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[art_2] Bolivien: Autosegnung - Taufen statt versichern

Vor der Basilika von Copacabana, einem Örtchen hoch oben in den Anden Boliviens am Titicacasee, herrscht ein ungeheures Gedränge. In drei Reihen stehen mit Blumengirlanden geschmückte Autos, Lastwagen und Minibusse auf dem Kirchplatz. Ihre Besitzer sind festlich gekleidet und in ausgelassener Stimmung. Heute ist für sie ein großer Tag. "Jedes Jahr kommen wir im August hier her um unser Auto segnen zu lassen. Dafür sind wir extra aus Peru angereist. Zwei Stunden waren wir unterwegs", erzählt Alfredo Guzman. Damit hat er keineswegs die weiteste Anreise, manche der Autobesitzer, die geduldig stundenlang vor der Kirche warten, sind sogar aus dem zwei Tagesreisen entfernten Argentinien in den Wallfahrtsort gefahren. "Wir lassen die Autos segnen, damit wir immer eine gute und sichere Fahrt haben und es keine Unfälle mit Verletzten oder Toten gibt", so Guzman.

Copacabana ist ein uraltes Zeremonialzentrum, in das die Menschen schon vor 3000 Jahren pilgerten. Die katholische Kirche übernahm den Wallfahrtsort von den Inkas und baute eine Basilika, in der eine offiziell vom Vatikan als wundertätig anerkannte Madonna steht.

santiago de chile
"Wir sind gekommen, weil wir die Jungfrau von Copacabana verehren. Wir reisen jedes Jahr mit der ganzen Familie hier her und bitten sie, uns zu segnen und zu beschützen. Und um ihr für all das zu danken, was sie schon für uns getan hat."


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Ihren Pickup lässt Jenny Rodriguez bei dieser Gelegenheit auch gleich segnen. In Bolivien und Peru gehört das für die meisten Autobesitzer unbedingt dazu.

Martin Koschwitz mag zwar in Köln aufgewachsen sein, doch auch der Deutschbolivianer sitzt nur ungern in einem Auto, das nicht gesegnet wurde: "Das ist eine Art Autoversicherung. Ich meine, wenn Du ein Auto kaufst und das nicht segnen lässt und Du Auto fährst, dann könnte Dir irgendetwas passieren, um die Ecke. Wir wollen, dass der liebe Gott uns beschützt. Und deswegen ist es unglaublich wichtig mindestens einmal im Jahr hierher zu kommen und das Auto segnen zu lassen. Vor allem, wenn es neu ist."

Copacabana ist ein prosperierendes kleines Städtchen und der Kirchensprengel ist wohlhabend. Versicherungen sind ein gutes Geschäft, da macht auch die Autosegnung keine Ausnahme. "Das ist nicht kostenlos. Da musst Du rein in die Kirche und ein Ticket kaufen. Dann darfst Du Dich mit Deinem Auto in die Schlange stellen. Der Priester kommt mehrere Male am Tag vorbei, fragt nach dem Ticket und dann segnet das Auto", fährt Koschwitz fort. Umgerechnet einen Euro kostet dieses Ticket, zusätzliche Spenden sind willkommen und üblich. Aber zu einer richtigen Autosegnung gehört noch viel mehr. Vor der Kirche reihen sich Marktstände aneinander, an denen es alles Mögliche an Dekorationsmaterial zu kaufen gibt: Blumenketten, glitzernde Papphüte, Banner mit der Aufschrift "In Copacabana gesegnet".

Ein Stand ist bunter als der nächste. "Das ist alles für die Leute, die mit ihren Autos zur Segnung kommen. Die Leute aus Peru kaufen am liebsten Girlanden aus Plastik, während die Bolivianer am liebsten natürliche Blüten kaufen." Die Verkäuferin mit den langen schwarzen Zöpfen kann kaum hinter dem voll beladenen Stand hervorschauen. Neben dem festlichen Schmuck für die Autos hat sie auch Feuerwerk und Alkohol im Angebot. "Wir verkaufen Sekt und Wein um ihn auf dem Boden zu verschütten." Das ist ein Opfer für die Mutter Erde, die in den Anden seit jeher verehrt wird. "Die Pachamama ist immer durstig. Deswegen sehen wir zu, dass die ganzen Leute hier Schnaps- oder Champagnerflaschen zur Hand haben. Sie schütten den Alkohol über das Auto und wenn was auf den Boden tropft, dann ist die Pachamama glücklich", erklärt Koschwitz.

