heiratete nach seiner Rückkehr nach Kolumbien Doña Olga Dávila. Nach einer langen glücklichen Ehe verstarb Leo R. und Olga heiratete Alfonso López-Pumarejo, ebenfalls Freimaurer und für zwei Amtsperioden Präsident der Republik.

Daniel lief im Alter von neun Jahren von zu Hause weg. Möglicherweise wollte er sich einer Erziehung in Europa entziehen. Er floh nach Sasaima, einem Dorf nördlich von Bogotá. Über viele Jahre versuchte Don Leo seinen Sohn nach Hause zu holen. Vergeblich. "Der Junge hat sich immer vor seinem Vater versteckt", erzählt Ana Kopp, die Enkelin von Daniel, die mit ihren 20- und 26-jährigen Kindern und einem Enkel in einem Arbeiterviertel von Bogotá lebt. Sie weiß nur wenig über ihren Urgroßvater. Seit sich Daniel vom Vaterhaus losgesagt hatte, ging der Kontakt zu den anderen Mitgliedern der Kopp-Familie verloren. Anas Mutter heißt Pilar del Socorro Kopp. Sie lebt sehr zurückgezogen in Sasaima und ist 84 Jahre alt. Doña Pilar wollte nicht, dass ihre sieben Kinder den Namen des Vaters tragen.

Doña Ana erzählt über das Leben ihres Urgroßvater als sei es eine witzig-komische Geschichte, um die sie sich nie gekümmert hat. "Es gibt Leute, die mit ihm sprechen um Arbeit zu bekommen", sagt sie ironisch. "Ich hatte nie Lust mit ihm zu sprechen". Sie arbeitete als Sekretärin in verschiedenen Firmen und führt jetzt ein kleines Kosmetikgeschäft im Stadtteil Quiroga, im Süden von Bogotá. Ihr Ehemann befindet sich in der USA und schlägt sich als Gelegenheitsarbeiter durch. Er teilt damit das Schicksal vieler Kolumbianer in Nordamerika. Einer ihrer Brüder arbeitet als Bodyguard, ihre Schwestern sind Hausfrauen. Doña Ana führt ein bescheidenes Leben. Don Leo Kopp, ihr Urgroßvater, hatte sich dies für seine Familie sicher anders vorgestellt. Anas Bruder Manuel Kopp ist mit Consuelo de Kopp verheiratet. "Alle kommen zu uns, den armen Kopps", sagt Consuelo. "Sie sollten bei den reichen Kopps nachfragen, aber die stehen nicht im Telefonbuch."

Das gute deutsche Bier
Don Leo Kopp hatte seine Bavaria modern und arbeitnehmerfreundlich organisiert. In der noch kolonialen Stadt Bogotá, errichteten Leo Kopps Mitarbeiter den neuen Stadtteil San Diego in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Arbeitsplatz. Don Leo hatte um 1894 das Gelände für damals 40.000 Pesos, heute 15 Euro, erworben. Im Zuge der dynamischen Entwicklung des Landes wurde schnell und hektisch gebaut. Don Leo sah seine Aufgabe darin, seinen Arbeitern beim Bau ihrer eigenen Häuser zu helfen. Das war nicht völlig selbstlos, sondern auch Ausdruck eines legitimen Interesses, Arbeitskräfte an das Unternehmen zu binden. Schnell wurde es zum Traum von Hunderten bei Bavaria zu arbeiten. Die Existenz der Brauerei förderte die Gründung von Gewerkschaften und die Herausbildung von Stadtteilen, die heute das Zentrum einer Millionenstadt bilden. Während des Baus der Stadtteile eigneten sich die Menschen den Lebensrhythmus der Bavaria-Arbeiter an.

Bei Schichtanfang und -ende ertönte wie auch zur Mittagspause von der Fabrik her ein Pfeifton. An Silvester läutete der Pfeifton das neue Jahr ein. Zu Begräbnissen von Mitarbeitern erklang er dreimal.

Vor der Verbreitung des Bieres genossen die Leute in Bogotá ein anderes Lieblings-Getränk: die Chicha aus Mais und Zuckerpflanzenhonig. Es gab viele Chicherías, Kneipen und Geschäfte, die ihren Gästen eigene Rezepturen anboten. Es dauert ein bis zwei Monate um Chicha zu brauen. Jeder Experte macht ein großes Geheimnis aus dem eigenen Geschmack und den Zutaten: Lauge, Mehl aus verschiedenen Körnern oder Rinderhaxenbrühe. Mit der stärkeren Verbreitung des Deutschen Bieres von Bavaria verschwand das ehemalige Lieblingsgetränk. Die Durchsetzung des modernen Bieres erfolgte erstmals unter Anwendung von Marketingstrategien. Die Leute wurden stimuliert über verschiedene Vorteile von Bier zu sprechen. Es hieß, Bier habe medizinische Qualitäten, heile besonders Bauchkrankheiten oder Schlaflosigkeit. Zudem galt er als Energy-Drink für Arbeiter. Darüber hinaus wirke sich Bier positiv auf die Muttermilch auswirken. Dermaßen viele gute Eigenschaften von Bier zerstörten die Popularität von Chicha, deren Qualität als gesundheitsschädigendes Getränke bis hin zur Verursachung von Idiotie nicht so überzeugend und attraktiv wirkte. Trotzdem überleben bis heute noch einige Chicherías in der Altstadt von Bogotá.

Als die Stadtteile in der Nähe von Bavaria wuchsen, entwickelte Don Leo Techniken zur Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser. Er ließ Brunnen bohren und Wasserleitungen legen. Die Legende um seine Freigebigkeit verbreitete sich immer schneller und weiter. Auch Betriebsfremde baten ihn um Unterstützung. Auch Sohn Don Guillermo Kopp machte sich mit seiner Freigiebigkeit für Arme und Bettler einen guten Namen.

Don Leo kann heute nicht mehr der kolumbianischen Gesellschaft dienen, er befriedigt mit seinen Wundern nur noch individuelle Wünsche. Im weitgehend privat organisierten Nahverkehr von Bogotá verursachen ungefähr 18.000 Busse, davon sind 6.000 überflüssig, eine ungeheuere Luftverpestung. Die acht Millionen Einwohner Stadt braucht dingend eine Lösung die den Nah-Verkehr umweltverträglicher macht. Doña Teresa besaß einen Bus. Sie bat Don Leo am Grab mit Erfolg um die Finanzierung weiterer vier Busse, ihre Bitte wurde erfüllt. Hoch zufrieden mit Don Leo wünscht sie sich, dass ihr "Beschützer" endlich heilig gesprochen wird. Zweifelsohne würde sie gerne nach Offenbach reisen um vor dem Haus in der Frankfurter Straße 62 Blumen niederzulegen.

Die ehemalige Kopp´sche Brauerei
Die jüngere Geschichte von Bavaria wurde von der Santo Domingo Familie geschrieben, eine Erfolgsgeschichte, wie sie die Weltwirtschaft nur selten zulässt. Früh schon interessierte sich die Familie für internationale Märkte. Die politischen Verhältnisse in Kolumbien waren jedoch unattraktiv für ausländische Investoren. So verlegt man sich zuerst auf den Aufkauf lateinamerikanischer Brauereien, um nach der Eroberung von Regionalmärkten weltweit im globalen Biermarkt mitzumischen. In kurzer Zeit beherrschte der Clan ein Fast-Monopol von Brauereien in Peru, Ecuador, Panama, Costa Rica, Chile und Bolivien. Im Juli 2005 ging die Bavaria an die südafrikanisch-britische Gruppe SABMiller.

Der Verkaufspreis betrug 6,6 Milliarden Euros, davon wurden der Santo Domingo Familie 15 Prozent in SABMiller-Aktien gezahlt. Nach Philipp Morris besitzt sie heute das zweitgrößte Aktienpaket. Derzeit hat SABMiller in Lateinamerika einen nur ernstzunehmenden Mitbewerber, die weltweite Nr. 1 unter den Bierbrauern, die brasilianische Firma Inbev, Tochter der belgischen Interbrew.

Bereits in den 30er Jahren besaß die Bavaria einen großen Anteil am Biermarkt Kolumbiens und war eine Gesellschaft mit vielen Aktionären. Damals kaufte Mario Santo Domingo, ein in Panama geborener Geschäftsmann, als Panama noch ein kolumbianisches Departement war, für 300.000 Pesos, heute 100 Euros, die Cervecería Barranquilla, eine Brauerei, die der Weltwirtschaftskrise von 1929 zum Opfer gefallen war. Nach Barranquilla erwarb Santo Domingo die Brauereien aller Städte an der karibischen Küste. Seine Firma mit dem Name Cervecería Águila (Adler) expandierte und besaß in der Region bald das Monopol auf Bier. Mitte der 60er Jahre begann Bavaria über Bogotá hinaus mit der Ausweitung in die Karibik. Die Konkurrenz innerhalb Kolumbiens hatte zugenommen. 1966 verkaufte Julio Mario Santo Domingo, Sohn des alten Santo Domingo, die Águila Brauerei an Bavaria, konnte dafür aber die Aktienmehrheit an Bavaria erringen. Der Name Bavaria und die Markennamen der Biere wurden beibehalten. Derzeit lenkt die Santo Domingo Familie ihre Unternehmen von New York aus. Die Enkelin Tatiana Santo Domingo ist die Freundin von Andreas Casiraghi, dem Sohn von Caroline von Monaco.

Text + Fotos: Carolina Araujo






[art_3] Peru: Lima – 2150, ungefähr

Meine Rettung war meine dunkle Hautfarbe und eine seltsame Frau mit Namen Erika. Ohne sie hätte ich diese Reise wohl kaum überlebt. Dabei hatte alles so angenehm angefangen. Eines Morgens kam die Chefin in meine Zelle und sagte zu mir: "Clark, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen! Sie haben sich einen Urlaub verdient. Die nächsten zehn Tage will ich Sie hier nicht sehen. Spannen Sie mal richtig aus, machen Sie einen Kurztrip oder was immer Ihnen Spaß bereitet."

