[art_3]
Bolivien: El retorno a casa - Oder: Doppelte Heimkehr
Knapp drei Jahre hatte Rodrigo in Deutschland gelebt und an einer botanischen Doktorarbeit an der Universität Göttingen gearbeitet, bevor er im September letzten Jahres wieder einmal für sechs Wochen in seine bolivianische Heimatstadt Cochabamba reiste. In diesem Gespräch berichtet er von seinen Erfahrungen zwischen alter und neuer Heimat.
Hast Du Bolivien vermisst?
Ja, natürlich. Ich habe hier in Göttingen ein gemütliches Leben, aber das alte Zuhause fehlt: meine Familie, Freunde aus der Schul- und Studienzeit, auch die bolivianische Kultur und Lebensart. Ich bin als erwachsener Mann nach Deutschland gekommen, mit einer Kultur in mir, die mich bis dahin fest geprägt hat.
Wie hast Du Dich kurz vor der Abreise aus Deutschland gefühlt?
Ich war nervös. Ich habe viel nachgedacht, darüber, was ich in Bolivien machen will, wen ich treffen werde, was mich erwartet.
Und? Was war das erste, das Du in Bolivien gemacht hast?
Ich hatte noch einen zerknitterten 100-Bolivianos-Schein in der Tasche, den ich drei Jahre aufbewahrt habe. Als mich meine Eltern am Flughafen in Cochabamba abgeholt haben, meinten sie, ich sei bestimmt müde und wolle gleich nach Hause. Aber ich habe ihnen den Geldschein gezeigt und gesagt: Nein, ich will erst dieses Geld ausgeben und zwar für
churrasco (Grillfleisch, das in Bolivien an vielen Straßenständen angeboten wird). Also sind wir zu einem Grill gefahren, und ich habe ein großes Stück Fleisch gegessen
(lacht und hält seine Hände etwa 30 cm auseinander).
Hat sich Cochabamba oder Dein Blick auf die Stadt während Deiner Abwesenheit verändert?
Ja, einige Dinge. Ich habe z.B. einen Freund angerufen und gesagt: Komm, wir treffen uns heute Abend im "Metropolis". Da meinte er nur: Das gibt es seit über zwei Jahren nicht mehr, Du warst lange weg, da hat sich besonders das Nachtleben verändert.
Was auch auffällt, sind die sozialen Unterschiede in Bolivien. Es gibt hier eine sehr arme Mehrheit und wenige reiche Leute. Wenn man lange in Südamerika ist, verliert man das Gespür dafür. Nach der Zeit in Deutschland ist mir das wieder krass aufgefallen. Ach ja, und ich habe zwei neue Neffen kennen gelernt, die während meiner Abwesenheit geboren wurden.
Während Du in Bolivien warst, gab es dort Unruhen zwischen den wirtschaftlich reichen, nach Autonomie strebenden Tieflandprovinzen und dem armen Hochland. Hast Du davon etwas mitbekommen?
Ja, im Fernsehen haben wir in Cochabamba Bilder von einer Demonstration in Cobija im Departamento Pando
(nördliches Tiefland) gesehen. Arme
campesinos wollten in die Stadt marschieren, um für den Indio-Präsidenten Ewo Morales zu demonstrieren. Da hat die oppositionelle Präfektur von Pando eine bewaffnete Gegendemonstration organisiert. Viele
campesinos starben. Einigen wurde sogar noch in den Rücken geschossen, als sie über einen Fluss flüchten wollten.
Wie hat sich der Konflikt weiter entwickelt?
Nun ja, die Regierung hat die Armee nach Cobija geschickt, um die Stadt zu besetzen und einen Bürgerkrieg zu verhindern.
Gab es in Cochabamba auch Unruhen?
Nein, dort war es glücklicherweise ruhig. Früher waren die Andenstädte La Paz und Cochabamba die Zentren der Unruhen, heute konzentrieren sich die Probleme auf und um Santa Cruz de la Sierra, die größte Stadt im Tiefland.
Wie äußern sich diese Probleme?
Ich hatte ein Treffen mit einer Naturschutzorganisation in Santa Cruz geplant, für die ich früher gearbeitet habe. Aber die Straßen waren blockiert, also musste ich fliegen. Eigentlich wollte ich nur zwei Tage in der Stadt bleiben, aber in dieser Zeit hat die lokale Führung Regierungsbüros und den Flughafen besetzt. Also bleb mir nichts anderes übrig als weitere zwei Tage zu warten, ehe ich nach Cochabamba zurückkehren konnte.
Wie hast Du Deine letzten Tage in Cochabamba verbracht?
Ganz ruhig. Ich wollte die Zeit noch einmal intensiv mit meiner Familie verbringen und war hauptsächlich zu Hause.
Wie war es, schließlich wieder deutschen Boden zu betreten?
Erstmal habe ich auf der Rückreise noch einen Zwischenstopp in Asunción, Paraguay, gemacht - eine chaotische Stadt, Santa Cruz sehr ähnlich. So war der Abschied nicht so abrupt.
Als ich dann wieder in Frankfurt gelandet bin, überkam mich plötzlich das Gefühl, wieder nach Hause zu kommen. Deutschland ist beides, ein fremdes und ein vertrautes Land. In diesem Raum, in dem wir gerade sitzen, steht mein Bett, hier esse und arbeite ich. Ausserdem habe ich viele Freunde hier in Göttingen gefunden.
Die Zeit in der bolivianischen Heimat war schön, aber viele Bekannte haben Cochabamba inzwischen verlassen, und die, die dageblieben sind, haben ihr Leben weiter gelebt. Wie ich halt auch. Nur eben in Deutschland.
Vielen Dank für das Gespräch und herzlich willkommen zu Hause!
Text: Lennart Pyritz
[druckversion ed 03/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien]