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[art_3] Bolivien: Holz mal fair und nachhaltig
 
Nachhaltig ist das Holz von Multiagro schon lange. Jetzt soll es auch fair werden. Die Hoffnungen, die auf dem Transfairsiegel ruhen, sind groß.

Don Bautista sieht nicht aus wie ein Großgrundbesitzer. Dem 59jährigen Bauern fehlen einige Zähne und sein Pullover ist zerrissen. Zehn Kinder hat seine Frau geboren, neun davon haben die beiden groß gezogen. "Eines ist gestorben, als es noch klein war. Wir hatten einfach nicht das Geld für eine ärztliche Behandlung", erzählt Don Bautista und puhlt weiter die Maiskolben ab – eine Ernte, die er mit seiner Frau und den drei noch daheim lebenden Kinder mühsam dem kargen Andenboden abgerungen hat. Hier, auf einer Höhe von 3.500 Metern Höhe ist das Leben rau und hart: Tagsüber brennt die Sonne, nachts wird es eisig kalt. Außer Kartoffeln und Mais wächst hier nichts, was das Überleben der Familie sichern könnte. Falsch! Wuchs hier Jahrhunderte lang nichts. So lange, bis die Familie Demeure auf die Idee kam, in der Höhe Pinienwälder anzupflanzen.

Hochlandholz ist härter
Wenn Don Bautista von seiner Arbeit aufschaut und den Kopf wendet, so sieht er in der Ferne an den steilen Berghängen Wald. Es sind seine Bäume, die da die Andenabhänge hinauf wachsen, seine und die der anderen 47 Familien von Cocapata, einem winzigen Dorf rund zwei Autostunden von der bolivianischen Großstadt Cochabamba entfernt. Denn tatsächlich ist Don Bautista Großgrundbesitzer. Bei der Landreform 1953 wurden den Dorfgemeinschaften große Ländereien zugesprochen. Reich hat es sie nicht gemacht, denn an den steilen Abhängen ließ sich kein Ackerbau betreiben. Und Bäume gab es in dieser Höhe einfach nicht. "Viele der Bauern, die heute Waldbesitzer sind, hatten zuvor noch nie einen Baum gesehen", erinnert sich Juan Pablo Demeure. Er führt heute das Familienunternehmen Multiagro in zweiter Generation. Es war sein Vater, der die Idee hatte, Holz in den Anden anzubauen. Die Pinien, die für das Sägewerk bestimmt sind, wachsen auf einer Höhe von bis zu 1.500 Metern. In Europa ist die Baumgrenze bereits bei 2.100 Metern erreicht, aber in der Nähe des Äquators gedeihen Bäume auch noch in wesentliche größerer Höhe. Das Wachstum ist zwar langsam – aber das Holz wird besonders hart. Und eignet sich damit ganz ausgezeichnet für hochwertige Möbel.

Früher gab es hier keinen Wald
Die Idee von Multiagro war, die brachliegenden Flächen der Andenhänge für den Anbau dieses hochwertigen Holzes zu nutzen und dabei gleichzeitig den Bauern ein zusätzliches Auskommen zu verschaffen. Die eigens geschaffene Hilfsorganisation DESEC versorgt die Bauern mit Setzlingen und schickt Forstingenieure in die Dörfer, die erklären, was bei der Anpflanzung der Schösslinge zu beachten ist. Nach der Ernte erhalten die Bauern 80 Prozent des Erlöses aus dem Holzverkauf, DESEC 20 Prozent. Don Bautista schüttelt es noch heute, wenn er daran denkt, wie viel Arbeit sein Wald am Anfang gemacht hat: "Das ganze Dorf hat zusammen gearbeitet um den Weg zu den Hängen hinauf anzulegen. Drei Kilometer Straße, alles von Hand mit der Spitzhacke in den Berg gehauen. Und dann die Hänge hoch klettern um die Bäumchen zu pflanzen …". Doch seit dieser anfänglichen Kraftanstrengung macht ihm sein Wald kaum noch Arbeit. Die Bäume wachsen, ohne dass sie viel Pflege bräuchten. Die Mitarbeiter von DESEC kommen regelmäßig vorbei und beraten die Bauern, welche der Pinien weniger gut sind und schon jetzt gefällt werden sollten, damit die wirklich guten Bäume mehr Platz zum Wachsen haben. Dieses erste Holz bringt Don Bautista und seiner Familie schon mal ein kleines zusätzliches Einkommen – der große Batzen kommt dann, wenn die besten Pinien 20 bis 25 Jahre alt geworden sind und gefällt werden können. "Das dauert alles ziemlich lange, aber ich glaube, dass es sich bezahlt machen wird", meint Don Bautista zuversichtlich.

