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[art_3] Bolivien: Zu Besuch bei den Yuracaré-Indianern im bolivianischen Tiefland

"Alles ist cool hier: der Fahrer, der Bus, die Musik" oder: "Bitte nicht auf den Boden spucken"... aber auch wahre Weisheiten wie: "Lieber eine Minute in deinem Leben verlieren, als in einer Minute dein Leben" stehen auf den Stickers geschrieben, an der Tür, die das Passagierabteil vom Chauffeur trennt, im Bus von Cochabamba nach San Gabriel. Und ganz nach diesem Motto kriechen wir den Berg hinunter.

Die Umgebung ist erst von karger Bergvegetation mit Lagunen und Adobehäuschen geprägt, dann geht es vom trockenen Klima des Hochtals ins tropische Tiefland des Chapare hinunter.

Links und rechts neben der Straße wird es nun immer grüner, bis die letzten Flanken der Anden hinter uns verschwinden und die Luft heiss und feucht wird.

Drogengeschäft und Vertreibungen
Nach etwa vier Stunden erreichen wir Villa Tunari. Hier endet für die meisten Touristen der Ausflug ins Chapare. Ich hingegen bin auf dem Weg nach Sanandita, einem Dorf der Yuracaré-Indios, einem Indianerstamm im Amazonasgebiet Boliviens. Wir passieren einen Militärkontrollposten ausgangs Villa Tunari. "Crime Scene, Do not cross", steht auf dem Band vor dem Posten. Daneben ein Schild: "Wasser ist Leben. Lass nicht zu, dass sie unsere Flüsse verschmutzen. Sag Nein zu Drogen und Drogenhandel." Dementsprechend wird auch unser Bus von den Soldaten durchsucht. Es könnte ja sein, dass jemand Drogen dabei hat oder Instrumente bzw. Chemikalien, die für die Kokainproduktion verwendet werden. Auf einer holprigen Piste geht es von hier aus weiter nach San Gabriel, dem letzten kleinen Dorf vor dem Nationalpark und Indianerreservat Isiboro-Sécure, wo die Yuracaré wohnen, die ich besuchen werde. Je weiter wir kommen, desto größer sind die Kokafelder am Wegesrand. Einfache Häuser aus Brettern säumen die Straße. Doch arm sind die Leute hier nicht. Vor etlichen Häusern stehen brandneue Autos und auch die Satellitenschüsseln fehlen nicht. Koka scheint ein gutes Geschäft zu sein! Und Koka gedeiht hier wunderbar.

Tatsächlich siedeln immer mehr Kokabauern, vorwiegend Quechua und Aymara aus dem Hochland, in dieses Gebiet um. Auf der Suche nach Anbaufläche machen sie auch vor Nationalpark- und Indianerreservats-Grenzen keinen Halt, roden den Regenwald und drängen die Yuracaré-Indianer immer weiter zurück. Die Siedler aufzuhalten ist kaum möglich ohne die Unterstützung der Regierung – mit einem ehemaligen Kokabauern als Präsidenten.

Ganze Gemeinden von Yuracaré-Indianern sahen sich gezwungen, vor den Siedlern zu flüchten und ihrerseits umzusiedeln. Ihnen bleibt nur die Flucht immer weiter hinein in den Dschungel.

Dschungelabenteuer
Und da fahre ich hin! Im Sammeltaxi, zu zwölft eingequetscht in einem normalen PkW, gelangen wir zur Bootsanlegestelle am Rio Isiboro, wo bereits Angehörige der Yuracaré auf mich warten. Sonntag ist Markttag in San Gabriel, und so wurde eingekauft, was der Dschungel nicht bieten kann: Coca Cola, Fanta, Bier und Kekse... Von hier sind es im Einbaum noch knapp 30 Minuten flussabwärts bis zur Anlegestelle bei Sanandita. Die Sonne steht bereits tief am Himmel und taucht den Wald in ein grelloranges Licht. Je weiter wir uns flussabwärts begeben, umso dichter wird der Dschungel am Flussufer. Es wird rasch dunkel hier und das grüne Dickicht wirkt alsbald bedrohlich schwarz. Lediglich das Zirpen der Insekten, der Gesang der Vögel, das regelmäßige Eintauchen des Holzpaddels und das Gleiten unseres Einbaums durch das stille Wasser sind zu hören.

Bis vor einer Generation waren die Yuracaré-Indianer herumziehende Jäger und Sammler. Doch so zu leben ist heute nicht mehr möglich, denn das Gebiet schrumpft aufgrund der Invasion der Kokabauern zusehends. Heute sind die Yuracaré sesshaft in Gemeinschaften von 10 bis 30 Familien. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Yuracaré dramatisch auf heute nur noch etwa 150 bis 200 Familien reduziert, von denen 14 in Sanandita leben. Ich werde hier ein paar Tage gleich einem Stammesmitglied mit ihnen leben. Als Unterkunft dient eine einfache, traditionelle Hütte, gebaut aus den Materialien des Urwaldes, ohne einen einzigen Nagel. Eine aus einem Baumstamm gefertigte Treppe führt auf den aus Blättern geflochtenen Zwischenboden, der als Schlafstätte dient. "Hier kommen keine Taranteln oder andere potentiell unangenehme Besucher hoch", erklärt Jhonny, Yuracaré-Indianer und Verantwortlicher des in Sanandita ins Leben gerufenen sogenannten Dual-Tourismus-Projekts, während wir vom Fluss zur Hütte an der Lagune schreiten. Bis wir die Hütte erreichen, ist es bereits Nacht geworden. Bald sind nur noch das Funkeln der Sterne und das Blinken der Glühwürmchen zu sehen.

