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[art_1] Brasilien: Rios Polizei befriedet die Vorzeigeviertel
 
In Rio de Janeiros Postkartenmotiv ist endlich Ruhe eingekehrt. Ende letzter Woche hat die Polizei den letzten Favela im Stadtviertel Copacabana mit einer Einheit der Befriedungspolizei besetzt, der so genannten UPPs, Unidade de Policia Pacificadora. Die Drogenbanden seien vertrieben worden, so die Regierenden, die nicht noch einmal einen solchen Imageschaden für die Olympia-Stadt 2016 riskieren wollen wie im Oktober 2009 als Kriminelle einen Polizeihubschrauber vom Himmel schossen.

Nur wenige Tage nach der Entscheidung der Vergabe der Olympischen Spiele wurden damals bei Gefechten zwischen Drogenbanden und der Polizei mehr als 50 Menschen getötet. Die Reaktionen der Weltpresse zeigten den Regierenden der Stadt, dass das Vertrauen in die Sicherheit der Fußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016 erschüttert war. Gouverneur Sergio Cabral reagierte mit dem Einsatz einer Spezialtruppe der Polizei, die Ende letzten Jahres damit begann, die Favelas rund um die weltberühmte Südzone der Stadt zu besetzen. Das erklärte Ziel der Aktion sei dabei die Bekämpfung des Drogenhandels und die Vermeidung bewaffneter Konflikte, so Cabral.


Letzte Woche wurde mit der Befriedungsaktion in den Favelas Morro dos Cabritos und Ladeira dos Tabajaras die letzten der Favelas an den Hügeln der Copacabana besetzt. Dabei geht die Polizei neue Wege und organisiert die Besetzung gemeinsam mit den Vertretern der Anwohner und ohne die in der Vergangenheit eingesetzten schweren Waffen. Lediglich mit ihren Dienstpistolen bewaffnet patrouillieren die Polizisten nun in den Favelas. Zudem stehen den meisten UPPs weibliche Polizisten vor, eine Vertrauen schaffende Geste gegenüber den Bewohnern. Vorbei sein sollen die Zeiten als man die Armee mit ihren schweren Panzern in den Favelas aufmarschieren ließ um den Drogenbanden die Stirn zu bieten.

Die Strategie scheint aufzugehen. Die Bewohner vertrauen den Sicherheitskräften und heißen deren Präsenz willkommen, so Claudio Carvalho, Präsident der Anwohnervereinigung der Favelas Morro dos Cabritos und Ladeira dos Tabajaras. Eine Einschätzung die auch die Polizei und die Regierenden teilen. Dazu tragen die mit der Besetzung durch die Polizei eingeleiteten Verbesserungen der Infrastruktur in den ungeordnet errichteten Häuserkomplexen hoch über der Stadt bei.

"Wir wurden stets von den öffentlichen Stellen diskriminiert in Bezug auf die Sicherheit aber auch auf die Basisversorgung mit Wasser und Strom", so Carvalho, der den etwa 25.000 Bewohnern des Komplexes hoch über den Mittelklassehäusern der Copacabana vorsteht. Jetzt kümmere sich die Stadtverwaltung um die Menschen hier. "Diese neue Entwicklung hat viel für uns gebracht", so Carvalho.

Neben den 120 Polizisten, die in der Favela Ladeira dos Tabajaras ihren Dienst tun, sieht man überall Arbeiter Stromkabel verlegen und Wege ausbessern. Nach Jahrzehnten der Nichtbeachtung scheinen die Menschen hier nun endlich in der Stadtgemeinschaft angekommen zu sein.

"Wir leben jetzt in Frieden", fasst Carvalho die Situation zusammen. Die Drogenhändler des Comando Vermelho (Rotes Kommando), die bis vor wenigen Wochen die Favelas in der Copacabana in Händen hielten, haben sich in andere Gebiete der Stadt abgesetzt, hoch an den Nordrand der Stadt, wo die Befriedungspolitik von Gouverneur Cabral noch nicht angekommen ist. Aber auch hier soll demnächst gehandelt werden. "Im April werden 1.300 neue Rekruten eingestellt – mehr als derzeit in allen UPPs zusammen. Und im Juni kommen noch einmal 2.000 Mann hinzu", verspricht der Gouverneur.

Neben den sechs Favelas der Copacabana hat die Polizei bereits weitere UPPs in anderen Favelas der Stadt eingerichtet: in der Dona Marta in Botafogo, dem Jardim Batam in der Westzone und in der Cidade de Deus, berühmt gewordenen durch den Film "City of God" – "Stadt Gottes" in Rios Norden.

Insgesamt 160.000 Favelabewohner stehen so unter dem Schutz der UPPs. Mit den dieses Jahr noch dazu kommenden Polizeikräften soll diese Zahl auf über 300.000 ansteigen.

Bisher habe die Polizei lediglich in relativ friedlichen Favelas UPPs eingerichtet und es bleibe abzuwarten, ob sich die riesigen Favelakomplexe im Norden der Stadt ebenso leicht befrieden lassen, wie die kleinen der Südzone, warnen Kritiker. So hätten sich viele bewaffnete Banden aus der Südzone zurückgezogen und dafür die Bastionen des Comando Vermelho in Favelas wie dem Complexo do Alemão und der Favela da Mare im Norden verstärkt. Dort, fernab der Traumstrände, der Touristen und der Sportstätten müsse die Regierung zeigen, ob sie die neue Befriedungspolitik wirklich ernst nehme. Immerhin habe der Staat in den Favelas bisher stets durch Abwesenheit geglänzt.



Claudio Carvalho ist sich sicher, dass die neue Polizeistrategie mit den kommenden sportlichen Großereignissen zusammenhängt. "Früher kam die Polizei nur hierher um jemanden festzunehmen und die Banden zu bekämpfen. Doch jetzt wollen sie das Feld bereinigen, damit Ruhe herrscht, wenn die Spiele beginnen." Über die Drogenbanden enthält er sich jeglichen Kommentars. Man könne ja schließlich nicht wissen, ob Gouverneur Cabral wiedergewählt werde oder aber seine Politik ändere und die Polizei wieder abziehe. Denn dann werden die Drogenbanden schnell wieder die Macht übernehmen.

Die Polizei mag schon in den Favelas angekommen sein, das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Politiker ist es jedenfalls noch nicht.

Text: Thomas Milz
Fotos: Roberto Cattani

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