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[kol_3] Helden Brasiliens: Und das jogo bonito?
 
Schlechte Nachricht auf schlechte Nachricht – kaum ein Tag, an dem man die Zeitung aufschlägt, ohne über das nächste fußballtechnische Desaster informiert zu werden. Fast könnte man meinen, dass auf Brasiliens Fußball ein Fluch lastet. Dabei wollten wir doch eigentlich bloß ein wenig jogo bonito sehen.



Doch anstelle des jogo bonito zeigt die einst so mächtige Nationalmannschaft ein furchtbares Gekicke, siegt höchstens Mal gegen Costa Rica, wird aber gegen die großen Nationen beharrlich abgewatscht. Früher wäre so etwas nicht passiert. Klar hat man 1982 auch gegen Italien verloren, dabei aber wenigstens Traumfußball gespielt.

Umbruch nennt man das offiziell, wobei junge Spieler ins Team eingebaut werden sollen. Weit über 50 Jungtalente hat Mano Menezes bereits seit seinem Amtsantritt Ende 2010 getestet, wobei er kaum zu Welt bewegenden Erkenntnissen gekommen zu sein scheint. Doch die Leistungen der Nationalelf sind noch das kleinste Übel.

Eine immer unerträglichere Hängepartie ist die Organisation der WM 2014. Während man unkt, dass zum ConFedCup 2013 lediglich drei Stadien fertig sein werden, leuchten bereits weitere Alarmlampen auf. Wo seien denn nun die 2007 angekündigten Infrastrukturmaßnahmen, fragt die FIFA nach, die Brasilien am liebsten einen "Tritt in den H…n" verpassen würde.

Das Nachhaken der FIFA hat übrigens für ziemliche Aufregung gesorgt, obwohl letztlich alle Herrn Valcke in der Sache Recht geben mussten. Neue Hotels sucht man vergeblich, genau wie die versprochenen U-Bahnen, Schnellzüge, neue Flughäfen und die immer noch anstehende Reinigung der Guanabara-Bucht (oder möchte man die erst zu Olympia 2016 säubern? Da hätte man natürlich noch zwei Jahre länger Zeit…).

Alles laufe bestens, so der Tenor der Regierung, die statt dem Ausbau der Infrastruktur einfach die Schulferien auf den WM-Monat verlegen wird und an den Spieltagen zusätzliche Feiertage ausrufen will – und damit auf beeindruckend einfache Art und Weise nahezu alle Probleme löst. Die Welt kann doch noch von Brasilien lernen!

Und ansonsten? Kaká tritt ständig aus Kirchen aus und wieder ein, Luis Fabiano ist auch nach einem Jahr Behandlung immer noch verletzt, Adriano hat es gänzlich aufgegeben Fußball zu spielen, genau wie sein Kumpel Ronaldo, der jetzt die WM organisiert. Torwart Bruno wird immer noch der Prozess wegen seiner angeblichen Zerstückelung der Geliebten gemacht, während Ronaldinho bei Flamengo regelmäßig Pfiffe erntet. Und wer erinnert sich überhaupt noch an Paulo Henrique Ganso?

Immerhin, zwei Personen heben sich vom lauen Mengengelage ab. Zum einen Neymar, der weiterhin sensationell spielt und Tore am laufenden Band produziert, so wie letztens gegen… Guaratinguetá. Während Real und Barcelona vergeblich um ihn buhlen, hat der Irokese in Brasilien bereits seinen 10. lukrativen Werbevertrag in der Tasche. Klar, dass er erst mal lieber in Brasilien bleibt. Vielleicht will er aber auch einfach in Ruhe seine Wunden lecken, nachdem Barcelona Neymars Truppe im Weltpokal mit 4:0 gedemütigt hat.

Die andere positive Erscheinung ist der einst allmächtige Ricardo Teixeira, und das zum ersten Mal in seiner langen Karriere. Endlich scheint er genug von dunklen Geschäften zu haben, dem Messerwetzen und all den homerischen Intrigen... übergab die in Rio de Janeiro angesiedelte CBF einfach an den Fußballverband von São Paulo (!) und zog sich nach Miami zurück. Wann folgen wohl Grondona und Blatter seinem Beispiel?



Und wann geben die pfingstkirchlichen Abgeordnete im Kongress endlich den Widerstand gegen den Bierausschank in den WM-Stadien auf?

Text + Fotos: Thomas Milz

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