Ein Beitrag zum Wasserhaushalt
A
bgesehen von den Gewinnen aus dem Holzhandel hat sich der Anbau der Bäume schon jetzt gelohnt. Seitdem es oberhalb seines kleinen Hofes einen Wald gibt, führt der Bach fast das ganze Jahr über Wasser für Don Bautistas Felder. Denn das Wurzelwerk der Bäume wirkt wie ein Schwamm – es speichert die Niederschläge und gibt sie nach und nach ab. Dort, wo es keinen Wald gibt, rauscht das Wasser direkt zu Tal und verursacht Schäden, und danach ist es monatelang trocken. Davon, dass es plötzlich mehr Wasser für die Felder gibt, profitieren nicht nur die Waldbauern, sondern alle Menschen im Gebiet rund um die neuen Wälder. Außerdem entstehen mitten im bitterarmen Altiplano neue Arbeitsplätze, denn in den Baumschulen müssen Schösslinge herangezogen, Bäume gefällt und Stämme abtransportiert werden.

Faires Holz: ein Novum
Für die Waldbauern von Multiagro soll der Holzhandel in Zukunft aber noch mehr bringen als ein zusätzliches Einkommen und eine bessere Bewässerung der Felder. Deshalb hat Juan Pablo Demeure beschlossen, sein Unternehmen dem Fairen Handel anzuschließen. Faires Holz ist ein Novum, Multiagro ist weltweit gerade mal das dritte Holzunternehmen, das diesen Schritt wagt. "Es gehört für mich als verantwortlichen Unternehmer dazu, dass ich mich um meine Arbeiter kümmere. Schon deshalb, weil ich ein großes Problem hätte, wenn niemand mehr für mich arbeiten wollen würde", erklärt Juan Pablo seine Entscheidung für den Fairen Handel. Außerdem hofft der mittelständische Unternehmer, mit fairem Holz eine Nische zu erschließen, in der er gegen die Konkurrenz bestehen kann.

Große Pläne für die Zukunft
Ende Oktober soll die erste Prämie aus dem Fairen Handel überwiesen werden, und es gibt schon eine ganze Reihe Ideen, wie sie verwendet werden könnte. Ein Fond für Stipendien ist im Gespräch, damit die Kinder der Bauern nicht nur in die Grundschulen auf den Dörfern gehen, sondern auch die weiter führenden Schulen in den Städten besuchen können. Und es  wird über einen Gesundheitsfond nachgedacht, aus dem die Arztkosten der Mitglieder bestritten werden können – in einem Land, in dem eine Krankenversicherung eine absolute Ausnahme ist, wäre das eine wichtige Sache. Noch aber ist der Faire Handel bei Multiagro ein Pilotprojekt; bislang sind erst zwei der insgesamt 7.000 Dörfer, in denen für das Unternehmen Holz angebaut wird, dabei. Außerdem werden zunächst die Mitarbeiter des Sägewerks, die Arbeiter einer der Baumschulen und zwei der Fuhrunternehmer vom Fairen Handel profitieren. Doch irgendwann, so hofft Demeure, werden alle, die mit Multiagro zu tun habe, dabei sein. Das wären rund 20.000 Familien.

Hoffen auf die Kunden
All das ist vorerst Zukunftsmusik. "Die spannende Frage ist jetzt, ob es genügend Abnehmer für unser Faires Holz gibt", meint Juan Pablo Demeure. "Die ganze Idee des Fairen Handels funktioniert ja nur, wenn es auch Kunden gibt, die bereit sind, ein wenig mehr für das Holz zu bezahlen." Die erste Prämie wird für das große Vorhaben wohl kaum reichen. Aber ein kleiner Fond wird vermutlich bereits jetzt angelegt werden: für Schulmaterialien. Damit wäre Don Bautista schon sehr zufrieden.

Text: Katharina Nickoleit

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
252 Seiten
ISBN 978-3-89662-362-1
Verlag: Reise Know-How
3. Auflage 2012

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