In dem Reisebüro an der Ecke gab es ein Sonderangebot: 10 Tage alte Kulturen Amerikas. Peru und die Inkas. Nun ist Peru, wie der Rest der Länder südlich der Grenze USA-Mexiko, Touristensperrgebiet. Seit der letzten, der Großen Weltwirtschaftsreform, in der vom Traum einer gesamtheitlich zivilisierten Welt endlich Abschied genommen wurde und in der im wesentlichen beschlossen wurde, die ärmsten Länder sich selbst zu überlassen, ist Südamerika sowie weite Teile Asiens für den Besuch gesperrt. Aber mein Reiseagent hatte ein Programm aufgetan, das echtes Abenteuer versprach: eine sichere Sache, aber mit dem Geruch nach ein bisschen Gefahr.

Alles begann wie versprochen. Von Washington aus nahm die Reisegruppe einen Spezialjet, der nach allzu langweiligen zwei Stunden auf dem Spezialflughafen in Lima landete. Ein bisschen störte die Präsenz der Rednecks, aber es war ja nur zu unserem Schutz. Einreiseformalitäten waren erfreulicherweise nicht mehr nötig, seit die USA die Nationalrechte Perus aberkannt hatte. So konnten wir ungestört vom Jet aus in unser Glasmobil steigen, das uns eine perfekte Sicht unter Panzerglas erlaubte. Die Agentur hatte mir versichert, dass das Glas unzerstörbar wäre. Nicht dass die Peruaner noch Waffen hätten, erläuterte schmunzelnd der Verkäufer, das haben wir schon vor einiger Zeit erledigt, aber man weiß ja nie. Und wir wollen schließlich nicht, dass unseren Kunden etwas passiert!

Trotzdem war es ein mulmiges Gefühl, als wir auf die ersten Eingeborenen stießen. Sie waren schrecklich schmutzig und dürr. Ein paar warfen sich vor unser Mobil, aber die eingebauten Wasserwerfer wurden leicht mit ihnen fertig. Die Hauswände waren beschmiert mit hässlichen Sprüchen, in deren Mehrheit das Wort ‚Amerika’ und irgendein Schimpfwort vorkamen. Ich hörte meine Nachbarin sagen: "Ich wusste gar nicht, dass die hier auch schreiben können!" Tatsächlich war auch ich überrascht, hatte ich doch noch in den Ohren, wie meine Erdkundelehrerin uns die Grenzen der zivilisierten Welt erklärte und was dahinter lag. Der Transfer zum Hotel außerhalb der hässlichen und heruntergekommenen Stadt Lima verlief reibungslos, auch wenn uns allen ein bisschen die Haare zu Berge standen, wenn wir die brennenden Müllhaufen und die darum gescharten Leute sahen. Mehr als einmal hörte ich erschrockene Ausrufe. Unsere Multimediakameras surrten ohne Ende.

Das Hotel war erstklassig, ebenso wie der Empfang. Das Gelände war bestens gegen Peruaner abgeschirmt, erklärte uns der Führer, der uns die nächsten zehn Tage begleiten sollte; dachten wir jedenfalls. Er versicherte uns, dass kein Mensch in der Lage wäre, lebendig die Mauern des Hotels zu übersteigen und noch viel weniger den Gürtel der intelligenten Minen zu durchqueren. Wir könnten beruhigt schlafen. No problem. Er schärfte uns allerdings ein, die Sicherheitszone des Hotels nicht zu verlassen, da die Minen, fügte er achselzuckend hinzu, leider immer noch nicht zwischen einem Amerikaner und einem Peruaner unterscheiden könnten. Obwohl sie intelligent hießen. Vereinzeltes Gelächter der Gruppe. Ich unterhielt mich mittlerweile mit einer hübschen Blondine aus Oregon, einer Spezialistin in Geruchsdesign. Ich ließ mir erklären, was genau das sei, ohne eigentlich Interesse daran zu haben. Der Führer sprach indes weiter über die große Zeit der Inkakulturen; er erwähnte auch, dass die wichtigen Ruinen geräumt worden waren, kurz nach der Weltwirtschaftsreform, um das kulturelle Erbe zu sichern. Peruaner waren seitdem in einer Sicherheitszone von fünf Kilometern rund um die Ruinen nicht zugelassen. Einige Dörfer hatten geräumt werden müssen, aber dafür, so der Führer, sei der Zerstörung der Ruinen Einhalt geboten worden. Teams von amerikanischen Spezialisten arbeiteten seitdem konstant an der Rekonstruktion der originalen Städte und Siedlungen, und auf unserer Reise würden wir Gelegenheit haben, einige echte Inkastädte zu besuchen. Mit Originalinkas (Schauspieler, natürlich), die uns in ihre Zeit zurückholen würden. Immerhin über 600 Jahre her. Wir würden Gelegenheit haben zu erleben, wie der Inka und seine Ñusta in Cuzco gelebt haben. Die koloniale Stadt war in den 30ern dieses Jahrhunderts geschleift worden, um der alten Pracht wieder ihre Geltung zu verschaffen. Dort würden wir auch die prachtvolle Krönungszeremonie erleben und einem Menschenopfer beiwohnen. Letzteres sei natürlich gestellt, fügte der Führer lüstern grinsend hinzu. Mehr wolle er uns heute nicht verraten, denn erstens warte das Essen und zweitens sei Spannung doch die halbe Miete. Verhaltenes Klatschen der Reisenden.

Das Essen war erstaunlich normal. Die Hamburger in Peru schmecken fast so wie bei uns, obwohl sie anders heißen. Ich konnte mir den komplizierten Namen nicht merken. Einige von uns fragten den Führer, ob das Essen auch sicher sei und ob es denn nichts von zu Hause gäbe. Er versicherte, dass die Lebensmittel einer ständigen Kontrolle unterliegen und so wenig wie irgend möglich mit Eingeborenen in Kontakt kämen. Und dass die Herrschaften ruhig mal die Reise auch durch den Gaumen genießen sollten. Das Bier war kalt; meine Nachbarin leider auch. Ich kam an diesem Abend keinen Schritt weiter. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass mich das Thema Geruchsdesign nur nebensächlich interessierte.

Am nächsten Morgen ärgerte ich mich mit der Dusche herum, weil sie gerade mal 38°C heißes Wasser produzierte. Ich hasse das! Mein Wasser muss morgens mindestens 42°C haben, damit ich in Schwung komme. Ich rief bei der Rezeption an, aber sie waren nicht in der Lage, mein Problem zu beheben. Wahrscheinlich wird man so, wenn man hier länger ist: ein bisschen langsam im Service.

Nach dem Frühstück (die Blonde hatte sich ostentativ an einen anderen Tisch gesetzt) ging es dann los in unserem Glasmobil. Und was wir dort aus unseren Fenstern sehen konnten, war schon eine Reise wert. Nach der Reform, als Amerika endgültig und offiziell zur weltweit herrschenden Nation erklärt wurde, haben wir die Agrikultur in die halbgesicherten Gebiete rund um Europa verlegt. Das war ein ökonomisch sehr sinnvoller Schritt, denn unsere eigenen Bauern waren viel zu teuer geworden. Und der Boden viel zu kostbar, um darauf Kartoffeln anzubauen. Bei einer stetigen Wachstumsrate der Bevölkerung von 10%, wo sollten wir mit den ganzen Leuten hin? Und in den halbgesicherten Zonen waren sie auch glücklich, denn so hatten sie einen riesigen Absatzmarkt. Außerdem wurden Gemüse und Fleisch so billig, dass unser Armutsproblem, das wir noch fast bis Mitte letzten Jahrhunderts hatten, gelöst wurde.

Aber es war schon interessant, Landwirtschaft einmal mit eigenen Augen zu sehen. Ochsen kannte ich ja noch aus dem Zoo, aber einen Pflug nur noch aus dem Geschichtsbuch. Wir sahen auch Leute auf Eseln reiten, den Boden hacken, Mangos ernten. Der Führer erklärte uns alles, während wir an den Feldern lautlos entlang fuhren. Die Leute sahen von ihrer Arbeit auf und ihre Augen waren leer. Irgendwie so unmenschlich leer. Ich versuchte, mit meiner Banknachbarin ein Gespräch darüber zu führen, aber sie konnte für die Menschen kein Interesse aufbringen. Das einzige, was sie faszinierte, waren Esel, Maultiere und Hunde in freier Wildbahn.

In Cuzco verbrachten wir zwei ganze Tage. Sehr interessant, muss ich sagen. Wir wurden vom Inka persönlich begrüßt. Ein sehr zivilisierter Mensch, der übrigens auch ein ausgezeichnetes Englisch sprach. Seine Frau, die sich Ñusta nennen ließ, war sehr hübsch, aber nur wenig gesprächig. Die Stadt bestand aus beeindruckenden Bauten. Ich wollte zwar nicht glauben, dass die fein geschliffenen Steine, die fugenlos aneinandergefügt waren, ohne Hilfe eines Lasers hergestellt worden waren, aber abgesehen davon, war die Szenerie phantastisch ebenso wie die Krönungszeremonie. Der Mantel aus Papageienfedern, den der Inka trug und die Brustplatten aus echtem Gold. Prachtvoll!

Etwas allerdings empörte uns alle: bei dem Festmahl nach der Krönung wollte man uns doch glatt im Ofen gebratenes Meerschweinchen vorsetzen! Sie nannten das cuy und eine Spezialität der Inkas. Unter der Gruppe brach helle Empörung aus. Ein Professor für Anthropologie, der mit seiner Gattin diese Reise wohl aus wissenschaftlichem Interesse unternommen hatte, wies entrüstet darauf hin, dass man schließlich heute auch keinen Dreck mehr fräße wie die frühen Menschenkulturen. Der Protest der gesamten Gruppe führte schließlich dazu, dass die Reiseleitung die Teller mit den abscheulichen Tierchen wieder abräumte und uns echte peruanische Spaghetti servieren ließ. Die waren in Ordnung, obwohl ich eine Menge Ketchup darauf geben musste.

