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[art_4] Venezuela: Vieh und Viehtreiber in den Los Llanos
 
Mit den Europäern kamen auch die Rinder in die Neue Welt. Vor allem in den endlosen Steppenlandschaften der argentinischen Pampas oder den Los Llanos de Venezuela fanden sie ideale Lebensbedingungen und vermehrten sich rasant. Nur 50 Jahre nachdem das erste Rind den Boden der Neuen Welt betreten hatte, erlangten die Herden eine so gewaltige Größe, dass Reisende mitunter tagelang kampieren mussten, bis die Rinder vorbei gezogen waren.



Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts berichte Alexander von Humboldt, dass das Landschaftsbild der Los Llanos über weite Strecken von Rinderherden bestimmt war. Reisende, die nach der Unabhängigkeit der amerikanischen Länder von Spanien die Los Llanos in Venezuela besuchten, sahen eine "gewaltige Verminderungen in der Zahl der Rinder, welche in Folge der endlosen Revolutionskämpfe und aus anderen Gründen stattgefunden hatte." [Aus den Llanos, in: Das Ausland, Stuttgart 1878]



Nicht desto trotz scheinen die Los Llanos aus Sicht der Reisenden ein Schlaraffenland aus Viehsicht darzustellen: "Wenn dann auf der Lehmplatte der Llanos das Steppengras längst verdorrt und als Weide unbrauchbar geworden ist, sind die feuchten Potreros ein prachtvolles grünes frisches Weideland, in dem das Vieh nicht nur die Dürre übersteht, sondern sogar dick und fett wird. Gerade während der Trockenzeit, die für die Viehzucht in den Tropen ein so ungemeines Hindernis bildet, hat das Vieh seine beste Zeit, gibt am meisten Milch und ist am fettesten." [Passarge, S., Bericht über eine Reise im venezolanischen Guyana, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin 1902]



Mit den Europäern änderte sich nicht nur das tierische Landschaftsbild, sondern auch die Bewohnerstruktur der Steppe entwickelte sich neu. Zu den wenigen indigenen Gruppen, die die Los Llanos ihre Heimat nannten, gesellten sich Flüchtlinge und Vertriebene. Unter diesen fanden sich weitere indigene Gruppen von der Küste kommend sowie Sklaven, Deserteure und Seeräuber.



Die Menschen begannen, Rinder zu domestizieren. Sie nutzten dazu ein weiteres aus Europa importiertes Tier: das Pferd. Und so entstand das heute immer noch vermittelte Bild des rauen Viehtreibers. In Deutschland wurde dieses Bild im 19. Jahrhundert publik: "Der Llanero ist ein wilder, unbändiger Geselle. Als kleiner Junge lernt er reiten, hat sich, auf dem Rücken des wilden Stieres liegend und sich an dessem Schwanz festhaltend, während seine Beine den Hals des Tieres umklammern oben zu halten, bis der Stier ermattet ist. Fällt der Junge herunter, so ist er verloren. Im Alter von 13 - 14 Jahren hat er sein erstes Pferd einzureiten, indem er sich auf den frisch eingefangenen Wildling setzt. In der Führung der Waffen von Jugend auf geübt, ist der Llanero bravo der geborene Kavallerist und Soldat. Ihn erfüllen unbändiger Mut, unbändige Freiheitsliebe. Seiner Kraft sich bewußt, ist er der ewige Revolutionär gegenüber den schlappen, willensschwachen, korrupten, sartoid entarteten, aber gerissenen und gewissenlosen Städtern." [Passarage, S., Wissenschaftliche Ergebnisse einer Reise im Gebiet des Orinoko, Caura und Cuchivero im Jahre 1901-1902]



Auf den Spuren Humboldts wandelnd, setzte im 19. Jahrhundert ein Reiseboom in die unabhängigen Länder Amerikas ein. So entstanden eine Reihe von Monografien und zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften bis hin zu Beiträgen in Schulbüchern über die Los Llanos: "Am Abend begannen die Lustbarkeiten und Singen und Tanzen fehlte nie. Die Musik ward noch von Gesang begleitet, denn alle Llaneros sind eifrige Sänger, die sehr hübsche Nationallieder, Trovas Llaneras, vorzutragen verstehen und fast alle sind geborene Improvisatoren. Kommen zwei derselben zusammen, so beginnen sie sofort einen Wettkampf und singen abwechselnd so lange, bis der Eine schweigt und dadurch den Andern als Sieger anerkennt, der nun der Löwe des Tages wird und die zärtlichsten Blicke der Damen empfängt." [Paéz, R., Die Landschaft am Apurestrom in Venezuela, in: Globus, Band 5, Braunschweig 1864]



"Unter den niederen und mittleren Klassen Venezuela´s, wenigstens im Innern des Landes, sind kirchliche Ehen geradezu eine Seltenheit; oft war ich erstaunt, wenn mir, in einem ziemlich respectablen Hause, der Hausherr seine "señora esposa" in aller Förmlichkeit vorstellte, und ich hinterher erfuhr, dass hier nur eine freie, mit gegenseitigem Kündigungsrecht eingegangene Vereinigung vorlag. Jeden Augenblick kann eine solche wilde Ehe gelöst werden und beide Theile "verheirathen" sich aufs Neue, ohne dass man darin etwas Anstössiges findet; die vorhandenen Kinder theilt man sich nach gütlicher Uebereinkunft. Welch´ bunt gemischte Familien dadurch mitunter entstehen, ist leicht zu ermessen." [Sachs, C., Aus den Llanos, Leipzig 1879]

Carl Sachs und auch Ramón Páez fragten junge Llaneras nach dem Vater ihrer Kinder, und immer wieder erhielten sie dieselbe Antwort: "Quien sabe?" – Wen kümmert das? Ramón Páez beteuert aufgrund dieser unglaublichen Haltung zur Treue der Llaneras sein Mitgefühl mit den Viehtreibern. Diese besingen ihre Beziehung zu Roß und Weib in einer Copla, einem Liedgut aus den Los Llanos: "...wenn ein Llanero oder Steppensohn das Unglück hat, Roß und Weib gleichzeitig zu verlieren, er im Stillen denkt: der Gaul thut mir weh, das Weib aber hätte der – holen können. Und wirklich hat er auch gar nicht Unrecht, wenn alle Llaneras nach dem oben geschilderten Quien-sabe-Grundsatz leben." [Páez, R., Das Leben auf den Steppen Venezuela´s, in: Das Ausland, Augsburg 1863]



Viehtreiber gibt es in den Los Llanos noch heute. Hatos, so heißen in Venezuela die Vieh-Farmen, haben oft Ausmaße, die mit dem Auge nicht fassbar sind. Auch die Viehtreiber auf den Fotos hinterlassen den Eindruck, als kämen sie aus einer anderen Zeit daher geritten, barfuß und mit einer einfachen selbst zusammen geschusterten Peitsche.

Es scheint, als ob heute noch einiges am übermittelten Bild der Llaneros aus dem 19. Jahrhundert vorhanden ist. Wie es mit den Details aussieht, erfahrt ihr auf einer Reise in die Llanos oder ihr fragt Kai.

Fotos: Alejandra Huaynalaya
Text: Dirk Klaiber

Tipp:
Detaillierte Informationen zu Reisen in Venezuela erhaltet ihr bei Kai – Los Llanos Spezialist nicht zuletzt aus familiären Gründen:
Posada Casa Vieja Mérida

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