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[kol_3] Macht Laune: Mit dem Stethoskop durch Morazán
 
Ein alter Mann, sitzend in seinem Schaukelstuhl in der Mitte eines großen Raumes, umgeben von Küchenmöbeln und diversen Haustieren. Die Schlafplätze vom Rest des Raumes durch Vorhänge abgetrennt, dem Beobachter die Sicht versperrend. Die Großmutter empfängt uns herzlich an der Tür und bittet uns hinein. Wir nehmen dankend an und sind froh, der Mittagshitze für eine Weile entkommen zu sein. Sofort wird mir ein bequemer Liegeplatz in einer der Hängematten angeboten. Erschöpft und doch mit ausgesprochen guter Laune nehme ich Platz und lasse den Raum mit dem schaukelnden Großvater auf mich wirken. Da nähert sich ein äußerst neugieriger Papagei, die Schnur der Hängematte als Brücke nutzend, bis ein lauter Ruf und die wedelnde Hand der Großmutter den Vogel zur Flucht antreiben.

Meine Begleiterin, eine Ärztin, packt in aller Ruhe, sich mit dem alten Mann unterhaltend, ihr Stethoskop aus. Ein Huhn durchquert gackernd den Raum, ein kleiner Junge sitzt etwas verschüchtert auf dem Schoß seiner Mutter, mich verstohlen musternd. Ich versuche mich in einer Unterhaltung, er wird rot und wendet seinen Blick ab.

Die Mutter lächelt mich an. Zum Vorschein kommt eine silbrig blitzende Zahnreihe. Wir müssen beide lachen. Meine Begleiterin untersucht den alten Mann, "bitte einmal husten". Zu hören ist ein zartes kaum hörbares "Hm", kurzes Innehalten des Schaukelvorgangs, ein schüchternes Lächeln und Fortsetzung der Schaukelei. Meine Begleiterin das Lächeln erwidernd, versucht ihn lobend zu einem wiederholten Husten zu bewegen. Der Mann, nun seine ganze Kraft sammelnd, stößt ein wirklich von Herzen kommendes "Hmm" aus, einen Tick lauter als das vorangegangene. Wieder ein schüchternes Lächeln.

Plötzlich schrecke ich hoch, merke, dass der Papagei sich mir bis auf einen halben Meter genähert hat, geräuschlos. Wir mustern uns mit Respekt und, was mich betrifft, auch etwas ängstlich. Der Papagei, jetzt völlig unbeweglich, weiß, dass er beobachtet wird, sieht aus den Augenwinkeln wieder die Hand auf sich zukommen und flieht in unerreichbare Gefilde.

Dritter Versuch, die Lungen abzuhören: Großvater konzentriert sich wie ein Hundertmeterläufer vor dem Start, hält mit dem Schaukeln inne, sammelt die letzten Kraftreserven, bedacht, nicht die Haltung zu verlieren, sich aufrecht hinsetzend in seinem Schaukelstuhl.

Totenstille, die Spannung spürbar! Die ganze Aufmerksamkeit ruht auf dem alten Mann. Dann, zweimal hintereinander ein kurzes "Hm-hm" und Luft entweicht. Die Ärztin schnell mit ihrem Stethoskop über den Rücken des alten Mannes eilend, Töne erhaschend, hoch konzentriert. Danach auf allen Gesichtern ein Entspannungslächeln. Endlich geschafft! Dem Mann Medikamente dalassend, ziehen wir zur nächsten Hütte und weiter.

So treffen wir den ganzen Tag Menschen, in ärmlichen Hütten lebend, doch immer froh ob unserer Ankunft und immer gastfreundlich. Ich, eingenommen von der Wärme der Leute und der Ungezwungenheit der Kinder.

Nach einer Woche verlasse ich, beeindruckt von der Gastfreundschaft und Offenheit der Leute, Morazán in Richtung San Salvador, dankbar diese Erfahrung gemacht zu haben.

Text: Birgit Schönauer

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