Wir kamen erst spät ins Bett, weil das Menschenopfer, das wir nach dem Abendessen sehen sollten, sich aus irgendeinem Grunde verzögerte. So ist das eben auf Abenteuerreisen, versuchte ich mich bei der Eselsliebhaberin, da ist nicht alles so perfekt wie sonst. Im Bett versuchte ich sie mit Meerschweinchenpiepen aufzulockern, aber das fand sie gar nicht komisch.

Am zweiten Tag fuhren wir nach Macchu Pichu. Dort erwartete uns die Ñusta, denn – so wurde uns erklärt – Macchu Pichu galt als die geheime Stadt der Frauen. Die Umgebung war beeindruckend. In einem kleinen Tal inmitten der Anden gelegen, von schneebedeckten Gipfeln umringt. Das Sauerstoffgerät störte ein bisschen, aber man hatte uns erklärt, dass man sich – nicht wie in Cuzco – dazu entschlossen hatte, keine Glaskuppel über die Stadt zu bauen, da die Sonnenauf- und -untergänge sonst in ihrer Pracht beeinträchtigt worden wären. Und tatsächlich war der Sonnenuntergang, den wir – begleitet von einigen Initiationsriten der jungen Frauen des Inka – sahen, sehr bemerkenswert. Die Frauen kreischten ein bisschen bei der expliziten Darstellung, aber ich beruhigte meine Eselsliebhaberin und Meerschweingeräuschhasserin damit, dass das ja alles Vergangenheit war und nur noch für uns Touristen gemachte wurde. Und dass sie froh sein solle, nicht hier geboren zu sein.

Ich weiß nicht, woher zum Teufel sie Dynamit gehabt haben könnten. Es ist mir unbegreiflich, denn schließlich liegt schon seit über hundert Jahren ein Waffenembargo auf dem gesamten südlichen Kontinent. Aber sie hatten es irgendwoher und sie haben es benutzt. Ich hatte zu Hause noch etwas von den terroristischen Banden in Peru gehört, ich weiß nicht mehr von wem. Aber von Übergriffen auf Reisegruppen? Das war unerhört. Natürlich hatten wir bewaffnete Begleitung für den Fall der Fälle, aber niemand konnte mit einem Attentat rechnen. Vielleicht hätte der Fahrer schneller schalten müssen, als er das fremde Auto auf der amerikanischen Straße sah. Wie auch immer.

Wir waren die Nacht über gefahren: direkt von Macchu Pichu zurück nach Lima, denn dort stand das einzige annehmbare Hotel. Über die Herberge in Cuzco habe ich bisher geschwiegen, aber nur weil das Teil der Abmachung mit meinem Reisebüro ist. Schließlich haben sie teuer dafür bezahlt.

Es passierte kurz nachdem wir in Lima eingefahren waren. Wir hatten auf dem Weg einige Protestler gesehen, die uns wütend anschrieen. Ihre Ähnlichkeit mit Affen ließ mich über die Gegner der Theorie Darwins nachdenken. Immerhin die Hälfte der Amerikaner, hatte ich neulich gelesen, glauben nicht an die Theorie der Evolution. Dabei reichte doch eine einzige Reise nach Peru, um das mehr als offensichtlich zu machen. Der missing link, dachte ich lächelnd, als ich ein schönes und wahrscheinlich besonders laut brüllendes Exemplar ausmachte.

Der Kleinlaster kam von links. Ich hatte ihn nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen und in dem Bruchteil des Augenblicks bis zur Explosion blieb nicht genügend Zeit, um mich darüber zu wundern, dass auf einer kreuzungslosen Straße ein Auto von links kommen kann.

Über die nächsten paar Stunden kann ich kaum Auskunft geben. Es gab einen fürchterlichen Krach, etwas fiel mir auf den Kopf, ich flog in hohem Bogen durch die Gegend und danach weiß ich gar nichts mehr. Als ich erwachte, war es dunkel, und ich lag verborgen hinter einem verbeulten Stück Metall, das mir die Sicht nahm. Und wohl auch den Terroristen die Sicht genommen hatte, denn ich war bis auf ein paar Beulen unverletzt geblieben. Als ich vorsichtig hinter dem Stück Metall hervorblickte, sah ich auf ein brennendes Feuer und eine Menschenmenge. Ich sah auch einige von unserer Reisegruppe gefesselt am Boden sitzen. Später sind alle freigekommen, gegen ein saftiges Lösegeld, versteht sich, aber das konnte ich in diesem Moment nicht wissen.

Um die Wahrheit zu sagen, mir sank das Herz in die Hose. Die Gruppe, die um meine Mitreisenden herumstand, sprach eine unverständliche Sprache, nur entfernt mit unserem Spanisch verwandt. Sie sahen furchterregend aus. Ich entdeckte weder den Fahrer, noch den Führer, noch unsere bewaffneten Begleiter. Ich hörte eine helle Stimme kreischen: "Meinen Ehering nicht", und dann eine saftige Ohrfeige klatschen. Leises Weinen.

Ich musste einen Weg finden, von hier zu verschwinden. Jeden Augenblick konnten sie mich entdecken, und dann würde es mir nicht besser ergehen als der armen Gruppe. Gott sei Dank lag die Stadt fast völlig im Dunkeln. Außer dem Feuer ein paar Schritte von mir entfernt, konnte ich in der Ferne einige Lichtpunkte sehen, die sicherlich von ähnlichen Lichtquellen stammten. Der Rest aber lag in schwarzer Nacht.

Die größte Gefahr war jetzt, von dem nahen Feuer beleuchtet zu werden, während ich davon robbte. Ich warf mir einen alten und stinkigen Fetzen über, der weiß der Himmel woher kam und kroch los. Ich wusste zwar nicht wohin, aber das war im Moment zweitrangig. Erst mal weg und dann weitersehen. Die einzigen beiden Punkte der Stadt, an denen ich sicher sein würde, waren das Hotel und der Flughafen. Aber wie dort hinkommen?

Das Glück ist mit den Tüchtigen, sagt man. Und ich hatte in dieser Nacht gleich mehrfach Glück. Zuerst ließ mich das Schicksal dem Feuer entkommen. Ich war noch dazu in die richtige Richtung gerobbt, denn bald entdeckte ich die Bresche in der hohen, weißen Mauer, die die amerikanische Straße von dem Rest Limas abschotten sollte. Und die kein echtes Hindernis darstellte.

Ich hielt mich im Schatten der Mauer auf der anderen Seite und fürchtete nichts mehr, als irgendjemandem zu begegnen. Und dabei sollte die Begegnung, die sich jetzt gleich ereignen würde, mir das Leben retten.

Ich hielt den stinkigen Lappen fest um mich gewickelt, aber sowohl die Beine als auch vor allem meine neuen Nikes, die ich extra für die Reise gekauft hatte, würden mich sofort an die Eingeborenen verraten. Meine Tarnung war also alles andere als perfekt, aber ich musste es versuchen. Ich dachte angestrengt darüber nach, wie ich wohl zum Hotel finden sollte, als ich an der gegenüberliegenden Hauswand einen Schatten ausmachte, der sich in meine Richtung bewegte. Sofort verharrte ich in meiner Bewegung, versuchte die alte Taktik, die man mir für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich jemals einer Schlange begegnen sollte, beigebracht hatte: nicht bewegen. Keinen Muskel.

Leider war der Schatten nicht der einer Schlange: sie war schneller über mir, als ich auch nur mit dem Lid hätte zucken können. Und bevor ich Cheesecake sagen konnte, hatte ich ein Messer an meiner Kehle. "Lauf oder stirb!", sagte eine weibliche Stimme in verständlichem Spanisch. Ich versuchte es mit einem: "Ok."

Sie sprang einen halben Schritt von mir weg, das Messer immer noch auf mich gerichtet: "Wer oder was bist Du?", fragte sie in noch verständlicherem Englisch. Ich war meinerseits überrascht, schaltete aber schnell: dies war meine Chance, wenn ich denn eine hätte. "Ich bin ein amerikanischer Tourist. Unser Glasmobil ist von Terroristen überfallen worden, und ich bin der einzige, der entkommen ist. Bitte lass mich gehen!"

Sie schaute mich zweifelnd an, aber das Messer sank um einige Zentimeter nach unten. "Ja, ich habe von dem Überfall gehört", sagte sie mich nachdenklich anblickend. "Lima ist eine sehr gefährliche Stadt. Wo willst du hin?", fügte sie nach einem Moment des Schweigens hinzu. Ich hatte in der Zwischenzeit in Gedanken schon meine Dollar gezählt, denn ich war davon überzeugt, meine Freiheit mit ein paar Scheinen erkaufen zu können. Aber sie erwähnte das Geld nicht einmal. "Alleine überlebst du keine zehn Minuten auf den Straßen hier. Ich wohne nicht weit weg. Komm erst mal mit, dann sehen wir weiter."

Ich wusste nicht recht, was ich machen sollte. Mit einer Eingeborenen nach Hause gehen? Andererseits hatte sie vermutlich recht, ich würde keine Chance haben auf den Straßen Limas. Und wenn sie mir eine Falle stellen wollte, um mich umzubringen, dann hätte sie einfach nur zustechen müssen, als sich ihr Messer noch an meiner Kehle befand. Ich nickte. Sie warf mir ihren Poncho über und hieß mich, hinter ihr zu laufen und um keinen Preis den Mund aufzumachen, geschehe, was geschehe.