Vom Fischen und Gefischt-Werden
Am nächsten Morgen ruft mich Jhonny zum Frühstück bei meiner Gastfamilie. Diese vier Tage verbringe ich mit Don Humberto, seiner Frau und dem jüngsten Sohn, Guido. Ich werde von ihnen sofort aufgenommen wie ein Familienmitglied.

Die im Tourismus sonst übliche Beziehung zwischen Dienstleister und Bediensteter existiert hier nicht. Es ist eher, als wäre man bei einem alten Freund zu Besuch. Auch die älteren Kinder kommen heute Morgen vorbei und stellen mir stolz ihren Nachwuchs vor. Für die Kleinste wurde soeben ein passender- nicht ganz typischer - Indianername gefunden: Britney. Auch Indianer hören heute Radio, wenn auch wenige Sender und stark verrauscht aus dem Transistorradio.

Heute singt jedoch nicht Britney Spears beim Frühstück: Stattdessen ertönen Trompetenfanfaren und militärische Marschmusik, zu der im Takt ein Hahn über den Hof stolziert.

Eine der Hauptaktivitäten der Yuracaré ist der Fischfang, und so paddle ich mit Don Humberto im Einbaum den Fluss hoch. In den Baumkronen sehen wir von weitem ein paar Affen herumturnen. Ins Auge fallen mir aber vor allem die flaschenförmigen Nester einer Gruppe Oropendulas, Webervögel. Bald tönt auch ihr merkwürdig gurgelnder Gesang herüber. Uns steht zum Angeln wohlgemerkt keine High-Tech Ausrüstung zur Verfügung. Doch selbst mein erster ungeschickter Auswurf der einfachen Konstruktion aus Silch und Haken genügt, und schon zappelt ein großer Fisch mit silbernem Rücken und oranger Brust an der Angel. Ich scheine Glück zu haben! Das hier ist ein wahrer Fischgrund – ein Traum jedes Fischers. Doch nach meinem Anfängerglück schaue ich nur noch zu, wie Don Humberto einen Fisch nach dem anderen an Bord zieht. Bei mir beissen sie zwar an, doch die Viecher sind stark und der zähe Faden schneidet unerbitterlich in meine zarte Haut, verwöhnt von der Arbeit am Computer. Und so ziehe ich jeweils den Haken ohne Köder wieder heraus. "Das sind die gefrässigen Piranhas", meint Don Humberto lachend, "da musst du schneller sein!"

Zurück im Dorf bereite ich mit Don Humbertos Frau unser Mittagessen zu. Gekocht wird mit Wasser aus dem Fluss, auf einer einfachen Feuerstelle. Neben Fisch zählen noch Yucca, wie Maniok hier genannt wird, Bananen, Reis und Mais zu den wichtigsten Nahrungsmitteln. Und so gibt es heute auch einen Eintopf aus Fisch, Bananen und etwas aus San Gabriel importierter Pasta. Für meinen Geschmack ist das Ganze etwas zu salzig und ich spüle jeden Bissen mit dem gesüßten Kräutertee herunter.

Anschließend spiele mit dem kleinen Guido stundenlang mit der einzigen Murmel, die er besitzt und seinen zwei kaputten Spielzeugautos. Mit den etwas älteren Kindern gehe ich baden und schwimmen im Fluss. Da es hier keine Duschen oder fließendes Wasser gibt, ist dies die einzige Möglichkeit, mich von den angesammelten Dreckkrusten zu befreien. Was für eine Wohltat! Im Anschluss werde ich von den Kindern zum "Fischen"-Spielen eingeladen. So wird hier unser "Fangen" genannt. Es ist gar nicht so einfach. Im braunen Flusswasser sind die flinken Kinder schnell weggetaucht und winken mir dann plötzlich lachend, hinter dem nächsten Kanu schwimmend, zu. Ich hingegen, von den Kindern liebevoll Gringita genannt, bin ein leichtes Fressen für den jeweiligen "Fischer".

Von den Kindern lerne ich auch, wie man ein Einbaum lenkt. Das beherrschen sie hier nämlich schon, bevor sie schwimmen können. Zwei Jungs demonstrieren, wie man mit Pfeil und Bogen die Fische fängt, die sich am Grund der Lagune tummeln, und am Abend werden wir auf Kaimanpirsch gehen.

Geduldig erklärt man mir auf dem Rückweg, welche Beeren man essen kann und welche giftig sind, oder welche Pflanzen zum Färben von Tüchern verwendet werden können. Mein grünes T-Shirt wird dabei zum Opfer einer Demonstration. Ein violetter Fleck wird mich jetzt noch lange an die Kräfte der Natur erinnern.

