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[art_2] Kuba: Havanna - alles echt?!

Ach Havanna! Die Stadt der Zigarren, des Rums, lauter Musik in Form des technoartigen Sons, der teilweise recht hübschen Kubanerinnen, der alten Ami-Schlitten, Fidels, der engen Gassen, in denen Kinder immer Pelota spielen und eines allgegenwärtigen Ches. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Fragt man Leute, die schon mal auf Kuba waren, dann verklärt sich schnell ihr Blick und sie erzählen mit verwegen-romantischer Miene, wie schön es in der Hauptstadt Kubas doch sei. Wie sehr das Leben dort pulsiere und wo sonst könne man karibisches Flair noch so hautnah spüren wie auf dieser kleinen sozialistischen Trutzburg?!

Das ist ein durchaus sympathisches Verhalten, wie ich finde. Oder besser: es ist sehr höflich, aber entspricht es auch der Realität?

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50 Jahre ist es jetzt her, dass Fidel, sein Bruder Raúl – der inzwischen die Regierungsgeschäfte führt – und der omnipräsente Argentino-Export Che Guevara die Revolution erfolgreich nach Havanna trugen und diese ausgiebig feierten. Seitdem ist viel passiert und irgendwie scheint die Zeit dennoch stehengeblieben zu sein. Würde man hier Gymnasiasten lehren, wie ein dialektischer Aufsatz auszusehen habe, man könnte es ihnen nicht anschaulicher präsentieren. Scheinbar wahllos werden einige der wundervollen alten Gebäude saniert – vorzugsweise im touristisch hoch frequentierten Viertel Habana Vieja – und man erhält eine vage Idee, wie diese Stadt einmal ausgesehen haben mag. Es ist keine Seltenheit, dass neben einem fünfstöckigen Herrschaftshaus, das seit Jahrzehnten nur eine Familie bewohnt, weil die darüber liegenden vier Stockwerke schon längst in sich zusammengebröselt sind, eine prächtige Häuserfassade renoviert wurde und man nur darauf wartet, dass die schicke Pferdekutsche samt Comtesse herausgefahren kommt (und im Umkehrschluss sehr enttäuscht ist, dass es doch nur ein verträumt wirkender Opa ist, der sich eine neue Zigarre kaufen will).

Spaziert man auf dem Prado vom Capitol in Richtung Malecón, gleicht das einem Spießrutenlauf. Je nach Tageszeit stößt man auf Bettler, Schlepper, ein paar semiprofessionelle Mädchen und eine Hand voll Polizisten, die hier Streife gehen. Der Bettler will ein paar Pesos fürs Essen, der Schlepper will ein paar Pesos fürs Leben und einen Drink, und die Prostituierten wollen ein paar Pesos fürs gemeinsame Zeitverbringen, einen Drink samt Mittag- und/oder Abendessen und vielleicht für eventuelle körperliche Dienste. Auch für eine kleine Shoppingtour – der Kunde zahlt – sind sie zu haben. Die Polizisten sind in dieser Szenerie nur Beiwerk. All das ist nicht verwerflich, aber wo bitteschön ist denn das „echte Kuba“ geblieben? Das, das die Reisenden so liebevoll beschwärmen oder jenes, das im Reiseführer so nett beschrieben wird?

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Nach drei Tagen in dieser verrückten Stadt macht sich in mir ein klein wenig Ernüchterung breit. Ich hätte es mir eigentlich denken können, dass das richtige Kuba zwar in Havanna zu finden ist, es aber nicht so ohne weiteres und offensichtlich zu Tage tritt. Und dennoch offenbart es sich Tag für Tag, in jeder x-beliebigen Straße und ja, auch auf dem Prado. Der eine braucht das Touristengeld, weil er außer den staatlich rationierten Lebensmitteln noch etwas Zusätzliches für seine Familie benötigt; der andere braucht es, weil er sich heute selbst keinen Cocktail leisten kann, aber auch gerne an Windeln für seine kleine Tochter kommen möchte und die nächste braucht von all dem vorherigen noch ein bisschen mehr, weil auch die Nachbarin noch unterstützt werden will. Was hier groß geschrieben wird, ist ein solidarisches Miteinander. Wohl mit die größte Errungenschaft, die die Revolution hervorbrachte, wenngleich das doch alles ganz anders geplant war. Vor allem die Komponente Mensch mit all ihren Facetten und Eigenheiten, die hat das System nicht wirklich in den Griff bekommen.

Wenn irgendwann die karibische Sonne hinter dem Hotel Nacional untergegangen ist, beginnen die Habaneros ihren geliebten Malecón zu bevölkern. Familien, Kinder, verliebte Pärchen. Rum ist immer mit dabei, vereinzelt auch Gitarren oder Gettoblaster, die stumpfe Reguetón-Rhythmen aus den Boxen dudeln. Man trifft sich, plaudert, lacht, singt, schreit und im Hintergrund die Wellen, die an die Uferpromenade peitschen. Standesgemäß beginnt am Malecón aber nur das Vorspiel, ehe man sich der Nacht voll Rum, Musik und Magie hingibt. Wer Glück hat, kommt mit den Einheimischen zumindest ins Gespräch. Und wer noch mehr Glück hat, der wird mit ihnen um die Häuser ziehen. 

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Irgendwo hinter einer verwinkelten Gasse, in einem von außen abrissreifen Haus, zeigt Havanna dann sein Gesicht. Ehrlich und aufrecht. Was zählt, ist der Augenblick, die Musik, die Mädchen und Rum; genau in dieser Reihenfolge. Buena Vista Social Club, das war einmal. Son und überharter Reguetón fahren einem heute in die Glieder – und das ist gut so. Rum ist zwar per se kein Teufelsgesöff, braucht aber eine gewisse Handhabe. Er will aus dem Körper hinausgetanzt werden. Dafür sorgen abwechselnd die Musik, die Mädchen und der Rum. Da ist es überaus hilfreich, dass man auf diese Art von Musik nicht auf Paartanz angewiesen ist. Nach dem zweiten Rum-Cola bewegen wir uns schon anständig, nach dem dritten tanzen wir unserer Meinung nach so gut wie die Kubaner und nach dem vierten ist es uns dann endgültig egal, ob wir es halbwegs hinbekommen oder nicht. Was aber nach einer solchen Nacht vor allem hängen bleibt, ist die Erkenntnis, dass in Kuba alles echt ist: Rum, Mädchen, Musik – und irgendwo dazwischen auch im Augenblick ein kleines bisschen Revolution.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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