Für Pater David ist der August der stressigste Monat im Jahr. Es ist der Monat der Muttererde und zugleich fällt die Prozession zu Ehren der Jungfrau von Copacabana in den August. Viele der Gläubigen, die in den Wallfahrtsort kommen, machen zwischen beiden kaum einen Unterschied. "Das ist der Synkretismus, da vermischen sich die Religionen. Die Leute sollten eigentlich wissen, welche Riten zur katholischen Kirche gehören und welche nicht, aber einigen fällt es schwer, das zu unterscheiden." Pater David füllt gerade seinen Eimer mit Weihwasser auf. Er segnet an diesem Tag im Akkord und wirkt ziemlich erschöpft. Obwohl die Segnung eines Autos nicht unbedingt der reinen römisch-katholischen Lehre entspricht, zählt er sie ganz klar zu seinen Aufgaben – so, wie seine Vorgänger früher Pferde oder auch Lamas gesegnet haben: "Das ist ein sehr alter Brauch, den die katholische Kirche übernommen hat. Wir adaptieren solche Traditionen und passen sie ein wenig an. Es ist ja nichts Schlechtes daran. Für die Menschen ist es einfach ein Zeichen des Schutzes für ihr Auto und ihre Familie." Der Pater rafft seine Soutane, die nicht mehr ganz so weiß strahlt wie noch am Morgen und macht sich mit seinem frisch gefüllten Eimer Weihwasser wieder an die Arbeit.

Auch Alfredo Guzman kommt jetzt gleich dran. Vor seinem Auto hat er einen kleinen Altar aufgebaut. Er sieht ein bisschen wie ein Geburtstagstisch für ein kleines Kind aus. "Alles, was wir uns wünschen, haben wir als Miniatur gekauft, damit wir es in der Zukunft tatsächlich bekommen. Kleine Häuschen, kleine Autos und Zertifikate von Schulabschlüssen, das soll der Pater alles gleich mit segnen. Es ist eine Opfergabe."

Ob die Jungfrau von Copacabana Wert darauf legt? Die Pachamama jedenfalls tut es. Lange bevor die Spanier nach Südamerika kamen, war es Brauch, den Göttern Miniaturen darzubringen. Es ist ein Ausdruck von Respekt und zugleich ein Handel. Die Götter sind nicht gnädig, sondern gerecht und nur, wenn gut für sie gesorgt wird, sorgen sie auch für die Menschen. Pater David versprengt trotzdem ohne mit der Wimper zu zucken mit Hilfe einer weißen Blüte sein Weihwasser nicht nur in die offene Motorhaube und über den Köpfe der Kinder, sondern auch auf die Opfergaben. Ein Fotograf macht ein Erinnerungsfoto, das er an Ort und Stelle ausdruckt und schon eilt der Pater weiter, während Alfredo Guzman noch ein Feuerwerk abbrennt.

Zwischen den Miniaturen, die die Wünsche und Sehnsüchte der Familie symbolisieren, sitzt auch ein Frosch aus Ton. Alfredo Guzman hat ihn zusammen mit den Autos und Geldbündeln an einem Stand für Opfergaben gekauft. "Der Frosch ist ein alter Mythos, der Reichtum verspricht. Hinter dem Calvarienberg gibt es einen uralten Frosch aus Stein, alle Welt geht dort hin, um Opfergaben nieder zu legen. Der Frosch ist sehr alt – aber auch ganz aktuell. Er verbindet die Welt der Götter mit der der Menschen," erklärt die Verkäuferin.

Nur die alten Symbole darzubringen, das reicht manchen Pilgern nicht. Nicht wenige wollen, dass ihr Auto den Segen der alten Götter empfängt. Während der Priester vor der Kirche den Frosch mit Weihwasser besprengt, segnet umgekehrt ein paar Straßenquadras weiter unten am Titikakasee ein Schamane das Bildnis der Jungfrau von Copacabana, das einträchtig mit dem Frosch auf einem Auto steht. Victor Quispe trägt eine bunte, handgestrickte Mütze und einen Poncho. Seine Zeremonie ist ungleich aufwendiger und länger als die des Paters. Cocablätter werden in alle vier Himmelsrichtungen gehalten, Räucherwerk geschwenkt und Glöckchen geläutet. "Wir sprechen mit den Berggeistern und der Muttererde – schließlich rollen ja die vier Räder über den Boden, deshalb ist es wichtig, dass Pachamama ihren Segen für das Auto gibt", erzählt der Schamane. Zum Abschluss der Zeremonie schüttet er Bier auf alle vier Räder, gießt auch einen Schluck davon auf die Erde und stößt dann mit den Besitzern des Wagens an, während zwei Musikanten den festliche Augenblick mit Gitarre und Panflöte untermalen. Der Besitzer des Wagens ist sichtlich zufrieden. Dann sagt er: "Jetzt fahren wir noch zur Basilika, damit der Pater das Auto segnen kann."

Text: Katharina Nickoleit
Foto: Christian Nusch

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
ISBN: 978-3-89662-588-5
Seiten: 252
Verlag: Reise Know-How
6. aktualisierte Auflage 2017

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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