Doch auf dem Weg zu ihr begegneten wir niemandem. Ein oder zweimal hatte ich den Eindruck, dass wir beobachtet würden, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Bei ihr zuhause erfuhr ich, dass sie Erika hieß und dass sie kein Telefon besaß. Sie lachte laut, als ich sie fragte. "Mein Urgroßvater hatte noch eines, erzählte mir mein Vater immer, wenn er melancholischer Stimmung war." Ich fragte nicht, was mit ihrem Vater geschehen war. Sie hatte die Fensterläden geschlossen, bevor sie die Öllampen angezündet hatte, die ein eigenartig flackerndes Licht auf die Wände warfen. Ich blickte mich um, aber in Wirklichkeit war nicht viel zu sehen außer den Rissen im Gemäuer. Ein hölzerner Hocker und ein wackelnder Stuhl standen um einen alten Tisch herum. Die Tischdecke war grau vom vielen Waschen. In einem kurzen Moment der Entspannung vermisste ich meine Kamera: das wäre ein explosives Material zu Hause! Ein echtes Haus einer Eingeborenen! National Geographic würde gutes Geld dafür zahlen. Dann stürzte die Wirklichkeit wieder auf mich ein. "Hör zu, ich muss zu dem amerikanischen Hotel oder zum Flughafen für Touristen", sagte ich. Erika blickte mich an. "Das ist sehr gefährlich. Vielleicht sogar unmöglich. Man kommt von außen nicht einmal in die Nähe."

"Egal, irgendwie muss ich dahin. Oder an ein Telefon." Ich konnte immer noch nicht glauben, dass es hier kein Telefon geben sollte. Vielleicht hatte sie keines, aber die Geschichte von ihrem Urgroßvater konnte ich ihr unmöglich abnehmen. Jeder Mensch hat Telefon.

"Es ist sehr gefährlich", wiederholte sie nachdenklich, "und alleine schaffst du das niemals. Hier in Lima ist es selbst für einen von uns schwer zu überleben. An der nächsten Ecke nehmen sie dich hoch, wenn sie merken, dass du ein Gringo bist." "Dann hilf mir. Bitte!", fügte ich hinzu.
"Warum sollte ich meine Haut für dich riskieren?" Ich überlegte, ob ich das Thema Dollars riskieren sollte. Sicherlich würde sie alles für ein paar Scheine, vielleicht sogar für ein paar Münzen machen. Aber bevor ich etwas sagen konnte, sprach sie schon weiter.

"Ich werde dir helfen. Du musst wissen, dass nicht nur du, sondern auch ich mein Leben dabei riskiere. Und dass ich nicht weiß, ob wir es schaffen können. Ich kann dich nur bis zum Rande der Touristensperrzone bringen. Danach musst du selber einen Weg hineinfinden. Mich würden sie sofort erschießen, wenn ich versuchen würde, dort einzudringen. Und jetzt, nach dem Überfall noch eher."

"Aber das hat seinen Preis." Sie blickte mich einen Moment aus ihren tiefbraunen Augen an. "Du musst mir ein Visum verschaffen. Du musst allen erzählen, dass ich es war, die dich hier herausgebracht hat. Dass ich dich gerettet habe und dass ich Englisch spreche. Dass ich Zahnärztin bin und dass ich in Amerika leben will. Du musst alles daran setzen, dass ich ein Visum bekomme, versprichst du mir das?" Ich versprach es ihr natürlich. Das und noch viel mehr hätte ich ihr versprochen. Einen Haufen Gold, ein Königreich, wenn es sie gefreut hätte. Was hatte ich zu verlieren? "Ich muss dir vertrauen, so wie du mir vertrauen musst." Sie dachte einen Moment lang nach: "Kann ich dir vertrauen?"

Ich versicherte, alles Menschenmögliche zu unternehmen, damit sie ihr Visum bekäme. Ich gab vor, Freunde bei der Einwanderungsbehörde zu besitzen, darauf zählend, dass sie nicht wusste, dass die Einwanderungsbehörde schon in meiner Jugend aus dem einfachen Grund abgeschafft worden war, weil es keine Einwanderung mehr gab. Sie schluckte es nicht nur, sondern freute sich sogar sichtlich. Ich gab vor, dass ich kein Problem mit ihrer Einreise sähe, wenn ich erst mal zurück zu Hause wäre und die Geschichte dort erzählen könnte.

Wir brachen noch in derselben Nacht auf. Ein unidentifizierbares Getränk, das sie irreführenderweise Kaffee nannte, lehnte ich dankend ab. Sie wirkte angespannt, aber zufrieden mit mir, und ich tat alles, um diesen Eindruck zu verstärken. Sie bat mich, ihr von Amerika zu erzählen, aber ich wusste nicht recht, was ich ihr erzählen sollte. Ich war noch nie jemandem begegnet, der nicht alle Folgen von „Fünf Teufel und George“ mindestens dreimal gesehen hatte: was erzählt man da? Sie hatte damit kein Problem: das sollte ich bald merken.

In ihrem Schrank suchte sie eine unauffällige (will sagen: dreckige, verschlissene und abgrundhässliche) Jacke heraus, die ich anziehen sollte. Die Hosen, die sie mir gab, waren genauso „unauffällig“ und dazu noch zu klein. Sie gab mir einen Strick aus irgendeinem Naturmaterial: den sollte ich als Gürtel benutzen. Alleine meine Schuhe waren ein Problem. Die neonfarbigen Nikes würden sicherlich sofort auffallen und zu einer gründlichen Untersuchung, mit einiger Wahrscheinlichkeit unter Zuhilfenahme eines Messers, einladen. Nach reiflicher Überlegung schlug sie mir vor, barfuss zu gehen. Ich lehnte natürlich ab: das würde meine Socken kaputt machen. Sie erklärte mir, dass sie „mit nackten Füßen“ gemeint hatte. Ich war entsetzt. Sie hieß mich die Schuhe und Strümpfe ausziehen, und als sie meine Füße sah, lachte sie laut. "Nein, das wird auch nichts: deine Füße leuchten ja noch heller als deine Schuhe!"

Zuletzt packte sie meine Schuhe in ein paar alte Lumpen, schnürte diese oben an meinem Knöchel zusammen, und wir waren beide zufrieden. "Kein Wort, unter keinen Umständen! Gut, dass dein Gesicht nicht so weiß wie deine Füße ist. Zieh dir diesen Chullo über, das wird deine Züge ein wenig verstecken." Sie reichte mir eine bunte Mütze, die oben spitz zulief und an den Seiten noch zwei hässliche Ohrklappen aufwies. Aber meine Widerstandskraft war längst gebrochen.

Als ich mich im Spiegel anschaute, erschrak ich zutiefst: ich sah wirklich fast aus wie einer von ihnen: genauso heruntergekommen, genauso dreckig, genauso hässlich angezogen. Die Präsenz meiner Schuhe unter den Lumpen beruhigte mich ungemein: wenigstens wusste ich so, dass ich anders war. Ich hebe dieses Paar Schuhe auch heute noch liebevoll auf, obwohl sie völlig aus der Mode geraten sind, und meine Kinder immer über mich lachen. Doch dieses Paar Nikes hat mich in jener dunklen Nacht Mensch sein lassen und anders als die, die da auf der Straße herumlungerten.

"Wenn uns jemand anhält, siehst du zu, dass kein Licht auf dich fällt. Ich werde sagen, dass du ein Freund aus der Sierra bist und dass Du nicht sprechen kannst. Die Leute aus der Sierra haben hier zwar keinen guten Ruf, aber man ist bereit zu glauben, dass sie ein bisschen komisch sind und dass sie nicht reden. Sowieso kein Spanisch. In den Bergen spricht man eine eigene Sprache, wusstest du das?" Ich nickte nur, um das Gespräch abzukürzen. Was interessierte mich die Sprache des Hochlandes?

Die ersten paar Straßen lief alles gut. Wir begegneten keinem Menschen, und ich war froh drum. Erika hatte mir für den Notfall noch ein Messer in die Hand gedrückt, und das hielt ich fest von meiner Faust umschlossen in der Tasche. Sie hatte mir gesagt, dass ich es nur im äußersten Notfall ziehen sollte, denn mit großer Sicherheit würde mein Gegenüber besser damit umzugehen wissen, aber ich war entschlossen, dem ersten, der mich genauer angucken würde, den Stahl so tief in die Brust zu rammen, wie ich nur irgendwie konnte.

Wir bewegten uns langsam aber stetig die Straßen entlang. Erika hatte sich bei mir eingehakt, weil das – wie sie sagte – am unauffälligsten wäre. Ich war überrascht, dass sie keinen unangenehmen Geruch ausströmte: ich hatte mir die Leute, an denen wir vorbeigefahren waren, immer von einer Art unangenehmen Geruchshülle umgeben vorgestellt.

Der Gebrauch von Englisch auf der Straße war auch zu gefährlich. Sie sprach leise in Spanisch auf mich ein, und zu meiner Verwunderung verstand ich viel mehr, als ich gedacht hätte. Und als mir lieb war. Denn Erika wurde nicht müde, mir von dem einzigen zu erzählen, was ich am liebsten ganz schnell vergessen wollte: von ihrem Land.

"Es begann alles mit dem Krieg gegen Afghanistan oder wenn du willst mit den Attentaten auf die Zwillingstürme in New York. Der Krieg, der sich bald ausweitete, brachte kaum die erwarteten Resultate. Das bestärkte die Stimmen, die schon seit langem gesagt hatten, dass man diese armen Staaten einfach aushungern sollte. Und aus diesem Gedanken erwachte mit Hilfe einiger neuer technologischer Entwicklungen eine neue politische Strömung, die erst die Vereinigten Staaten, dann aber auch Australien und Japan ergriff: die Lösung der Weltprobleme war endlich da! Sie war so simpel wie genial: man koppelt einfach zwei Drittel der Weltbevölkerung ab und überlässt sie sich selbst. Keine Spendenaktionen mehr, keine Bilder hungernder Kinder, keine Alphabetisierungskampagnen. Keine Umschuldung mehr, keine Kredite von der Weltbank. Die unterentwickelte Welt wurde geschlossen. In Peru haben wir länger als andere ausgehalten. Zu dem Zeitpunkt im Jahre 2030, als die Große Weltwirtschaftsreform durchgeführt wurde, ging es Peru gar nicht so schlecht. Wir hatten seit 2001 eine konstante demokratische Regierung, die Maßnahmen zur Bildung der Landbevölkerung waren in vollem Gange und die Rate derjenigen, die unter einem Dollar pro Tag verdienten, nahm ständig ab."