Ich erfahre aber auch, wann Koka reif ist zum Pflücken und helfe beim Ausbreiten der Blätter zum Trocknen an der Sonne. Die Yuracaré können heute nicht mehr bloss vom Fischfang leben. Wenn dann die Siedler die Gemeinden dazu drängen, sich ebenfalls dem Kokageschäft zu widmen, ist die Versuchung groß, selber Wald zu roden, um Koka zu pflanzen.

In den Gemeinden, die sich näher an den Neuansiedlern befinden, so wie Sanandita, haben die Familien also damit begonnen, Koka zu kultivieren. Denn Koka lässt sich nunmal gut in San Gabriel.

An dem Tag, an dem ich Sanandita wieder verlasse, sehe ich frühmorgens, wie die jungen Männer des Dorfes bewaffnet mit Pfeil, Bogen und Machete losziehen, um ihr Land gegen die Siedler zu verteidigen.

Text: Eva Fuchs
Fotos: DELPIA

Projektinfo:
Der Tourismus dient einerseits als Alternative zum Kokaanbau, kann somit weitere Waldrodungen verhindern und schützt so den Regenwald. Ein Grossteil der Einnahmen im Tourismus fliesst direkt in soziale Projekte und kommt so der ganzen Gemeinde zu Gute. Mit Hilfe der Delpia-Stiftung konnten bereits diverse Projekte zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen realisiert werden, wie ein Bienenzuchtprogramm für den Verkauf von Honig oder ein Aufzuchtprogramm von Jochis, einer südamerikanischen Nagetierart ähnlich dem Meerschweinchen. Doch ein genauso wichtiger, wenn nicht noch wichtigerer Faktor ist, dass durch die internationale Aufmerksamkeit der Touristen die Situation der Diskriminierung und Vertreibungen nicht mehr so leicht ignoriert werden kann. Die Touristen werden zur Stimme der Yuracaré. Die Präsenz von ausländischen Reisenden und ihr Interesse an der indianischen Kultur stärkt die Yuracaré zudem in ihrer Identität und in ihrem Stolz für die eigene Kultur – ein wichtiger Faktor für die sonst marginalisierten und unterdrückten Gemeinden.

Der Stamm der Yuracaré-Indianer im bolivianischen Amazonasgebiet wird durch kolonisierende Kokabauern immer weiter zurück gedrängt. Um diese Invasion zu bremsen, hat die Nichtregierungsorganisation DELPIA vor zwei Jahren ein Gemeindetourismusprojekt ins Leben gerufen. Wer das Abenteuer Wildnis wagt, wird belohnt durch ein einmaliges und authentisches Erlebnis.

Reiseinfos:
Einreise: Bürger der meisten Länder der Europäischen Union benötigen für einen Aufenthalt bis 30 Tage einen gültigen Reisepass, der noch mind. sechs Monate über das Ausreisedatum gültig sein muss. Vor Ort kann die Aufenthaltsbewilligung problemlos gegen Gebühr um jeweils weitere 30 Tage bis 90 Tage verlängert werden.

Gesundheit: Gelbfieberimpfung obligatorisch. Für den Aufenthalt in Sanandita ist neben den üblichen Impfungen auch die Typhus-Schluckimpfung empfohlen. Im Nationalpark Isiboro-Sécure gibt es ein tiefes Malariarisiko, die Mitnahme eines Malaria Medikamentes zur Notfalltherapie ist somit ebenfalls angebracht.

Reisen zu den Yuracaré: Koordiniert werden die Touren durch die Non-Profit Organisation DELPIA in Cochabamba: Av. Beijing y Tadeo Haenke (Av. Beijing # 1452), Tel: +591-4-4403138; Handy: +591-72290107; mail: info@fundacion-delpia.org; www.fundacion-delpia.org

Der Beginn der Tour ist nach Voranmeldung täglich möglich. Es werden zwei verschiedene Programme angeboten:
1. Das Programm "Das indigene Leben" ermöglicht den Besuchern, am Alltagsleben einer Yuracaré-Familie teilzunehmen. Der Besucher fühlt sich dadurch als Teil der indigenen Gemeinschaft. Die genauen Aktivitäten lassen sich im Voraus nicht genau festlegen, da sie stark vom Interesse der Besucher und dem jeweiligen Tagesgeschehen abhängen.

2. Das Programm "Die indigene Welt" bietet dem Besucher die Möglichkeit, die einzigartige Schönheit und den Artenreichtum in den indigenen Territorien kennenzulernen und zu erleben. Bei einer mehrtägigen Trekking- oder Kanutour durch den Urwald werden die Besucher von indigenen Führern begleitet, die während der Strecke ihr Wissen über das Überleben im Regenwald weitergeben.


Kosten:
Eine viertägige Tour ab/bis Cochabamba kostet für den Einzelreisenden ca. EUR 135.00, resp. ca. EUR 115.00 pro Person bei zwei Reisenden (Anreise ab Cochabamba mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die indigenen Führer sprechen nur Spanisch und Yuracaré)


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