"Unsere Regierung hat volle fünf Jahre ausgehalten: ich weiß nicht, wie. Erst als Banditenhorden ganze Städte überfielen, gaben sie auf. Geld wurde nicht mehr gedruckt, und wir kehrten zur uralten Tauschwirtschaft zurück: ich gebe dir eine Rinderhälfte, du gibst mir einen Zentner Kartoffeln."

Erika erzählte ihre Geschichte so leicht und ohne jeglichen Vorwurf, dass es mir leicht fiel, nicht hinzuhören. Ich war ganz auf das Geschehen auf der Straße konzentriert. Keine Menschenseele war dort zu sehen, nur vereinzelt flackerte in der Ferne, zu sehen durch eine der leeren Straßenschluchten, ein Feuerschein. Sie sprach indes scheinbar unbeschwert weiter.

"Das System funktioniert aber nur solange, wie jeder etwas beisteuern kann, was direkt verwertbar ist. Aber nachdem wir keinen Import mehr hatten und damit zum Beispiel kein Benzin und dadurch wiederum die Autos überflüssig wurden, was sollte ein Automechaniker, ein Busfahrer da tauschen? Der Hunger war der Ursprung der bewaffneten Banden."

"Obwohl eigentlich die ersten, die die Folgen der Großen Wirtschaftsreform zu spüren bekamen, die Kinder waren. Die Schulen wurden geschlossen, denn die Lehrer mussten sich etwas suchen, was ihren knurrenden Magen beruhigte. Die werdenden Mütter wurden immer dürrer, von den Neugeborenen starb bald ein Drittel: schlimmer als zu Zeiten der Inka, sagt man. Bald breiteten sich Seuchen aus, denn der Müll wurde nicht mehr abgeholt."

"Es gab einige Initiativen, die öffentliche Ordnung trotz allem aufrecht zu erhalten. In Ayacucho, in der Sierra, gab es eine Organisation von Freiwilligen, die sich Esperanza nannte und versuchte, die grundlegenden Dienste auf freiwilliger Basis aufrecht zu erhalten. Sie erinnerten sich an die alten Traditionen aus den Zeiten, bevor die Spanier kamen. Die Angehörigen dieser Organisation betrachteten sich als Ayllu, als Gemeinschaft, und verrichteten neben ihrer normalen Arbeit gemeinsame Aufgaben."

"Die bewaffneten Banden waren es, die diese kleinen Versuche, trotz allem zu überleben, zerstörten. Einige Zeit kehrte Peru zur Leibeigenschaft zurück: Banditen kamen erst in die Dörfer, später sogar in die Städte und holten sich, was sie brauchten. Arbeiter, die ihre Felder bestellen, Frauen für ihre Küchen und Betten. Und das Schlimmste ist, dass die Leute sich daran gewöhnt haben. Immerhin, sagen sie, haben wir hier zu essen und müssen nicht hungern."

Ich hatte eine Bewegung am Ende der Straße gesehen und drückte Erikas Arm. Sie schaute überrascht zu mir, und einen Moment hatte ich den Eindruck, sie dächte, ich hätte ihr von ihrer Geschichte, der ich nur mit halbem Ohr zugehört hatte, bewegt den Arm gedrückt. Mein ängstlicher Gesichtsausdruck aber belehrte sie eines Besseren. Als sie die Schatten entdeckte, spannte sich ihr ganzer Körper an. Ich hätte mich gerne in eine Ecke verdrückt, aber es gab keine. Unerreichbar weit, 30 Meter vor uns, war ein Hauseingang. Aber wer wusste, was uns dahinter erwarten würde. Ich klammerte mich an das Messer als wäre es ein Stück Treibholz und ich ein Ertrinkender.

Sie hatten uns schnell umringt. Ein Bande von vielleicht zehn Halbwüchsigen und Kindern. Ich wollte mich schon etwas beruhigen, aber ich spürte, dass Erika sich nicht entspannte, sondern ihre Angst sogar wuchs. Ich zog mir die Mütze noch ein Stück tiefer ins Gesicht. Sie unterhielten sich in einer Sprache, von der ich nur Fetzen verstand. Es klang wie das, was die Terroristen gesprochen hatten. Ich verstand, dass die Kinder Alkohol wollten; sie stanken schon so entsetzlich danach. Erika versuchte, ihre Stimme ruhig und bestimmt klingen zu lassen. Sie verlangten auch zu wissen, wer ich sei. Das fehlende Licht, meine Hautfarbe, der ihren nicht unähnlich, und die Geschichte, die ich vermeinte Erika erzählen zu hören, ließ sie ihre Aufmerksamkeit von mir abwenden.

Dann verlangten sie in forderndem Ton etwas von Erika. Als sie verneinte, sprangen blitzende Messer aus ihren Hosentaschen. Mein Arm zuckte bereits, aber Erika, vielleicht meine Bewegung ahnend, war schneller und hielt mein Handgelenk eisern auf der Höhe meiner Jackentasche. Mein Messer war nicht einmal zum Vorschein gekommen. Sie sagte leise zu mir: "Warte hier", und verschwand mit den Älteren in dem Hauseingang. Die Jüngsten, vielleicht gerade mal fünf oder sechs Jahre alt, leisteten mir mit gezückten Messern und grimmigen Gesichtern Gesellschaft, während ich wartete. Ich versuchte, mir meine Chancen auszurechnen, wenn ich einfach losrannte, aber ich wusste ja noch nicht einmal wohin.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie zurückkam. Die Kleinen hatten sich inzwischen mehr als genug über mich und meine vermeintliche Taubheit lustig gemacht. Das verstand ich auch ohne die Worte zu erkennen. Erikas Augen waren leicht gerötet, als wenn sie geweint hätte.

Die Bande ließ uns passieren, und ich spürte plötzlich einen starken Drang, mich zu übergeben. Erika zerrte mich davon, in die Nacht hinein. Und sie fuhr an der Stelle fort, an der sie aufgehört hatte, so als ob nichts passiert wäre.

"Armut ist so viel mehr, als nur kein Geld zu haben, weißt du. Hunger ist schlimm, aber Hoffnungslosigkeit ist so viel schlimmer. Und die Verblödung. Wenn deine einzige Sorge ist, woher du heute zu Essen bekommst, dann denkst du nur noch daran. Alles andere ist dir egal. Als die Spanier hier ankamen, beherrschten die Inka ein Reich, wie nur wenige es jemals zu solcher Größe gebracht haben. Cuzco war zu diesem Zeitpunkt viel größer als Rom, London, Paris oder Madrid. Man hatte schon gelernt so zu bauen, dass bei einem Erdbeben die Häuser stehen blieben. Es gab frischen Fisch am Hofe des Inka und das, obwohl die Küste Hunderte von Kilometern entfernt ist.

Aber das alles haben wir vergessen. Unsere Gesellschaft heute ist soviel primitiver als die Gesellschaft vor 500 Jahren. Weil wir unsere Stärken vergessen haben, weil der Hunger uns alle Gedanken nimmt, weil wir nur um das nackte Überleben kämpfen."

"Damals, nach der Großen Wirtschaftsreform haben wir noch eine Zeit lang von den paar Touristen leben können. Die Amerikaner blieben eigentlich sofort weg und schon das brachte Armut, aber ein paar Jahre lang kamen noch einige verwegene Europäer nach Peru, damals als Cuzco noch stand und noch von Peruanern bewohnt war. Aber als auch die wegblieben, da war es um Peru geschehen."

"Was wollten die Kinder von dir?", versuchte ich ihren Monolog zu unterbrechen. "Das ist meine Sache. Du denk nur daran, dass ich das alles für dich mache und dass du versprochen hast, mir ein Visum zu besorgen. Das weißt du doch noch?" Ich nickte eifrig. Auch wenn Erika mir keine Angst mehr einflößte, wusste ich, dass sie meine einzige Hoffnung war, hier wieder herauszukommen. Und außerdem hatte sie gleich mir ein Messer in der Tasche, und ich war sicher, dass sie es besser benutzen konnte als ich.

Wir schritten nun forscher aus. Es mochte vielleicht drei Uhr morgens sein und es war bitterkalt. Ich sehnte mich nach meiner heißen Dusche, wie ich mich selten nach etwas gesehnt hatte. "Es ist nicht mehr weit bis zur Sperrzone", sagte sie unvermittelt und auf Englisch.
"Ich muss schneller erzählen. Mitten in der Misere aber hat es immer Leute wie meinen Großvater und meinen Vater gegeben, die daran glaubten, dass wir es irgendwie schaffen können. Sie waren es mit ihren Freunden, die heimliche Zirkel abhielten und ihre Kinder und all diejenigen, die abends ein paar Stunden verschwinden konnten, unterrichteten. Daher spreche ich Englisch und deswegen bin ich Zahnärztin. Hast du geglaubt, hier in Peru würde irgend jemand einen Zahnarzt besuchen?" Sie lachte leise und bitter. "Es ist lange her, dass die Leute sich den Luxus leisten konnten, sich um ihre Zähne zu kümmern."

Auf einmal zeigte sie in die Ferne: "Siehst du den hellen Schein? Das ist die verbotene Zone. Wir kommen näher."

"Sie formten eine Art Geheimbund, der versuchte, das Wissen im Land zu halten. Zu dem Bund gehören all die Berufe, die längst verschwunden sind: Rechtsanwälte, Ärzte, Naturwissenschaftler, sogar Philosophen und Sprachwissenschaftler. Wir haben es geschafft, dieses Wissen über ein Jahrhundert zu retten und sogar zu vertiefen. Was wir heute über die antiken Kulturen wissen, geht weit über das hinaus, was in den Büchern steht. Jedenfalls in den paar, die wir noch haben", fügte sie ein wenig verschämt hinzu. Die Lichter in der Ferne wurden immer deutlicher als hohe Scheinwerfertürme sichtbar.

"Warum willst du dann nicht hier bleiben?", fragte ich sie, den Blick fest auf die sich nähernden Scheinwerfer gerichtet.

Sie zögerte ein wenig mit der Antwort. "Weil ich nicht mehr kann. Früher, als ich noch jünger war, träumte ich davon, nach Amerika zu gehen und kofferweise Bücher zu kaufen, an der besten Universität gleichzeitig mehrere Fächer zu studieren und dann mit all diesen Schätzen nach Peru zurückzukehren. Ich träumte von einem Neuanfang und davon, dass ich mit meinen Freunden wieder eine Regierung bilden würde, nach über hundert Jahren die erste. Aber ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr hungern, nicht mehr mein Elend ertragen und erst recht nicht das der anderen. Ich kann nicht mehr die Straßen entlang gehen und vor den kleinen Teufeln wegrennen, die entweder dein Leben oder deine", hier kam ein Wort, das ich nicht verstand, "wollen. Ich will mich einmal ohne Hunger und ohne Angst auf der Straße bewegen können und ich will die Chance haben, meine Künste als Zahnärztin zu beweisen. Ich will nach vorne schauen können, ohne sehen zu müssen, dass meine Mitmenschen immer mehr nach hinten verschwinden. Oh, bitte, ich muss nach Amerika. Du denkst doch an dein Versprechen? Du wirst allen sagen, dass ich dich gerettet habe, nicht wahr?"

Ich versicherte ihr, dass ich, kaum im Hotel angekommen, bereits anfangen würde von ihr zu sprechen. Vielleicht konnte sie meinen ironischen Unterton merken – obwohl es doch heißt, dass die einfachen Völker die Ironie nicht kennen – jedenfalls schaute sie mich merkwürdig an. "Unsere Vorfahren, die Inka, besaßen statt der Zehn Gebote der Christen nur drei. Aber wer diese drei nicht einhielt, der war es nicht würdig, ein Mensch unter Menschen zu sein, und dementsprechend wurde gehandelt. Das erste Gebot ist: Du sollst nicht faul sein, das zweite: Du sollst nicht töten und das dritte: Du sollst nicht lügen." Wir waren fast bei den Scheinwerfern angekommen. Ein großes weißes Tor erschien am Ende der Straße, von dem gleißenden Licht eigentümlich unwirklich beleuchtet. Es sah fast wie ein Gefängnistor aus, und doch erschien es mir wie das Tor zum Paradies.

Aber in dem Augenblick, als wir das Ende der Odyssee erblickten, hörten wir auch ein Geschrei hinter uns. Eifrige Füße kleiner, wilder Menschen waren mit einem Mal hinter uns. Die Bande war uns gefolgt, offenbar ahnend, dass etwas mit mir faul war. Erika schrie: "Lauf! Lauf um dein Leben. Ich halte sie auf. Und vergiss mich nicht! Sag ihnen, dass ich es war, die dich gerettet hat! Lauf! Lauf!" Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte, was meine Lunge hergab. Während ich die letzten Meter zum Tor zurücklegte, hoffte ich inständig, dass die Videoanlage funktionieren würde. Hinter mir hörte ich Geschrei, aber ich drehte mich nicht um.

Schon wenige Meter vor dem weißen Ungetüm, fing ich an zu rufen. Ich schlug auf das Tor ein, aber es öffnete sich nicht. Da riss ich meine Verkleidung von mir, schmiss die vermaledeite Mütze in den Dreck, rupfte mir die Lumpen von den Füssen. Da endlich schwang das Tor auf. Ich ließ das Kriegsgeschrei hinter mir. "Ich hätte fast nicht geöffnet, Sir. Mit der Bande Wilder da draußen vor dem Tor, da hätte ich bestimmt nicht geöffnet. Zumal wir doch dachten, dass die ganze Gruppe von den Terroristen festgehalten wird. Wenn ich Ihre Nikes nicht gesehen hätte, Sir, ich hätte ganz sicher nicht geöffnet."

Ich habe meinen Job gekündigt. Ganz zum Leidwesen meiner Chefin, die mir einen wirklich schönen Abschied gab. Mit köstlichem Essen, französischem Champagner und allem Drum und Dran. Ein sehr bewegender Moment. Aber mit dem Geld, das ich durch den Prozess gegen meine Reiseagentur und den Tantiemen für die Veröffentlichung meines Buches: Lima – 2150, ungefähr (ich hatte wirklich Glück mit dem Ghostwriter) verdient habe, kann ich bequem leben. Natürlich habe ich ein paar Dinge geändert: Erika ist in meinem Buch männlich und heißt George oder so ähnlich. Auch vom Visum ist selbstverständlicherweise nicht die Rede. Ein paar Dollars übernehmen dessen Rolle in meinem Bestseller.

Ich denke nicht gerne an sie. Manchmal erinnere ich mich sogar an ihre letzten Worte und dann brauche ich immer eine schöne, heiße Dusche.

Text: Nil Thraby





[kol_1] Grenzfall: Visa wie

Routine, meine lieben. Schon x-mal gemacht. Kein Grund zur Sorge. "Einmal Touristenvisum verlängern, bitte!" Die Beamtin sieht mich an. "Was tun Sie in Brasilien?" Das diabolische Glimmen in ihren Augen, das ich zwar bemerkte, dem ich aber an diesem sonnigen Tag keine weitere Beachtung schenkte, hätte mir zu denken geben müssen. Hat es aber nicht. "Ein Praktikum!", antworte ich in blöder Freude, sicher, dass die Dame mir, dem ausländischen freiwilligen Helfer, von nun an den größten Respekt entgegenbringen wird, denn ich setze meine beachtlichen Qualifikationen ehrenhaft ehrenamtlich zur Verbesserung ihres merkwürdigen kleinen Tropenlandes ein.

"Das geht nicht", sagt sie, "Sie kriegen keine Verlängerung." Mein Idiotenlächeln schmilzt von meinem Gesicht wie Eisbein in der merkwürdigen kleinen Tropensonne. "Sie haben", ein kurzer Blick auf meinen Pass, "vier Tage Zeit, das Land zu verlassen. Falsches Visum." Ich diskutiere, höflich: "Aber..." "Da gibt es nichts zu diskutieren." Dann versuche ich es unterwürfig: "Aber..." "Diskutieren sie nicht mit mir." Dann werde ich aufmüpfig: "Aber..." "Sie können jetzt gehen." Inzwischen ist ein muskulöser uniformierter Kollege hinzugetreten und verschränkt hinter ihr strengen Blickes die Arme vor der Brust. Ich diskutiere nicht länger, obwohl ich noch einige Argumente und Tonfälle zu bieten gehabt hätte, und verlasse die Polizeiwache, das Herz aufgewühlt und voller Haie wie das Meer vor Brasília. Weit vor Brasília.

Die nächsten Tage verbringe ich mit dem Aktivieren mächtiger Freunde. Alle mächtigen Freunde sind in Urlaub oder können leider gerade nichts machen. Ich gebe auf und telefoniere mit meiner Fluggesellschaft. "Ihren Flug auf vor Juni verschieben, Herr Czaja? Tut mir leid, aber das ist eine Mission Impossible, hihi, Entschuldigung." Das hat die Dame am Telefon zu mir gesagt. Wirklich. Wörtlich. Es ist April. Alle Flüge dieser Gesellschaft vor Juni – vor Juni! – sind belegt, wegen der Weltmeisterschaft. Also kaufe ich mir einen neuen und lasse meinen alten Rückflug verfallen. Was sonst kann ich tun?

Am Tag vor dem Abflug, einige Tage nach Ablauf meines Visums, statte ich erneut meiner Nemesis, der Bundespolizei, einen Besuch ab. Am Platz der Dame vom letzten Mal sitzt jemand anders, ein stiller, freundlicher, irgendwie trauriger Herr. Nach einer mehrstündigen Wartezeit zwischen Klappstühlen erkläre ich ihm, dass ich die Strafe für Aufenthaltserlaubnisüberzug zahlen möchte, um nicht morgen am Flughafen irgendwelchen Ärger zu bekommen.

Er gibt mir ein Formular. Auf dem Formular steht "Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis". Nicht etwa "Strafe wg. Zu-lang-im-Land-gebliebensein" oder Ähnliches. Ich sehe ihn an. Studiere genau seine Gesichtszüge. Ist da irgendein Hinweis, ein verschwörerisches, kaum merkliches Zucken im Augenwinkel dieses stillen, freundlichen, irgendwie traurigen Antlitzes? Will er mir einen Gefallen tun und nicht viel Aufhebens darum machen? Ich sehe nichts dergleichen, aber entscheide dass ja und fülle das Formular aus, als wäre es die normalste Sache der Welt. Mit dem ausgefüllten Formular stelle ich mich in eine andere Schlange, Kleinigkeit, Dreiviertelstunde höchstens, und finde an ihrem Kopfende heraus, dass es sich nicht um die richtige Schlange gehandelt hat. Der Mann am Schalter deutet auf eine andere, sehr ähnlich aussehende und vergleichbar lange Schlange, von der ich mich mit der gleichen Engelsgeduld rückwärts verdauen lasse wie von der ersten. Für mein ausgefülltes Formular bekomme ich ein bedrucktes Formular, mit dem ich mich wieder in der ersten Schlange anstellen darf, an deren Kopf ich einen Geldbetrag bezahle und mein bedrucktes Formular stempeln lasse. Mit dem zufriedenstellend bedruckten und gestempelten Formular setze ich mich erneut zwischen Klappstühle und warte, bis mich der Herr (still, traurig, etc.) wieder zu sich ruft. Er begutachtet die Unterlagen. Er öffnet meinen Reisepass. Er hebt den Stempel. Der Stempel erreicht den Zenit seiner Laufbahn.

Im Türrahmen hinter dem Herrn erscheint die Dame von letzter Woche. Es ist ein Funkeln in ihren Augen. Sie ruft den Herrn zu sich. Des Stempels Bewegung gefriert für einen Moment, als wäre die Zeit stehengeblieben. Der Herr sieht mich an, die Traurigkeit in seinen Augen eine Nuance tiefer als zuvor (glaube ich), versehen mit einem Hauch von Entschuldigung (glaube ich). Er legt den Stempel ab, unterredet sich mit der Dame, kommt zu mir zurück und teilt mir mit, dass er mein Visum leider nicht bis morgen verlängern kann, denn ich habe ja bereits meine Aufenthaltserlaubnis überzogen. Alles muss wieder rückgängig gemacht werden. Dafür diesen Absatz einfach sehr langsam rückwärts lesen, von hier bis "Mit dem ausgefüllten Formular".

Als ich danach zu ihm zurückkomme, bin ich ziemlich sicher, dass mein Bart inwzischen ein Stück gewachsen ist und ich spürbar ein wenig älter geworden bin. Er sagt mir, dass ich die Strafgebühr morgen vor Abflug direkt am Flughafen zahlen muss und jetzt gehen kann. Das heißt, nachdem man meine Fingerabdrücke genommen hat, denn ich habe mich ja eines Verbrechens schuldig gemacht. Und damit, finde ich schnell heraus, hat er Abdrücke von allen Fingern gemeint. Ich frage den Mann, der mir mit stoischer Miene die Tinte auf die Hände aufträgt, ob ich auch die Schuhe schonmal ausziehen soll, und er antwortet mit gleichbleibend stoischer Miene dass nein.

Ich verlasse die Polizeiwache nach einem halben Tag, ohne irgendetwas erreicht zu haben, mit schwarzen Fingerspitzen und sauberen Füßen.

Später rufe ich zur Sicherheit am Flughafen an. Dort sagt man mir, dass ich die Strafe auf jeden Fall in der örtlichen Polizeiwache zahlen muss und keinesfalls am Flughafen zahlen kann. Ich lache irre, aber erst, nachdem ich aufgelegt habe. Schließlich finde ich ein Formular, im Internet, es lebe der Fortschritt, mit dem ich meine Strafe in einer beliebigen Bank zahlen kann. Das bedeutet noch eine Schlange mehr, aber ich bringe das hinter mich und halte meine Chancen, morgen das Land verlassen zu können, danach für annehmbar.

Am Flughafen, am nächsten Tag, schließlich die Passkontrolle. Der Polizeibeamte ist gut. Verdammt gut. "Überzogen, hm?" Der Tonfall ist väterlich. "Was hast du denn so gemacht hier? Bisschen gearbeitet?" Die Frage kommt so beiläufig, so vollkommen ungefährlich daher, so als würde er fragen, "Wie geht’s?" oder "Na, du auch hier?", dass er mich fast gehabt hätte. Der Mann muss eine jahrelange Spezialausbildung in Verhörtechniken genossen haben. Aber nicht mit mir. Ich bin die Unschuld. Ein Lamm. "Ich?!" Ich bin hörbar verblüfft über die Frage. Sieht man das denn nicht? Ich trage eine Hose mit so Taschen auf den Schenkeln! Die Haut schält sich von meiner Nase! Ich habe Teva-Sandalen an, um Gottes Willen! "Ich?! Ich war hier nur am Strand und hab n’ paar Leute besucht."
Er nickt und lächelt verständnisvoll, die Güte in Person, und winkt mich durch.

Wieder mal habe ich es ihnen allen gezeigt.

Text + Fotos: Nico Czaja





[kol_2] Macht Laune: Das Beste vom Samstag
Der Trödelmarkt der Praça Benedito Calixto in São Paulo

Mehr als 300 Aussteller, Stände mit typisch brasilianischer Küche und die berühmte Chorinho-Musik der Band Canário e seu Regional. Der Trödelmarkt der Praça Benedito Calixto ist die beste Option für einen vergnüglichen Samstag.

Bunter Schmuck, alte Bücher, Silberbesteck und Schallplatten, die es sonst nirgendwo mehr gibt – hier findet man sie. Zwischendurch kann man sich an Acarajé stärken, einer leckeren Bohnenmus-Frikadelle aus Salvador da Bahia. Dazu ein kleines Tänzchen zum Chorinho wagen, einer populären Instrumentalmusik, die klassisch-europäische Stile wie den Walzer mit afrikanischer Perkussion mixt.

Der Trödelmarkt findet jeden Samstag auf der Praça Benedito Calixto im Stadtteil Pinheiros statt. Falls ihr nächsten Samstag keine Zeit habt, besucht den Flohmarkt virtuell, indem ihr auf die Nummern klickt.



Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_3] Lauschrausch: Cesaria Evora - Rogamar

Rogamar (Im Handel seit: 28.04.06) zollt dem Talent von Fernando Andrade, besser bekannt als Nando, Tribut. Nando ist seit 1999 Cesarias Pianist und verleiht dem Album seine heitere, tropische Melancholie. Auf sechs der 15 Stücke ist Jaques Morelenbaum zu hören, ein außergewöhnlicher brasilianischer Cellist, Arrangeur und Klanggestalter.

Gitarren, Klavier, Violinen und eigenartige Rhythmen ... Tausende von Unbekannten liegen unter den offensichtlichen Ähnlichkeiten. Da Cesaria Evora jetzt ein Studio in Mindelo gehört, konnte sie mit örtlichen Musikern arbeiten. Die batucada, das Perkussionsensemble der Insel São Vicente, verfügt über einen ganz besonderen Schlagzeugrhythmus, der hier zu hören ist.


Rogamar, von rogar, beten, und mar, das Meer, das allgegenwärtige Meer ... "Das Volk der Inseln/ist ein Volk von Seefahrern/aber nur für lange Reisen", schreibt Teofilo Chantre über einen Saint John’s Day-Rhythmus. Die Reise durch den "Kanal" zwischen der Insel São Vicente und Sant’ Anton ist ziemlich nervenaufreibend. Wenn die Wellen höher schlagen - "Rogà, rogà Virgem Maria/Pegà, pegà Santa Barba" - beten sie in dem kleinen Boot zur Jungfrau Maria und bitten Santa Barba um Beistand. Cesaria liebt den Blick aufs Meer. Sie ist ganz klar: Sie kann nicht ohne ihn leben. Aber wenn es darum geht, ins Wasser zu gehen: Niemals. Sie sagt, sie habe Angst davor.

Cesaria Evora singt portugiesisch. Sie hat in Frankreich eine weitere Basis für ihre Karriere geschaffen, da ihr Produzent José Da Silva dort lebt, doch sie ist ebenso tief afrikanisch. So verwendet Rogamar Musik von Ray Lema, um an die Kolonialvergangenheit Afrikas zu erinnern: São Tomé Na Equador, eine weitere Insel unter portugiesischer Herrschaft, eine Zwangsarbeiterbastion, wie vorher in Sodade beschrieben. Sie ist nicht sehr weit von der Avenida Marginal entfernt, der Küstenstraße entlang der Bucht von Mindelo nach Senegal. Ismaël Lô, die Stimme des senegalesischen Folk, unternahm die Reise für Africa Nossa, eine panafrikanische Hymne - unser Afrika, "Wiege der Welt, fruchtbarer Kontinent". Außerdem kam der Madegasse Régis Gizavo mit seinem Akkordeon vorbei.

Um es zusammenzufassen, Cesaria Evora ist eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Weil Geheimnisse ein Rätsel bleiben, hat sie fast fünf Millionen Alben weltweit verkauft, obwohl ihr einst eine Zukunft vorhergesagt wurde, nach der ihr nur kurz ein Platz an der Sonne beschieden gewesen wäre. Seit 1988, dem Jahr, in dem La Diva aux Pieds Nus (Die barfüßige Diva) erschien und sie erstmals im Westen bekannt wurde, "habe ich meine Verpflichtungen erfüllt", sagt sie.


Gründlich, können wir hinzufügen, und sie ist dabei auch noch ganz die Herrin ihres eigenen Schicksals geblieben. Rogamar ist frisch. Rogamar ist ozeanisch. Cesaria ist bei sich angekommen.

Text + Fotos: Sony BMG

Cesaria Evora
Rogamar
(CD RCA Red Seal), 57'00''
Tropical Music


Termine:
24.10.06 München, Philharmonie
06.07.06 Freiburg, im Rahmen des 24. Freiburger Zeltmusikfestivals, Beginn 20:00 Uhr



Biographie Cesaria Evora
Cesaria Evora, die von ihren Freunden Cize genannt wird, wurde am 27. August 1941 in Mindelo auf der Kapverdischen Insel Såo Vicente geboren. Ihr Vater, ein Geiger und Cousin des berühmten kapverdischen Komponisten B. Leza, starb früh und hinterließ eine Frau und sieben Kinder.

Während Cesarias Geschwister im Laufe ihres Lebens die Insel verließen, blieb Cesaria ihrem Geburtsort Mindelo treu. Dieser verfügte als Hafenstadt über ein bemerkenswertes Nachtleben. In Clubs, am Strand und in den Straßen tanzte man die der Beguine ähnlichen Coladeira und lauschte den Mornas, Liedern in gebremsten Tempi voller Gefühl und Nostalgie.

"Morna", sagt Cesaria Evora, "ist unsere Religion und Therapie, nur sie kann unsere Leiden lindern und unsere Schwierigkeiten vergessen lassen: unsere Traurigkeit ist erlöst." Dies greift einerseits ein altes portugiesisches Sprichwort auf (Quem canta sus males espanta - Wer singt, verscheucht seine Sorgen) und deutet andererseits auf das Schicksal der Sklaven hin, die seit 1460 nach der Entdeckung der Inselgruppe durch die Portugiesen vom afrikanischen Festland (von Westküste bis hinunter zum Kongo) dorthin verschleppt worden waren.

Während sich in anderen ehemals portugiesischen Kolonien wie Angola und Brasilien die portugiesische Sprache mit leichten Ausspracheveränderungen erhalten hat, spricht man auf den Kapverden einen kreolischen Dialekt, der für Portugiesen oder Brasilianer fast unverständlich ist. Brasilien war übrigens zu Kolonialzeiten näher als das portugiesische Mutterland, denn Schiffe von dort machten in den Häfen Station und so wußte man auf den Kapverden immer recht gut, was in Brasilien geschah, auch musikalisch. (Quelle: Homepage Tropical)

Mit dem Singen hatte Cesaria Evora schon mit 17 begonnen und "Cize", wie sie ihre Freunde in Cabo Verde nennen, wurde recht bald fester Bestandteil des Nachtlebens von Mindelo, indem sie herumging und in den Clubs für Bares sang. Für jedes Lied gab es 25 Esc. (rund 35 Cent)

Als Ende der 50er Jahre der Betrieb im Hafen nachließ und die Kapverden 1975 die Unabhängigkeit von Portugal erlangten, verloren die Inseln auch an Bedeutung als Handelsstützpunkt. Viele Künstler wurden arbeitslos und mussten die Inseln verlassen um zu überleben. Aber Cesaria Evora blieb.

Cesaria Evora startete ihre Kariere als Sängerin bereits mit 17 Jahren. Auf ihren Durchbruch als professionelle Sängerin musste sie allerdings beinahe 30 Jahre warten, obwohl ihr der Sänger Bana und eine kapverdische Frauenorganisation zu mehreren Studiobesuchen in Lissabon verhalfen. Erst 1988 produziert der junge Franzose kapverdischer Abstammung José da Silva in Paris ihr erstes Album. Cesaria Evora ist zu diesem Zeitpunkt 47 Jahre alt.


1988 erscheint das erste Album: La Diva aux pieds nus produziert von Lusafrica. Das Stück Bia Lulucha, eine Coladeira mit Zouk-Elementen, wird der erste Hit für Cesaria Evora bei ihren kapverdischen Landsleuten. Am 1. Oktober gibt sie ihr erstes Konzert in Paris im New Morning Club.

1990 Ihr zweites Album Distino de Belita setzt sich zusammen aus traditionell arrangierten Mornas und modern-instrumentierten Coladeiras. Da das Album wenig Anklang findet, entschließt sich ihr Label Lusafrica ein rein akustisches, mit traditionellen Instrumenten eingespieltes Album zu veröffentlichen.

1991 nimmt Cesaria Evora ihr erstes unplugged-Album in Frankreich auf. Zusammen mit der Mindel Band tritt sie beim Festival d´Angoulème auf, wobei sie von der französischen Fachpresse entdeckt wird. Das Album Mar Azul erscheint Ende Oktober und sorgt für Aufsehen. Der Radiosender F.I.P. sendet Cesarias Lieder. Ihr nächster Auftritt im New Morning Club am 14. Dezember ist ausverkauft. Le Monde schreibt: "Cesaria Evora, mit ihrem 50 Jahren reich an Lebenserfahrung, singt die Morna mit einer Art verschmitzter Hingabe... Sie gehört zu dieser kleinen Gruppe von ganz großen Bar-Sängerinnen auf dieser Welt."

1992 werden Cesaria Evoras Lieder von so großen Radiostationen wie France Inter gesendet. Am 7. Juni tritt sie bei der Feria in Nîmes in Südfrankreich auf. Im Oktober erscheint das Album Miss Perfumado und die Presse ist begeistert. Man vergleicht ihre zarte Stimme mit der von Billie Holliday und es wird viel geschrieben über sie, was später zur Legende wird: Ihre lebenslange Liebe zum Kognac und zum Tabak, ihr schweres Leben auf diesen kleinen verlassenen Inseln, die zarten Nächte von Mindelo. Die für den 11. Und 12. Dezember vorgesehenen Konzerte in Paris im Theatre de la Ville sind bereits einen Monat im Voraus ausverkauft. Am 7. Dezember tritt sie erstmals in Brüssel im Botanique auf.

1993 feiert Cesaria Evora mit ihrem Album Miss Perfumado ein weiteren Riesenerfolg in Frankreich. Sie tritt zum ersten Mal in Lissabon im Teatro São Luis am 25. Mai auf. Die Polizei muss den Saal abriegeln, damit er nicht von der begeisterten Menge gestürmt wird. Ihre französischen Fans feiern Cize bei zwei ausverkauften Konzerten im renommierten Pariser Olympia am 12. Und 13. Juni. Danach geht sie auf Tournee in Barcelona (21. Juni), Montreal (14. Juli), Japan (Ende Oktober) und Frankreich (30 Konzerte).

1994 wird sie bei ihrem Auftritt in São Paulo von Caetano Veloso begleitet. Es folgen umjubelte Konzerte in Spanien, Portugal, Belgien, Schweiz, sowie in Afrika und auf den Antillen. Im Herbst tritt Cesaria Evora bei der WOMEX in Berlin zum ersten Mal in Deutschland auf. Ihr Label Lusafrica unterschreibt einen Vertrag mit BMG, und im Herbst erscheint die Compilation Sodade, Les Plus Belles Mornas de Cesaria.

1995 erscheint das Album Cesaria (Goldene Schallplatte in Frankreich) in über zwanzig Ländern, darunter auch in den USA und in Deutschland bei Tropical Music. Das Album wird für den Grammy Award nominiert. Cesaria gibt 10 Konzerte im Pariser Bataclan und geht zum ersten Mal auf USA-Tournee: Im New Yorker Bottom Line Club gehören Madonna, David Byrne und Brandford Marsalis zu ihren Zuhörern. Für den Film Underground von Emir Kusturica nimmt Cesaria Evora mit Goran Bregovic den Titel Ausencia auf. Im Herbst ist sie das erste Mal auf Tournee in Deutschland (9 Konzerte), wo sie ein begeistertes Publikum empfängt.

1996 ist das Jahr der Tourneen: Frankreich (40 Konzerte), Schweiz, Belgien, Brasilien, Deutschland (11 Konzerte), Hong Kong, Italien, Schweden, USA, Kanada (30 Konzerte), Senegal und Elfenbeinküste. Cesaria Evora tritt zum ersten Mal in London auf, in der ausverkauften Queen Elizabeth Hall. Im Sommer erscheint bei Tropical Music die Compilation The Soul of Cape Verde, auf der auch Cesaria mit dem Stück Papa Joachin Paris vertreten ist. ARTE und ZDF berichten über Cesaria Evora. Im Oktober erscheint das erste Live-Album Cesaria Evora Live à l´Olympia.

1997 erscheint das Album Cabo Verde. Cesaria Evora gibt vier ausverkaufte Konzerte im Pariser Olympia im März und geht anschließend auf Welttournee. Im April tritt sie im deutschen Fernsehen auf. Im September gibt Cesaria Evora 10 Konzerte in Deutschland. Im Oktober wird Cesaria Evora für das Album "Cabo Verde" mit dem KORA Award, dem afrikanischen Grammy, gleich in drei Kategorien ausgezeichnet: Best Artist of West Africa, Best Album, Spezialpreis der Jury unter Leitung von Youssou N´Dour.

1998 wird das Album "Cabo Verde" für den Grammy in der Kategorie "Weltmusik" nominiert. Im Februar geht Cesaria Evora auf Tournee in Afrika. Konzerte in Kamerun, Tschad und Angola. Im Sommer tritt Cesaria Evora bei der EXPO 98 in Lissabon als Vertreterin der Kapverdischen Inseln auf. Im Herbst erscheint die CD Best of Cesaria Evora, die mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik 1998 ausgezeichnet wird. Erstmals singt Cesaria Evora ein spanisches Lied auf CD: Den Klassiker Besame Mucho.

1999 erscheint das siebte Studioalbum Café Atlantico, das unter Mitwirkung kubanischer Musiker in Paris und Havanna eingespielt wurde. Auch dieses Album wird mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik 3/99 ausgezeichnet.
Cesaria Evora geht auf Tournee in Brasilien, Argentinien, Frankreich, den USA und Deutschland. Im Dezember gibt Cesaria Evora drei Konzerte in Folge im Pariser Olympia.

2000 kommt Cesaria Evora wieder auf Tournee nach Deutschland und gibt ein ausverkauftes Konzert in der Berliner Philharmonie und weitere sechs Konzerte in München, Düsseldorf, Bonn, Freiburg und Frankfurt. Das Publikum tanzt in den vorderen Reihen und feiert die große Diva der Weltmusik. Im Vorprogramm spielt Cesaria Evoras Landsmann Teofilo Chantre, der bereits mehrere Stücke für Cesaria Evora geschrieben hat. Cesaria Evora tritt bei der offiziellen Abschlussveranstaltung der EXPO 2000 als Vertreterin der kapverdischen Inseln auf und singt live im Deutschen Fernsehen.

2001 wird das achte Studioalbum Sao Vicente de Longe veröffentlicht, auf dem u.a. Caetano Veloso, Pedro Guerra und das Orquesta Aragon mitgewirkt haben.

2002 erscheint die DVD Live in Paris aufgenommen bei einem Konzert 2001 im Pariser Zenith. Die Alben von Cesaria Evora haben sich bereits mehr als 4 Millionen mal weltweit verkauft, und erstmalig ist sie auf Tournee in Osteuropa und spielt u.a. in Moskau und Kiew. Es folgen weitere Konzerte in den USA.

2003 erscheint das neunte Studioalbum Voz d´Amor, das sich sich stilistisch wieder an den Alben Miss Perfumado und Cesaria orientiert. Cesaria Evora wird im Dezember zur Botschafterin gegen den Hunger des World Food Programme der Vereinten Nationen ernannt.

2004 werden alle bisher Alben von Cesaria Evora exklusiv bei Tropical Music veröffentlicht, also auch ihre frühen: LA DIVA AUX PIEDS NUS, DESTINO DE BELITA, MAR AZUL, MISS PERFUMADO, sowie das Studioalbum SAO VICENTE DI LONGE und die beiden Alben ANTHOLOGIE (2 CDs Mornas & Coladeras) und ANTHOLOGY. Bis auf die Compilations sind diese CDs um deutsche Übersetzungen der Liedtexte ergänzt. In jeder CD steckt ein zusätzliches Booklet mit einer Biografie und dem Gesamt-Oeuvre der Evora bei Tropical Music. Cesaria Evora wird für das Album Voz d´Amor mit dem Grammy in der Kategorie Best Contemporary Wold Music Album ausgezeichnet. Ein verdienter Erfolg nach mittlerweile sechs Nominierungen. Im März kommt Cesaria Evora nach Deutschland und tritt bei der Bücherpreis-Gala in Leipzig auf. Die Gala wird live im Fernsehen ausgestrahlt. Im Sommer 2004 kommt Cize für weitere vier Konzerte nach Deutschland.





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